Wie die inszenierte Doku den Umgang mit Leerstand thematisiert
Klingt ja eher wie ein Ausverkauf, dieser Titel. Da kommt eine Künstlerin angereist und will einen Film über Leipzig drehen, ist ja so eine spannende Stadt. Und dann will sie diese Spannung festklopfen, das Brachengeflüster gar ins Kino bringen?
Die Hamburgerin Anke Haarmann war von der Galerie für zeitgenössische Kunst Anfang 2004 direkt beauftragt worden, „ein künstlerisches Projekt über schrumpfende Städte in Ostdeutschland zu realisieren“. Die GfzK beteiligt sich, zusammen mit der Stiftung Bauhaus Dessau und der Architekturzeitschrift archplus, an einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes namens „Schrumpfende Städte“. Diese shrinking cities widersprächen „dem seit der Industriellen Revolution gewohnten Bild der ›Boomtown‹, einer von stetigem wirtschaftlichen und demographischen Wachstum geprägten Großstadt, sie provozieren aber ebenfalls ein Umdenken im Hinblick auf traditionelle Vorstellungen der europäischen Stadt und auf die zukünftige Entwicklung urbaner Welten.“ (1) Verschiedene wissenschaftliche und Kunstprojekte, u.a. in Detroit, Manchester, Ivanovo, aber auch Halle, wollen dokumentieren und kulturelle Perspektiven entwickeln. Dabei entstand aus diesen Arbeiten u. a. eine gleichnamige Ausstellung, die bald eröffnet wird. (2)
Leipzig sei Boomtown und Leerstandsgebiet zugleich – diese Spannung interessiere Anke Haarmann besonders. Zusammen mit der Dresdner Filmemacherin Irene Bude ging sie also auf die Suche nach Personen und Gruppen in verschiedenen Vierteln, mit denen sie zusammen dann sieben verschiedene Episoden entwickelten: vom Idealtyp Waldstrassenviertel zum Härtefall Ost, über das Wintergarten-Hochhaus, den Bunten Garten, das Wohnprojekt Gieszer 16, die Feinkost und den Brühl. Im Osten wurden bewegende Projekte entdeckt: eine Nachbarschaftswerkstatt und eine leider nur einjährige Bepflanzung eines Hinterhofes mit Grünkohl, der dann in einem Happening vom Kollektiv geerntet, gleich zubereitet und kostenlos ausgeteilt wurde. Im Wintergartenhochhaus posierte man hingegen sehr bürgerlich und schwelgte in Erinnerungen an verschiedene Besiedlungsversuche des Hauses durch die LWB: Die Junkies und harten Sozialfälle seien schlimm gewesen, als dann aber die „Spätaussiedler“ ins Haus kamen, sei es besser geworden, die konnten ja wenigstens noch ein Stückchen Deutsch.
Nach dem Prinzip der Spiegelung zeigte die folgende Episode die „Bunten Gärten“ in Anger-Crottendorf, in denen vom „brückenschlag e.V.“ MigrantInnenintegration in natura betrieben wird: Schafe, türkisch-deutscher Salatzuchtversuche, Hilfe bei Ämtergängen und Arztbesuchen.
Daß es in Leipzig einmal die Welthausbesetzerspiele gegeben hat, erfährt man dann von zwei Comicfiguren, die in der Erinnerung an die Hochzeit von Arthur und Karla (siehe S.14f) schwelgen (mit Originalvideoausschnitten!) und sich dann von der G16 aus zu einer sehr abstrakten Rettung der „Frischkost“ aufmachen. Am Ende hört man noch das sentimentale Dona nobis pacem auf der Geige eines Ex-Bewohners der abzureißenden Brühl-Hochhäuser.
Ein ziemliches Sammelsurium also. Die gestellten Szenerien, gezeichnete Elemente und die prekären Realitäten vermischten sich in diesem Stündchen Film eher ins Graue. Keine Hintergrundinformationen, keine Konfrontationen und die halbherzig aufgenommenen Porträts zeigten kaum Authentizität. Die gewollte Inszeniertheit und eine gewisse Beliebigkeit bei der Auswahl der Szenerien verspielten leider das Existentielle des Themas.
Sind alternative Projekte und Hausbesetzungen eine Medizin gegen Leerstand?
In der dem Film folgenden Podiumsdiskussion zwischen einer Stadtplanerin, zwei Vertretern der „Hausbesetzerszene“ (Birgit und Karo aus der G16), einem Ex-Feinkost-Mitbetreiber (Thomas Pracht) und einem „Quartiersmanager“ (jemand, der leerstehende Häuser vermittelt) wollte man dann für die Unkonkretheiten des Filmes entschädigt werden. Leider moderierte die Frau von Radio Blau aber immer schön an den Grenzlinien des Themas vorbei, stellte ewig lange Fragen für ihr Radio und das Publikum war relativ gefrustet. Da sprang die Künstlerin selbst einmal für die Spannung in die Presche und fragte nach den bestehenden „Verunmöglichungen“ verwaltungstechnischer Art, die Brachennutzung erschwere und politisch zu bewerten wäre.
Die Stadtplanerin hingegen mahnte immer wieder an, dass Häuser nicht einfach besetzt werden könnten und gut, ihre Instandhaltung wäre sehr aufwendig und meistens könnten die NutzerInnen sich dies nicht vorstellen, geschweige denn realisieren. Von der G16-Seite wurde dann noch betont, daß sie keine politischen Vertreter ihres Anliegens bräuchten, wie die Stadt es gerne hätte, die verschiedene TeilnehmerInnen des Projektes nicht als Verhandlungspartner akzeptiere. Eine politische Konformität sei eben nie angestrebt worden. Damit traf sie den Nagel auf den Kopf und formulierte endlich, was keine intellektuelle Auseinandersetzung der Welt überwinden kann – den Widerspruch zwischen den „Besitzern“ und den Besetzern. Am 27.11. läuft „Das Geheimnis von LE“ zum Vormittagsbrunch in den Passage Kinos, am 25.01.06 in der NaTo. Wo Platz ist, soll auch Leben möglich sein!
clara
(1) www.gfzk.de
(2) 26.11.05-02.02.06, GfzK, Karl-Tauchnitz-Allee
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