Operaismus für Anfänger_innen
Bislang habe ich in dieser Artikelreihe dargestellt, wie sich die operaistische Theorie und Bewegung vom Ende der 1950er Jahre bis 1970 entwickelte. Den weiteren Verlauf werde ich in den letzten beiden Teilen sozusagen im Schnelldurchlauf behandeln. Nicht etwa, weil dazu nichts Wichtiges mehr zu sagen wäre – die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, dass die Lage ab diesem Zeitpunkt zusehends unübersichtlich wird.
Ein kurzer Überblick darüber, wie sich die operaistische Bewegung organisatorisch entwickelte, mag das Problem verdeutlichen: Ganz zu Anfang, 1960, bestand sie nur aus einer Handvoll linker Aktivist_innen, die sich um die Zeitung Quaderni Rossi sammelten und Untersuchungen in den Fabriken durchführten. Erst wesentlich später im „Heißen Herbst“, den wilden Streiks von 1969 (siehe FA! #50), gewann der Operaismus eine wirkliche Massenbasis. Hier wurde die Szenerie durch die großen Gruppen der „organisierten Autonomie“, namentlich Potere Operaio und Lotta Continua geprägt, die mit jeweils mehreren tausend Mitgliedern landesweit aktiv waren.
Dagegen entstand Anfang der 70er eine neue autonome Bewegung, die durch zahllose kleine Gruppen und lose, informelle Zusammenhänge geprägt war. Neue Subjekte, Frauen, Arbeitslose, Jugendliche usw. traten mit eigenen Forderungen auf den Plan. Die Autonomia knüpfte einerseits an die vorangegangenen Kämpfe der Fabrikarbeiter_innen an, weitete den Konflikt aber auf ein größeres Terrain aus und entwickelte eine Kritik und Praxis, die alle Aspekte des Alltagslebens einbezog – von der Wohnsituation bis zur Kindererziehung, vom Bildungssystem bis zur Lage in den psychiatrischen Einrichtungen und Knästen…
„Organisierte Autonomie“ und Frauenbewegung
Der erste Anstoß für diese Neuzusammensetzung der sozialen Kämpfe „von unten her“ kam dabei von Aktivistinnen der neuen Frauenbewegung, die 1970 entstand. Viele, wenn nicht die meisten dieser Frauen waren in den einschlägigen linken Organisationen sozialisiert worden. Sie machten aber rasch die Erfahrung, dass sie dort – egal wie „revolutionär“ sich diese Organisationen nach außen darstellen mochten – doch immer nur eine untergeordnete Stellung gegenüber den männlichen Militanten einnahmen. Die logische Antwort war, sich unabhängig zu organisieren, autonom sowohl den etablierten Parteien und Gewerkschaften als auch den großen linksradikalen Organisationen gegenüber. (1)
Dies betraf auch die operaistischen Gruppen, allen voran Potere Operaio. So traten 1971 eine ganze Reihe von Aktivistinnen, darunter Mariarosa Dalla Costa, Leopoldina Fortunati und andere, aus der Organisation aus. Daraus entstand bald eine neue Gruppe, nämlich Lotta Femminista („Feministischer Kampf“), die in der italienischen und internationalen Frauenbewegung eine wichtige Rolle spielte.
