Leipzig und der Stadtwerke-Verkauf

– schon zwei Mal gescheitert – Bürgerentscheid am 27.1.2008 –

Wer ist noch nicht über sie gestolpert, die Plakate der Bürgerinitiative APRIL (Anti­PRivatisierungsInitiative-Leipzig), die zum JA-Sagen am 27. Januar beim Bürger­entscheid auffor­dern? Opti­mistische Aller­welt­s­­gesichter grinsen da auf einen herunter und ver­kün­den: „Wir sagen Ja! – Stim­me abgeben und Ein­fluss be­­hal­ten“.

Wozu eigentlich? Ja dazu, dass die Stadt­verwaltung sieben kom­munale Betriebe in den nächsten drei Jahren nicht verkaufen darf, weder ganz noch anteilig.

Machen am 27. Januar 103000 von den rund 400 000 Stimmberechtigten (ent­spricht 25 Prozent) ihr Kreuz bei Ja (kein Ver­kauf), dürfen die betroffe­nen Unter­nehmen bis 2011 keine neuen Eigentümer bekommen.

Worum geht’s? Ende letzten Jahres kamen Ober­bür­ger­meister Burk­hard Jung und eine knappe Mehrheit im Stadtrat – be­stehend aus Ver­tretern der CDU, SPD, FDP – auf den Gedanken, den Schul­den­berg der Stadt Leip­­zig von knapp 900 Mio. Euro ab­zu­bauen, in­dem 49,9 Pro­zent der Stadt­wer­ke Leipzig (SWL) an einen Pri­vat­­investor ver­kauft wer­den. Der fran­zö­sische Kon­zern Gaz de France S.A. (1) ist bereit 520 Millionen Eu­­ro da­für hinzu­blät­tern und hat damit das Rennen ge­macht. Mit die­sem Geld hat die Stadt viel vor. So sollen die Schulden abgebaut werden, Schu­len, Kinder­gärten und Straßen saniert und durch Aufträge an mittelständische Unter­nehmen Arbeits­plätze geschaffen wer­den. Soweit die Wunschträume der Befürworter des Ver­kaufs.

Die Anti­PRivatisierungs­Initiative­Leipzig, die ein Spektrum von Attac, über zahl­reiche Bürgervereine, Stadträte, der IG Metall, den Grünen, der Linken bis zu Pfarrer Führer umfasst, sieht dies natürlich völlig anders: Um diesen Anteilsverkauf und vorsorglich auch den der anderen städtischen Unternehmen zu verhindern, startete sie im September 2007 ein Bürger­begehren, um einen Bürger­entscheid zu erzwingen.

Innerhalb von zwei Monaten sammelte die Ini­tiative – vorrangig bestehend aus den Grup­pen und Vereinen, die auch die Mon­tags­­demon­strationen getragen haben – Un­ter­schriften von 10 Prozent der Leipziger Wahl­­berechtigten. (2)

Da man befürchtet, dass es letztlich nicht nur um die SWL geht, sondern prinzipiell al­le großen kom­munalen Unter­nehmen un­ter dem Dach der Hol­ding Leip­ziger Ver­sor­gungs- und Ver­kehrsbetriebe (LVV) (3) „pri­va­tisierungs­gefährdet“ sind, ist die Fra­ge­stellung entsprechend weit gefasst:

Sind Sie dafür, dass die kommunalen Un­ter­nehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100% in kommunalem Eigentum ver­bleiben?“

Der Grund für diese Befürchtung liegt da­rin, dass die zahlreichen städtischen Unter­neh­men sich gegenseitig quer sub­ven­tio­nie­ren und so die Daseinsvorsorge (4) für die Stadt kostenneutral gewährleisten. Die jähr­lichen Gewinne der Wasser-, sowie der Stadt­werke (5) werden zum Ausgleich der De­fi­zite bei den Verkehrsbetrieben heran­ge­zo­gen und ermöglichen sowohl das ge­gen­wärtige Preisniveau als auch den Be­trieb und Erhalt des Verkehrsnetzes.

