Der Subjektive Faktor

Kein typisch bürgerliches Theaterstück

Aus dem Off der Leipziger Kulturszene meldete sich Ende letzten Jahres die Theatergruppe TAG und präsentierte mit „Der subjektive Faktor“ ein Stück, das nicht nur die generelle Praxis von Politaktivist/innen, sondern auch die dabei wirkenden subjektiven Faktoren jedes Einzelnen thematisierte. Das dies auch heute noch Menschen bewegt, bewiesen nicht nur die vollen Zuschauerränge, sondern auch die Protagonisten selbst. So ist ihnen die grundsätzliche Thematik oftmals vertraut und dennoch hatten sie jeweils ihre eigenen subjektiven Beweggründe mitzumachen und verbinden auch unterschiedliche Inhalte bzw. Eindrücke mit dem Stück sowie dem Entwicklungsprozess, der auch ihren Alltag kräftig durcheinander wirbelte. Von eben jenen subjektiven Faktoren auf den Brettern, die die Welt bedeuten, erzählen nun die folgenden Seiten.

„Das Theater ist die tätige Reflektion des Menschen über sich selbst“, meinte bereits Novalis im 18.Jahrhundert. Wie reflexiv Theater sein kann, bewies jüngst die selbstorganisierte Theatergruppe TAG mit ihrem Stück „Der subjektive Faktor“. Schauplatz ist dort die Polit-Kommune Drei, in der Udo, Birgit, Andi und Günter gegen Nazis, Bullen und staatliche Repressionen kämpfen. Wie zeitlos diese Themen sind, wird dem Zuschauer schnell bewusst, denn während zu Beginn des Stückes alles auf die ’68er deutet, fühlt mensch sich am Ende vor allem in der aktuellen Zeit verortet. Die Spannbreite politischer Subversion ist aufgrund der Verschiedenheit der Subjekte und ihrer Beweggründe breit gefächert und beherbergt auch jede Menge Konfliktpotential: Während Andi Verfechter radikaler Aktionen ist und Freude daran hat bspw. Autoreifen zu zerstechen, findet der verstockte Udo seine Erfüllung in der kritischen Theorie, wodurch er, im Gegensatz zum extrovertierten Günter, nicht im positiven Sinne von der Weltrevolution philosophiert. Brisant wird die Geschichte, als eine Reporterin auftaucht und über die Kommune eine „Homestory“ schreiben will, die lediglich der selbstverliebte Günter als Chance betrachtet, um die eigenen Inhalte nach außen zu tragen. Die Konflikte verschärfen sich, als die spontan geplante politische Aktion gegen den bekannten „Unions-Nazi“ Krüger von Po­lizei und Staats­schutz mit harten Metho­den bekämpft wird und sich die Kom­mune­be­wohner nicht nur fragen, ob die Re­porterin da was verraten hat, sondern auch anfangen, die jeweiligen Aktivitäten der anderen zu kritisieren. Als dann auch noch der Staatsschutz aufgrund familiärer Beziehungen das Gesetz nach seinem Gutdünken beugt, offenbart sich die Subjektivität als Faktor für die Diskrepanz von Idealen und den dazugehörigen Handlungen endgültig. Doch auch anderweitig stehen die selbstgewählten Lebensentwürfe im Konflikt zu Anderen und eigenen Idealen: Während einerseits durch ein Gespräch zwischen Birgit und ihrer Mutter auf Generationskonflikte verwiesen wird, zeigen sich andererseits auch die Grenzen der postulierten Offenheit der Kommune, als Jochen und Steffi – ein junges Studentenpärchen – auftauchen und mitmachen wollen. Das Stück verhandelt also eine ganze Palette verschiedenster Themen, die linkspolitisch aktive Menschen bewegten und bewegen, nimmt sie auf die Schippe und stellt sie stereotypisch dar. Am Ende stellt sich die Frage, ob das Projekt als gescheitert zu betrachten wäre, denn einerseits knicken vor dem Gericht die Aktivist/innen nach­einander ein, anderer­seits offenbart der abschließende Dialog zwischen Jochen und Steffi neben Des­illusionierung auch Standfestigkeit den eigenen Idealen gegenüber. Die Antwort bleibt also – wie auch in anderen Szenen – dem Zuschauer und seiner subjektiven Interpretation überlassen. Frei nach dem Motto: „Alle versprechen Antworten. Wir nicht“, geht es eben nicht um richtige und vorhersagbare Lösungswege, sondern um die Darstellung der subjektiven Faktoren, die in der alltäglichen politischen Praxis wirken und Geschehnisse immer wieder neu beeinflussen.