Zu den Gründen ihres Austritts erklärt die Feministin Mariarosa Dalla Costa im Rückblick: „Wenn ich gefragt würde, warum ich Potere Operaio im Juni 1971 verließ und eine Gruppe von Frauen sammelte, aus der später der erste Keim von Lotta Femminista wurde, dann würde ich antworten: ‚Es war eine Sache persönlicher Würde’. Zu dieser Zeit war das Verhältnis von Mann und Frau, gerade in diesem Umfeld von intellektuellen Genossen, nicht so, dass ich mich hinreichend gewürdigt fühlen konnte.“ (2)
Das Problem war freilich nicht nur, dass sich das Rollenverhalten der männlichen Aktivisten nicht unbedingt positiv von der Mehrheitsgesellschaft abhob. Auch in den theoretischen Debatten bei Potere Operaio fand die Lebenslage der weiblichen Lohnabhängigen keine Beachtung. Vielmehr wurde das „Proletariat“ fast selbstverständlich als „männlich“ vorausgesetzt. Das hatte sicher auch reale Gründe – die niedrig qualifizierten „Massenarbeiter“, welche Ende der 60er Jahre die zahlenmäßig größte Fraktion der Arbeiterschaft in den norditalienischen Industriegebieten darstellten, waren ja tatsächlich zum Großteil junge Männer.
Bei FIAT waren bis zum „Heißen Herbst“ von 1969 überhaupt keine Frauen in der Produktion tätig – erst Anfang 1970 und in Reaktion auf die wilden Streiks begann die Konzernleitung Tausende von jungen Frauen einzustellen. Damit wurden einerseits die männlichen Montagearbeiter an den Fließbändern ersetzt, die in den vorangegangenen Kämpfen eine treibende Rolle gespielt hatten. Zugleich nutzte das Unternehmen die Chance, um die Lohnkosten zu senken: Die Frauen übten zwar eine Tätigkeit aus, die der dritten Lohnkategorie entsprach, sie wurden aber nach der (niedrigeren) vierten Lohnkategorie bezahlt.
Das warf Fragen auf, die von den männlichen Theoretikern von Potere Operaio allerdings nur mit wenigen flapsigen Worten abgetan wurde, wie in einem Artikel vom Februar 1970: „Die Einstellung von Frauen bei FIAT Mirafiori ist vergleichbar mit der Einstellung von Schwarzen in der Autoindustrie von Detroit in den dreißiger Jahren. Es ist Zeit damit aufzuhören, vor lauter Sorge um die ‚Gleichstellung’ der Frauen zu vergehen, die wie jede Unterweisung in Sachen Bürgerrechten vollkommen daneben ist. Das Kapital hat die Frauen bei Mirafiori längst ‚gleichgestellt, indem es sie an die Fließbänder geschickt hat.“ (3) Es handelte sich um ein Spaltungsmanöver des Kapitals, die Frauen sollten sich eben organisieren und den Kampf der männlichen Arbeiter unterstützen – ein besonderes Problem gab es da nicht.
Diese Analyse war sicherlich mangelhaft und trug eher dazu bei, gerade die Spaltungen zwischen verschiedenen Fraktionen des Proletariats zu befördern, die sie doch verhindern wollte. Dazu stellt die italienische Feministin Leopoldina Fortunati, fest: „Die Debatte bei Potere Operaio war sehr weit entwickelt, soweit es darum ging, die neuen Fabriken, die Rolle der neuen Arbeitergeneration innerhalb des gegenwärtigen kapitalistischen Systems zu analysieren, aber sie war sehr arm in Bezug auf Fragen der Hausarbeit, Affekte, Emotionen, Sexualität, Bildung, Familie, zwischenmenschliche Beziehungen, Miteinander usw.“ (4)
Bei aller Kritik betont Fortunati aber auch, wie wichtig die Leistungen der operaistischen Theoretiker für sie gewesen seien: „Sie verwandelten das Vermächtnis der Marxschen Theorie in etwas Dynamisches und nutzten es, um die Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts analysieren und verstehen zu können, und das war es, was sie den Graswurzelaktivist_innen wie mir mitgaben: die Fähigkeit, Marx ohne falsche Ehrerbietung zu nutzen.“ (4) Mit anderen Worten: Der Operaismus bot ein brauchbares theoretisches Rüstzeug, mit dem sich auch die Stellung der Frauen innerhalb der kapitalistischen Arbeitsteilung besser verstehen ließ – es war nur nötig, dieses Rüstzeug angemessen respektlos zu gebrauchen.
