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Klassenkampf, Organizing und das Verbinden der Kämpfe

Interview mit der Ortsgruppe Leipzig der Industrial Workers of the World

FA!: Aus welchen politischen Zusammenhängen und Berufsgruppen kamen die zu anfangs Beteiligten? Woher kam die Bewegung, eine IWW-Gruppe Leipzig/Halle zu gründen?

Die Leipziger Gruppe ist relativ studentisch bzw. akademisch geprägt. Viele von uns sind noch an der Uni als Studierende oder wieder an der Uni als Promovierende oder Dozierende. Wir haben aber auch Mitglieder, die gerade eine Ausbildung machen (im sozialen Bereich) oder bereits lohnarbeiten (bspw. im Callcenter oder als NachhilfelehrerIn).

Die Idee, eine Gruppe zu gründen, entstand, als wir genügend Wobblies (so werden die IWW-Mitglieder auch genannt) dafür zusammen hatten. 2014 waren wir noch zu zweit, nach einiger Zeit jedoch kamen ein paar Leute dazu. Als wir schließlich zu fünft waren, im Januar 2015, dachten wir uns, dass es nun Zeit ist, eine neue lokale Struktur aufzubauen.

FA!: Was sind eure Ziele für die nächste Zeit und die absehbare Zukunft in Leipzig und Halle? Gibt es einen bestimmten Bereich, in dem organisiert werden wird?

Unser primäres Ziel ist es natürlich zu organizen! Dafür haben wir uns die IWW als unsere Gewerkschaft ausgesucht. Wir wollen nicht von außen oder stellvertretend Arbeitskämpfe führen, wir wollen dort, wo wir arbeiten auch gewerkschaftlich tätig werden. Es gibt einige erste Ideen sich im Hochschulbereich zu organisieren – die Inspiration kommt dafür unter anderem aus Frankfurt am Main, wo sich eine basisdemokratische Gewerkschaftsinitiative („unter_bau“ heißt sie) für diesen Bereich gegründet hat.

FA!: Für diejenigen, die sich bisher noch nicht mit der Frage der Organisierung an der Arbeitsstelle beschäftigt haben – an wen richtet ihr euch und was sind eure konkreten Handlungsangebote und Möglichkeiten der Ermächtigung?

Als eine basisdemokratische Gewerkschaft gehen wir davon aus, dass es zum Organizen am Arbeitsplatz nicht wahnsinnig viel braucht, sondern jeder und jede dazu in der Lage ist. Natürlich braucht es Tipps und die richtigen Werkzeuge, die Unterstützung und Beratung aus den Ortsgruppen.

Genau das stellen wir bereit.

Innerhalb der IWW gibt es die sogenannten Organizing Trainings. Dort vermitteln wir unseren Mitgliedern wie sie an ihrem Arbeitsplatz erste Betriebsgruppen aufbauen können. Darüber hinaus wird der Prozess von der Gruppe vor Ort begleitet. Für die überregionale Vernetzung (bspw. mit Fellow Workers, die in der selben Branchen organisieren) gibt es das sogenannte OrganizingKommitee.

Für uns ist der Erfahrungsaustausch, da wir selbst aktiv werden wollen (und müssen), das A und O. Aus diesem Grund schauen wir auch immer, was die Wobblies in Nordamerika oder Großbritannien gerade machen und wie sich ihre Kämpfe entwickeln.


FA!: Was ist, wenn ich arbeitslos bin, vielleicht auch aus einer irgendgearteten politischen Überzeugung? Welche sozialen Milieus finden sich in der IWW wieder?

Ob arbeitslos, Studi, prekär beschäftigt, VollzeitarbeiterIn oder SeniorIn. Nach unserer Auffassung sind wir alle Teil der lohnabhängigen Klasse und haben dementsprechend unter dem Lohnsystem mit seiner Ausbeutung und Unterdrückung zu leiden. Und genau darum brauchen alle Lohnabhängigen auch eine Gewerkschaft bzw. brauchen wir sie in der IWW. Und tatsächlich kommen unsere Mitglieder aus ganz unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen, unterschiedlichen Branchen und sozialen Milieus. Da kann schon mal eine Soziologie-Studentin neben dem Hüttenarbeiter, dem Rentner oder der Sozialarbeiterin auf einem Treffen sitzen. Das ist auch der Gedanke hinter unserem Namen: Industrial Workers of the World bedeutet gewissermaßen „eine Gewerkschaft für die Arbeiter und ArbeiterInnen aller Industrien, weltweit“ (wobei Industrien als Berufszweige oder Branchen verstanden werden können).

Dem internationalen Anspruch werden wir auch ganz gut gerecht. Wir haben im deutschsprachigen Raum einige Wobblies, die nach Deutschland oder Österreich emigriert sind und sich bereits vorher oder vor Ort der IWW angeschlossen haben.

Ähnlich divers sieht es auch mit den politischen Überzeugungen aus. Die Leute kommen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Bedingung ist allerdings, dass sich unsere Mitglieder und die Ortsgruppen zur IWW-Präambel bekennen, also bspw. ebenfalls den Kapitalismus überwinden wollen. Und natürlich gibt es auch für Diskriminierungsformen bei uns keinen Platz. Darüber hinaus jedoch sind die Leute unterschiedlich aufgestellt, was manchmal durchaus zu Konflikten führen kann.
FA!: Was haltet ihr von einer Strategie, wie sie die Solidarity Networks bspw. in den USA, aber auch in Griechenland oder Spanien verfolgen – diese scheint ja eher von einer Art auf alle Bereiche der Gesellschaft ausgedehnten Kampffelds auszugehen?

Wir wollen uns durchaus nicht beschränken auf das Thema Lohnarbeit, weil wir wissen, dass alle gesellschaftlichen Bereiche (wie eben bspw. Wohnen) vom Kapitalismus bestimmt und untereinander eng verknüpft sind. Darum begrüßen wir es, wenn sich die Idee der Selbstorganisierung auch auf andere Kämpfe überträgt oder sogar Kämpfe miteinander verbunden werden.

 

FA!: Was bedeutet es für euch, in der BRD des Jahres 2016 eine revolutionäre Strategie zu verfolgen, auch gerade mit Blick auf die transnationale Ausrichtung der IWW?

Wir merken natürlich, dass wir es als klassenkämpferische Gewerkschaft noch nicht leicht haben. Aber wir merken auch, dass sich Arbeiter und ArbeiterInnen von den etablierten großen Gewerkschaften ungenügend repräsentiert fühlen. Und durch die Erfahrungen der Wobblies in anderen Ländern, wissen wir, dass sich relativ schnell sehr viel entwickeln kann. Plötzlich bspw. werden im Niedriglohnsektor erfolgreich Kampagnen geführt – ein Bereich der bisher bei vielen reformistischen GewerkschafterInnen als unorganisierbar galt! Und es werden Kämpfe selbst organisiert, ohne FunktionärInnen, mit direkten Aktionen geführt. Das zeigt uns, dass klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik heute nicht nur notwendig, sondern natürlich auch möglich ist.

Die transnationale Ausrichtung ist hierbei natürlich wichtig. Eine revolutionäre Perspektive kann nur eine globale sein. Langfristig müssen die LohnarbeiterInnen aller Länder ihre Kämpfe gemeinsam bestreiten.

 

FA!: Welche Erfolge konnte denn die IWW in den letzten Jahren verzeichnen?

In der IWW wurden in den letzten Jahren erfolgreich Arbeitskämpfe und Kampagnen geführt. In den USA bspw. gibt es rund 800 Gefangene, die Wobblies sind und in den Knästen durch die IWW unterstützt werden. Sie hat auch an Erfahrungen, an Internationalität und Mitgliedern gewonnen. In Großbritannien sind es innerhalb weniger Jahre über 1000 IWW-Mitglieder geworden und auch im deutschsprachigen Raum machen wir einige Fortschritte hinsichtlich unserer Betriebsarbeit und Zuwachses. Es gibt inzwischen 10 offizielle Ortsgruppen, es gibt unterschiedlich große Betriebsgruppen und es gibt sogar einen IWW-Betriebsrat. Zu tun bleibt natürlich genügend!


FA!: Ein Schlusswort?

Wir möchten uns ganz herzlich für das Interview bedanken! Obwohl wir als strömungsübergreifende Gewerkschaft den Anspruch haben alle Arbeiterinnen und Arbeiter zu organiseren, wundern wir uns immer wieder darüber, dass das Thema Betriebsarbeit innerhalb der autonomen oder libertären Linken so unattraktiv ist. Dabei gibt es mit der IWW oder auch der FAU (Freie ArbeiterInnen-Union) inzwischen Gruppen, die mit ihren basisdemokratischen und klassenkämpferischen Ansätzen die direkte Möglichkeit zur antikapitalistischen Praxis bereit stellen!
infos: www.wobblies.de/leipzig

Ein Interview zur Gemeinsamen Ökonomie

Ich denke, Menschen sind eher dafür gemacht in Gemeinschaft zu leben, als alleine.“

Immer mehr Menschen träumen von einem Leben in Gemeinschaft mit gegenseitiger solidarischer Unterstützung. Einige davon leben diesen Traum, bspw. in Haus- oder Kommuneprojekten. Allerdings hat selbst dort die gegenseitige Hilfe oftmals ihre Grenzen im finanziellen Bereich – nur wenige betreiben auch gemeinsame Einkommens- und Vermögensökonomie. Ein Leipziger Beispiel dafür ist die Luftschlosserei, eine Kommune die zwar noch keinen gemeinsamen Hof besitzt, dennoch seit März 2014 gemeinsam wirtschaftet und ihre gesamten Einnahmen solidarisch miteinander teilt. Aktuell besteht sie aus sieben Kommunard_innen, die zum Teil in einer WG zusammenleben. Welche Erfahrungen sie bisher mit gemeinsamer Ökonomie gemacht haben und wie sie mit dem Spannungsfeld von individuellen Bedürfnissen und Gruppenverantwortung umgehen, ist Gegenstand des folgenden Interviews mit zwei der Kommunard_innen.

FA!: Ihr teilt euer Einkommen, wie funktioniert das in der Praxis?

A: Also einige von uns verdienen Geld, das landet erst mal auf den Konten von den Leuten und wir haben eine gemeinsame Kasse im Haushalt, wo man sich Geld rausnehmen kann. Wir führen darüber Buch: Wieviel hab ich mir rausgenommen und was hab ich verdient diesen Monat und was ist so von Konten abgegangen? Wir versuchen uns einmal im Monat gemeinsam einen Überblick zu verschaffen und fangen jetzt auch an, uns monatlich zusammenzusetzen, um über unsere finanzielle Situation zu sprechen und zu gucken, wo wir Prioritäten setzen müssen. Es gibt bei uns Leute, die weniger arbeiten aber dafür ihre Arbeitszeit der Gruppe zur Verfügung stellen, weil wir gerade dadurch, dass wir einen Hof kaufen wollen, ganz viel Organisationsarbeit haben. Eine Person haben wir dafür sogar freigestellt, d.h. sie muss nicht mehr lohnarbeiten gehen. Das bin ich. Und parallel unterstützen wir mit unserer Arbeitskraft auch noch das KGB-Getränkekollektiv (1).

Wir haben uns quasi noch mal ein soziales Sicherungsnetz geschaffen, was nicht auf die soziale Sicherung Hartz4 angewiesen ist. Das muss dir aber auch erst mal bewusst sein. Diese Existenzangst ist ja nicht einfach weg, du musst dir immer wieder selbst sagen: Es gibt diese Gruppe und wir stehen füreinander finanziell ein im Alltag und du fällst nicht ins Bodenlose, wenn jetzt mal ein Auftrag wegbricht als Freiberufler. Oder bei einem der befristete Job zu Ende geht.

FA!: Plant ihr die Gesamtarbeitszeiten für Gruppe und Lohnarbeit oder funktioniert das eher spontan und organisch?

A: Wir rechnen die Arbeitsstunden nicht gegeneinander auf, sondern gucken, wie sich jeder wohlfühlt mit den Vereinbarungen, die getroffen wurden. In letzter Zeit hatten wir einige längere Treffen, die sich aber spontan aus der aktuellen Situation heraus ergeben haben, als sich die berufliche Situation geändert hat. Da haben wir auch die Entscheidung getroffen zu sagen: Du machst jetzt mehr Arbeit für die Gruppe und versuchst jetzt nicht noch, dir einen neuen Job zu suchen. In Zukunft wollen wir das verstetigen, uns 1x im Monat zusammenzusetzen. Wir haben ja auch Leute in der Gruppe, die in Ausbildung sind, die weder groß Geld einbringen, noch Kapazitäten haben, viel nebenbei zu machen. Und es gibt eine Person, die jetzt vor einer beruflichen Umbruchphase steht und überlegt, eine Ausbildung anzufangen. Das ist sehr stark mit den Zielen der Gruppe verknüpft, so dass wir sagen: Du kannst noch eine Lehre als Elektriker machen, das können wir später mal auf dem Hof sehr gut gebrauchen.

Auf jeden Fall stehen wir noch am Anfang und sind eine sehr kleine Gruppe, was finanziell aktuell herausfordernd ist. Wir versuchen gerade krampfhaft 10% dessen, was wir einnehmen, zu sparen, um den Hofkauf zu ermöglichen. Das ist schwierig im Vergleich zu anderen Kommunen, die es schon länger gibt und die auch Gelder für sechs Monate vorrätig haben. Die wirft so schnell nichts aus der Bahn.

FA!: Kann sich jeder aus eurer Kasse so viel rausnehmen, wie er oder sie will, oder gibt es da finanzielle Grenzen, wo die Gruppe gefragt werden muss?

A: Erstmal kannst du dir nach Selbsteinschätzung Geld rausnehmen und gibst einen allgemeinen Zweck an, wofür es ausgegeben wird, z.B. Lebensmittel oder Mobilität oder Kultur. So, dass wir uns einen Überblick verschaffen können, für was wir Geld ausgeben. Da sehen wir aktuell, dass über die Hälfte für diese klassischen Sachen wie Miete, Strom, GEZ, Krankenkassenbeiträge rausgeht. Und vom anderen Teil geht mindestens die Hälfte für Lebensmittel drauf und der Rest für kleinere Sachen. Und wenn du jetzt eine Einzelausgabe machen willst, also für eine einzelne Sache, die über 150 € kostet, dann haben wir die Regel, dass du das 7 Tage vorher ankündigst, so dass die anderen dich in der Zeit darauf ansprechen können. Da geht es nicht darum, das zu verbieten, sondern in Dialog zu treten. Also wenn du dir jetzt z.B. überlegst, ein Fahrrad zu kaufen, kann man dann überlegen: Hat noch wer ein Fahrrad, was er gerade nicht braucht, oder kennt jemand jemanden, der das preisgünstiger hat. Oder kann man gleich eine größere Gruppenlösung finden, wie z.B. eine Monatskarte. Haben wir relativ selten, diese Einzelausgaben über 150 €. Aber wenn es dann vorkommt, sprechen wir es gemeinsam ab.

