Die GroßstadtIndianer (Folge 10)

Kein Krieg, Kein Gott, kein Vaterland I

Etwas kitzelt mir die Nase, ‚verdammt‘, ich muß niesen. Ganz kurz, aber der Moment reicht und mein Traum hat sich verkrochen. Da hilft auch kein Suchen mehr. Durch meine verquollenen Augen blinzelt mich der Tag an. Ich zwinkere zurück: ‚Auch noch nicht so alt, Bursche‘. Meine großen Zehen tasten nach den Latschen. ‚Und so schön bist du auch wieder nicht!‘ Mißmutig schiebt er sich eine handvoll Wolken vors Gesicht und macht einen sehr unentschlossenen Eindruck. Morgentoilette – alltäglich, unaufgeregt. Erst als ich über den Platz zum Frühstück trotte, spüre ich, wie einer meiner Lebensgeister aus seiner Flasche kriecht. Aber die anderen, die sind dann echt das Morgengrauen. Finn nagt versunken an einem Kanten Schwarzbrot, Kalle ist früh morgens sowieso kaum ansprechbar und Moni und Schlumpf kann ich an den Augenringen ablesen, wie wenig sie letzte Nacht geschlafen haben. Beim genauen Auszählen der Falten trifft mich Monis Blick, etwas vorwurfsvoll. Ich sehe verlegen zu Schmatz, der im Moment nur Augen für seinen Napf hat. ‚Na wenigstens einer ist heut gut drauf‘, als ich über sein Fell fahre, knurrt er versunken, aber bestimmt. ‚Der will also auch nicht gestört werden!‘ „Na, guten Morgen!“ Der Gedankenfetzen rutscht mir einfach so raus und meine Zunge ist sein williger Helfer. Plötzlich sitze ich im Kreuzfeuer. Alle starren mich an, als würde ich ihnen gleich erklären, warum ihr Tag so scheiße begonnen hat. Ich lasse das aber lieber und entscheide mich stattdessen für einen positiven Ausblick. „Mensch Leute, mit der Einstellung, da kann die Demo ja nur ein Reinfall werden!“ Finn winkt zwar ab, scheint mir jedoch etwas dankbar für den Versuch der allgemeinen Aufmunterung. Kalle macht eine Mundbewegung wie ein Karpfen und will gerade ansetzen, mir auseinanderzunehmen, warum er diese Demo gerade so blöd und unsinnig findet, aber Moni schneidet ihm aber erstaunlich geistesgegenwärtig das Wort ab. „Laß mal gut sein, Kalle, das hatten wir doch gestern schon alles.“ Schlumpf nickt. „Wir ziehen das jetzt einfach durch. Die anderen verlassen sich schließlich auf uns.“ Kalle verzieht sein Gesicht: „Ja, ja und kuscheln sich jetzt noch in ihre Betten. Das ganze Pack von Meuterern. Und auf welchen Schultern lastet wieder die ganze Verantwortung? Na, na?“ Aufreizend blickt er in die Runde. „Steck den Muffel wieder weg, du Seeräuberhauptmann.“ Tatsächlich, Finn grinst ein wenig. „Freibeuter, bitte!“ Alle nicken verständnisvoll. Wenig später sind wir dann auch schon unterwegs: Finn und Moni vorneweg, das Transparent geschultert, ich und Schlumpf hinterher – er hatte Schmatz aus technischen Gründen, mit den Worten: „Streunender Hund von Polizei totgetrampelt, nein Schmatz, das ist denen keine Schlagzeile wert. Du paßt hier auf und sicherst uns den Rückzug.“ gebeten, auf dem Hof zu bleiben – und Kalle trabt etwas abseits, von Zeit zu Zeit einen Kieselstein traktierend. Er hat ja auch Recht, eine Demonstration gegen die Kürzungen und Sparpläne von oben, initiiert von ein paar Bürgervereinen, den Gewerkschaften und der Kirche ist nicht gerade das, von dem sich unser jugendlicher Idealismus eine substanzielle Veränderung der Verhältnisse erwartet. Und schließlich werden wir allenorten wieder den naiven Nationalismus zu hören kriegen, nach dem Motto: „Deutschland muß es wieder besser gehen.“, die banale Logik, den eigenen Landstrich als wirtschaftliche Einheit, als Standort in Konkurrenz mit anderen zu sehen. Aber es werden auch sicher einige Leute mehr kommen als sonst und diese Möglichkeit, auf der ohne Zweifel politischen Veranstaltung, für unsere Ideen, Aktionen und Projekte zu werben, vielleicht die eine oder den anderen aus seinem Taumel zu reißen, dies durften wir uns nicht entgehen lassen, eben wegen unserer politischen Verantwortung. Auch wenn es schwerfallen wird. Ein Sixpack kommt den Berg hinaufgeknattert. Schlumpf pfeift betont und rammt mir den Ellenbogen in die Seite. „Die hatten den Kofferraum voll! Was meinst du, wie die heute drauf sind? Ich hab gestern von Puschel und Locke gehört, daß die Polente schon den ganzen Abend angereist ist. Hamburg, München, Stuttgart, Rostock, Frankfurt Oder, Leipzig, von überall. Die haben angeblich ein Flugblatt abgefangen, in dem zum schwarzen Block aufgerufen wird.“ Ich kratze mir das Haupthaar, „Naja, soviele Militante gibt‘s in unserem Städ‘le ja nun auch nicht. Hoffentlich sind die nicht gestern schon angereist, in den selben Autos wie die Polizei, meine ich.“ „Scheiß Strategie!“ flucht Schlumpf und versucht grimmig dreinzuschauen. Ich muß lachen, „So bist du aber noch einfacher zu provozieren.“ Er starrt mich leicht irritiert an, läßt sich dann aber von meinem Grinsen anstecken. „Du hast recht.“ und beginnt eine tiefergehende Konversation über die Geschichte der Provokateure, einen Monolog eher, den ich nur mit einem Ohr verfolge. Ich blicke zu Kalle. Der doziert, einen Stein mit kleinen Tritten vor sich her treibend, wahrscheinlich eben jenem, noch einmal ausführlich seine Gründe gegen die überhobene Vorstellung nationaler Kollektive und Borniertheit der Standortideologie. Hofft er in dem jahrtausendealten Stein einen ebenbürtigen Gesprächspartner gefunden zu haben? Ich verwerfe den Gedanken und laufe prompt auf Finn und Moni auf. „Autsch.“ Beide drehen sich um. Während der Schmerz aus Finns Gesicht huscht, lächelt Moni mich an. Das Licht hat die Müdigkeitsfalten geglättet und frische Farbe in ihre Wangen getrieben, „Nicht so stürmisch. Du kannst wohl die Demo kaum erwarten, wie?“ Ich muß einem gezielten Schlag von Finns Transparentstange ausweichen und ziehe mich „sorry, sorry“ murmelnd hinter Schlumpf zurück. Der plustert auch sofort seine schmale Brust auf und geht in Kampfhaltung, bereit seinen Kumpel gegen den Angriff zu verteidigen. Doch bevor die Situation überhaupt die Chance hätte zu eskalieren, ist es Kalle, der ruft: „Hey seht mal, da laufen die ersten mit Transparenten. Kennen wir die nicht?“ Ja sicher, es sind die Leute vom Wohnprojekt und wenig später biegt auch noch ein Dutzend vom Jugendclub um die Ecke. Moni und Finn entrollen unser Spruchband. „Kein Krieg, Kein Gott, Kein Vaterland“ …

(Fortsetzung folgt.)

clov

Lyrik & Prosa

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