Kritik der Hausarbeit
Genau das taten die Feministinnen auch, und erweiterten dabei die operaistische Kritik der Fabrikarbeit um eine Kritik der Hausarbeit. Die Grundzüge dieser Analyse entwickelte Dalla Costa in ihrem Text „Die Macht der Frau und die Umwälzung der Gesellschaft“ (5). Dieser war zunächst als internes Papier für die Debatten bei Potere Operaio verfasst, wurde von Dalla Costa aber später überarbeitet und als Broschüre veröffentlicht. Der Text fand in der internationalen feministischen Bewegung großen Anklang und wurde mehrfach übersetzt.
Dalla Costa zufolge beruht die Macht des Kapitals nicht allein auf der produktiven Arbeit des „doppelt freien Lohnarbeiters“. Das Kapital ist ebenso auf die unbezahlte Arbeit der Frauen angewiesen, die nötig ist, um die Arbeitskraft des (männlichen) Lohnarbeiters zu reproduzieren. „Seit Marx ist klar, dass das Kapital mittels des Arbeitslohns herrscht und sich entwickelt, das heißt, dass der oder die Lohnarbeiter_in und deren Ausbeutung die Basis der kapitalistischen Gesellschaft bildet. Was weder klar war noch seitens der Organisationen der Arbeiterbewegung bemerkt wurde, war der Fakt, dass genau durch den Arbeitslohn die Ausbeutung der unbezahlten Arbeit organisiert wurde. […] Das heißt, über den Lohn wurde eine größere Menge an Arbeit kommandiert, als in der für die Fabrikarbeit gezahlten Geldsumme auftauchte.“
Dass diese Arbeit prinzipiell ohne Lohn geleistet wurde, wirkte sich nicht nur auf die Profitrate aus. Es trug auch dazu bei, zu verschleiern, dass es sich an dieser Stelle überhaupt um ein Zwangs- und Ausbeutungsverhältnis handelte. Diese Arbeit der Frauen schien vielmehr „ein persönlicher, außerhalb des Kapitalverhältnisses geleisteter Dienst zu sein.“ Ihre Funktion „im Zyklus der gesellschaftlichen Produktion blieb unsichtbar, weil von dort aus nur das Endprodukt ihrer Arbeit, der Arbeiter, zu sehen war. Sie selbst blieb dabei in prä-kapitalistischen Arbeitsverhältnissen gefangen“.
Lotta Femminista waren, ähnlich wie Potere Operaio (siehe FA! #50), vor allem in den norditalienischen Regionen Veneto und Emiliana aktiv, ebenso in Rom. Die Gruppe war in ihrer Tätigkeit aber auch sehr stark international ausgerichtet. So wurde 1972 in Padua das International Feminist Collective gegründet, ein Netzwerk, das neben Italien auch in den USA und Kanada, aber auch in Großbritannien und Deutschland sehr aktiv war. Aus diesem heraus wurde eine internationale Kampagne gestartet – „Lohn für Hausarbeit“. (5)
Internationale Debatten
Die Forderung stieß innerhalb der Frauenbewegung keinesfalls auf ungeteilte Zustimmung. Im Gegenteil sahen viele Feministinnen gerade die gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben als das beste Mittel, um die Emanzipation der Frauen voranzubringen. Eine Bezahlung für Hausarbeit einzufordern, schien ihnen dagegen vor allem eine Bestätigung des Status quo zu sein und wurde von ihnen harsch kritisiert.