Unser Konzept, was wir uns damals erarbeitet haben, haben wir auch nicht einfach übernommen, sondern selbst geschaffen, haben uns die Regeln von anderen angeguckt und überdacht.

 

FA!: Und habt ihr ein Veto-Recht, also wenn jemand beharrt und sagt: Nee ich möchte aber dieses eine Mountainbike für 500 € und da lass ich mich jetzt nicht abbringen?

A: Jein. Also natürlich kann die Gruppe eine Entscheidung treffen und sagen: das können wir jetzt so nicht machen. Das ist aber bei uns kein Veto, sondern wir haben ein Konsens-System ohne Veto. Wir versuchen eher festzustellen, welcher Vorschlag den größtmöglichen Zustimmungsgrad in der Gruppe hat. Und das kann auch ein Vorschlag sein, der bedeutet, diese Ausgabe nicht zu machen. Ist ein bisschen differenzierter, als ein einzelnes Veto.

 

FA!: Ich nehme mal an, das Reden über Geld nimmt viel Raum bei euch aufgrund des Konzepts ein, oder? Wie empfindet ihr das?

A: Ja und Nein. Ich kann jetzt auch nicht sagen, ob es mehr ist, als normalerweise. Also diese Debatten um die Idee der gemeinsamen Ökonomie, die führen wir natürlich regelmäßig. Was vielleicht so zentrale Erkenntnisse für mich sind, ist, dass es oft weniger die Auseinandersetzung ist: Bringst du genug Geld ein oder nicht, sondern eher diese: Sehe ich insgesamt, wenn ich alles zusammenrechne, deinen Beitrag gleichwertig mit meinem Beitrag? Das kann auch anderes sein, Arbeit im Haushalt oder so. Und was hast du überhaupt für einen Anspruch, wie viel Arbeit du am Tag erledigst? Wo wir auch sehr viele Debatten geführt haben, ist die Situation, dauerhaft eher Nehmer oder Geber zu sein. Es ist beides nicht leicht. Wir machen ja auch regelmäßig bei unserem Treffen Sozialplenum und da war das schon oft Thema. Wenn du dauerhaft in dieser Nehmerrolle bist, fühlen sich die Leute oft schlecht und trauen sich nicht mehr, etwas rauszunehmen, obwohl das ja eigentlich keine Rolle spielen soll. Und andersherum, derjenige der mehr reingibt, muss auch lernen, dass dieses eine dauerhafte Geberrolle ist, die jetzt nicht irgendwas Gönnerhaftes hat oder eine besondere Position bringt, sondern einfach normal ist irgendwann. Ich hab dann nicht mehr zu sagen oder mir steht dann kein größeres Stück Pizza zu oder so was. Davon wegzukommen, ist schon nicht einfach.

Als ich eingestiegen bin in die Gruppe, war ich z.B. in einer guten Geberposition – bis mein guter Auftrag zu Ende war. Mir fällt das auch nicht leicht vom Selbstbild her, nicht in so einer gönnerhaften Geberposition zu sein. Und manchen fällt das ganz schwer jetzt in einer Ausbildung zu sein und auf lange Sicht auf die Gruppe angewiesen zu sein. Damit musst du dich dann auseinandersetzen. Aber durch unsere Gespräche ist viel geklärt und jeder weiß, wo der andere steht. Wenn keine Hirngespinste mehr da sind, es könnte jetzt jemand Neid haben oder komisch finden, z.B. dass ich jetzt nicht mehr extern, sondern für die Gruppe arbeite, dann stellt sich auch ein ganz großes Gefühl von Freiheit ein. Denn ich mache was Sinnvolles, ohne mir um Essen und Wohnen Gedanken machen zu müssen. Aber man muss es sich halt immer wieder sagen, es ist nichts, was sich von alleine so anfühlt. Und es hat sich erst eingestellt, als es mit der Gruppe besprochen war.

B: Das eigentliche Ziel der gemeinsamen Ökonomie ist ja, dass das Thema Geld möglichst weniger Stellenwert im Leben bekommt. Das ist der Grund, warum ich das mache. So dass diese Determination der eigenen Persönlichkeit durch Geld aufhört, diese Ungleichheit, die von Geburt mitgegeben wird. Zur Zeit sind wir noch an einem Schritt, wo wir uns eher ein bisschen mehr mit dem Thema auseinandersetzen müssen, als es mir lieb ist. Hoffentlich nur vorübergehend. Und es soll ja nicht dauerhaft aufgerechnet werden, wie viel Geld oder Zeit man in das Projekt steckt oder wie viel man im Haushalt hilft. Auch andere Sachen sollen eine Rolle spielen, z.B. wie viel man die Gemeinschaft bereichert, wie viel Lebensfreude man reingibt. Da gibt es auch viele gar nicht so berechenbare Sachen. Das wäre auch so ein Ideal.

A: Das ist auch interessant, auch ein Spannungsfeld: Für den einen ist die monatliche Abrechnung ein Mehr an Bürokratie zu dem, was wir vorher gelebt haben. Und für andere ist die Beschäftigung mit dem eigenen Konsumverhalten ganz neu und ein Erkenntnisgewinn, der Spaß machen kann.

 

FA!: Was hat denn dieses eine Jahr Erfahrung mit gemeinsamer Ökonomie mit euch gemacht, in eurem persönlichen Umgang mit Geld? Hat sich da im Lebensstil und im Bewusstsein was verändert?

A: Es gibt zum einen ganz schöne Erfahrungen, z.B. war es am Anfang für uns immer wieder ganz spannend zu entdecken, dass es egal ist, wer was bezahlt wenn du in der Gruppe unterwegs bist. Dann gibt es so einige Themen, mit denen wir sonst anders umgehen würden z.B. sorgfältiger Umgang mit Sachen. Also wenn ich jetzt bei dir zu Besuch bin und deine Stereoanlage runterschmeiße, dann wirst du sagen: Bezahl mir das. Wenn jetzt aber jemand von uns die Lieblingsstereoanlage runterschmeißt, dann zahlen wir das alle. Und das macht schon eine andere Verantwortlichkeit, wenn es diesen individuellen Sanktionsmechanismus nicht gibt.

An einem Nachmittag haben wir mal eine Frage bearbeitet: Wie kann ich es ertragen, dass andere Leute Geld für Scheiß ausgeben? Und da geht es um ganz kleine Sachen. Also wenn du abends zum Späti gehst und dir für 1,80€ eine Limo holst. Wenn ein Teil der Gruppe sich jeden Abend 3-4 Limos holt, dann ist das ein ganz schöner Posten. Und dann zu gucken: Ist diese Limo wirklich wichtig? Für andere ist das totaler Scheiß. Da war eben festzustellen: du kannst da kein Maßband anlegen, was gut und was schlecht ist. Aber du bist schon selber stärker am Überlegen,: Ist das jetzt sinnvoll, brauch ich das? Bis hin, dass manche Anschaffungen auch nachhaltiger sind.

Eine andere Sache ist, dass wir zwischendurch auch einen harten Ausstieg hatten, mit jemandem, wo wir dachten, auch eine gute Freundschaft zu haben. Diese Person war nicht bereit, Transparenz über ihre Zahlen herzustellen und hat auch falsche Angaben gemacht. Das war schon ziemlich hart und auch nicht reibungsfrei.

B: Dass die Anfangszeit sehr schön war, mit dem sich gegenseitig einladen, da kann ich beipflichten. Und diese Haltung, anderen bei Engpässen weiterzuhelfen, hat sich weitergetragen und verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Schwierig ist aber, dass man eben nicht mehr für sich selber was sparen kann. Neben Kommune gibt es vielleicht noch ein paar andere Ziele, die man so im Leben hat, vielleicht Auslandsaufenthalte machen oder beruflich weiterkommen oder was anderes. Und das ist gerade jetzt in dieser Zeit, wo der Hof gekauft werden soll, schwierig mit den Gemeinschaftsinteressen zu vereinbaren.

 

FA!: Heißt das du steckst dann deine persönlichen Ziele für die gemeinsamen Ziele zurück? Oder wie gehst du damit um?

B: Ich glaube es kommt drauf an, an welchem Punkt man im Leben steht. Und wie wichtig es einem gerade ist, diesen Hof zu kaufen. Ich persönlich möchte gerade die persönliche Seite nicht zu kurz kommen lassen, weil da so viele Fragezeichen sind, die für mich geklärt werden müssen, unabhängig von der Tatsache, dass ich in einer Kommune leben will. Da stehen noch ein paar andere Sachen im Leben an. Denn irgendwie habe ich mich selbst in den letzten Jahren voller WG-Leben völlig vergessen und gar nicht gecheckt, wie sehr ich andere Stränge, wie z.B. meine berufliche Selbstfindung komplett schleifen gelassen habe.

FA!: Und wie gehst du oder ihr als Gruppe damit um, in dem Spannungsfeld zwischen individuellen Zielen, Plänen und Wünschen und der Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber?

B: Zur Zeit ist es eben so, dass ich eine Pause mache von der gemeinsamen Ökonomie, weil ein paar persönliche Sachen jetzt Priorität bei mir haben. Danach entscheide ich, ob ich wieder einsteige. Aber das ist jetzt eine individuelle Lösung, da gibt es sicher auch noch eine ganze Palette an anderen Sachen, die man machen kann.

A: Ich denke, dass in der Gründungsgeneration in der Kommune, wo der Hof noch nicht da ist, von uns sehr viel abverlangt wird, Zeit oder Geld in die Gruppe zu stecken, und da wenig Ressourcen für andere Sachen sind. Solche individuellen Geschichten, wie ein Jahr ins Ausland gehen und Geld dafür zurücklegen, ist dann schon schwierig. Natürlich müssen wir da auch gucken, ist das für uns stimmig, was wir auch machen.

Speziell bei B war das finanziell ziemlich herausfordernd. Wir haben dann gemeinsam beschlossen, dass es einfacher ist, wenn B erst einmal aus der gemeinsamen Ökonomie aussteigt. Unsere Lösung ist aber aus meiner Sicht sehr am Solidargedanken orientiert, weil wir gesagt haben: Du steigst jetzt sofort aus dieser gemeinsamen Ökonomie aus, aber wir bezahlen dir noch für drei Monate das Zimmer in der Wohnung und die Verpflegung, wenn du hier mit isst. So dass du diese Auszeit hast, aber wir besser rechnen können als Gruppe.

Es ist schon so, dass wir durch die gemeinsame Ökonomie eine Einstehensgemeinschaft sind. Und ich kann jetzt nicht einfach sagen: Ich nehm mich zurück und arbeite mal ein Jahr nicht. Denn andere Leute haben dann die Konsequenzen zu tragen. Verantwortung bedeutet halt schon, dass du immer dran denkst, dass der andere mit dranhängt. Für mich fühlt sich das relativ selbstverständlich an, deswegen will ich in einer Kommune sein, weil mir das guttut und ich das gern mache. Und für Andere ist das was, wo sie sagen: Das würde ich nur in einer Beziehung mit Kind geben, oder wo ich mich jetzt noch nicht so weit fühle.

B: Ich bin da wahrscheinlich eher in der anderen Position, und würde sagen, dass es leichter ist, das in einer überschaubareren Beziehung zu machen, also in einer Partnerschaft mit Kind oder so. Wenn man selber noch auf der Suche ist, was man eigentlich im Leben will und dann aber Leute hat, die auf einen angewiesen sind, obwohl man selbst noch gar nicht seinen Platz endgültig gefunden hat, ist es natürlich schwierig. Insofern verlangt es von allen ab, dass sie irgendwie wissen, wo sie hinwollen.

Und grundsätzlich ist es schwierig, wenn jemand mit besonderen Bedürfnissen in der Gemeinschaft ist und vielleicht angeschlagen ist und man viel geben muss. Denn gleichzeitig hat man ja selbst auch ganz viele Ideen, was man selber machen will. Zumindest geht es mir so. Und das kann einem schon ziemlich schnell über den Kopf wachsen. Deswegen fühlt es sich für mich jetzt ganz befreiend an, diese Ruhepause zu haben. Und danach zu gucken, was passiert.

Aber grundsätzlich finde ich es total richtig, füreinander da zu sein. Aber man muss auch irgendwo eine Grenze setzen, man kann nicht alle Menschen retten oder für alle immer da sein. Klar, die Gruppe ist mir insofern wichtig, weil es eine ähnliche politische Grundeinstellung gibt, eine ähnliche Sozialisierung und gemeinsame Anknüpfungspunkte durch Politerfahrungen oder andere Lebenserfahrungen, und irgendwie ein bisschen die Verknüpfung von anarchistischen Idealen und dem Streben nach einem besseren Leben, sowohl materiell als auch ideell, was die Verwirklichung von Idealen angeht, als auch kulturell oder vielleicht auch spirituell im weitesten Sinne. So was zu verknüpfen eben, dieses Anarchistische mit dem Wunsch nach etwas Aufstrebendem. Und ein bisschen die Ordnung ohne Herrschaft zu realisieren, das kann die Gruppe auch ganz gut. Das ist so einer der großen Pluspunkte, Sachen die dafür sprechen hier meine Kraft zu investieren.

 

FA!: Ganz ehrlich, ich stell es mir schwieriger vor als kleine Gruppe in gemeinsamer Ökonomie zu leben, als in einer großen Gruppe wie z.B. der Kommune Niederkaufungen, wo 60 Erwachsene leben, weil im kleinen Kreis vielleicht auch dieser soziale Druck stärker ist und die Verantwortung im Kopf präsenter, so dass vielleicht individuelle Wünsche zeitweise auf der Strecke bleiben, aber dann als Konfliktthema zurückkehren. Oder andere zwischenmenschliche Konflikte über die gemeinsame Ökonomie ausgetragen werden, indem man z.B. dem anderen den Klamottenkauf für 80€ missgönnt. Seht ihr denn die Anzahl der Leute als Faktor für das Funktionieren des Konzeptes?

