Multiplikatoren der Arbeit

Arbeit / Faulheit und Sozialisation in einer entmenschlichten Gesellschaft. Beobachtungen und Schlüsse aus dem Alltag

Kreislauf der Zurichtung

In Jahrhunderten kapitalistischer Produktionsweise hat sich der um seiner Arbeitskraft willen Ausgebeutete an den Zustand des Ausgebeutetseins gewöhnt. Früher mußte der kapitalistische Unternehmer noch Druck und Zwang ausüben, damit der Arbeiter respektive die Arbeiterin auch begreife, daß mensch pünktlich zur Arbeit zu kommen hat und Kranksein eine Sünde ist.

Inzwischen hat sich dieser direkte Zwang in eine alles durchdringende Arbeitsideologie transformiert, d.h. ein Großteil der Ausgebeuteten hat den Arbeitszwang integriert und scheinbar zu ihrem eigenen Anliegen gemacht. Die Folge davon ist, daß die meisten denken, sich für das Kranksein, den Müßiggang und das Ausschlafen, also für einen nicht normgerechten Lebensrhythmus, rechtfertigen zu müssen. Und daß nicht zuerst vor Behörden und Arbeitgebern, der letzten Kontrollinstanz, sondern vorher noch vor Nachbarn, Mitbewohnern, Verwandten und Bekannten. So tiefgreifend hat sich das Unterwerfungsverhältnis in uns sozialisiert, daß jemand der lange schläft mit Faulpelzwitzen traktiert und kranken Kollegen Simulantentum und Drückebergermentalität unterstellt wird. Diese Kontrolle zeichnet sich durch Subtilität aus, oft scheint sie nicht ernst gemeint. Hinter dem Witz verbirgt sich allerdings nicht selten ein (auch unbewußter) Neid, daß Andere etwas tun können, was einem selbst verwehrt bleibt: Wenn mensch selbst sich früh um halb sieben zur Arbeit, Schule oder Uni aus dem Bett quälen muß, soll das der Nachbar, der gemütlich (oder auch ungemütlich, wer weiß es?) bis um elf oder auch um drei pennt, gefälligst auch tun. Dabei ist die Unschuld des Anderen am eigenen Zwang egal. Man bestraft ihn für das eigene Leben, dafür, sich selbst freiwillig (wie sich gerne eingeredet wird) unter fremdes Diktat werfen zu müssen. Weil der Andere nichts weiter als die Projektionsfläche des Hasses auf Grund eigener unterdrückter Träume und Sehnsüchte darstellt, ist das sonstige Tun und Lassen der für faul Befundenen irrelevant. Um den Neid im Zaum zu halten, wird oft zum Hilfsmittel des Witzes oder der gespielten Empörung gegriffen.

Aus der Perspektive der Anderen ist das ganze nicht so witzig, vor allem (aber nicht nur dort) wenn es sich um willkürlich zusammengeworfene Arbeitsplatzkollektive handelt, die mittels Verleumdungen ihre Rang- und Hackordnung aushandeln (auch ein Ventil den Frust der institutionalisierten Unterordnung abzubauen). Ihnen wird ein schlechte Gewissen eingeredet: Es sei falsch länger oder zu anderen Zeiten als der Norm entsprechend zu schlafen, oder gar krank zu sein. Der Druck durch die dritte (Zwang in Arbeit, Uni und Schule, durch Staats- und Unternehmensstrukturen) und zweite Kontrollinstanz (soziales Umfeld) führt zur primären Instanz der Selbstzurichtung. Dem subtilen ideologischen Wirken des eigenen sozialen Umfeldes, ohne das der Mensch als soziales Wesen nicht leben kann, lässt sich viel weniger entgegensetzen als Staat und Unternehmen, da es nicht als fremd sondern als zu einem zugehörig empfunden wird. Kollegen, Bekannte und Verwandte werden so zu Multiplikatoren der eigenen Zurichtung. Bei diesem Prozess, der sich permanent und überall wiederholt, findet menschliche Sozialisation statt. Man fühlt sich dann schuldig, weil man zu lange schläft oder einen Tag länger krank ist als geplant. Man übernimmt die Zwänge und gibt sie als eigenen freien Willen aus. Hier schließt sich der Kreis.

Wie können wir ausbrechen?

Das Mindeste ist es sich die Muße beim Kranksein nicht nehmen zu lassen. Erstaunt denkt man, daß man erst krank werden muß, um die Gedanken frei zu bekommen von Zwängen, Forderungen und Selbstverpflichtungen. Alles wird abgesagt, alles wird gut? Wenn man nicht krank wäre! Denn sobald man wieder gesund ist, geht es zurück in die Tretmühle, bis man wieder krank wird. Absurd! Genauso sollte man sich das längere Schlafen nicht madig machen lassen. Witzemacher und Neidhammel sind entschieden in die Schranken zu weisen,die subtile Arbeitsideologie ist im Alltag zu bekämpfen. Wir haben ein Recht, das wir uns selbst geben, auf ein Leben ohne Fremd- und Selbstzurichtung zum Arbeitszwang. Und für dieses Recht können wir jeden Tag in unserem persönlichen Umfeld kämpfen, ohne dabei in Gruppen, Projekten oder Basisgewerkschaften organisiert zu sein. Eine Organisierung macht es allerdings weit einfacher, weil mensch dann einen positiven Rückhalt erfährt. Greifen wir aktiv in die Sozialisation unserer Mitmenschen ein, zugunsten von Muße und einem schönen Leben! Genau wie rechte Parolen bei Bekannten bekämpft werden müssen, müssen Versatzstücke der Arbeitsideologie problematisiert werden. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum wir uns an einen unreflektierten Arbeits- und Leistungsethos und ein schlechtes Leben gewöhnen sollten.