Insgesamt betrachtet ist das Theater für eine große Bühne, denn die Inszenierung ist komplex an Inhalten und Medien, die Schauspieler wirken nicht wie Laiendarsteller und die Inszenierung bewegt Gehirnmasse und Lachmuskeln gleicher­maßen. Es werden Fragen aufgeworfen, ohne altbackene Patentrezepte zu liefern, durch das Spiel mit Klischees werden Lachmuskeln gefordert, ohne dabei das Thema lächerlich zu machen und mögliche Parallelen zu eigenen Lebensent­würfen regen Kopf und Herz an. Bei solch einem Tiefgang im Laientheater reizt es, vor allem einmal hinter die Kulissen zu schauen und nach den Motivationen, Einstellungen und Interpretationen von Schauspielern, Regisseur, Autor und Chorbegleitern zu fragen. Welchen Bezug haben sie zu Stück und Gruppe? Welcher Inspiration bedarf es, um gutes Theater hervorzubringen? Wie unter­schied­lich dabei die Ein­schätzungen sind, wird im folgenden Zu­sam­men­schnitt deutlich:

FA!: Was war deine Motivation in dem Stück mitzuspielen/ es zu inszenieren/ das Buch zu schreiben?

Daniel (Autor/Udo): Hauptmotivation war, dass das letzte Stück das wir gemacht hatten sehr viel Spaß machte und dass wir bei dem Thema „deutsche Linke“ dachten, es gäbe da noch Möglichkeiten das weiter zu behandeln, also Themen die wir noch nicht zur Gänze durchgekaut haben.

Matthias (Regisseur): Also erstmal wollte ich unbedingt wieder ein Stück machen. Dann hatten wir uns das irgendwie auch vorgenommmen, wir sind ja Nachfolgertruppe von „Oblomovs Erben“. Das stand eigentlich schon ein Jahr aus, wir waren also schon im Verzug. Und dann wollte ich vor allen Dingen was Großes machen, das war ja ein großes Stück was da angeboten wurde, also ein umfangreicheres was sich nicht auf eine dreiviertel Stunde beschränkt, sondern eine klassische Spiellänge oder vielleicht sogar eine Überlänge bedient. Und das war ganz spannend. Das fand ich cool.

Michael (Jochen): Als ich das Stück gelesen habe, wusste ich erstmal noch gar nicht, ob ich da unbedingt mitspielen will. Aber das hat sich dann mit der Zeit sehr schön ergeben, nicht nur gruppendynamisch, sondern auch inhaltlich hat sich das im­mer mehr ausdifferenziert und das hat voll Spaß gemacht, also die Charaktere mit zu entwickeln. Ich hab auch noch nicht viel Theater gespielt in meinem Leben und das wollt ich einfach mal ausprobieren.

Dorothee (REPORTERIN): Ich hatte Lust mal wieder zu Schauspielen und mich selbst auszuprobieren und mal andere Seiten auszuleben.

FA!: Was ist/sind für dich die Kernaussage/n des Stückes?

Christian (Andi): Letztendlich schon zentrales Thema: Scheitern. Das Scheitern – wie der Titel schon sagt – an den individuellen, subjektiven Eigenheiten der Protagonisten der WG, der Kommune, die alle glauben über einen politisch-ideologischen Konsens verbunden zu sein, dabei vergessen wie stark geprägt sie eigentlich sind, durch ihre eigene Geschichte, durch ihre eigene „Persönlichkeit“, durch ihre eigenen Abgründe. Und das auch nie thematisieren, quasi im Endeffekt überhaupt kein persönliches Verhältnis ha­ben. Und dann eben auch dieses politisch-ideologisch unterschiedlich in­ter­pretieren. Also alles steht unter dem Vorzeichen irgend eines Konsens’, der aber gar nicht existiert.

Hannes (Staatsschützer Schulz): Die Kernaussagen des Stückes sind für mich eigentlich die Problematisierung der Linken an sich, dass die Zielsetzungen eventuell die gleichen sind, aber der Weg ist unterschiedlich, wie man das Ziel erreichen will. Und dadurch kann es zu Differenzen kommen und man streitet sich oder zerstreitet sich, so wie das ja im Stück am Ende der Fall ist.

Nadine (Birgit): Also wir springen mit auf den Bader-Meinhoff- und Kommune-I-Zug auf und machen uns ein bisschen darüber lustig, dass wir in unserer Kommune eigentlich nicht viel politisch bewegen, obwohl wir sehr viel diskutieren und letztlich ein bisschen über-theoretisieren und über-dramatisieren.