Hier setzt das Hauptargument der Gegner des Verkaufs an: Indem ein Mit-Eigner ins Boot geholt wird, werden die Handlungs­spiel­räume der Stadt und ihr Einfluss auf die Preisgestaltung, Auf­trags­vergabe, Ent­schei­dungen auf Investitions- und Förder­tä­tig­keiten langfristig entspre­chend ver­rin­gert. Kurz: Man verkauft das Huhn und wun­dert sich dann, keine Eier mehr zum Früh­­stück zu haben.

Die SWL spielen nicht nur als Strom­ver­sor­­ger, sondern auch als Sponsor des kultu­rel­­len und sportlichen Lebens der Stadt ei­ne bedeutsame Rolle und ermöglichen so Vie­­len die Teilnahme an Veranstaltungen, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Eben­­so fördern die Stadtwerke durch ihre Auf­­tragspolitik bereits regionale mittel­stän­di­ge Unternehmen, da anfallende Aufträge von der LVV zu 67 Prozent an eben solche Be­­triebe vergeben werden und es fraglich er­scheint, ob ein privater Investor ein ähnlich star­kes regionales Engagement entwickeln wür­­de.

Dass die Sorge um weitere (Teil)­Privatisie­run­­gen nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, ver­­deutlicht die Episode des „Opernballkom­pro­­misses“. So soll Ober­bürgermeister Jung im November 2006 am Rande des alljähr­lichen Opernballs – einer High-Society-Ver­an­­staltung bei dem sich alles trifft, was Rang, dicke Konten und Namen hat – mit der CDU-Fraktion im Stadtrat einen politischen Kom­­promiss ausgehandelt haben.

Der Deal: Die CDU-Fraktion stimmt dem an­teiligen Verkauf der Stadtwerke zu. Im Ge­gen­zug versprach der OB die spätere Priva­ti­sierung weiterer Unternehmen unter dem Dach der LVV. Entsprechend brachte die CDU im November letzten Jahres den Vor­schlag ein, auch die LVB teilweise zu privati­sieren. Dieses Hick-Hack ist derzeit zwar von geringerer Bedeutung, wird aber in dem Mo­ment interessant, in dem der Bürger­ent­scheid nicht genügend Ja-Stim­men erhält und diese Entscheidung an den Stadtrat zu­rück delegiert wird.

Zurück zum aktuellen Verkaufs­vor­haben, den Stadtwerken Leipzig. Hier springen vor allem zwei Ungereimtheiten ins Auge: Er­stens sind die SWL weit davon entfernt, ein marodes Unternehmen zu sein und zweitens wurde das Unternehmen schon zwei Mal in Tei­len verkauft und wieder zurück gekauft.

Nicht nur, dass die Stadtwerke zu einem nicht unerheblichen Teil den Nahverkehr, sportliche und kulturelle Ereignisse sub­ven­tionieren, sie sind außerdem klar auf Ex­pan­sionskurs. Die Bilanz für 2006 wies ei­nen Gewinn von 54 Mio. Euro auf, für 2007 wird mit einem ähnlichen Ergebnis gerech­net, was 2008 noch übertroffen werden soll. Abgesehen davon halten die Stadtwerke seit 2003 75 Prozent der Anteile des Danziger Fern­­wärmeunternehmens Gdanskie Prze­dsie­biorstwo Energetiky Cieplnej (GPEC), sowie An­teile von Fern­wärme­versorgern in Tczew und Staro­gard Gdanski. Sie sind ebenfalls an Unter­nehmen in Bulgarien (KES AG So­fia), Litauen (Klaipedos Energija) und Tsche­chien (Teplarny Jablonec a. s.) beteiligt.