Demgegenüber verteidigte die in den USA lebende Feministin Silvia Federici, ein Gründungsmitglied des International Feminist Collective, in einem Text von 1974 die Kampagne gegen etwaige Missverständnisse. Es handle sich vielmehr um einen „Lohn gegen Hausarbeit“ (6). Die Lohnforderung sei nur das gewählte Mittel, nicht etwa das Ziel der Kampagne. Die Forderung bedeute auch nicht, „dass wir diese Arbeit weiterhin verrichten werden, sofern wir dafür bezahlt werden. Es bedeutet genau das Gegenteil.“
Denn Hausarbeit sei eben keine Arbeit „wie jede andere”: „Einen Lohn zu erhalten, heißt Teil eines Vertragsverhältnisses zu sein, und es gibt keine Unklarheit, was dessen Inhalt betrifft: Du arbeitest, nicht weil du es gerne tust oder weil es dir eben so einfällt, sondern weil dir nur unter dieser Bedingung erlaubt wird zu leben. Aber egal wie sehr du auch ausgebeutet wirst, du bist mit deiner Arbeit nicht identisch.”
Bei der Hausarbeit stelle sich dies grundlegend anders dar. Diese sei zwar ebenfalls ein Ausbeutungsverhältnis – aber gerade weil für die geleistete Arbeit kein Lohn gezahlt werde, erscheine sie nicht als Arbeit im eigentlichen Sinn. Es sei nicht nur so, dass die Hausarbeit den Frauen zugeteilt und aufgezwungen werde, zugleich „wurde sie in ein scheinbar natürliches Merkmal unserer Körperlichkeit und Persönlichkeit als Frauen verwandelt, in ein inneres Bedürfnis, ein Drang, der angeblich aus den Tiefen unseres weiblichen Charakters entspringt.“
Die Ausbeutung würde also verschleiert und mystifiziert – sie erscheine als Produkt der „Liebe“ oder der „weiblichen Natur“. Genau diese Mystifikation solle mit der Kampagne durchbrochen werden, die Lohnforderung solle die Hausarbeit wieder als Zwangs- und Ausbeutungsverhältnis kenntlich machen.
Von diesem Punkt aus kritisierte Federici auch die Institution der Kleinfamilie. Trotz aller romantischer Vorstellungen, die sich daran knüpften, stelle diese die kleinste basale Einheit der kapitalistischen Gesellschaft dar. Die Ausbeutung im Haushalt lasse sich nur im Verhältnis zur Ausbeutung in der Fabrik verstehen: „Es ist kein Zufall, dass die meisten Männer gerade dann anfangen an Heirat zu denken, wenn sie ihren ersten Job kriegen. Nicht nur, weil sie es sich leisten können – jemanden zu Hause zu haben, der sich um einen kümmert, ist die einzige Möglichkeit, nach einem langen Tag am Fließband oder Schreibtisch nicht durchzudrehen. […] Und auch in diesem Fall gilt, dass die Sklaverei der Frau sich umso tiefgreifender gestaltet, je ärmer die Familie ist, und dies nicht nur aus monetären Gründen. Tatsächlich verfolgt das Kapital eine doppelte Politik, eine für die Mittelklasse und eine für die proletarische Familie. Es ist kein Zufall, dass wir den stumpfesten Machismo gerade in Familien der Arbeiterklasse finden: Je mehr Schläge der Mann auf Arbeit einstecken muss, umso mehr muss die Frau darauf getrimmt sein, sie aufzufangen, umso mehr wird es ihm freigestellt, sein Ego auf ihre Kosten.wieder aufzubessern. Du schlägst deine Frau, wenn du frustriert oder fertig von der Arbeit bist oder wenn du eine Niederlage einstecken musstest (und zur Arbeit in die Fabrik zu gehen ist an sich schon eine Niederlage).“
