Leipzig & St. Pauli

Tapferes Leipzig. Das ist ja wie 1989 – kurz vor dem Umsturz. Die BürgerInnen der Heldenstadt schreien sich mal wieder auf emotionsgeladenen Diskussionsveranstaltungen ihre Wut aus dem Wanst und müssen von der Polizei bewacht werden, StudentInnen erheben sich gegen die Willkür der Landesregierung und fordern den Rücktritt von Wirtschaftsminister Rößler. Magnifizenz Bigl ist schon zurückgetreten und wird jetzt zur Ikone des Widerstands. Schade, dass es dabei nur um den (Nicht-)Wiederaufbau der 1968 von der Ulbricht-Regierung gesprengten Paulinerkirchenaula der Uni geht.

Die Sprengung der Kirche im Rahmen der „Sozialistischen Neugestaltung“ des Leipziger Stadtbildes, war eine stumpfe Machtdemonstration einer von Paranoia und Menschenverachtung besessenen Altmännerclique (1), bei der für Leipzig historisch einmalige Bausubstanz verloren ging. Ein Wiederaufbau würde dies, nach Meinung eines Großteils der an der Diskussion beteiligten, nicht ungeschehen machen und wäre nur ein Prestigeobjekt für gewisse Leute „da oben“. Wo aber sind diese jetzt so engagiert Protestierenden jedesmal, wenn ein (Um-)Bauvorhaben nach dem anderen mit mehr als fragwürdigem Sinn in, um und bald auch unter Leipzig beginnt? Prestigeobjekte, welche oft wirklich von ihren Steuergeldern und nicht durch Spenden finanziert werden und bei denen noch viel weniger nach deren Meinung gefragt wird.

Die einen wollen eine moderne, funktionale und für den härter werdenden „Bildungswettbewerb“ gerüstete Uni und die anderen einen teuren Original Wiederaufbau der Paulineraula. Beide Varianten schließen einander angeblich aus. Wer die Kirchenkopie ablehnt, ist noch lange keinE BefürworterIn der Sprengung. Aber sind, deshalb vielleicht auch nicht alle, die noch ein Fünkchen Empfinden für Ästhetik haben und das Aussehen der neuen Uni/des Augustusplatzes und ihren guten Geschmack nicht nur der Funktionalität und dem Leistungsprinzip unterordnen wollen, gleich CDU-WählerInnen, Ewiggestrige, religiöse Eiferer o.ä.?

Man könne keiften ersten Platz vergeben, druckste man im letzten Jahr herum, als es um die Bewertung der 27 in die Endauswahl gekommenen Entwürfe für die Neugestaltung der Uni ging, was eigentlich schon an sich Bände über die Qualität dieser „Vordiplomarbeiten überforderter Architekturstudenten“ (FAZ) sprechen sollte. Sehr viele Bürgerinnen äußerten sich da offener, man könne sich maximal ein paar interessante Elemente aus mehreren Entwürfen kombiniert vorstellen, sähe aber ansonsten keine großen Veränderungen zu Ulbrichts Kasten.

Betrachtet man nun den nach „Konzeptqualifizierung“ favorisierten modernen Entwurf von Behet & Bondzio in der Computersimulation, kommt einem dann wirklich das kalte Grausen, wenn man realisiert, dass dieser Neubau vollendet, was selbst Ulbrichts ideologisch gelenkte Stadtplaner nicht gewagt haben: Der Eingang der Grimmaischen Straße wird wieder auf seine mittelalterliche Enge reduziert, das Uni-Gebäude überragt das Kroch-Hochhaus und wird so in seiner dicht an dieses grenzenden Kastenform zum ästhetischen Overkill dieser Seite des Augustusplatzes.

Wer Ideen wie diese abliefert bzw. deren Umsetzung ernsthaft in Erwägung zieht, treibt zwangsläufig immer ins Lager der NostalgikerInnen. Lieber eine Kopie der Paulinerkirche und das Rad der Geschichte zurückdrehen, sagen sich da sicher manche, als einen noch größeren Schuhkarton, der auch noch die Freifläche in der Grimmaischen Straße verschlingt (2).

Liegt das Problem dann nicht eher beim Mangel an guten, auch unter ästhetischen Gesichtspunkten vertretbaren Ideen, die eventuell einfach nur i(n eine)m verwandten Baustil (3) an die Paulinerkirche erinnern? Im Vergleich zu Behet & Bondzio’s Entwurf kommt dem bis jetzt leider nur die Idee einer originalgetreu wiederaufgebauten Paulinerkirche nahe und bleibt bis dahin der einzige auch optisch ansprechende Vorschlag.

mirek

Weiteres zum Thema im Internet:
www.uni-leipzig.de/-unineu/journal/0205/ 0205campussieger.html
www.uni-leipzig.de/campus2009/index2.html
www.paulinerverein.de
www.paulinerkirche.de
(1) Sicher hat hierbei auch die Verarbeitung gewisser traumatisch nachwirkender Kindheitserlebnisse, des ja aus Leipzig stammenden W. Ulbricht, eine Rolle gespielt.
(2) Im Zusammenhang mit der geplanten engen Bebauung der Grimmaischen Straße, ist sicher auch die Frage nach dem Sinn eines neuen „Café Felsche“ zu stellen, welches sicher auch nur irgendwelche Vorkriegs-Sentimentalitäten bedienen soll und dessen Platz der Uni sicher besser zugute käme.
(3) Hierbei wäre sicher zu klären, welche der verschiedenen Formen die St. Pauli im Laufe seiner 700jährigen Geschichte hatte, hierfür in Frage kämen. Eine Frage, um die auch der Paulinerverein nicht herumkommen wird, sollten sich wirklich die „So-Original-Wie-Möglich“-BefürworterInnen durchsetzen.

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