Einige schlaue Köpfe haben einmal behauptet, das herausragendste Merkmal der Moderne wäre das einer um sich greifenden Berechenbarkeit. Leider haben sie dabei übersehen, dass zu einer richtigen Berechnung auch die jeweils passenden Rechenmittel gehören. So kommt es, dass eine anwachsende Menge von Interessenskalkülen in der modernen Welt nicht zu Transparenz sondern zu „Unübersichtlichkeit“ und „Überkomplexität“ führt. Der Einfachheit halber könnte mensch auch von einer ausufernden Orientierungslosigkeit sprechen. Das passende Umfeld also, um Eier als Hühner zu verkaufen. Zugespitzt formuliert: Die Moderne unterscheidet sich von allen bisherigen Epochen gerade darin, dass sie es ermöglicht, nicht nur Einige oder Viele sondern Alle in Dummheit einzulullen.
So wundert es kaum, dass die „modernen“ Volksparteien aktuell versuchen, den gemeinen Bürger für dumm zu verkaufen, indem sie so tun, als gäbe es plötzlich eine völlig neuartige politische Debatte um Mindestlöhne und eine Verschärfung des Strafrechts für MigrantInnen. Dabei reichen schon vier Finger, um das angebliche Neue als Wiederkehr des ewig Gleichen darzustellen. Das dritte Jahr der derzeitigen Bundesregierung ist angebrochen und damit auch der Vorwahlkampf. Dementsprechend rechnen die großen Wahlstrategen die dumpfesten Vorurteile ihrer Anhängerschaft fürs erste einfach hoch. Mobilisierung der Stammwählerschaft heißt das dann. Da haben wir einerseits die Rechtskonservativen, denen der Staat sowieso nie genug Gewalt anwenden kann und die, historisch gesehen, von der CDU bedient werden. Andererseits die Linkssozialisten, für die die staatliche Vorsorge selbst dann nicht weit genug geht, wenn der Stadt total bestimmen würde, was überhaupt ‚da sein‘ kann bzw. Existenzrechte wie Vollstreckungs-Titel zuspräche. Klassischerweise das Klientel der SPD.
Und ganz logischerweise würde in dieser Gemengelage jeder konkret politische Inhalt die ideologische Integrität der jeweiligen Lager nur gefährden. Da darf dann auch ein gewisser Roland Koch (CDU), seit seiner Korruptions-Affäre bekannt als „Schweinchen Babe“, härtere Strafen für „Ausländer“ fordern und dabei auf Schmusekurs zur NPD gehen. Denn wem die wohltätig verteilten Lebensmittelkarten nicht ausreichen, der wird sowieso nie begreifen, was man hierzulande unter ‚deutscher Leitkultur‘ versteht. Dass in einem „modernen“ Rechtsstaat einzig die Richter am konkreten Fall über die Angemessenheit der Strafe entscheiden, solche Details interessieren im Kampf ums stumpfeste Ressentiment von Rechts so wenig, wie die unliebsame Frage nach den Ursachen, welche eine Kriminalisierung bestimmter Bevölkerungsschichten notwendig bedingen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich der eiserne Roland nicht verrechnet hat und die Sicherheitsverwahrung von MigrantInnen in Gefängnissen statt in Auffanglagern den Bürger nicht am Ende noch teurer kommt.
Verlässlicher ist da schon die SPD. Besser spät als nie hat man sich ausgerechnet, dass die eigenen Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre zu einem massiven Lohndumping und zur Prekarisierung ganzer Bevölkerungsschichten geführt und eine Unmenge von Nebenwidersprüchen in der roten Ecke produziert haben. Peter Hartz, besser bekannt als „Mister VW“, ist ja mittlerweile auch anderweitig strafrechtlich verurteilt. Nach diesen ganzen Pleiten versucht man deshalb jetzt, der völligen Desintegration des eigenen Lagers entgegenzuwirken, indem man der Wählerschaft die Einführung flächendeckender Mindestlöhne suggeriert. Und wer will schon nicht mehr Lohn für Arbeit im Kapitalismus. Leider scheint man bei der SPD zu vergessen, dass diese Rückkehr zu „ursozialistischen“ Positionen nur dann wirklich wirksam wäre, würde man auch gleichzeitig zur staatlichen Preiskontrolle zurückkehren. Mal ganz abgesehen vom bürokratischen Aufwand durchgreifender Kontrollen und der faktischen Aushebelung der Tarifautonomie. Denn letztlich würde dieser Mindestlohn gleichzeitig in vielen Fällen der maximale sein und gewerkschaftliche Kämpfe erheblich erschweren. Immerhin: Den Staatsfetisch des linkssozialistischen Klientels hat man damit punktgenau bedient und welcher ernsthaft engagierte Gewerkschafter wählt heutzutage schon noch SPD.
Was am Ende bleibt, ist die einfache Formel: Aktuelle Debatte minus heiße Luft istgleich Nichts-Neues bzw. zusammengekürzt: Die große Koalition entspricht dem nationalen Konsens. Dass dieser wiederum die beiden Lager fest umspannt und den Bürger in seinem heißen Traum vom starken Staat bestätigt, das sehen unsere Berufspolitiker zwar sehr genau, aber irgendwie muss man ja zu Wahlkampfzeiten Profil entwickeln. Darum die beiden Debatten, fein säuberlich getrennt. Und das Ausweichen auf Anachronismen fällt ja angesichts der Bildungsregression gar nicht weiter auf. Gegen solchen Dummfang von CDU bis SPD hilft nur eines: politisches Bewusstsein und mehr Selbstbestimmung, Widerstand und die Verwaltung der Bedürfnisse aus eig’ner Hand. Das sind die Rechenmittel, um die Manipulation von oben auszuhebeln. Die Volksparteien können sich derweil ruhig erneut zum Zentrum zusammenschließen, denn solange dieses niemand wählt, haben MigrantInnen auch hierzulande Zukunftschancen und die Arbeiterschaft die begründete Aussicht, an der eigenen Produktion fair und gerecht beteiligt zu werden.
Lasst Euch also nicht bequatschen und gebt Euch die Mittel selber an die Hand! Postmoderne, you are welcome!
(clov)