A: Über die Anzahl der Leute haben wir uns schon viele Gedanken gemacht und sind der Meinung, dass so 12 Leute eine Mindestanzahl ist. Da hast du eine Stabilität, wo auch mal 1-2 Leute wegbrechen können und es immer noch funktioniert. Die haben wir noch nicht erreicht. Aktuell ist es so, dass wir, wenn eine Person wegbricht, gucken müssen, wie es funktioniert. Bisher klappt es und ich habe den Eindruck, dass es uns auch mehr zusammengeschweißt hat. Unsere Optimalzahl liegt so zwischen 12 und 24 Leuten plus Kinder.

Ich habe es aber noch nicht erlebt, dass Konflikte über die gemeinsame Ökonomie ausgetragen werden. Alle Leute haben klar, dass sie anderen keine Basalbedürfnisse verweigern, nur weil sie gerade mit einem nicht können. Wir haben vielleicht aus der gemeinsamen Ökonomie heraus Konflikte miteinander gehabt, aber nicht, dass wir andere Konflikte über die gemeinsame Ökonomie ausgetragen haben. Das würde auch gar nicht funktionieren, wie will man dem anderen verwehren, dass er sich Geld herausnimmt?

Wir kriegen uns halt sehr intensiv mit, aber ich habe nicht erlebt, dass das besonders spannungsreich ist.Wenn mir was nicht passt, sprech ich das auch an, statt Bilder im Kopf zu haben oder es einfach laufen zu lassen. Das hat aber nichts mit Bewertungen zu tun, sondern auch mit positiver Anerkennung dem gegenüber, was der andere macht.

Ich denke auch, wenn du eine Kommune machen willst, dann ist es eine Voraussetzung, eine Mitte zwischen gelebter solidarischer Gemeinschaft und individueller Selbstverwirklichung zu finden. Du kannst weder dich komplett für eine Gruppe aufopfern und dich dabei vergessen. Das tut dir nicht gut, das hältst du nicht lang durch. Noch kannst du in so einer Gruppe sein und nur an dich denken und dich selbst verwirklichen, dann wird dir die Gruppe ziemlich schnell auf den Sack gehen.

Aber es ist nicht eine endliche Menge, wo du was wegnimmst, also Gruppe oder Individualität. Sondern du kannst schon, wenn du das selber gut in Einklang bringen kannst, bei beiden Sachen mehr haben. Du kannst ganz viel mehr Gruppe und Gemeinschaft haben und ganz viel mehr individuelle Selbstverwirklichung in der Kommune. Aber du musst selbst die Kompetenz mitbringen, dir das zu schaffen. Und dann ist das ganze übersummativ, also die Summe mehr als die Teile.

 

FA!: Was müssen denn eurer Meinung nach Leute an Grundverständnis und Idealen mitbringen, um in so einem Projekt wie eurem glücklich zu werden?

A: Das ist ganz schwierig zu beantworten. Es gibt so einen Spruch zum Thema: Wenn du in eine Gemeinschaft gehst, solltest du eher jemand sein, der geben kann, als darauf angewiesen sein zu nehmen. Du solltest Verantwortung übernehmen können für andere. Und du brauchst eine gewisse Affinität mit Gruppen umzugehen. Also dich selber zu vertreten, dich selber auch klar zu haben, zu wissen was du möchtest, es artikulieren zu können. Ich sag mal diese ganzen sozialen Fähigkeiten. Wir haben auch öfter Diskussionen darüber, wir wollen ja so offen wie möglich sein, trotzdem sind das Sachen, die du brauchst, wie sich immer wieder zeigt.

B: Ja und so eine Art Freude am Lernen durch die Interaktion mit den konkreten Menschen in der Gruppe. Was ein ganz anderes Lernen ist, als aus Büchern.

A: Ja, das ist auch persönliches Wachstum, eines unserer gemeinsamen Ziele. Und das passiert auf jeden Fall. Du wirst herausgefordert durch so eine Gruppe und du entwickelst dich auch weiter.

Und was sich immer wieder zeigt, bei allen von uns: Egal wieviel du reingibst, dass du dir mehr rausnimmst, als du reingegeben hast, das fällt allen unheimlich schwer. Geld für irgendwas ausgeben ist wesentlich herausfordernder in einer gemeinsamen Ökonomie, als wenn du da alleine für verantwortlich bist.

Was wir auf jeden Fall irgendwann auch haben wollen, so 5 Jahre nachdem wir einen Hof gekauft haben, ist für Rentenansprüche zu sorgen. Sodass, wenn du mal rausgehst, die Lebenszeit nicht „verloren“ ist, weil ja in der Kommune auch für dich gesorgt worden wäre. Aber gerade jetzt in der ersten Zeit ist es schon ein Projekt, wo du auch Lust haben musst, Zeit und Geld reinzustecken, was aufzubauen. Und das ist schon so die Frage, ob das gut ist oder nicht, wenn es wirklich die produktivsten Jahre deines Lebens sind. Das sollte man sich gut überlegen. Das ist auch was, was uns immer wieder beschäftigt, gerade wenn wir Kennnenlernentreffen machen.

FA!: Was ist so euer Fazit nach einem Jahr gelebter gemeinsamer Ökonomie?

B: Ich bin da eher der Falsche der quakt, eigentlich sollte ich zuhören. Also mein Fazit ist, eher noch mal ein Stück zurück rudern und überlegen, mit wem und wie vielen Leuten so was gehen kann. Und v.a., wie kann es auch gehen, ohne dass es organisatorisch sehr viel Zeit und Gedankenkapazität wegnimmt, die man auch für was anderes gebrauchen kann. Weil, Muße ist auch ein Wert, der auch zu kurz kommt, wenn man als Kommune sehr viel Wert auf das Ökonomische legt. Auf der anderen Seite sind mir aber viele spirituelle Kommunen auch zu diffus. Muße wäre aber auch für mich was Wichtiges, wo ich bisher noch keinen Weg gefunden habe, wie es sich vereinbaren lässt. Aber grundsätzlich im Leben ist es natürlich ganz wichtig zu teilen. Da will ich auch hin.

A: Wir haben gemeinsame Ökonomie ja gestartet auf dem Weg zur Kommune. Und ich musste irgendwann realisieren: Eigentlich sind wir ja schon eine Kommune. Wir entscheiden basisdemokratisch und teilen unser Geld. Wir sind ja jetzt auch Mitglied im kommuja-Netzwerk, dem Netzwerk der politischen Kommunen in Deutschland. Aber für mich ist es gefühlt immer noch ein „auf dem Weg sein“. Deshalb ist es auch schwierig ein Fazit zu ziehen. Was ich merke: es erfüllen sich immer mehr Aspekte und ich begreife immer mehr. Aber was mir natürlich noch fehlt, ist dieses Bleibende zu schaffen, der Hofkauf wäre so ein Schritt. Das gemeinsame Arbeiten und die gemeinsame Ökonomie bringt eine Pflanze hervor, die wächst. Das ist was, was mir Spaß macht. Ziel ist es, irgendwann Kollektivbetriebe aufbauen und einen Hof haben, den wir ausbauen, so dass das Gemeinsame etwas hervorbringt, was größer ist als die Gruppe. Wenn wir irgendwann mal aufhören Miete zu bezahlen, sondern einen Kredit abbezahlen und mit der gemeinsamen Anstrengung jeden Monat was schaffen, das würde sich noch besser anfühlen. Insofern fühlt es sich für mich immer noch wie eine Übergangsphase an, zu dem, was wir eigentlich wollen. Obwohl wir schon eine Kommune sind.

FA!: Danke für das Interview!

[momo]

 

Wer mehr von der Luftschlosserei wissen mag oder mitmachen will: http://luftschlosserei.org/. Einfach mal Kontakt aufnehmen.

(1) KGB-Getränkekollektiv: http://kgb-leipzig.blogspot.de

Interview: Squat Lindenow

Feierabend!: Wie habt ihr zusammengefunden und wie definiert ihr euch als Gruppe?

Squat Lindenow: Als wir hier angefangen haben, waren wir zu dritt. Über gemeinsame Freundschaften haben wir uns vergrößert, inzwischen sind wir neun. Als Gruppe haben wir keine festgelegte Ausrichtung, uns eint die politische Gesinnung.

FA!: Was war der Anlass, gerade dieses Haus in der Angerstraße zu besetzen?

SL: Wir waren unabhängig voneinander auf der Suche nach einem geeigneten Haus. Dieses Haus stand leer, hat einen Garten und ist stadtnah. Außerdem gefällt uns, dass es architektonisch heraussticht. Eines Tages stand die Eigentümerin plötzlich vor uns und hat ein sehr nettes Gespräch mit uns geführt. Sie duldet uns hier, weil wir die Bausubstanz erhalten. Das Haus stand 16 Jahre lang leer, darum ist vor allem das Dach in einem schlechten Zustand. Die einzige Bedingung ist, dass potenzielle Kaufinteressenten auch hereingelassen werden. Das war bisher viermal der Fall, jedoch machen wir denen klar, dass das Haus nur mit uns darin zu kaufen ist. Einmal waren auch Leute vom HausHalten e.V. da.

FA!: Was stört euch denn am Wächterhaus-Konzept von „Haushalten e.V.“?

SL: Wir haben deren Vertreter als scheinheilig erlebt, denn sie geben vor, für günstigen Wohnraum zu sorgen. Dabei kooperieren sie eng mit der Stadt und sind mitschuldig, dass der Westen und der Osten der Stadt momentan so aufgewertet werden. Wir fordern unser Wohnrecht ein und finden, für Besetzung ist jetzt genau die richtige Zeit.

FA!: Wollt ihr nicht letzten Endes selber einen legalen Status? Oder seht ihr euch auch nur als Zwischen-Nutzer?

SL: Wir brauchen keinen Vertrag! Wir wollen auch keine Miete zahlen! Wir fühlen uns auch so sicher. Wohnen ist ein Grundrecht, wieso viel Miete zahlen? Was wäre die Stadt ohne Menschen? Wir fänden es wünschenswert, wenn wir Akzeptanz finden und dieses Projekt so weiterentwickeln können. Schön wäre, wenn andere Leute angeregt werden, über die offensichtlichen Alternativen nachzudenken und sich selbst nicht so sehr einengen und eingrenzen lassen.

FA!: Welche Angebote habt ihr an den Start gebracht, was ist noch in Arbeit?

SL: Wir kochen jeden Dienstag Abend VoKü, am Freitag bieten wir auch eine Fahrradwerkstatt an. Zu diesen Zeiten kann auch der Umsonstladen genutzt werden. Wir sind jederzeit für Außenstehende offen, Auswärtige können hier pennen. Andere Angebote sind in Vorbereitung, jedoch noch nicht spruchreif.

FA!: Wie reagieren die Anwohner, Stadt und Polizei auf euch?

SL: Die Nachbarn bringen uns öfter mal Einrichtungsgegenstände vorbei, die sie nicht mehr brauchen und plaudern auch gerne mit uns, wenn wir zum Gassi gehen draußen sind. Dahingehend können wir uns also nicht beschweren. Die Polizei und die Stadt sind bislang friedlich geblieben, doch generell werden wir als Gefahrenquelle eingeschätzt. Das hat beispielsweise zur Folge, dass bei Demos im Stadtteil eine Wanne direkt gegenüber vom Haus geparkt wird. Lediglich das Ordnungsamt macht Stress und sitzt der Eigentümerin im Nacken. Die haben vor Monaten mal gemeckert, als sie den verstärkten Zaun bemerkt haben, aber seitdem ist nichts mehr gekommen. Wir sind schon aus eigenem Vorteil daran interessiert, nicht zuviel Stress zu haben.

FA!: Wie wichtig waren die Erfahrungen aus dem geräumten Hausbesetzungsprojekt in der Naumburger Straße vor zwei Jahren?

SL: Es hat uns viel Erfahrung gebracht im Umgang mit der Polizei. Jetzt wissen wir, was auf uns zukommen kann und sind besser vorbereitet für den Fall der Räumung.

FA!: Ihr strebt seit kurzem auch in die Öffentlichkeit, wollt ihr nur Werbung für eure Partys machen oder geht es euch auch um eine andere Botschaft?

SL: Wir finden es natürlich schön, wenn viele Menschen zu unserer wöchentlichen VoKü kommen oder zu Partys. Aber nach zwei Jahren Arbeit am Haus wollen wir auch mal „ausstrahlen“ und zeigen, dass man nicht gleich ein Haus kaufen muss, sondern es auch anders geht.

FA!: Wie stehen die Chancen für baldige weitere Hausbesetzungen in Leipzig?

SL: Aus unserer Sicht gut, wir sind auch schon eifrig dabei, Metastasen zu bilden und unser Wissen weiterzugeben. Wir unterstützen gerne jegliche Besetzer, die es ernst meinen. Einige Häuser sind in Arbeit, andere in Vorbereitung, aber genauer wollen wir zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht darauf eingehen.

Interview: bonz

„Versagen mit System“

Ein Interview mit dem Forum für kritische Rechtsextremismusforschung

Vom 23. Februar bis 13. März 2015 war die Ausstellung „Versagen mit System – Geschichte und Wirken des Verfassungsschutzes“ in Leipzig zu sehen. Wir haben mit dem Forum für kritische Rechtsextremismusforschung gesprochen, von dem diese Ausstellung erarbeitet wurde.

FA!: Könnt ihr euch kurz vorstellen? Wer seid ihr und womit befasst ihr euch?

FKR: Wir sind eine Gruppe von Nachwuchswissenschaftler_innen und Menschen, die in der politischen Bildungsarbeit tätig sind. Wir haben uns als studentische Initiative 2005 nach dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag zusammengefunden, weil wir das Gefühl hatten, dass die Forschung zu Themen wie Rassismus, Neue Rechte und Neonazismus an den sächsischen Hochschulen nicht die Aufmerksamkeit erhielt, die es angesichts der politischen Lage verdient hätte.

Über die Beschäftigung mit dem Thema „Rechtsextremismus“ und auch den kritischen Implikationen dieser Kategorie, haben wir uns auch näher angeschaut, wie Gesellschaft und Politik vermeintliche „Extremisten“ identifizieren und von der demokratischen Teilhabe ausschließen. Von dort ist der Weg zur Beobachtung des Verfassungsschutzes und seiner Aktivitäten nicht mehr weit.

FA!: Dazu gibt es ja derzeit in Leipzig die Ausstellung „Versagen mit System“. Was war eure Motivation dabei?

