Klassenkampf, Organizing und das Verbinden der Kämpfe

Interview mit der Ortsgruppe Leipzig der Industrial Workers of the World

FA!: Aus welchen politischen Zusammenhängen und Berufsgruppen kamen die zu anfangs Beteiligten? Woher kam die Bewegung, eine IWW-Gruppe Leipzig/Halle zu gründen?

Die Leipziger Gruppe ist relativ studentisch bzw. akademisch geprägt. Viele von uns sind noch an der Uni als Studierende oder wieder an der Uni als Promovierende oder Dozierende. Wir haben aber auch Mitglieder, die gerade eine Ausbildung machen (im sozialen Bereich) oder bereits lohnarbeiten (bspw. im Callcenter oder als NachhilfelehrerIn).

Die Idee, eine Gruppe zu gründen, entstand, als wir genügend Wobblies (so werden die IWW-Mitglieder auch genannt) dafür zusammen hatten. 2014 waren wir noch zu zweit, nach einiger Zeit jedoch kamen ein paar Leute dazu. Als wir schließlich zu fünft waren, im Januar 2015, dachten wir uns, dass es nun Zeit ist, eine neue lokale Struktur aufzubauen.

FA!: Was sind eure Ziele für die nächste Zeit und die absehbare Zukunft in Leipzig und Halle? Gibt es einen bestimmten Bereich, in dem organisiert werden wird?

Unser primäres Ziel ist es natürlich zu organizen! Dafür haben wir uns die IWW als unsere Gewerkschaft ausgesucht. Wir wollen nicht von außen oder stellvertretend Arbeitskämpfe führen, wir wollen dort, wo wir arbeiten auch gewerkschaftlich tätig werden. Es gibt einige erste Ideen sich im Hochschulbereich zu organisieren – die Inspiration kommt dafür unter anderem aus Frankfurt am Main, wo sich eine basisdemokratische Gewerkschaftsinitiative („unter_bau“ heißt sie) für diesen Bereich gegründet hat.

FA!: Für diejenigen, die sich bisher noch nicht mit der Frage der Organisierung an der Arbeitsstelle beschäftigt haben – an wen richtet ihr euch und was sind eure konkreten Handlungsangebote und Möglichkeiten der Ermächtigung?

Als eine basisdemokratische Gewerkschaft gehen wir davon aus, dass es zum Organizen am Arbeitsplatz nicht wahnsinnig viel braucht, sondern jeder und jede dazu in der Lage ist. Natürlich braucht es Tipps und die richtigen Werkzeuge, die Unterstützung und Beratung aus den Ortsgruppen.

Genau das stellen wir bereit.

Innerhalb der IWW gibt es die sogenannten Organizing Trainings. Dort vermitteln wir unseren Mitgliedern wie sie an ihrem Arbeitsplatz erste Betriebsgruppen aufbauen können. Darüber hinaus wird der Prozess von der Gruppe vor Ort begleitet. Für die überregionale Vernetzung (bspw. mit Fellow Workers, die in der selben Branchen organisieren) gibt es das sogenannte OrganizingKommitee.

Für uns ist der Erfahrungsaustausch, da wir selbst aktiv werden wollen (und müssen), das A und O. Aus diesem Grund schauen wir auch immer, was die Wobblies in Nordamerika oder Großbritannien gerade machen und wie sich ihre Kämpfe entwickeln.


FA!: Was ist, wenn ich arbeitslos bin, vielleicht auch aus einer irgendgearteten politischen Überzeugung? Welche sozialen Milieus finden sich in der IWW wieder?

Ob arbeitslos, Studi, prekär beschäftigt, VollzeitarbeiterIn oder SeniorIn. Nach unserer Auffassung sind wir alle Teil der lohnabhängigen Klasse und haben dementsprechend unter dem Lohnsystem mit seiner Ausbeutung und Unterdrückung zu leiden. Und genau darum brauchen alle Lohnabhängigen auch eine Gewerkschaft bzw. brauchen wir sie in der IWW. Und tatsächlich kommen unsere Mitglieder aus ganz unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen, unterschiedlichen Branchen und sozialen Milieus. Da kann schon mal eine Soziologie-Studentin neben dem Hüttenarbeiter, dem Rentner oder der Sozialarbeiterin auf einem Treffen sitzen. Das ist auch der Gedanke hinter unserem Namen: Industrial Workers of the World bedeutet gewissermaßen „eine Gewerkschaft für die Arbeiter und ArbeiterInnen aller Industrien, weltweit“ (wobei Industrien als Berufszweige oder Branchen verstanden werden können).