Sabine (Masse/Mensch): Die Kernaussage ist, dass wir bei allem was wir tun, egal wie neutral wir sein wollen, was ja v.a. immer bei politischen Dingen eine Rolle spielt, die Subjektivität doch nie außen vor lassen können.

Matthias (Regisseur): Die Kernaussage ist für mich eigentlich, dass in der Aktivität der so genannten Szene-Linken, es nach wie vor gar nicht so unterschiedlich ist, wie es sich eigentlich ’68 gesetzt hat. Also als ein Aspekt. Und der nächste Aspekt, der glaube ich relativ bedeutend ist, ist ’68 auch unter der Warte zu beschreiben, dass es auch ein Medien-Event war. (…) Aber, wie auch die Perspektive von dem heute auf das gestern sich darstellt, ist die Kernaussage auch, dass ’68 auch ein Mythos ist. Das ist die zweite Kernaussage.

Daniel (Autor/Udo): Also der Haupt­themenkomplex für mich persönlich ist Repräsentation, erstmal mediale Repräsentation von Protest oder radikalen Bewegungen. Man hat da so bestimmte Symbolfiguren, die im Prinzip herausgehoben werden aus der Masse der einzelnen Aktivisten und Aktivistinnen und dann auch noch der Avantgarde-Anspruch, dass sich bestimmte Leute erstmal innerhalb der Bewegung über andere stellen und die Bewegung oder die Gruppe, die sich dann über andere Leute stellt. Und das, würde ich sagen, ist halt so der Hauptpunkt.

FA!: Haben die dort angesprochenen Themen etwas mit deinem Alltag zu tun? Wenn ja, inwiefern?

Michael (Jochen): Also ich kenne das, die Diskussionen die da teilweise geführt werden das sind so bestimmte Küchendiskussionen die man kennt. Auch Polizei so, Repressionen, das ist zwar alles überspitzt, aber da sind auch Ähnlichkeiten drin, da sind ganz viel Anspielungen, die ich irgendwie nachvollziehen kann oder selber erlebt habe.

Hannes (Staatsschützer Schulz): Ja mit dem richtigen Leben hat das insofern zu tun, dass – also es ist ja schon ziemlich viel geprägt von Idealismus, sag ich jetzt mal, und der wird schon im Stück ausgespielt, durch die vier Hauptdarsteller vor allem. Und diesen Idealismus gibt es im realen Leben auch. Nur die Umsetzung ist einfach – wie es beim Ideal eben so ist – nie von Erfolg gekrönt am Ende, das ist ei­gentlich der Bezug zum realen Leben. Hier in der überspitzen Version vom Theater.

Marcel (Masse/Mensch): Ich beschäftige mich ja nun schon seit ein paar Jahren ein bisschen auch mit Politkram und bin auch selbst immer wieder frustriert gewesen, nachdem ich mich politisch engagiert hatte, wie wenig dabei eigentlich rumkommt und wie sehr es dann doch wieder an Kleinigkeiten und Zerwürfnissen innerhalb der Gruppe hängen bleibt und wie viele Probleme da auftreten. Von daher sehe ich da schon Parallelen und auch was den Inhalt angeht, jetzt von wegen Über­wachungs­staat und Repressionen, das gab es ja nun vor 40 Jahren genauso wie heute und man hat eigentlich den Eindruck, dass die Überwachung vollständiger wird und die Repressionen auch eben dementsprechend lückenfüllender.

Nadine (Birgit): Teilweise. Also letzt­lich bin ich überhaupt kein militanter Polit-Aktivist oder so, aber in rechts- oder links-Fragen misch ich mich schon gern ein bisschen ein.

Sabine (Masse/Mensch): Ja insofern, dass ich selbst in einer WG wohne, wo gerne mal politische Themen diskutiert werden und manchmal fühl ich mich sogar so, als würde ich aus dem aus Bierkästen bestehenden Tisch sitzen und mich eigentlich genauso fühlen wie so ein Schauspieler in dem Stück.

FA!: Würdest du Theater generell und speziell dieses Stück als politische Praxis begreifen?

Christian (Andi): Nee. Ich glaube das würde zu weit führen. Also wenn wir das gewollt hätten, hätten wir ganz anders vorgehen müssen und spezieller Diskurse aus Leipzig aufgreifen müssen und da auch pikieren, anstoßen.

Dorothee (Reporterin): Ja es kommt darauf an, wie man den Praxisbegriff definiert. Aber an sich, Theater als Medium das Leute erreichen kann und wichtige Anstöße geben kann, würde ich schon so sagen, hat es nicht nur Unterhal­tungs­wert. Und Theater kann auch schon ein Medium sein, um die Gesellschaft ab­zu­bil­den in einer überspitzten Form und von daher kann Theater schon Auswirkungen haben, im positiven Sinne.