FKR: Der NSU-Skandal hat seit November 2011 das völlige Versagen des Inlandsgeheimdienstes, der ja eigentlich ein Frühwarnsystem für die Demokratie in Deutschland sein will, offenbart. Doch trotz der schrecklichen Verstrickungen von V-Leuten in den Skandal, dem Unvermögen des Dienstes das rechte Terrornetzwerk zu enttarnen und der Behinderung der Aufklärung durch Öffentlichkeit und Justiz, scheint es, als würden die VS-Ämter gestärkt aus der Affäre hervorgehen.

Gleichzeitig ging der VS in den letzten Jahren verstärkt gegen linke Strukturen vor, die in den jährlichen Berichten unter Extremismusverdacht und damit ins politische Abseits gestellt wurden. Viele Initiativen und Einzelpersonen mussten sich vor Gericht erstreiten, nicht mehr vom VS heimlich beobachtet und öffentlich diffamiert zu werden.

Als wir Ende des Jahres 2012 auf eine Podiumsdiskussion eingeladen wurden, auf der der sächsische VS-Präsident seine Ideen von Einsätzen seiner Behörde in der politischen Bildungsarbeit erläutern wollte, hatten wir das Gefühl, dass wir ein Zeichen setzen wollen, dass auch außerhalb akademischer Diskurse wahrgenommen wird. Ein Geheimdienst hat in der politischen Bildungsarbeit nichts zu suchen. Damit war die Idee für eine Ausstellung geboren.

FA!: Und was erfährt man in der Ausstellung?

FKR: Die Ausstellung beleuchtet auf 20 Tafeln in sechs thematischen Abschnitten die Ursachen und Hintergründe für Versagen des Verfassungsschutzes, nicht nur im Fall NSU. Wir zeigen anhand einer Vielzahl weiterer Skandalfälle, die bis in die 1950er Jahre zurückreichen, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst für die Demokratie sehr viel Schaden angerichtet hat. Zusätzlich zur Entstehungsgeschichte erläutern wir die problematischen Aspekte an der Verquickung von Geheimdienst und politischer Bildungsarbeit und dem V-Leute-System.

FA!: Die Ausstellung ist in Leipzig ja nur noch bis zum 13. März zu sehen. Wie geht es jetzt damit weiter?

FKR: Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert. Sie war vor Leipzig bereits in Hamburg und Berlin zu sehen. Als nächstes stehen Orte in Sachsen-Anhalt, Bielefeld und Lüneburg auf dem Plan.

Wir werden im Laufe des Jahres auch noch mehr Begleitmaterial zur Ausstellung erarbeiten. Das kann dann auch auf unserer Webseite zur Ausstellung herunter geladen werden: vs-ausstellung.tumblr.com

FA!: Danke für das Interview.

„‚Religion ist Scheiße‘-Rhetorik nervt“

Interview über Christlichen Anarchismus

FA!: Hallo, Sebastian Kalicha. Du hast ja Ende 2013 ein Buch zum Christlichen Anarchismus im Verlag Graswurzelrevolution herausgegeben. Was hat dich motiviert, ein derartiges Buchprojekt in Angriff zu nehmen?

SK: Ich komme aus der nicht-religiös anarchistischen Ecke und verstehe mich gleichzeitig als gewaltfreien Anarchisten. Durch meine Beschäftigung mit verschiedenen Traditionen des gewaltfreien Anarchismus stieß ich relativ früh notgedrungen auch auf Leo Tolstoi, der ja einer der bekanntesten gewaltfreien Anarchisten ist, dies dabei jedoch christlich begründet. Von da aus habe ich mich weiter und intensiver mit christlich-anarchistischen Theorien und Ideen – auch fernab von Tolstoi – beschäftigt und begann mich mehr und mehr dafür zu interessieren; wohlgemerkt ohne selbst gläubig zu sein. Gleichzeitig wurde mir auch schnell bewusst, dass christlich-anarchistische Literatur im deutschsprachigen Raum nur sehr spärlich gesät ist und man, will man sich näher in das Thema einlesen, relativ rasch auf fremdsprachige Bücher und Artikel angewiesen ist. Daher kam die Motivation, einen aktuellen Sammelband zum Thema für eine deutschsprachige LeserInnenschaft zusammenzustellen, um dieses Defizit zu beheben.

FA!: Wer sollte dein Buch lesen, und was kann der_die Leser_in inhaltlich von deinem Buch erwarten und erfahren?

SK: Zuallererst hoffe ich, dass das Buch ein Beitrag ist, um den christlich-anarchistischen Diskurs zu verbreitern und zu intensivieren. Daher hoffe ich, dass der Sammelband für die kleine Gemeinde der christlichen AnarchistInnen im deutschsprachigen Raum von Interesse ist. Desweiteren gibt es eine Reihe progressiver christlicher Strömungen wie die Theologie der Befreiung, Religiöser Sozialismus, die christliche Friedensbewegung, etc., bei denen es bestimmte Überschneidungen zum christlichen Anarchismus gibt. Auch für VertreterInnen dieser Richtungen ist das Buch hoffentlich von Interesse. Es ist aber auch ein Buch, das sich sowohl an eine nicht-religiös anarchistische, als auch an eine nicht anarchistische, christlich-religiöse LeserInnenschaft bzw. an TheologInnen richtet. Bei beiden Lagern stößt man immer wieder auf Ablehnung oder Skepsis wenn der christliche Anarchismus zur Sprache kommt, was ich für bedauernswert halte. Es geht hier darum den christlichen Anarchismus wieder verstärkt ins Gespräch zu bringen, Vorurteile abzubauen, reflexartige Schnellschüsse zu vermeiden und Pauschalurteile durch differenzierte Betrachtungen zu ersetzen. Diese Berührungsängste zwischen Anarchismus und Christentum sind, wenn man sich der Thematik von einer bestimmten Richtung her nähert und die inhaltlichen Schnittmengen analysiert, meiner Ansicht nach unbegründet.
Inhaltlich ist der Sammelband als Einführung in den christlichen Anarchismus konzipiert. Er beinhaltet einen generellen Überblick über christlich-anarchistische Thematiken und eine Diskussion zum Verhältnis von Anarchismus und Christentum, Beiträge, die sich mit einer anarchistischen Lesart und Interpretation der Bibel beschäftigen, Reflexionen zu christlich-anarchistischem Aktivismus sowie Porträts bedeutender christlicher AnarchistInnen. Jacques Ellul, dessen Buch Anarchie et christianisme (Anarchie und Christentum) behandelt wird, ist einer davon. Weiterhin werden Dorothy Day und Ammon Hennacy von der Catholic-Worker-Bewegung vorgestellt. Peter Chelchicky, ein Frühreformator und „Ketzer“ der im Tschechien des 14./15. Jahrhunderts lebte, wird ebenfalls porträtiert und dessen christlich-anarchistische Dimension diskutiert.

FA!: Dieses Sammelwerk verdeutlicht ja vor allem, dass christlicher Glaube und Anarchismus nicht zwangsweise ein Gegensatz sind, sondern, dass es auch Anarchist_innen gab und gibt, die beides miteinander verbinden können. Wo siehst du die Schnittstellen zwischen christlichem Glauben und anarchistischem Denken? Was haben beide gemein?

SK: Ich kann das hier nur ansatzweise und stichwortartig erörtern und es gibt natürlich auch innerhalb der christlich-anarchistischen Bewegung immer wieder unterschiedliche Meinungen und Ansätze. Prägnant auf den Punkt gebracht würde ich sagen: Christliche AnarchistInnen gehen prinzipiell davon aus, dass das, was im Evangelium geschrieben steht und was uns von Leben und Wirken Jesu überliefert ist, unter den politischen Vorzeichen von heute am ehesten mit „Anarchismus“ beschrieben werden kann. Dabei finden wir laut christlichen AnarchistInnen im Evangelium alles, was auch den „klassischen“ Anarchismus ausmacht: eine Kritik und Ablehnung von Klassenstrukturen und unterdrückerischen Herrschaftsformen; eine egalitäre und inklusive Alternative dazu; eine Ablehnung von Gewalt, Zwang und Machtausübung; eine Anprangerung ungerechter und ausbeuterischer ökonomischer Verhältnisse und der Versuch diese zu überwinden. In diesem Sinne ist es nur konsequent und logisch, dass die erste Bewegung, die sich direkt auf all das berufen hat, in der Apostelgeschichte in einer Art beschrieben wird, die uns AnarchistInnen sehr bekannt vorkommen und sympathisch sein müsste: „Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.“ (Apg 2,44-45) Und weiter zur Gütergemeinschaft in dieser sog. Urgemeinde: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.“ (Apg 4,32) Viele sehen also in diesem Idealzustand, das in der Bibel als „Reich Gottes“ bezeichnet wird, letztendlich eine Entsprechung zur „Anarchie“ von der die AnarchistInnen reden. In diesem Sinne meinte Nicolai Berdyaev bereits: „Das Reich Gottes ist die Anarchie.“

FA!: Ich habe den Eindruck, dass die theoretischen Ansätze und die (wenigen) Aktivist_innen, die sich als christliche Anarchist_innen verstehen, in der anarchistischen Szene wenig Bedeutung erfahren, mitunter sogar tabuisiert werden. Weil es viele Anarchist_innen gibt, die sagen, dass der Gottesglaube prinzipiell nicht mit der anarchistischen Idee vereinbar ist, fällt es gläubigen Politaktivist_innen entweder schwer sich als anarchistisch denkend zu beschreiben, oder sie verbergen weitestgehend ihren Glauben in ihrer politischen Aktivität. Woher kommt dieser weitverbreitete Gedanke an die Unvereinbarkeit? Und wo siehst du Grenzen zwischen christlichem Glauben und anarchistischem Denken?

SK: Woher dieser weitverbreitete Meinung nach Unvereinbarkeit zwischen Anarchismus und Christentum kommt ist für mich insofern eher schwer verständlich, da selbst in den anarchistischen „Klassikern“ von Kropotkin über Rocker und de Cleyre bis hin zu Bookchin und Woodcock ein sehr differenziertes Bild des Christentums aus anarchistischer Perspektive gezeichnet wird. Da wird natürlich einerseits von den unterdrückerischen und reaktionären Ausformungen dieser Religion (zumeist im Sinne der institutionalisierten Form dieser) geschrieben, die ja unleugbar existierten und auch weiter existieren. Diese Ausformungen werden auch von christlichen AnarchistInnen heftig kritisiert, weshalb es in dieser Frage ohnehin keinen Unterschied zu den nicht-religiösen AnarchistInnen gibt. Gleichzeitig wird aber auch stets betont, dass dies nur eine Seite der Medaille ist und dass es im Christentum, um es mit Kropotkin zu sagen, „ernstzunehmende anarchistische Elemente“ gibt. Es ist wichtig, dies zur Kenntnis zu nehmen. Diese anarchistischen Elemente finden aber leider eher wenig Beachtung und werden gerne im Zuge einer fundamentaloppositionellen Haltung gegenüber Religion schlicht ausgeblendet. Grenzen in dem Sinn wie ich sie verstehe sehe ich daher nicht wirklich. Ich würde sagen, dass es Sinn macht klarzustellen, dass die historischen und ideengeschichtlichen Wurzeln des Christentums und des Anarchismus natürlich andere sind und es von daher falsch wäre zu sagen, Anarchismus und Christentum seien im Grunde genommen das gleiche. Auch die Frage des Glaubens ist letztendlich eine, wo sich klarerweise Unterschiede auftun können. Das rechtfertigt meiner Ansicht nach aber nicht das Aufziehen von undurchlässigen Grenzen oder dergleichen. Wenn gläubige und nicht-gläubige AnarchistInnen in einen Diskurs treten, halte ich es vor allem für wichtig, dass das Ganze polemikfrei und mit gegenseitigem Respekt von statten geht. Reflexartige und polemische „Religion ist Scheiße“-Rhetorik geht mir eher auf die Nerven.

FA!: Was waren für dich persönlich in der Beschäftigung mit dem Thema die beeindruckendsten Erkenntnisse, die du mitgenommen hast?

SK: Als jemand, der klassisch katholisch sozialisiert wurde, ist eines der beeindruckendsten Dinge beim christlichen Anarchismus für mich die anarchistische Lesart und Interpretation der Bibel, die anarchistische Exegese, aber auch historische Fragen zu dieser Zeit, in der sich diese Geschichten, von denen wir in der Bibel lesen, abspielten. Dieser Zugang ist auch hilfreich, das Geschriebene anders einordnen zu können. Aber nicht einmal ein explizit anarchistischer Zugang ist notwendig, um das Offensichtliche feststellen zu können: Das Evangelium ist ein Text, der sich radikal auf die Seite der Marginalisierten, Armen, Ausgestoßenen und Subversiven stellt, die gegen die Mächtigen aufbegehrten und Ungerechtigkeiten anprangerten. Wenn das Ganze dann noch mit anarchistischen Theorien in Verbindung gebracht wird, ist es noch spannender. Das ist es, was den christlichen Anarchismus ausmacht und so beeindruckend für mich macht.

FA!: Was gibt es darüber hinaus für inhaltliche Aspekte beim Christlichen Anarchismus, die wichtig bei der Auseinandersetzung mit dem Thema sind und die nicht vergessen werden sollten?

SK: Ein Aspekt, der mir wichtig und interessant erscheint, ist die Frage zum christlich-anarchistischen Aktivismus. Wie können christliche AnarchistInnen aktiv werden, um gegen Ungerechtigkeiten anzukämpfen angesichts der bekannten Maxime: „Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ (Mt 5,39) Vor allem Tolstoi hatte diesen Aspekt stark betont und schrieb viel über Nicht-Widerstand in diesem Sinne. Gleichzeitig gibt es viele christliche AnarchistInnen, die sehr wohl für sich in Anspruch nehmen, aktiven gewaltfreien Widerstand zu leisten, ohne dabei unchristlich zu handeln. Christlich-anarchistische AktivistInnen gehören mitunter zu den mutigsten und radikalsten, die mir je begegnet sind. Die verschiedenen Interpretationen und Diskussionen zu diesem Thema sind sehr spannend.

FA!: Wie war eigentlich die bisherige Resonanz auf das Buch und/oder wie haben die Leute in deinen Lesungen und Veranstaltungen zu dem Thema reagiert?

SK: Die Resonanz war gut. Ich habe Lesungen sowohl in eher nicht-religös anarchistischen, als auch in eher christlich-theologischen Rahmenbedingungen gemacht und von beiden Seiten kamen überwiegend positive Rückmeldungen. Auch die Rezensionen waren gut bislang. Teils hatte ich bei Veranstaltungen auch das Gefühl, dass die anarchistische Szene weit weniger zu einer strikten Anti-Haltung was Religion anlangt tendiert, als ich das zuvor angenommen hatte. Das freut mich natürlich.