Der geschilderte ideologische Kreislauf am Beispiel von Arbeit und Faulheit ist das Haupthindernis einer Entwicklung hin zu einer selbstorganisierten, emanzipatorischen Gesellschaft. Eine Möglichkeit der Intervention wäre, emanzipatorische Inhalte zu anderen Menschen zu tragen und die überlieferten Gewißheiten in Frage stellen, d.h. aktiver Teil der Sozialisation werden. Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger, als die selbstorganisierte Alternative denkbar zu machen. Dafür braucht es wiederum eine Kultur, keine vorgesetzte sondern selbstgestaltete. Mit Kultur ist nicht gemeint jeden Tag zwei Punkbands spielen zu lassen, Theaterstücke aufzuführen oder klassische Konzerte zu veranstalten, sondern vielmehr eine Kultur des Lebens, in dem es nicht als faul gilt, länger zu schlafen und in der lieber die eigenen Zwänge angegriffen werden als die Nachbarn. Eine Kultur, die sich offensichtlich und resolut von den Zwangsideologien der kapitalistischen Gesellschaft absetzt, soweit wie es möglich ist und die bestrebt ist, den Bereich dieser Möglichkeit auszuweiten.

Die janusköpfigen Besen

Den verselbständigten Arbeitsethos anzugreifen, wird auf längere Sicht natürlich nur dann erfolgreich sein, wenn die realen Zwangsverhältnisse genauso angegriffen werden. Sonst wird das Individuum permanent auf diese zurückgeworfen und der Arbeitsethos reproduziert sich von neuem. Dazu ein Beispiel um die Absurdität von Arbeit haben oder nicht haben deutlich zu machen. Stell Dir vor, Du fegst das Streikcafé an der Uni nach dessen Abbau. Das tust Du nicht nur für Dich, sondern auch für andere. Und ihr wechselt euch ab, also Du mußt nicht jedes Mal fegen. Am Anfang habt ihr nur einen Besen und Du brauchst dafür eine halbe Stunde. Nun bekommt ihr von den Leuten, die die Besen herstellen einen Größeren mit stabileren Borsten und braucht nur noch eine Viertelstunde. Was hältst Du davon? Ist es nicht toll jetzt eine Viertelstunde mehr Zeit zu haben für die schönen Dinge im Leben? Der gesunde Menschenverstand sagt uns also, daß es gut ist, die Arbeitszeit so kurz wie möglich zu halten. Nun bist Du gezwungen Deine Arbeitskraft an ein Unternehmen oder an den Staat zu verkaufen und beispielsweise eine Schule zu fegen. Nehmen wir an mit dem kleinen Besen braucht ihr 80 Stunden dafür, das heißt zehn Leute arbeiten daran die Schule sauber zu machen. Nun bekommt ihr die großen Besen und es wird nur noch 40 Stunden Arbeitszeit benötigt. Jede und jeder müßte nur noch vier Stunden arbeiten. Eigentlich ein Grund zur Freude, doch anstatt sich zu freuen, jammern die Medien über den Arbeitsplatzabbau und die Regierung verspricht Sofortmaßnahmen zur Schaffung von Arbeit. Wo wir doch vorhin festgestellt haben, daß eher die Abschaffung von Arbeit anzustreben ist. Absurd!

Doch dem nicht genug – was passiert? Sechs Leute werden entlassen und die anderen vier müssen weiter acht Stunden arbeiten und zwar schneller! Anstatt für alle das Leben zu erleichtern werden die einen in Existenzangst gestürzt und die anderen müssen in der gleichen Zeit mehr arbeiten. Nur weil die Unternehmen die Gunst der Stunde nutzen, um mit der Umstellung auf neue Besen die Ausbeutungsrate der Verbliebenen zu erhöhen. Warum? Das Unternehmen handelt nicht nach dem Prinzip der Menschlichkeit und Bedürfnisbefriedigung, sondern danach, den eigenen Gewinn zu maximieren und zu expandieren. Die hauptsächliche Gewinnquelle ist die Ausbeutung der Arbeitskraft derer, die zum Verkauf derselben gezwungen sind, um überleben zu können. Nun können wir auch die Aufregung der Massenmedien verstehen. Da die Masse der Leute zur Existenzsicherung darauf angewiesen ist, mindestens acht Stunden zu arbeiten, erleben sie den Abbau der benötigten Arbeit als persönliche Bedrohung und reagieren darauf mit dem Ruf nach mehr Arbeit! Um überleben zu können, rufen die Ausgebeuteten nach ihrer Ausbeutung und beten die eigene Ausbeutung an. Nicht weil sie ausgebeutet werden wollen, sondern weil sie überleben wollen und keine Alternative kennen. Die Massenmedien übernehmen diesen Ruf, weil sie von den Massen gekauft werden, und bestätigen damit die, die noch unsicher waren. (1)

Dabei ist es doch schön, mehr Zeit für die schönen Dinge des Lebens zur Verfügung zu haben! Je weniger Arbeit, desto besser! Die beiden Szenarien – Fegen für sich und das soziale Umfeld vs. Fegen zum Geldverdienen bei einem Unternehmen – machen deutlich, daß die Abschaffung von Arbeit zu begrüßen und der Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft zu bekämpfen ist. LASST DIE SOZIALISATION DER ZURICHTUNG ZUR SOZIALISATION DER EMANZIPATION WERDEN!

kater francis murr

(1) Die BILD-Zeitung als Prototyp des Massenmediums ist nicht umsonst Vorreiter beim Ruf nach mehr Arbeit.
Was heißt janusköpfig? Bild eines zweigesichtigen Mannes, Sinnbild des Zwiespalts, des Ja und Nein

Theorie & Praxis

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