Marcel (Masse/Mensch): Das ist schwierig, Theater in erster Linie hat ja nun mal diesen Unterhaltungspunkt im Vordergrund. Natürlich ist es schön wenn politische Informationen oder politischer Gehalt irgendwo transportiert wird. Die Frage ist eben einfach, wie es auch vom Publikum aufgenommen wird und verarbeitet wird. (…) Ich glaube so viel kommt dabei nicht rüber. In erster Linie bleibt das schon Unterhaltung. Das wurde ja auch von unserem Publikum viel gelacht und im Endeffekt weniger über die politischen Inhalte nachgedacht.

Daniel (Autor/Udo): Politische Praxis nicht direkt, eher öffentliche Theoriebildung, dass man da versucht bestimmte Inhalte, bestimmte Themen, die einen selbst bewegen, in einer ansprechenden Form an ein Publikum weiterzureichen, was in gewisser Weise dann auch schon eine Praxis ist, aber eher eine theoretische Praxis in dem Sinne, wie man dann meinetwegen ein Transpi auf der Demo vor sich herträgt, wo irgendwas draufsteht, was man vermitteln will und dann hier in einer anderen Form.

Michael (Jochen): Speziell dieses Stück jetzt? Ich glaub dafür ist es fast zu viel einfach nur Darstellung eines IST-Zustandes und auch ziemlich unterhaltend. Es ist natürlich politische Praxis in dem Sinne, als dass es Leute zusammenbringt, die sich wiederentdecken können, auch über sich lachen können, über sich als Generation oder als soziale Gruppe. (…) Das ist ja auch eine politische Praxis, sich über Gesellschaft Gedanken zu machen und Anstöße zu kriegen. Aber ob Theater generell politische Praxis ist? Generell ist Theater keine politische Praxis – aber politische Stücke schon.

FA!: Wie gefiel dir die selbstorganisierte Arbeitsweise der Theatergruppe?

Matthias (Regisseur): Gut. Also die bestand ja vor allem darin, dass verschiedenen Leuten verschiedene Aufgaben zugefallen sind. Und das hat auch gut funktioniert und wurde auch immer besser. Das ist ein Lernprozess, das ist klar, und das musste sich auch immer erst alles finden, wie sich auch so eine Gruppe finden muss. Und dafür, also so im Rückblick muss ich sagen, war es gut, ist gut gelaufen.

Christian (Andi): <lachen> Ein Graus. Ja das Ganze wurde auf den Schultern von selbstaufopferungsbereiten Mitwirkenden ausgetragen, letztendlich. Also hätte es die nicht gegeben, Leute wie Micha, der immer wieder bereit war mit dem Auto zu fahren wann es nur ging und alle, die in Kauf genommen haben, dass nach 3 Stunden immer noch nichts geschehen ist, dann wäre es wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Also die Selbstorganisation die hat immer nur partiell stattgefunden, also in kleinen Absprachen zu zweit oder zu dritt. Die hatte nicht wirklich Struktur, so dass man sagen könnte, das wäre selbstorganisiert gewesen von den Schauspielern oder von den Mitwirkenden.

Nadine (Birgit): Lief super, also im Endeffekt ist es auch total bezeichnend für das Stück, dass wir uns überhaupt nicht gezofft haben. Wir sind 20 Leute und alle haben sich supergut verstanden und alle haben irgendwie mitgemacht und waren motiviert und haben das irgendwie gern gemacht. Ja nur halt die Probenzeiten einhalten, das hat nicht jeder hingekriegt.

Marcel (Masse/Mensch): Die selbstorganisierte Arbeitsweise, die war super, es hat alles total gut geklappt, alle waren immer pünktlich und ja: jederzeit wieder. Nein, ohne scheiß: hat mich teilweise ziemlich angekotzt, dass Proben für 14 /15 Uhr angesetzt wurden und dann die Probe erst eineinhalb Stunden später losgehen konnte, weil einzelne Leute immer erst so spät da waren. Es gab auch so ein paar kleinere Streitereien und Differenzen innerhalb der Gruppe ab und zu, immer mal wieder. Aber im Großen und Ganzen bin ich eigentlich recht zufrieden im Ergebnis, was dabei rausgekommen ist. Also die Auftritte waren meiner Meinung nach immer ziemlich gut und das war selbstorganisiert und hat trotzdem im Endeffekt eigentlich vom Ergebnis her ganz gut geklappt.

Robert (Günther): Gute Leute haben sich getroffen zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort.

(momo)

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