Federici erklärte es für absurd, diesen Kampf der Frauen für eine Bezahlung ihrer Arbeit mit den Lohnkämpfen zu vergleichen, wie sie von den männlichen Fabrikarbeitern geführt wurden. Die Ausgangslage stelle sich bei den Hausfrauen nämlich komplett anders dar: „Der Lohnarbeiter stellt, indem er mehr Lohn fordert, seine soziale Rolle in Frage und bleibt doch in ihrem Rahmen. Wenn wir für eine Bezahlung unserer Arbeit kämpfen, dann kämpfen wir ohne Zweideutigkeit und direkt gegen unsere soziale Rolle.“
Dabei ginge es nicht darum, sich „einen Platz innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse zu erkämpfen, weil wir niemals außerhalb derselben waren.“ Das Ziel sei vielmehr, den kapitalistischen Plan zu durchkreuzen, das Kapital anzugreifen und damit zu zwingen, „die sozialen Verhältnisse in einer Weise neu zu strukturieren, die für vorteilhafter für uns selbst ist und in der Folge auch vorteilhafter, um eine Einigkeit der Klasse zu erreichen.“
Italienische Verhältnisse
Das war ziemlich nah an der politischen Linie, die auch Potere Operaio in den Jahren von 1969 bis 1973 verfolgten. So erinnerte der „Lohn für Hausarbeit“ nicht von ungefähr an das Konzept des „politischen Lohns“, also die Strategie, mit immer neuen Lohnforderungen das Kapital in die Krise zu treiben – nur mit dem von Federici erwähnten Unterschied, dass die männlichen Lohnarbeiter dabei allemal „im Rahmen ihrer Rolle“ blieben. So gerieten Potere Operaio rasch in eine Krise, zumal sie sich nicht nur strategisch eingleisig auf immer neue Lohnforderungen festlegten, sondern sich zugleich auch in ihrer Klassenanalyse ziemlich verrannten und alle Akteur_innen abseits der jungen, unqualifizierten, männlichen „Massenarbeiter“ weitgehend ignorierten. Welche Folgen dies für die operaistischen Debatten hatte, werde ich im nächsten (letzten) Teil dieser Serie noch genauer darstellen.
Jedenfalls liefen die feministischen und die operaistischen Debatten in ihrer weiteren Entwicklung weitgehend bezugslos nebeneinander her – wie Mariarosa Dalla Costa im Rückblick feststellte (2): „Ich selbst hatte meine ersten Schritte bei Potere Operaio gemacht, deswegen war es frustrierend zu sehen, wie sehr diese ganze Debatte abgeblockt wurde. Männliche Genossen, die nichts über die Entwicklung unseres Diskurses oder die für uns zentralen Themen wussten, konnten uns nicht folgen und nur auf dem Niveau von Höhlenmenschen argumentieren wenn sie mit uns zusammentrafen. Umgekehrt blieben ihre Debatten für uns undurchschaubar, während es dringend nötig gewesen wäre, eine gemeinsame Diskussion zu führen.“
Zugleich wuchs die Frauenbewegung in Italien rasch. So versammelten sich bei einer landesweiten Konferenz 1974 etwa 10.000 Frauen, und am 18. Januar 1975 fand in Rom eine große Demonstration für die Legalisierung der Abtreibung mit 20.000 Teilnehmerinnen statt – das waren Größenordnungen, die im internationalen Vergleich wohl einzigartig waren.
Die Bewegung erhielt teilweise Unterstützung durch die Gewerkschaften und Organisationen der radikalen Linken – so bildeten sich z.B. bei Lotta Continua eigene Frauengruppen. Zugleich blieb das Verhältnis zwischen der Frauenbewegung und der restlichen Linken gespannt. So kam es am Rande der erwähnten Anti-Abtreibungs-Demonstration 1975 zu Handgreiflichkeiten, als einige männliche Aktivisten die Reihen des Ordnungsdienstes durchbrechen wollten.