Dem internationalen Anspruch werden wir auch ganz gut gerecht. Wir haben im deutschsprachigen Raum einige Wobblies, die nach Deutschland oder Österreich emigriert sind und sich bereits vorher oder vor Ort der IWW angeschlossen haben.

Ähnlich divers sieht es auch mit den politischen Überzeugungen aus. Die Leute kommen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Bedingung ist allerdings, dass sich unsere Mitglieder und die Ortsgruppen zur IWW-Präambel bekennen, also bspw. ebenfalls den Kapitalismus überwinden wollen. Und natürlich gibt es auch für Diskriminierungsformen bei uns keinen Platz. Darüber hinaus jedoch sind die Leute unterschiedlich aufgestellt, was manchmal durchaus zu Konflikten führen kann.
FA!: Was haltet ihr von einer Strategie, wie sie die Solidarity Networks bspw. in den USA, aber auch in Griechenland oder Spanien verfolgen – diese scheint ja eher von einer Art auf alle Bereiche der Gesellschaft ausgedehnten Kampffelds auszugehen?

Wir wollen uns durchaus nicht beschränken auf das Thema Lohnarbeit, weil wir wissen, dass alle gesellschaftlichen Bereiche (wie eben bspw. Wohnen) vom Kapitalismus bestimmt und untereinander eng verknüpft sind. Darum begrüßen wir es, wenn sich die Idee der Selbstorganisierung auch auf andere Kämpfe überträgt oder sogar Kämpfe miteinander verbunden werden.

 

FA!: Was bedeutet es für euch, in der BRD des Jahres 2016 eine revolutionäre Strategie zu verfolgen, auch gerade mit Blick auf die transnationale Ausrichtung der IWW?

Wir merken natürlich, dass wir es als klassenkämpferische Gewerkschaft noch nicht leicht haben. Aber wir merken auch, dass sich Arbeiter und ArbeiterInnen von den etablierten großen Gewerkschaften ungenügend repräsentiert fühlen. Und durch die Erfahrungen der Wobblies in anderen Ländern, wissen wir, dass sich relativ schnell sehr viel entwickeln kann. Plötzlich bspw. werden im Niedriglohnsektor erfolgreich Kampagnen geführt – ein Bereich der bisher bei vielen reformistischen GewerkschafterInnen als unorganisierbar galt! Und es werden Kämpfe selbst organisiert, ohne FunktionärInnen, mit direkten Aktionen geführt. Das zeigt uns, dass klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik heute nicht nur notwendig, sondern natürlich auch möglich ist.

Die transnationale Ausrichtung ist hierbei natürlich wichtig. Eine revolutionäre Perspektive kann nur eine globale sein. Langfristig müssen die LohnarbeiterInnen aller Länder ihre Kämpfe gemeinsam bestreiten.

 

FA!: Welche Erfolge konnte denn die IWW in den letzten Jahren verzeichnen?

In der IWW wurden in den letzten Jahren erfolgreich Arbeitskämpfe und Kampagnen geführt. In den USA bspw. gibt es rund 800 Gefangene, die Wobblies sind und in den Knästen durch die IWW unterstützt werden. Sie hat auch an Erfahrungen, an Internationalität und Mitgliedern gewonnen. In Großbritannien sind es innerhalb weniger Jahre über 1000 IWW-Mitglieder geworden und auch im deutschsprachigen Raum machen wir einige Fortschritte hinsichtlich unserer Betriebsarbeit und Zuwachses. Es gibt inzwischen 10 offizielle Ortsgruppen, es gibt unterschiedlich große Betriebsgruppen und es gibt sogar einen IWW-Betriebsrat. Zu tun bleibt natürlich genügend!


FA!: Ein Schlusswort?

Wir möchten uns ganz herzlich für das Interview bedanken! Obwohl wir als strömungsübergreifende Gewerkschaft den Anspruch haben alle Arbeiterinnen und Arbeiter zu organiseren, wundern wir uns immer wieder darüber, dass das Thema Betriebsarbeit innerhalb der autonomen oder libertären Linken so unattraktiv ist. Dabei gibt es mit der IWW oder auch der FAU (Freie ArbeiterInnen-Union) inzwischen Gruppen, die mit ihren basisdemokratischen und klassenkämpferischen Ansätzen die direkte Möglichkeit zur antikapitalistischen Praxis bereit stellen!
infos: www.wobblies.de/leipzig

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