Und: In Leipzig sammelte man bereits zwei­mal Erfahrungen mit Privatisierungen und deren Rückgängigmachung. Sowohl 1992 als auch 1998 wurden je 40 Prozent der Stadt­werke verkauft und die Verträge wenige Jah­re später rückgängig gemacht. Im Jahr 1992, als die Stadtwerke gegründet wurden, hielt RWE (Rheinisch-West­fälisches Elektrizitätswerk AG) einen Anteil von 40 Prozent. Drei Jahre später stellte man fest, dass die Partnerschaft nicht die gewünschten Er­folge brachte und die Stadt kaufte die An­teile zurück. Der zweite Versuch erfolgte 1998 – erneut wurden 40 Prozent veräußert und zwar an die MEAG (Mitteldeutsche Energie­Ver­sorgung AG). Diese Aktiengesell­schaft wurde später von RWE aufgekauft, die ihren Anteil an ihre Tochter EnviaM über­gab. Damit hielt einmal mehr der RWE-Kon­zern 40 Prozent der Leipziger Stadt­werke und über­raschen­der­weise hatten Stadt und Konzern sich 2003 über die Strategie der SWL so sehr zerstritten, dass man ver­kün­dete: „dass die strategische Ausrich­tung von EnviaM und den Stadt­werken Leipzig in spezifischen Markt­segmenten nicht kom­patibel sind“(6) und trennte sich erneut. Das heißt, die Stadt nahm Kredite auf und kaufte erneut die Anteile zurück und zwar mit einem Verlust von 16 Millio­nen Euro. Un­ter anderem dieser finanzielle Ver­lust soll nun durch einen dritten An­teils­verkauf wie­der aus­geglichen wer­den… manche lernen eben nie aus…

Bleibt die Frage, ob unsere Stadtober­häup­ter schlicht äußerst vergesslich und dilet­tan­­tisch sind, oder ob doch mehr dahinter steckt? Denn nicht nur die Stadt Leipzig pri­va­­tisiert kom­munale Un­te­rnehmen. Schon im let­zten Jahr­hun­dert, Ende der 90er Jahre, ver­kauften mehrere deut­sche Kom­munen und Ge­meinden die jewei­li­gen Ei­gen­be­trie­be und er­hielten so eine re­la­tiv große Sum­me auf einen Streich. (7) Damit ist späte­stens jetzt die EU-Privati­sie­rungspolitik, die sich in Abkommen wie dem GATS (Gene­ral Agreement on Trades and Services) nie­der­­schlägt, auch hier vor Ort an­gekommen. Zum Wohle des freien Marktes und dessen un­sichtbarer Hand, die es letztlich richten soll, werden Städte und Gemeinden dazu an­ge­halten, sich durch Privatisierungen mög­lichst komplett zu entschulden.

Wer dabei auf der Strecke bleibt, sind die Kon­­sumenten, die finanziell nicht in der La­ge sind, Preiserhöhungen für Wasser, Strom und andere grundlegende Ressour­cen mit zu tragen. Diese politische Ent­wick­lung ist also nicht neu, nun kommt der Neo­li­be­ralismus langsam aber sicher auch in der so­genannten Ersten Welt auf der kom­mu­nalen Ebene und damit bei je­dem Einzelnen und seinem Portemonnaie an.

Was hier geschieht, kann mensch seit Jahr­zehn­ten in politikwissenschaftlichen Lehr­bü­chern nachschlagen: weg vom Sozialstaat, der seine Bürger mit dem Nötigen versorgt, (wie eben Infrastruktur, Grundversorgung zu erschwinglichen Preisen, Kranken-und Ren­ten­­ver­sicherungs­systemen) hin zu ei­nem Nacht­wächterstaat, der nur noch in nach­gewiesenen Not­situationen einspringt. Mensch könnte sich für den Fall der Stadt­werke das Szenario vorstellen, dass diejeni­gen, die den Markt­preis für Strom nicht zah­len können und dies bei der Stadt­ver­wal­tung nachgewiesen haben, von der Stadt ge­kaufte Strom­kontingente zugewiesen be­kom­men kön­nten. Oder um in der Realität zu bleiben: Arbeitslose, die eine 120-pro­zen­tige Kürzung erhalten haben, dann eben Le­bens­mittelgutscheine (8) erhalten.

