Denken schadet der Erleuchtung

Die Sri-Chinmoy-Bewegung in Leipzig

Bei „Esoterik“ denkt mensch meist an etwas Verborgenes – sagen wir mal, an eine Gruppe von Menschen, die sich von der Außenwelt abgrenzt, um ein geheimes, tiefes Wissen zu behüten. Ein Wissen, das so geheim und tief ist, dass diese Menschen meist selbst nicht so genau wissen, worum es geht. Weil Esoteriker_innen sich also meist eher von der Öffentlichkeit fernhalten, fällt es der Öffentlichkeit leicht, sie zu übersehen.

Trotzdem hinterlassen sie Spuren im öffentlichen Raum. Wer aufmerksam durch Leipzigs Straßen läuft, hat sie vermutlich schon einmal bemerkt, die auf farbiges Papier kopierten Plakate, die mit Überschriften wie „Die 7 Geheimnisse der Medita­tion“ oder „Meditation – Die innere Erfahrung“ für kostenlose Wochenendseminare werben. Die übliche Wattebausch-Esoterik, könnte man meinen, eine Seelenmassage für Leute, denen die Zweckrationalität des Alltags auf Dauer einfach zu anstrengend ist. Das beigefügte Foto eines älteren, glatzköpfigen Herrn, der dreinschaut, als wolle er für einen Grundkurs „Lächeln wie der Dalai Lama“ werben, verstärkt diesen ersten Eindruck noch.

Man muss schon das Kleingedruckte lesen, um zu erfahren, dass es sich bei dem betont unbedrohlich dreinschauenden Herrn um den Guru Sri Chinmoy handelt. Kein Unbekannter, denn wie die meisten Sektenführer legte Chinmoy (geboren 1931 in Bangladesh, gestorben 2007 in New York) nie großen Wert auf Bescheidenheit. So erklärte er z.B. öffentlich, er sei der „offizielle Meditationslehrer der UNO“, obwohl er in Wirklichkeit nur Geschäftsräume im New Yorker UNO-Gebäude nutzte, die frei angemietet werden konnten. Und auch sonst übte Chinmoy sich gern in Größenwahn: So legte er Wert darauf, nicht einfach nur ein Guru, also ein „spiritueller Lehrer“ zu sein, sondern erklärte sich selbst zum „Avatar“, also zur fleisch­lichen Verkörperung des Gottes Brahma.

Ein Gott kann natürlich ein gewisses Engagement seitens seiner Anhängerschaft erwarten. So ist auch die Erleuchtung á la Chinmoy ein echter full-time-job. Umso mehr, weil der Meister zu seinen Lebzeiten ein recht eigenwilliges Verständnis von Erleuchtung pflegte. Die wichtigste Regel dabei: „Zweifel ist immer schlecht“, schon deshalb, weil man zum Zweifeln schließlich denken muss. Und das Denken steht bekanntlich zwar nicht der Erleuchtung, aber doch dem bedingungslosen Glauben daran im Wege.

Um erleuchtet zu werden, muss (so Chin­moys Meinung als Experte) die menschliche Persönlichkeit auf ein Minimum reduziert werden: Zugunsten der „höheren“ Anteile soll der „niedere“, „unreine“ Rest verschwinden. Oder wie eine Aussteigerin es in einem Interview (1) formuliert: „Die Hierarchie geht so: Das Höchste ist die Seele, dann kommt das Herz, die Herzebene, dann kommt der Verstand und dann das Vital (die Vitalität) und als letztes kommt der Body. Die unteren versucht man möglichst auszuschalten“.

Nicht nur das vernünftige Denken, sondern auch den eigenen Körper soll mensch sich also möglichst abgewöhnen. Das geht natürlich nicht so einfach, weswegen Chinmoys Anhänger_innen umso mehr Energie aufwenden, um es trotzdem irgendwie hinzukriegen. Und damit sie dabei nicht ständig zum Nachdenken gebracht werden, etwa durch Leute, die freundlich darauf hinweisen, dass man a) den Körper nicht einfach so „transzendieren“ kann und es b) auch völlig okay ist, einen Körper zu haben, grenzen die Chinmoy-Fans sich von der Außenwelt ab. Aber das kennt man ja von ähnlichen Gruppierungen. Und natürlich ist es, wenn man erst mal Mitglied im Chinmoy-Fanclub ist, ziemlich schwierig wieder auszutreten. Wer sich trotz aller Bemühungen das Denken nicht gänzlich abgewöhnen kann, muss mit Pöbeleien und handfesten Bedrohungen rechnen.

Schließlich lässt sich mit einem Gott nicht vernünftig streiten, er kann, ja muss sogar absoluten Gehorsam verlangen. Die kultische Verehrung Chinmoys, die von seinen Anhänger_innen auch nach seinem Tod weitergeführt wird, ergänzt sich also vorzüglich mit Gehorsamsübungen und harten Disziplinarmaßnahmen gegen jene, die gegen die innerhalb der Gruppe geltenden Regeln verstoßen: „Wenn du nur schon erwischt wirst, dass du einem Mann im Gespräch die Hand auf die Schulter legst, dann hast du ein Problem.“ So ist es auch kein Wunder, dass die spirituelle Körperfeindlichkeit sich auch in der entsprechenden Sexualmoral niederschlägt: „Natürlich ist auch der Zeugungsvorgang an sich zu vermeiden, es geht alles nur von den oberen Chakren aus, vom Herz aufwärts.“ Für Leute, die den Esoterik-Slang nicht beherrschen: „Chakren“ sind grob gesagt die Zentren, an denen sich die „spirituelle Energie“ im Körper konzentriert. „Die niederen Chakren, alles was unrein ist – es wird ja auch gewertet als unrein – das holt dich von der Reinheit weg. Das probiert man zu transzendieren. Es wird einem schon Anfangszeit zugestanden, aber Onanieren z.B. ist völlig tabu“.

Diese autoritäre Moral ist für denkende Menschen natürlich ebenso wenig gutzuheißen wie das dazugehörige wirre Weltbild. Wer die Errungenschaften der Aufklärung also nicht einfach aufgeben möchte, sollte sich künftig ein wenig aufmerksamer durch Leipzigs Straßen bewegen und schauen, wer dort seine Werbung verteilt. Denn manchmal hat Esoterik wenig mit Wattebausch-Seelenmassage zu tun.

(justus)

 

(1) www.relinfo.ch/chinmoy/ex.html

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