FA!: Vielen Dank für das Interview!

momo

Die Häuser denen, die in ihnen wohnen!

Mietkampf in der Kochstraße

In vielen Teilen der Städte werden Menschen durch Modernisierung oder sogenannte Viertelaufwertung aus ihren Wohnungen verdrängt. Mit welchen Mitteln die Modernisierer dabei vorgehen und dass man auch etwas dagegen tun kann, zeigt das Beispiel der Kochstraße 114 in Leipzig.

FA!: Wie ist eure derzeitige Situation?

Es wohnen noch drei Mietparteien von zwölf in der Kochstraße 114. Alle drei sind auf Räumung und Herausgabe verklagt, zwei Prozesse sind in erster Instanz zu unseren Gunsten entschieden worden, der dritte läuft noch. Der Vermieter hat in den beiden für ihn verlorenen Prozessen Berufung eingelegt, die Termine dafür stehen noch nicht fest. Am Haus und in den Wohnungen wird nichts gemacht.

FA!: Könnt ihr uns eine kurze Chronologie der Ereignisse geben?

2008 hat die Stadtbau AG dieses und das Nachbarhaus gekauft. Erst mal gab es keine Änderungen, außer einem auffälligen Geiz bei Reparaturen und Wartungen. Es folgte eine erste Mo­dernisierungsankündigung: Balkons, abwaschbare Fensterbänke, neue Fenster (obwohl das Haus teilsaniert ist und neue Fenster hat) und die Heizung sollten die Miete verdoppeln. Das war Anlass für die anderen neun Mietparteien freiwillig auszuziehen. Es wurde nichts modernisiert. 2010 wurden dann Selbstnutzer im Haus rumgeführt, eine bewohnte Wohnung wurde als frei im Internet angepriesen. Mit uns wurde erst geredet, als wir beim Amt für Stadtentwicklung nachfragten, was eigentlich los ist.

Von der Stadtbau AG wurde uns gegenüber nun der Wunsch geäußert: wir mögen doch ausziehen („erst mal ohne Eigenbedarfs- oder Verwertungskündigung“), den Umzug würde ja das Amt bezahlen. Welches Amt sie meinten, sagten sie nicht. Sie gingen aber wohl davon aus, dass wir alle Empfänger von Leistungen nach dem SGB II (sog. Hartz IV) sind. Wir sagten, dass wir nicht ausziehen wollen. Nach einer Weile ließ der Besucherstrom der Selbstnutzer nach, wir wussten nicht warum.

Wir erhielten eine zweite Modernisierungsankündigung, die im Wesentlichen eine Kopie der alten mit nach oben angepassten Mietpreisen war. Es wurde nichts modernisiert. Ein Schlüsseldienst überraschte eines Morgens damit, die Wohnungsschlösser austauschen zu wollen, also auch der noch vermieteten Wohnungen, zum Glück waren wir zu Hause. Der Dachboden musste beräumt werden, das Betreten des Hofes wurde verboten. Im Treppenhaus wurde nach alten Malereien gesucht, um in den Genuss von Denkmalpflegeabschreibungen zu kommen, da das Haus bisher keinen Denkmalstatus hatte. Es wurde sehr intensiv teilweise auch Unterputz gesucht und der anfallende Schutt einfach liegengelassen und auch auf Aufforderung nicht weggeräumt. Die Beseitigung mussten wir dann übernehmen. An einem Samstag wurden dann die Öfen der leeren Wohnungen abgerissen und einfach aus dem Fenster auf den Hof geschmissen, was Leute aus den Nachbarhäusern durch die Polizei beenden ließen.

Am 2.12.2011 erfolgte eine Kündigung, da die Wohnungen zu klein wären und einer wirtschaftlichen Verwertung entgegenstünden (die kleinste ist 53m²). Es folgten die Klagen auf Räumung Mitte 2012 und ihre Abweisung. Das Betreten des Hofes wurde dann erneut verboten, da ein Risiko bestünde, obwohl der Anwalt der Stadtbau AG/ Rubin24 gesagt hatte, dass keine Bauarbeiten stattfinden. Nun soll ein kleiner alter baufälliger Schuppen dafür herhalten, dass wir den gesamten Hof nicht mehr nutzen dürfen. Am Ende wurde die Hoftür zugemauert. Das dient nur dazu uns zu zermürben, aber damit werden sie keinen Erfolg haben.

FA!: Wie wehrt ihr euch dagegen?

Juristisch natürlich, wir haben einen sehr engagierten Anwalt, alle denselben, so dass es schwieriger wird uns gegeneinander auszuspielen. Keine und keiner sollte unterschätzen, wie anstrengend es werden kann. Wir wehren uns nun schon seit fünf Jahren gegen unsere Vertreibung aus dem Haus und versuchen, die Vorgänge öffentlich zu machen. Kann ja nicht sein, dass dieselbe Stadtbau AG so prestigeträchtige Projekte wie die Leipziger Markthalle realisiert und das Geld dafür aus ihren Mieter­Innen herauspresst oder Geschäfte auf deren Rücken macht!

FA!: Beratet ihr euer Vorgehen gemeinsam? Wie seid ihr organisiert?

Wir wohnen im selben Haus:-) Ja, wir versuchen alle anliegenden Probleme gemeinsam zu besprechen und auch zu lösen. Das ist manchmal nicht einfach, aber wir lernen dabei eine ganze Menge, was uns auch anderweitig nutzen kann.

FA!: Habt ihr Unterstützung? Von wem, in welcher Form?

Unser Anwalt ist eine große Hilfe, auch die Linkspartei in der Gegend kennt das Problem und hilft uns, Öffentlichkeit zu haben. Teilweise bekommen wir auch Unterstützung vom Mieterverein, der ist zwar nicht optimal, aber besser als gar nichts. Und jetzt hoffentlich auch von anderen MieterInnen, die von Verdrängung betroffen sind.

FA!: Gibt es eine Betroffenen-Vernetzung (über euer Haus hinaus)? Was versprecht ihr euch davon?

Wir fangen gerade damit an, Treffen einiger betroffener Häuser aus Leipzig zu organisieren, die regelmäßig stattfinden sollen. Da es bisher nur ein Treffen gab, kann man dazu wenig sagen, außer dass es ein Interesse gibt und der Austausch allein schon für das Gefühl wichtig ist, nicht allein zu sein. Im Moment sind ca. zehn Wohnhäuser und eine ganze Reihe von EinzelmieterInnen dabei.

FA!: Was wünscht ihr euch?

Dass wir in „unserem“ Haus zu vernünftigen Mieten weiter wohnen können. Wäre schön, wenn es eine Heizung gäbe, auch wenn wir dann etwas mehr bezahlen müssten. Und weiter, dass sich die Menschen in der Stadt nicht mehr so einfach vertreiben lassen, wie das z.B. mit unseren ehemaligen Nachbarn der Fall war. Und alle sollten darüber nachdenken, ob sie die Häuser, in denen sie wohnen, nicht selber erwerben und so dem Wohnungsmarkt entziehen. Dazu gäbe es eine Menge zu sagen. Und das ist gar nicht so schwer wie es scheint.

FA!: Wie kann man euch unterstützen?

Wir werden demnächst Veranstaltungen organisieren, da könnt ihr hinkommen und euch beteiligen. Sicher gibt es in absehbarer Zeit auch Aktionen in der Öffentlichkeit. Viele der Handlungen der VermieterInnen geschehen ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit und wir wollen das etwas ändern.

FA!: Was ratet ihr Leuten in ähnlichen Situationen?

Wichtig ist, sich sehr zeitig zu kümmern und nicht zu warten bis die Kündigung auf dem Tisch liegt. Dazu gibt es zum Beispiel in Leipzig die Initiative „Stadt für Alle“. Die können dann weitere Hilfe vermitteln oder selbst helfen. Oder an den Mieterverein Leipzig wenden. Oder an uns und wir helfen Euch weiter.

FA!: Vielen Dank für das Interview.

Kontakt zu „Stadt für Alle“:
leipzig@fueralle.org

Lokales

Endlich Theater im Osten!

Initiative: Ost-Passage Theater im Entstehen

Ein Ort. Ein Gebäude. Viele offene Fragen. Enorm viel Arbeit. Kleinere und größere Sorgen. Eine spannende Suche. Ein sich entwickelndes Konzept. Verschiedene Persönlichkeiten, Mitwirkende. Unterschiedliche Meinungen, Geschmäcker, Vorlieben. Doch schließlich ein Konsens, eine Leidenschaft, auf der alles aufbaut: THEATER. Theater kann und muss so verschiedene Gesichter haben, wie die Gesellschaft aus unterschiedlichen Menschen besteht. Ein Theater, das sich an den Menschen orientiert, die um den Ort herum leben – den Nachbarn. Sie geben die Themen für die Stücke und bilden letztlich das Publikum. Ein Theater, das für die Nachbarschaft ausgelegt ist.

Nachbarschaftstheater eben. Das ist der Konsens der sieben Menschen, die in der Eisenbahnstraße aus dem alten Kinosaal im Gewölbedach über dem Aldi ein Theater machen, das neue Wege sucht: Das Ost-Passage Theater (OPT). Ich habe mich mit Zweien von den Sieben über das OPT unterhalten. Zuerst mit Matthias Schluttig:

Es geht um die Kunst

„Im Vordergrund stehen selbst erarbeitete Stücke, die von den Theatermachern des Hauses konzipiert und aufgeführt werden. 60% sollen sie im Spielplan einmal übernehmen. 40% sollen andere Gruppen, Künstler und auch Bands ausfüllen.“, stellt er sich vor. „Freiberuflich Theaterschaffende brauchen eine Struktur.“ Also gründet mensch ein eigenes Theater. Wobei die Kunst ebenso wichtig ist wie die Klientel, die Thema der Stücke sein soll. Eine Nische ist gefunden: Hier steht weniger das Ergebnis der Produktion im Vordergrund, als vielmehr der Prozess um die Theaterarbeit. „Die Theatermacher öffnen sich, probieren aus, geben viel Leidenschaft und Engagement rein. Aber sie nehmen schließlich auch immer etwas für sich wieder mit raus und lernen daran.“ Das OPT soll für Schluttig Soziokultur werden. Es geht nicht nur darum Kultur anzubieten, sondern auch das Publikum zu beachten und mit einzubeziehen – eben nicht nur als Publikum, sondern auch als Mitwirkende. So hat Schluttig schon einige Projekte initiiert und durchgeführt, die sich an bestimmte Zielgruppen (bspw. Arbeitslose) richtete.

Das inhaltliche Konzept wird intern stetig diskutiert. Aber Schluttig sieht das entspannt: „Gerade wird an vielen Ecken gleichzeitig gearbeitet. Das muss man dem Flow überlassen.“ Jetzt wird viel organisatorisches Geschick verlangt. Da ist es schwierig erst darauf zu warten, bis die Gruppe das inhaltliche Konzept ausformuliert hat. „Deswegen wird der Spielplan zu Anfang wahrscheinlich sehr projektorientiert sein – aus rein pragmatischen Gründen.“

Außerdem ist der Gruppe wichtig, dass das Konzept für neue Ideen offen bleibt. Somit kann es kein Ausschlussverfahren geben, bei dem es heißt: „Diese oder jene künstlerische Form wird es im Ost-Passage Theater nicht geben.“

Was ist das für ein Ort?

Der gefundene und perfekt erscheinende Ort ist ein alter Kinosaal – oder vielmehr die Schillerdecke desselben. „Wenn man da drin steht, sieht es aus wie in einem umgedrehten Schiff. Ein Schuhkarton mit Wölbung.“, beschreibt Schluttig den Raum begeistert. Es ist ein Aufführungsraum. Eine Unterteilung in mehrere kleine Probebühnen wird es nicht geben. Das beeinflusst natürlich auch den Spielplan. Für mehrere Projekte gleichzeitig sind die Probemöglichkeiten nicht vorhanden. „Mensch wird sich reinteilen müssen. Die Kapazitäten strukturiert nutzen.“

Die Idee, ein eigenes Theater als Nachbarschaftstheater zu gründen, bestand schon lange. Vor zwei Jahren fing dann die aktive Suche nach einem geeigneten Objekt an. Doch schließlich war es – wie so oft – der Zufall, der die Gruppe auf den alten Kinosaal brachte. Schluttig ging regelmäßig an dem Gebäude vorbei. Er wurde schließlich neugierig: „Da muss was drunter sein, unter diesem Kuppeldach.“ Er recherchierte, ob der Saal noch zu haben sei, wer ihn besitze und ob Möglichkeiten bestünden, das Objekt zu nutzen. Zuerst sah es leider gar nicht gut aus, da von der Volkssolidarität geplant wurde in dem Raum eine Art Seniorenzentrum zu integrieren. Doch der Plan scheiterte durch die unterschiedlichen Interessen von Stadt, Eigentümer und Volkssolidarität. Und so begannen also für das OPT die Verhandlungen mit dem Besitzer. Auch diese erwiesen sich leider immer wieder als schwierig. Denn „der ist natürlich Kapitalist, nicht einer von den ganz Schlimmen, aber dennoch mit gewissen Interessen.“ Trotzdem ist er der Idee gegenüber offensichtlich aufgeschlossen, obwohl bekannt ist, dass Theater nicht viel Geld einbringt. Schließlich befinden sich die beiden Parteien seit etwa zwei Wochen in der „heißen Phase“: Die Gespräche zur Nutzungsvereinbarung laufen und befinden sich im Endspurt. (Anm. d. Red.: Inzwischen sind die Nutzungsverträge unterschrieben und die Schlüssel wurden ausgehändigt) Somit steht einer inoffiziellen Eröffnungsparty für Freunde des OPT nichts mehr im Wege. Bis das Theater aber offiziell den Einlass öffnen kann, wird es noch dauern. Denn das Brandschutzkonzept ist noch nicht abgesegnet.

Aber Schluttig ist erfreut über die Resonanz, die die Gruppe jetzt schon bekommt. Obwohl sie doch noch gar nicht offiziell werben können. Menschen aus der Nachbarschaft kommen neugierig und aufgeschlossen auf die Gruppe zu. Außerdem bietet sich der Osten als Standort sehr gut an. Der Kiez entwickelt sich gerade besonders stark: „Das kann in Zukunft wie Plagwitz oder Schleußig werden. Und schließlich sind wir die ersten, die den alten Kinosaal entdeckt haben.“ Wie es sich entwickeln wird steht in den Sternen – auch das muss mensch dem Flow überlassen. Von dieser Gruppe, die einen ganz neuen Ansatz versucht und gleichzeitig ein so offenes Konzept hat, will ich noch eine Perspektive kennenlernen. Eine Ahnung davon bekommen, was das Ost-Passage Theater ist. Also habe ich mich mit Verena getroffen. Sie ist noch gar nicht so lange in der Gruppe aktiv, dafür aber schon stark involviert.