So gesehen schrumpft das auf den ersten Blick ritterliche Ansinnen der Bürger­ini­tia­tive zum konservativen Ruf nach Papa So­zial­staat. Mensch wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die entsprechenden Ent­wick­lungen, aber leider erst dann, wenn die Angst um das ganz persönliche Porte­mon­naie um sich greift. So löblich es auch ist, dass mindestens 10 Prozent der Leipziger Be­völkerung dafür sind, über diese Frage di­rekt zu entscheiden – es kostet ja auch nur eine Unterschrift und die hat mensch oft genug geübt – umso bedauerlicher ist es, dass selbst dieses bürgerschaftliche En­ga­gement nur auf drei Jahre hin seine Wir­kung entfalten soll und letztlich mit 25 Pro­zent Ja-Stimmen noch immer eine ziemlich gro­ße Hürde zu nehmen ist. Kann mensch tat­sächlich von demokratischer Mitgestal­tung sprechen, wenn die Ent­scheidung bei ei­ner hoch komplexen Frage wie dieser, stumpf auf ein Kreuz bei „Ja“ oder „Nein“ re­du­ziert wird? Das eine Auge lacht, ob der sich scheinbar bietenden Partizipations­mög­lichkeit, das andere weint, ob des Gefühls, in­nerhalb des Politiktheaters einmal mehr ver­höhnt zu werden.

(hannah)

 

(1) Gaz de France ist mit ca. 50.000 Mit­arbei­tern, 13,8 Mio. Kunden und einer Börsenkapi­ta­lisierung von ca. 34 Milliarden Euro einer der größ­ten Energieversorger Europas. Die Ge­schäfts­aktivitäten umfassen die Erzeugung, Ver­tei­lung und den Verkauf von Energie (insbe­son­de­re Erdgas, aber auch Strom sowie Energie­dienst­leistung in mehr als 30 Ländern). Seit 1976 ist Gaz de France über die Gaz de France Deutsch­land GmbH mit inzwischen 700 Mit­ar­bei­terInnen auf dem deutschen Markt vertreten und u. a. an der GASAG in Berlin beteiligt.

 

(2) Nach der Gesetzeslage wären auch 5 Prozent aus­reichend gewesen, um einen Bürgerentscheid her­bei zu führen. Damit wurde die Entschei­dung über den Anteilsverkauf aus den Händen des Stadtrates genommen und den Wahlberech­tig­ten in Leipzig als Sachentscheidung vorgelegt.

 

(3) Die Holding LVV umfasst: die Stadtwerke Leipzig GmbH, die Leipziger Wohnungs- und Bau­gesellschaft mbH, das Klinikum St. Georg GmbH, die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH, die Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH und den Eigenbetrieb Stadtreinigung Leipzig.

 

(4) Daseinsvorsorge: Nach dem Zweite Welt­krieg in Westeuropa vom Staat übernommene Auf­­gabe zur Bereitstellung der notwendigen Grund­versorgung, die letztlich das Funk­tio­nie­ren der Menschen im kapitalistischen System ge­­währ­leistet. Dazu zählt die Bereitstellung von öf­­fent­lichen Einrichtungen für die All­ge­mein­heit, also Verkehrs- und Beförderungswesen, Gas-, Wasser-, und Elek­trizitätsversorgung, Müll­abfuhr, Abwasserbeseitigung, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Krankenhäuser, Fried­höfe usw. Dabei handelt es sich größtenteils um Betätigungen, die heute von kom­munal­wirt­schaftlichen Betrieben wahrgenommen werden.

 

(5) Nach Angaben der APRIL erwirtschaften die Wasserwerke jährlich ca. 22 Mio. Euro und die Stadtwerke ca. 50 Mio. Euro.

 

(6) www.rwe.com/generator.aspx/presse/language=de/id=178406?pmid=4000344.

 

(7) 1998 verkaufte Potsdam seine Wasserwerke zu 49 Prozent an Eurowasser und kaufte diese nach 1,5 Jahren zurück – Hamburg veräußerte 1999 die kommunalen Elektrizitätswerke an den Vatten­fallkonzern – die Stadt Dresden sämtliche 48000 kommunale Wohnungen für 1,7 Milliar­den Euro an die US-Investorengruppe Fortress.

 

(8) Gutscheine erhalten neben erwähnten Lang­zeitarbeitslosen vor allem AsylbewerberInnen, siehe Seite 5ff.

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