Alisa Del Re, eine andere ehemalige Aktivistin von Potere Operaio, die aber von dort zur kommunistischen Partei wechselte, bemerkte dazu: „Ich hatte mit Frauen zu tun, die in außerparlamentarischen Gruppen aktiv und zugleich Feministinnen waren, und die waren zu dramatischen Entscheidungen gezwungen […] Der Gegner war oft im eigenen Heim: Wenn eine Frau persönliche Autonomie erlangen und zugleich die Beziehungen aufrecht erhalten wollte, zu Geliebten, Freunden, Gatten, Vätern oder zu Männern, die in der Linken engagiert waren und somit viele ihrer Ideen von einem grundsätzlichen Wandel der Gesellschaft teilten, dann war das für sie mit viel Unbehagen verbunden.“ (8)
Während die männlichen Aktivisten den Feministinnen ihren „Separatismus“ vorwarfen, kritisierte die Frauenbewegung umgekehrt die Aktionsformen der Linksradikalen – allen voran die Gewalt bis hin zum Schusswaffengebrauch bei Demonstrationen, die sich oft genug mit allerlei Macho-Attitüden verband. In strategischer Hinsicht sollten die Feministinnen damit recht behalten: Die zunehmende Militarisierung der autonomen Bewegung (wobei natürlich auch die harte, von der Polizei ausgehende Gewalt ihre Rolle spielte) führte zunehmend in eine Sackgasse. Ab 1978 – nachdem der ehemalige Ministerpräsident Aldo Moro durch die Stadtguerillagruppe der Roten Brigaden ermordet worden war – wurde die radikale Linke durch massive staatliche Repression zerschlagen, viele hunderte Aktivist_innen wanderten ins Gefängnis.
Im Zuge dessen wurde auch die feministisch-marxistische Theorielinie von Lotta Femminista aus dem akademischen und allgemeinen Diskurs verdrängt, wie Mariarosa Dalla Costa beschreibt: „In den 1980ern, Jahren der Repression und Normalisierung, ersetzte eine grundlegend ‘kulturelle’ Ausformung des Feminismus diese großen Kämpfe und Forderungen, und das hatte die Funktion, die Forderungen und Wortmeldungen der Frauen zu kontrollieren und zu selektieren. […] Zu sagen, dass unsere Arbeiten nicht frei zirkulieren konnten, wäre noch allzu beschönigend ausgedrückt. Sie verschwanden geradezu, […] sie wurden überwältigt, von einen entgegengesetzten politischen Willen und einer Unmenge an Studien zur ‘Frauenfrage’, die von einer gänzlich anderen Perspektive aus durchgeführt wurden.“ (2)
Mit den vorangegangenen Seiten habe ich hoffentlich ein wenig dazu beigetragen, dem Vergessen entgegen zu wirken. Im nächsten Heft werde ich diese Artikelreihe dann (endlich!) zum Abschluss bringen – dort wird dann Antonio Negri und dessen Konzept des „gesellschaftlichen Arbeiters“ das Thema sein. Ihr dürft also weiterhin gespannt sein.
justus
(1) Darauf verweist z.B. Patrick Cuninghame: „Italian feminism, workerism and autonomy in the 1970s: The struggle against unpaid reproductive labour and violence”, online unter:
libcom.org/history/italian-feminism-workerism-autonomy-1970s-struggle-against-unpaid-reproductive-labour-vi
(2) Mariarosa Dalla Costa: „The door to the garden: Feminism and Operaismo“
(Vortrag von 2002), online unter libcom.org/library/the-door-to-the-garden-feminism-and-operaismo-mariarosa-dalla-costa
(3) zitiert nach Steve Wright: „Den Himmel stürmen – Eine Theoriegeschichte des Operaismus”, Assoziation A, Berlin/Hamburg 2005, S. 146.
(4) Leopoldina Fortunati: „Learning to struggle: My story between workerism and feminism”
libcom.org/library/learning-struggle-my-story-between-workerism-feminism-leopoldina-fortunati
(5) Mariarosa Dalla Costa: „Women and the subversion of the community”, www.commoner.org.uk
(6) vgl. www.citsee.eu/interview/organising-and-living-interview-silvia-federici
(7) Silvia Federici: „Wages Against Housework”, http://caringlabor.wordpress.com/2010/09/15/silvia-federici-wages-against-housework/
(8) zitiert nach Patrick Cuninghame, a.A.o.