„Wir brauchen ein Theaterhaus, eine Spielstätte, um das Theater von der Hochkultur runter zu holen!“

Das ist Verenas Vision und Ansatz, warum sie sich für das Ost-Passage Theater engagiert. Sie sieht sehr viel Potenzial in der Idee „das Theater, aus einem soziokulturellen Blickwinkel betrachtet“ weiterzuentwickeln. „Gerade in Leipzig! In der Stadt wo Gentrifizierung ein großes Thema und gerade heute sehr stark erfahrbar ist.“ Verena denkt daran, wie sie einen Jungen kennengelernt hat, der wegen Mobbingerfahrungen nicht mehr zur Schule geht, sich dafür aber im soziokulturellen Wohnprojekt Erythrosin engagiert. Solchen Menschen soll das Theater auch eine Anlaufstelle bieten – ein neuer Ansatz für das Theater, dafür aber „kein Hipstergehabe“. Außerdem hat sie selbst als Jugendliche erfahren, wie hilfreich Theater für sie war, aus einer belastenden Lebenssituation herauszufinden. Sie gewann dadurch wieder Struktur und auch Freude am Alltag, das Leben ging wieder leichter.

„Leider gibt es ein Überangebot!“

Verena macht gerade ihren Master in Kulturwissenschaften. Mit dem OPT verbindet sie neben dem Spaß am Engagement auch eine Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Denn das ist sehr schwer: „Gerade in Städten wie Leipzig gibt es zig Theater, Schauspielgruppen und andere Möglichkeiten in Vereinen oder Clubs aktiv zu sein. Trotzdem und auch gerade deswegen braucht es neue soziokulturelle Projekte.“ Mensch muss an Problempunkten ansetzen. Es gibt einige solcher Projekte in Leipzig. Aber Theater wird selten angeboten, insbesondere mit einem solch stark künstlerischen Anspruch. Dabei ist die aufklärerische Arbeit und das Verständnis für die künstlerische Arbeit und für die Menschen, die Nachbarn, die damit unweigerlich verbunden sind, ebenso wichtig! Elemente des Streetworks sind also unabdingbar. Aber auch der künstlerische Prozess soll nicht zu kurz kommen! Verena versteht das OPT auch als einen Experi­mentierraum für Künstler. „Der kreative Prozess soll und muss gefördert werden!“ So will sie beispielsweise auch Schriftstellern Raum geben – eine Gruppe, die sehr wenig Aufmerksamkeit bekommt, gerade im Theater. Verena verspürt ein starkes Bedürfnis, aus einem sozialen Aspekt heraus künstlerisch-kulturell tätig zu sein. Darin steckt ein großes Potential: „Es sollen gemeinsame Lernprozesse über Kunst und Gesellschaft im links-politischen Rahmen entstehen.“, wünscht sie sich. „Das konventionelle Regietheater wird hinterfragt, wodurch Denk- und Handlungsstrukturen aufgebrochen werden. Neue Möglichkeiten und Alternativen werden gefunden und ausprobiert, die dem Bisherigen entgegengesetzt werden.“ Gerade neue Formen, wie beispielsweise die Performance, müssen eine Chance bekommen! Dabei bleibt aber das Konzept ungenau, das Detail fehlt: „Es muss schwammig sein! Ansonsten besteht ja die Gefahr des Ausschlusses!“ Dabei ist sie sich sicher, dass es verschiedene Gruppen mit verschiedener Ausrichtung geben wird. „Inwiefern diese aber miteinander Kooperationen eingehen, wird sich entwickeln und entwickeln müssen.“ Neben den Tätigkeiten im organisatorischen Bereich und Management will sie auch als Darstellerin in der Theater-gruppe tag, die diese Bühne nutzen wird, aktiv sein.

„Die Leute, die das Theater gerade aufbauen, kommen aus verschiedenen Richtungen. Das ist viel wert!“ Stark Theorieverhaftete sind ebenso vorhanden wie die Praxisorientierten. Und gerade das macht den Reiz der Gruppe aus. Hier zeigt sich nochmals: Es kann kein fertiges Konzept geben! „Das OPT ist wie ein roher Speckstein. Bei dem jeder und jede eine Feile hat und ein wenig dran arbeitet. Es kann jeder mitmachen. Zwischenzeitlich legt der eine oder die andere seine Feile mal zur Seite, jemand nimmt die Arbeit an anderer Stelle wieder auf. Wie die Form letztlich aussehen wird, ist ungewiss. Nur eines ist sicher: Schließlich soll ein Theaterhaus daraus geformt sein.“

Zwei Gespräche, die mir die Idee des OPT näher gebracht haben. Ich bin schon sehr auf den Moment gespannt, wenn es hinter den Kulissen heißt: „Alle Schauspieler zur Bühne, bitte! Noch fünf Minuten zum Vorstellungsbeginn! Noch fünf Minuten! Alle Schauspieler zu Bühne, bitte!“ Und vor den Kulissen: „Wir bitten Sie Ihre Handys nach der Vorstellung wieder einzuschalten.“ – obwohl: Wird es solch konventionelle Sätze in einem Theater wie dem Ost-Passage Theater überhaupt geben?

Vogel

Lokales

Interview with Anarchist Black Cross Belarussia

The Interview was conducted by three activists from Leipzig and the one activist from Belarussia doing the “Belarus Info & Solitour” in April 2013. It was held in the style of an open discussion. I means Interviewers, A means Activist (Belarussian)

A: I would prefer not to speak about myself. I can tell you about the Anarchist Black Cross (ABC) though.

I: What is your personal opinion about your situation in Belarus right now? I mean, not as the ABC but as you, as an anarchist, who is seeing whats happening in your city.

What IS happening, what is not happening and what is your personal opinion?

A: In general in Belarus, the political situation and the situation of society is quite depressing.

People are not politically active at all. It’s not only about political actions or in anarchist case trying to boycott the action, it’s about everything. … A nuclear power plant is being built. No one likes it, but no one …

I: But people are gathering, they meet and talk about it? In a Bar, for example, they would talk about it, would they?

A: Sometimes, but also in everyday life a lot of people simply … when you start to speak about something political, they simply go away or say: „Please don’t put even more stress on us.“ In the Soviet Union times, people spoke about politics in the kitchen. Now, they prefer not to speak about it even in the kitchen.

I: Why do you think that is? Are they scared of repression?

A: Partly. They are scared of repression, surely, but many people are also disappointed by what had happened in the 90’s. It turned out that all these people, who were in power were corrupted of course and the ones not in power, they were sometimes really strange and what they were proposing as an alternative was not an alternative.

I: You were talking about the Opposition?

A: The problem of the opposition is not so much the indifference to the program of Lukaschenka, that’s maybe one of the points. I understand that people do not participate in party-politics, but I’m really frustrated that people will not participate in everyday politics, in the life of their street, fight against environmental rollbacks, they do not fight against privatization of commons. It’s still ongoing, like with water and electricity, there are some public enterprises which are to be privatized. It will be bad for workers. Private companies will cut their wages and fire people and so on.

But workers are also quite early – the workers are a kind of okay, because they tried to organise …

I: But you say you are frustrated about it, do you think that there are options, to do something about the situation?

A: I think there are quite a lot of options, but obviously not so many people are using these options.

I: So what kind of options are there?

A: Like, freedom of speech, in a very abridged version, is still existent. So you can talk about whatever, over the internet or in the streets, to people, or make or attend some public events. Sometimes police will attend these public events, will take passport data from people or secret service will call, authorities will call the organizers…

I: And will they record what you are doing?

A: Most often they will do everything they can to cancel the event. But still it’s possible to make some useful events, it’s possible to make some kind of independent media, or campaign. It’s possible to campaign for these or that cause, it’s possible still to go to court trying to get, not justice actually, but public attention for your case. And even some small legalistic stuff is working. Also what is working is street protest. In some cases, when it’s not organised by, what i’d call „traditional opposition“, but by some local communities, authorities are afraid to just dissolve it (the protest) in a moment. Also people can demand from local organizations, then local organizations have to deal somehow with it and normally it really changes that situation.

There are some changes, but they are not enough for me. There are different social movements but they are not so numerous.

I: So you speak about social movements, are there other social movements in Belarus, not Anarchist possibly?

A: I perceive quite positively the environmentalists, they are an environmental group, they are not militant, they are quite peaceful but they are very strict on defending what they see is right, what they think is right. Now we have for example a strong campaign to defend our peetlands. The peetlands are still half alive, like half of them are still there to this time and there are now plans to drill oil in the peetlands. Environmentalists are opposed to this and I wish them success.

They intend to dry these peetlands to…

I: To harvest the resources, right? German: Sie legen das Gebiet trocken um den Torf abzubauen und zerstören damit das Naturschutzgebiet (peetlands). So people are active against that kind of thing, I would like to ask: Are they organized, like in a group so they can publish things, so that people from different areas of Belarus can support that campaign?

A: Yeah, unfortunately, many petitions in Belarus are online. These are official online petitions which are really sent, with enough signatures these are sent to the authorities. And you will get some reaction from authorities at least. And also like we have workers industrialization in Belarus, we haven’t had that before, there are different ministries which have conflicting interests. Even conflicts for those who govern and sometimes it’s possible to rollback some older decisions. The ministry of energy wants to … but the ministry of environment, which is heavily sponsored by the European Union, with international and United Nations, they try to, at least officially, have a nice face. They try to hide their face and they are a governmental project that can help us and sometimes can stop the other. But for other social movements it’s … well, now we have a „right to the street“ movement. Some are groups of locals who fight for their local parks, for this or that, quite often they are able to defend the green ground right next to their homes or a playground for children.

I: Are there also leftwing places or squats or something?

A: Unfortunately, no. The most leftwing open place in Minsk is an office of green party. There is also an office of a left party but it is not so open.

I: Communist, huh?

A: Post-communist, yeah. They are also anti-Lukaschenka and present themselves as democratic but they are, Post-Bresnevists, not Bresnevists anymore

I: Do you believe that more people are getting organized or that the movements are growing?

A: Sighs We have to do it by ourselves. Not only stand by while others organize. There are some alternative ways that some alternatives can go. Youth Clubs or something like this, but they are not numerous in Minsk and they are quite strictly … or gallerys, private art gallerys, there are some examples of non-governmental organizations as well which are quite friendly and it’s possible to organize events in their premisses. But there are also these cultural places which are really open and kind of accessible people, distance themselves from many things political. It’s possible to have a guest, a festival with some Bands, right or left political, but if political bands are playing … it’s possible maybe to organize an official benefit concert without saying your gathering money in these places but not something really political.

I: But to ask again: You say that it’s not possible because the government or the officials would cause trouble?

A: Yes.

I: Maybe we can talk a little bit more about the Anarchist Black Cross? Can you tell us why you (ABC) were founded, or something like that, a little bit about your group, do you suffer from a lot of repression ?

A: Okay, I have to make an official statement: I’m a speaker with a mandate from ABC Belarus but I am not part of ABC Belarus. And because I am doing this on legislation, ABC Belarus is, as a group, strictly underground. What I can say about ABC is, it is closed, like you can not just apply to be a member of ABC.

I: But, I don’t know, we will have the presentation later and a lot of questions will be answered than I think, but it’s a really difficult question. A week ago there was a group of people here from „Partisan Minsk“ which stated that they are clearly Anti-Fascist, maybe you can tell us something about the Anti-Fascist Situation in Belarus. Maybe about Minsk?

A: There are some cities and towns with clearly Anti-Fascist Movements, there is one town with about 7.500 inhabitants, that is almost 100% Anti-Fascist

I: Exclamation: Really? Good to hear that.

A: and since the middle of the 90’s, late 90’s, I heard some stories like on the way from Minsk to Briersk either Dynamo Minsk or Dynamo Briersk Hooligans arriving in a regional train and the train stayed there for some minutes there were some rumours that locals had gathered to beat up the Hooligans in the train.

I: That is happening in Belarus? This is amazing

A: It was some years ago. And the Belarussian Antifa-capitol is Grodna. They also have some local Fan support for one the local Teams…

I: It’s mainly related to football, as I see?

A: Now it’s related to football in many aspects, but there are also many Anti-Fascists, not Street Anti-Fa, but like, Anti-Fascist people who are not really into football. But anyway, everyone knows something about football, and anyway people have to organize and I have to recognize when I see stickers in a subway or in the streets, I have to realize whether these people are just football Hooligans or Nazis. The Nazi-scene is quite strongly connected to the football Hooligan scene. Antifa scene also, but also more distanced. So in Grodna, Grodna as a Antifa-Capital, it’s (Antifascism) not so related to football but in Minsk „Partisan“ Club really do whith it’s Fans a lot of work. And around the southern streets a lot of youngsters from football came to the Antifa and it became really much safer in Minsk in the sense that Nazis stopped attacking Punk Concerts because they knew that they’d be beaten anyways.

I: Seriously? That’s good to hear though!

A: And it’s even that at some point Nazis were no longer attacking the squat itself but just moving around the area, fishing for single people but later even this stopped because they knew that they will be beaten if they waited around. I almost never got into fights but I feel much safer on the streets now thanks to this.

I: And how is the situation with the police? Do they support, more or less, the fascist movements? Or do they fight them in the same way that they fight the leftist movements?

A: The secret service takes down nazis and gathers dossiers on them and then uses this against the Nazis to make them collaborate. And secret service in Belarus makes sure that Nazis do not make extremely violent crimes, like bombings or even if some group of nazis severely beats some migrants, mainly students. Sometimes Nazis attack them. If they are beaten so severely that they have to go to a hospital for several weeks, then Secret Service will put these Nazis into prison. Of course secret service and police are using Nazis against leftist and Anti-Fascists, they maintain this nazi-stuff at a certain level. And in (intelligible) Town for example, maybe it was organized by a secret service, Nazis attacked Anarchists walking in the Demonstration and there were various sound events and it looked like it was organized by secret service and police because there was no protection. Normally police heavily controls a demonstration but at this moment there were no riot cops at all around, which never happens in Belarus and riot police arrived maybe 5 minutes after the fight began, which for sure was organized by them.

I: You know in Germany there is the situation that in political groups we are always worried that there might come new people that are spies. Is this also happening in leftwing groups in Belarus?

A: Unfortunately, we have too many people who are like, really activists but cooperate with police and secret service after they were approached by someone.

I: So they pass on names and news and stuff?

A: Yeah, and so we are more into excluding those people and the anarchist movement is now quite splitted into small groups in different locations, not so many people are organized, not so many new people are coming and if they are coming they are first coming to public groups, a lot of which are quite open and nobody knows what they are really about. And afterwards they might do other stuff which is not so open, less official.

Police comes quite a lot to some of the events to take passport data from people.

I: I met some students from Belarussia but they said they had been sighted in a demonstration and because of that they lost the privilege to study in Belarussia, they had to study in Great Britain. Is that still happening?

A: It’s happening, not for many, but some.

I: Ok, so groups that are not existing officially like the ABC or Anti-Fascist groups, or groups like „Food not Bombs“ or environmental groups, or the last one, „right for street“? Is there even one of them that’s official? Because you mentioned the green party for example.

A: For Anarchists there is no official organization, some people go and become members of some environmental NGOs, some people become members of green party, like to protect themselves from harm. Yeah, but most people do the things they do just on behalf of their own.

I: What about Stuff to inform yourself, books, magazines and stuff? Is it possible to get this kind of things? The internet is probably the primary source?

A: It’s possible to download stuff from the internet, normally books come from some town or city from the people. But it’s impossible to sell books in Belarus. Some times in the bookstores you find Kropotkin und Bakunin, but it’s not possible to find contemporary anarchist books which are published nowadays, for instance Crimethinc stuff, which was published in Moskow, even if it is published officially. Mainly because the market is very small and partly because allmost all bookstores are afraid to sell anything political.

I: Maybe one last question: Is there any way we can support ABC from Germany after the tour is over?

A: … Maybe you can participate in the next demonstration in front of the Belarussian embassy in Berlin. Support you local comrades. … well possibly if you have a local ABC group, than you participate generally in an international network. International ABC Network is in the process of building itself, join this for sure.

I: I really hope that the tour that you guys did and do will be successful!

Repression

revolutionshop@craiova

In Craiova, im Süden Rumäniens, sind derzeit 10 bis 15 Leute dabei, einen Infoladen aufzubauen. Da es erst der zweite Infoladen dieser Art in Rumänien ist und diese Entwicklungen noch sehr jung sind, verdient es besondere Aufmerksamkeit. Wir wollten mehr darüber wissen und haben die Leute vor Ort besucht und ein Interview gemacht.

FA!: Erzählt uns etwas über eure Situati­on rund um den Infoladen. Habt Ihr Pro­bleme mit Polizei und Behörden?

Wir haben den Raum für den Infoladen seit fünf Monaten und sind sehr glücklich darüber, da wir keine Miete zahlen, son­dern nur Wasser und Strom. Es ist außer­dem sehr praktisch, weil er im Zentrum der Stadt liegt. Wir hoffen, dass wir viele Leute damit ansprechen und die Idee von einem anderen Leben und Denken rüber­bringen können.

Bisher haben wir keine Probleme mit Polizei und Behörden, da es noch kein ge­öffneter Raum ist und nur wenige Leute davon wissen. Im Moment ist es also o.k.. Nach der Eröffnung könnten wir mög­licherweise Probleme mit Polizei und Geheimpolizei bekommen, da schon jetzt Telefone abgehört werden und so zukünf­tige Aktionen schon im Vorfeld bekannt sind.

Solch ein Projekt wie der Infoladen ist neu in Rumänien. Es gibt nicht viele Akti­onen, daher auch nicht viele Probleme. Es ist wichtig zu sagen, dass Anarchisten ein schlechtes Image in Rumänien haben und es werden jede Menge Lügen über uns verbreitet, denn wir wer­den Stalinisten genannt, Drogen­dealer, wir würden die Schule schmeißen und nur Lärm auf der Straße machen.

FA!: Tragen auch die lokalen und natio­nalen Zeitungen zum schlechten Ruf bei?

Ja, wir haben große Probleme mit der Presse. Sie nennt sich unabhängig, holt ihre Informationen aber von Polizei, Regierung und einflussreichen Leuten. Interessant ist, dass die Geheimpolizei letztes Jahr auf ihrer Home­page einen Artikel über Anarchismus in Rumänien veröffentlichte, in dem sie wieder Lügen verbreiteten. Die meis­ten Zeitungen, lokale und nationale, druckten daraufhin genau denselben Arti­kel ab.

Generell schreiben die Zeitungen aber Gutes über unsere Aktionen, z.B. über „Food not Bombs" oder Demonstrationen. Aber sobald es um das Wort Anarchismus geht, schreiben sie wieder die schlechtes­ten Sachen. Dieselben Reporter schreiben also gut über unsere Aktionen und schlecht über unsere Idee. Sie wissen nicht was Anarchismus bedeutet.

FA!: Habt ihr Probleme mit Faschisten und Nationalisten in Craiova und in Ru­mänien?

Es gibt eine neue Gruppe mit dem Namen Noua Dreapte (N.D.; Neue Rechte), welche stark in Bukarest vertreten ist, aber sie haben Mitglie­der in allen größeren Städten. In Craiova ist die Antifaschis­tische Bewegung bisher immer größer gewesen. Es gibt vielleicht 5 bis 6 junge Faschisten, aber sie tun nichts und leben im Untergrund. N.D. machen viel Propaganda und bekommen große politi­sche Unterstützung von der Partei Romania Mare (Große Rumänische Partei, Anm.: nicht größte!). Sie helfen ihnen mit Geld. Der Präsident ist ein Stalinist und Hitlerist und schon zu Ceausescu-Zeiten aktiv gewesen und heute gut Freund mit Haider, Berlusconi und Le Pen.

FA!: Welche Art von Propaganda macht die N.D.? Gibt es Pogrome gegenüber Roma oder Juden?

Die Nationalisten sind in erster Linie gegen die Roma, aber auch gegen Juden, Homosexuelle und Ungarn (Anm.: Min­derheit in Rumänien). Letztes Jahr töte­ten Nazis in Timisoara einen Straßenjun­gen. In Bukarest sprühten Nazis an das jü­dische Theater „Arbeit macht frei“. Die Zeitungen reagierten auf die Ak­tionen, verurteilten den Inhalt jedoch nicht.

FA!: Ist die N.D. in der Regierung vertre­ten?

Nein, sie ist bisher nur eine Organisa­tion, möchte aber in naher Zukunft zu ei­ner Partei werden. Neben N.D. gibt es auch noch Blood and Honour in Rumä­nien. Sie sind verboten, haben aber seit ei­nem Jahr eine Internetseite mit viel Pro­paganda. Sie arbeiten aber nicht mit der N.D. zusammen.

FA!: Organisieren sie Konzerte oder an­dere Veranstaltungen?

Es ist nicht möglich für sie, weil sie keine Plätze und Orte dafür haben. Aber sie haben eine Band namens Comandorul Hoissan.

FA!: Wieviele Mitglieder und Sympathi­santen gibt es um die N.D.?

Einige hundert in ganz Rumänien. Ein großer Teil davon ist um das Fußballteam Dynamo Bukarest vertreten und es gibt auch einige Hooligans. Die Clubmanager unterstützen diese Entwicklung, so waren im Fernsehen bei Spielen Keltenkreuze und andere Flaggen zu sehen, obwohl diese illegal sind. Als sie in Craiova spielten, durf­ten wir dagegen mit unseren Flaggen „ge­gen Rassismus" nicht ins Stadion.

FA!: Gibt es Organisationen, Vereine oder Gruppen mit denen ihr zusammenarbei­tet oder von denen ihr Unterstützung er­hoffen könnt?

Vor 2-3 Jahren versuchten wir mit an­deren Gruppen zusammen zu arbeiten, aber die Geheimpolizei kam uns zuvor und sprach mit den NGO’s (Non Governmental Organisations / Nicht-Regierungs-Organisationen), dass sie nicht mit uns kol­laborieren sollten, weil wir Anarchisten wä­ren.

Einige NGO’s, z.B. Frauen- und Menschenrechtsgruppen, bekommen Geld vom Staat aber machen keine Aktionen. Daher kennt sie auch niemand in Rumä­nien. Als wir am ersten März die Antikriegsdemo veranstalteten, fragten wir bei. einer Menschenrechtsorganisation nach Unterstützung für die Anmeldung, aber sie sagten das wäre weder ihr Aufgabenfeld noch ihr Geschäft. Gute Zusammenarbeit findet mit der Gruppe aactivist aus Timisoara statt. Wir arbeiten sehr eng zu­sammen. Über Bukarest, die „anarchist aktion", wissen wir nichts. Und dann gibt es noch in kleineren Städten einige Leute zu denen wir Kontakt haben.

FA!: Habt ihr auch Kontakte außerhalb Rumäniens?

Wir haben enge Kontakte in die USA, nach Deutschland, Ungarn, Frankreich, Italien und Österreich. Nach Bulgarien wollten wir Kontakt aufnehmen, bekamen – aber von dort bisher keine Antwort. Timisoara hat auch noch viele Kontakte nach Serbien, da es nahe an der Grenze liegt.

FA!: Was ist in nächster Zeit rund um den Infoladen geplant, wie geht es voran? Welche Hilfe von außer­halb könnt ihr ge­brauchen?

Momentan sind wir finanziell bank­rott. In einem Monat wollen wir einen Computer auf Raten kaufen, außerdem in Zukunft einen Kopierer und einen Dru­cker. Wir sind alle arbeitslos oder Studen­ten und haben wenig Geld. Das Leben ist hart. Alles was wir benötigen müssen wir von unserem eigenen Geld bezahlen, erst kommt das Überleben und dann der Infoladen. Materielle Hilfe ist besser. als Geld. Ansonsten stre­ben wir an, den Infoladen jeden Tag offen zu haben und uns besser als bisher zu organisieren. Außer­dem wünschen wir uns, dass neue junge Leute dazu kommen werden.

FA!: Erreicht ihr bei eu­ren Aktionen oder bei Konzerten neue Leute?

Bei Konzerten sind meistens immer dieselben Leute (Anm.: Konzerte sind selten, alle paar Monate).

Zum 1. Mai 2002 haben wir eine Ak­tion in der Innenstadt gemacht und ha­ben u.a. Bilder ausgestellt, wofür viel Inte­resse bestand. Dieses Jahr allerdings war es nicht so gut, weil viel Polizei da war, und die Leute sich deshalb nicht zum Stand ge­traut haben. Sie machen Probleme wegen nichts.

FA!: Danke für das interessante Ge­spräch!!!

Falls jemand Bücher, Bro­schüren, Zines oder ähnliches in englischer Sprache über hat, oder nicht mehr braucht, die Craiova-Leute brauchen eine Menge davon. Bisher verfügen sie über ein kleines Regal mit nur wenig Lesestoff

Kontakt:
revolutionshop@hotmail.com

Queer-feministische Kneipenkultur (Teil 1)

Dass gerade die zwei Feierabend!-Autor_innen mit der kleinsten Trink- und Rauchpraxis in die Tiefen Lindenauer Schankwirtschaften eintauchten, passt zu den scheinbaren Widersprüchen einer dort aufblühenden antisexistischen Kneipenkultur. Zwei Betreiber_innen luden zum Gespräch und so entstanden im Abstand von drei Monaten folgende Gespräche zu den zwei jungen, vielversprechenden Projekten – der queer-feministischen Wochenkneipe joseph_ine und der Kneipe Skorbut. Anfang Dezember nahmen wir im entstehenden Leseraum des Hausprojekts Casablanca Platz und fragten drauf los …

FA!: Könnt Ihr Euch mal kurz mit Buchstaben vorstellen und erklären, was Ihr so bei der joseph_ine macht?

M.: Ich bin M. und so richtig so was wie Arbeitsgruppen oder so gibt es bei der joseph_ine nicht. Irgendwie wird beim Treffen soweit es geht besprochen wer gerade Kapazitäten wofür hat, ob irgendwelche Sachen organisiert werden müssen, ob irgendwelche Veranstaltungen gemacht werden oder so, zum Beispiel ‘ne Barschicht oder was auch immer. Das wird immer ganz spontan entschieden, je nachdem, wer gerade wofür Kapazitäten hat.

A.: Ich bin A. und mach’ vor allem den Kontakt zum Haus, weil ich selber drin wohne, so als die Schnittstelle und für Getränkebestellung und so Zeug.

FA!: Was ist die joseph_ine eigentlich? Wie würdet Ihr das definieren?

M.: Ich glaub‘ ganz zu Beginn war es schon wie so ‘ne Kneipe angedacht, im queer-feministischen Kontext. Und wo ab und an mal ‘ne Veranstaltung ist, aber so ganz zu Beginn war es einfach nur als Treffpunkt, Treffort angedacht. So nach und nach hat sich ein Programm entwickelt. Dann gab es natürlich irgendwie den Anspruch, einen Politsalon zu machen, dann gab’s noch die Idee, einmal im Monat einen Film zu zeigen. Das alles mit so einem queer-feministischen Anspruch. Was vielleicht noch wichtig zu sagen ist, dass es ‘ne Kneipe ist, die von den Leuten, die dort mitmachen wollen, lebt. Sprich, wer kommt und welche Kapazitäten hat, das kann man dann darin verarbeiten.

A.: Ja, und entstanden ist es aus dem großen, queer-feministischen Vernetzungstreffen, was Anfang Mai 2010 war; wo so 60, 70 Leute aus Leipzig da waren, die in verschiedenen Projekten aktiv sind. Und da gab es dann fünf Arbeitsgruppen, von denen glaube ich keine andere mehr existiert außer die Ladyfestgruppe, die ja dann auch das Ladyfest gemacht hat. Und eine Gruppe war die Raumgruppe, mit diesem Anspruch: „Wir brauchen Räume für uns – und am liebsten gleich mit ‘nem Infoladen, der jeden Tag geöffnet hat und mit Kneipe dran und so. Aber bis wir das schaffen, nehmen wir erstmal einen anderen Raum, um den zu besetzen, um sich einmal die Woche zu treffen und Kneipe zu machen.“

FA!: Wann war dann der Startschuss?

A.: Einen Monat später hat die joseph_ine dann angefangen. Das war ganz gut weil wir mit dem Haus gerade so weit waren, dass die Räume nutzbar waren und es jetzt auch nicht Räume waren, die so vorbelastet sind, die schon zehn Jahre in der linken Szene existieren und wo verschiedene Sachen scheiße gelaufen sind oder so. Und dann war die joseph_ine auch die erste Gruppe, die das Casablanca richtig genutzt und gerockt hat, ganz viel mit gebaut hat. War gut.

FA!: Wie war so die Resonanz am Anfang? Wie hat sich das entwickelt? Wer waren die Leute, die kamen, und die, die mitgemacht haben?

A.: Am Anfang war ‘ne ganz schöne Dynamik. Also so Juni/Juli, dann bis November Pause und dann ging’s quasi so richtig los. Es war schon voll – und es kamen sogar Leute aus Connewitz.

FA!: *lach*

M.: Das ist ja ‘n ganz schöner Weg, den man da zurücklegen muss… Ja, es wurde zu Beginn ganz schön gut angenommen und wahrgenommen – was aber damals schon immer ein bisschen schwierig war und immer noch schwierig ist, sind so Leute, ich glaube die haben so’n bisschen das Gefühl, dass wir als geschlossene Gruppe funktionieren. Und dann kamen immer mal wieder so welche an und meinten „Na… ich würd‘ ja auch gern‘ mal ‘ne Barschicht machen…“ Und wir waren alle immer total froh, wenn jemand ankam, aber so diese Idee dahinter, dass hier halt alle, die irgendwie eine Idee haben, mitmachen können, kam jetzt nicht so deutlich rüber.

FA!: Ist das dann weniger oder mehr geworden, gleich geblieben?

A: Also ja, es wird weniger gerade. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass das Programm gerade manchmal so unklar ist oder dass es auch einfach mal spontan ausfällt. Dass halt nicht mehr diese verbindliche Struktur ist: „Mittwochs kann man da hingehen.“ Manchmal ist, wenn keine_r Bock hat, dann halt auch um Zehn oder Elf schon zu, das passiert auch. Über’n Sommer war’s immer ziemlich voll.

FA!: Mal eine praktische Frage: Wenn jetzt kein Programm war, sondern nur Bar – wie kann ich mir das vorstellen? Was ist queer an einer Bar?

M.: Also für mich persönlich ging es gar nicht darum, dass jetzt irgendetwas so ganz besonders ist, sondern darum, dass es ein Gedankengut gibt, das in dem Raum geteilt wird. Gewisse Standards, die für mich nicht erst diskutiert werden müssen. Grad hier im Westen ist die joseph_ine einfach ein super Ort zum Ausgehen.

FA!: Was war denn so die Laufkundschaft? Konntet Ihr die einordnen? Kam die aus dem queer-feministischen Kontext?

A.: Am Anfang war das schon ganz schön viel die Zielgruppe, die dann auch direkt gekommen ist. Jetzt wird es zunehmend zu so einer Kiezveranstaltung – klar, weil Leute aus Connewitz ja auch nicht jede Woche hier herkommen. Dann waren es viel Leute aus Lindenau, die Mittwochabend ein Bier trinken wollen und vielleicht gar nicht so viel mit queer zu tun haben. Es kommen relativ wenig Leute zufällig vorbei. Von der Straße direkt rein, das passiert eigentlich nicht.

FA!: Ihr hattet vorher gesagt, dass es irgendwelche Standards gibt, derer man sich sicher sein kann. Hattet Ihr innerhalb der Gründungsgruppe mal drüber gesprochen, was für euch queer ist, oder was denn so das Mindeste ist, der kleinste gemeinsame Nenner von Euch?

M.: Es ist bei uns immer schon ganz schön fraglich, wer die Kerngruppe ist und mit wem trifft man sich, um darüber zu sprechen? Wir haben das zu Beginn bei uns gemacht, in der Orgagruppe – und dann hatten wir irgendwann auch einen Salon dazu, wo wir mit den Leuten, die hier herkommen/sind, darüber gesprochen haben. Es gab auch mehrere Theorieveranstaltungen dazu.

A.: Wir sind halt nicht so eine inhaltliche Gruppe, sondern mehr eine Orgagruppe. Wir managen irgendwie diese Kneipe und stellen das bereit und wer Bock hat, mal einen Film zu zeigen oder so, kann halt herkommen und das machen. Das ist aber leider nicht so gut rübergekommen – offensichtlich.

A.: Am Anfang war es wirklich auch mehr Kneipe. Oder so gedacht. Als Raum, wo man hinkommen und sich treffen kann und nicht immer ‘ne Veranstaltung ist oder immer irgendwas oder wo man immer zuhören oder gucken muss.

FA!: Wie lange gibt es Euch jetzt ungefähr? Ein Jahr und ein bisschen, oder?

A.: Ja. Bis zum Sommer lief’s ganz gut – dann war Sommerpause und danach ist es nicht mehr so richtig in die Gänge gekommen.

FA!: Und das habt Ihr dann versucht wiederzubeleben mit den festen Terminen?

A.: Joa. Dann diese akute Schwierigkeit, dass viele von uns gerade ‘ne andere Kneipe aufmachen. Das zieht dann halt auch Kapazitäten ab – ganz massiv. Da bleiben dann halt nur noch drei Leute übrig in der joseph_ine – und die können das dann natürlich nicht schmeißen.

FA!: Wie groß ist denn eure Kerngruppe?

A.: Sieben, acht Leute?

M.: Maximal. Vielleicht kann man das gerade bei der Gelegenheit nochmal sagen: Wir hatten mittlerweile so’n bisschen die Überlegung, ob wir es nicht einfach sein lassen. Da gibt es Stimmen, die sagen: „Einfach sein lassen“, so aus einem Frust heraus. Dann gibt es aber auch Stimmen, die sagen: „Nein eigentlich nicht so, auch wenn es gerade nicht so gut angenommen wird, aber es ist einfach ein Ort.“ Ich glaube aber, um das weiterhin irgendwie stemmen zu können brauchen wir mehr Leute. Wer da Lust hat, soll gerne dazu stoßen, oder neue Energie und Inputs bringen. Wir sind da sehr dankbar.

FA!: Wie können sich dann die Leute bei Euch melden? Wann ist das Plenum? Während der joseph_ine oder am Nachmittag?

M.: Das ist schon an einem Mittwoch, wann genau, das kann auf unserer Homepage nachgelesen werden. Ansonsten kann man auch einfach zur joseph_ine vorbeikommen.

FA!: Wie viele Leute kommen denn durchschnittlich?

A.: Das ist total verschieden, auch ganz schön wetterabhängig.

M.: Das ist überhaupt nicht abzusehen. Neulich war ich hier, da saßen ganz viele Leute hier, die habe ich noch niemals vorher gesehen. Das freut mich natürlich, aber das war überhaupt nicht zu erklären, es war total voll – und gerade sonst ist das nicht so.

A.: Vorletzte Woche waren wir zu zweit bis um Elf rum und dann kamen plötzlich 20 Leute. Manchmal ist es auch total voll.

M.: Wie kamt Ihr eigentlich dazu, uns zu interviewen?

FA!: Das kam – glaube ich – über mich, weil ich jetzt neu zum Feierabend! kam, da ich mein Studium endlich soweit fertig habe, dass ich dafür Kapazitäten frei habe. Und ja, mir war der Feierabend! ein bisschen zu wenig queer und außerdem gehört es zu den wenigen Themen, über die ich schreiben kann. Ich fand das Konzept sehr interessant, aber finde, dass man viel zu wenig darüber stolpert, wenn man sich in Leipzig bewegt. Da es meines Wissens nach nicht sonderlich viele queere Veranstaltungen gibt in Leipzig – wenn man mal schwullesbische Diskotheken, die sich queer nennen, ausschließt – fänd‘ ich es schön, wenn es die joseph_ine länger gäbe und sie mehr Leute kennen lernen würden. Queere Örtlichkeiten in und um Leipzig – was fällt Euch denn dazu noch ein? Mir fällt halt nicht so viel ein, was noch bestünde.

M.: Ich denke gerade an tipkin.

FA!: Das ist die queere Radiosendung auf Radio Blau?

M.: Genau.

A.: Dann gibt es halt schon noch viel so Partysachen. Queerparties gibt es schon immer mal wieder. Und es gab dieses Paranoid Paradise – das queere Filmfestival. Wenn man’s mit Berlin vergleicht, ist es ein Witz – aber wenn man es mit Halle vergleicht, ist’s schon viel.

M.: Ich wollte drauf hinaus, dass es immer schon Querverbindungen gab, dass es wohl schon so etwas wie eine Gruppe gibt, die so etwas regelmäßig macht.

A.: Es gibt immer mal wieder solche Veranstaltungen, ne? Es gibt diese „Gender Kritik“-Reihe von der Uni, dann gibt es immer wieder mal Veranstaltungen vom Institut für Frauen- und Geschlechterforschung.

M.: Es gab‘ irgendwann mal von der Do-It-Herself-Gruppe diese Visual-Crew, die sich queer-feministisch tituliert hatte, dann allerdings ein bisschen Schwierigkeiten hatte, das über Visuals in die Praxis umzusetzen. Aber ich glaube, die haben zumindest so eine Denke dahinter.

A.: Wir hatten ein queeres Fußballteam beim Ataricup!

M.: Oh yeah! Wir waren das bestgelaunteste Team.

FA!: Ihr wollt also sagen Ihr habt haushoch verloren?

M.: Ja. (lacht)

A.: Wir hatten viel Spaß.

M.: Noch mehr Fragen?

FA!: Ja, ich hatte noch irgendwo eine… genau! Ich würde gerne noch mal was zur Zukunft fragen. Es scheint ja gerade so, als wäre die Zukunft der joseph_ine fragwürdig… Gibt es irgendwelche großen Konzepte, was Ihr euch für die Zukunft vorstellen könntet?

M.: Ich glaube, das ist ganz schön abhängig davon, wen du gerade fragst. Also für mich zum Beispiel steht es überhaupt nicht zur Diskussion, dass die joseph_ine schließt. Große Konzepte gibt es nicht, aber Fakt ist, dass es irgendwie weitergeht. Und wenn man es auch einfach erst mal so macht, dass es nur alle zwei Wochen öffnet oder so. Also große Zukunftskonzepte nicht, Schließen aber auch nicht!

FA!: Okay, und wie sieht es bei Dir aus, A., wie würdest Du das Ganze einschätzen?

A.: Ich weiß es nicht, ich kann’s gerade nicht so einschätzen. Ich glaube, es sind schon alle total gewillt, da weiterzumachen, aber dann ist es halt so wie gestern, wo dann plötzlich niemand kommt, keine Tresenschicht kommt und dann fällt es einfach aus. Klar, dann machen viele von uns jetzt die andere Kneipe da drüben auf, was eine kommerzielle Kneipe ist.

FA!: Welche Kneipe? Wo?

A.: Skorbut am Lindenauer Markt. Im ehemaligen „Schotten“.

FA!: Es heißt noch „Schotte“?

M.: Nein! Es heißt Skorbut! Heute hat die Frau von unserer Müllabfuhr angerufen und meinte: „Ich würde Euch nächste Woche Dienstag mal die Mülltonne vorbeibringen, was soll ich’n da drauf schreiben?“ Und dann meinte ich: „Na, da steht Skorbut drauf!“ Also die Kneipe heißt schon Skorbut, „Schotte“ muss gestrichen werden!

A: Es kennen halt alle noch als den „alten Schotten“. Das machen schon die meisten Leute aus dem joseph_ine-Spektrum und das merkt man schon, wie sich das gegenseitig ein bisschen behindert. Aber ich fänd‘ es schade, wenn die kommerziellen Strukturen die nichtkommerziellen fressen würden – wie so oft. Das fänd‘ ich ganz schön scheiße.

M.: Ja.

FA!: Das heißt also: Die joseph_ine braucht dringend noch Unterstützung, weil von Euch jetzt ‘n bisschen Kräfte abgezogen werden. Wo können sich die Leute jetzt direkt melden, wie sollte man am besten vorgehen, wenn man helfen möchte?

M.: Ich würde sagen: Bei Bedarf einfach mal vorbeikommen!

A.: Oder beim Plenum mal vorbeikommen. Oder Mittwochabends einfach mal die Tresenleute ansprechen.

FA!: Hmm, also irgendwie fehlt mir noch Tiefe.

A.: Tiefe.

FA!: Hättet ihr eine Anekdote, so aus dem Stegreif?

A.: Vielleicht diese Queerparty, wo wir diese paar Leute rausgeschmissen haben? [Gelächter]

FA!: Ooh, jetzt wird’s interessant. Wen habt ihr rausgeschmissen?

M.: Ziemlich viele. [Klingt wie ein abgeklärtes Cowgirl] Harte Tür. Gute Tür.

A.: Naja, wir haben zwei Leute rausgeschmissen oder so. Den mit dem Deutschlandtrikot und den, der die ganze Zeit Leute angefasst hat auf der Tanzfläche. Beides war nicht schön.

M.: Nee.

A.: Es verirren sich schon, gerade bei den Tanzveranstaltungen, doch mal Leute hierher, die denken es wäre eine ganz normale Disko und sie könnten sich benehmen wie in einer ganz normalen Disko. Und das ist dann wahrscheinlich der Unterschied – dass wir da ein bisschen aufmerksamer sind. Und dann relativ zügig auch Leute rausschmeißen. Na klar, erst ansprechen und diskutieren, aber dann irgendwann auch aufhören mit Sprechen und rauswerfen.

M.: Jetzt überleg‘ ich die ganze Zeit wegen einer Anekdote.

A.: Es ist jetzt auch alles einfach nicht so spektakulär. Rumsitzen, Bier trinken, ein bisschen Kickern …

FA!: … und dabei nicht blöd von der Seite angemacht werden.

A.: Manchmal kommt ein Film… total langweilig das Konzept. Aber eigentlich auch ganz gut so. Manchmal gibt es dann auch Themen und Diskussionsrunden.

M.: Und da hatte ich in diesem Rahmen auch schon echt nette Unterhaltungen. Die so in einem anderen Kontext einfach nicht stattgefunden hätten. Ich habe jetzt gerade an diesen einen Politsalon gedacht, wo wir gar nicht so groß und breit über so einen theoretischen Rahmen gesprochen haben, sondern darüber, was wir unter queer-feministisch verstehen und wie wir so zueinander stehen und das war irgendwie ziemlich gut. Ich brauch immer diese vertraute Atmosphäre dafür, um einfach so ein bisschen Tiefgang zu haben und dafür ist die joseph_ine – also für mich zumindest – schon ganz schön gut.

… an dieser Stelle blenden wir aus und bedanken uns herzlich für das Gespräch. Eine Fortsetzung war abzusehen und folgte Monate später. Blättert einfach um …

Die joseph_ine im Netz: josephine.blogsport.de/
Und (fast) jeden Mittwoch ab 20 Uhr in der Josephstraße 12.

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