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Staat bleibt Staat

Das „Leipziger Amtsblatt“ wartete in der Mitte seines 12. Jahrganges mit einem ganz besonderen Bonus auf: Dem unverblümten Aufruf zur Denunziation. Wohin ein solches gesellschaftliches Klima führt, mag sich nicht ausmalen, wer auch mal bei rot über die Ampel geht, „falsch“ parkt, Fernseher und Radio nicht gemeldet hat, ein Stück Käse oder eine CD „mitgehen“ läßt, schwarz arbeitet.

Worum geht’s ? Es geht um den Leitartikel vom 26. Juni 2002 – „Graffiti: Kein Kavaliersdelikt!“ – dessen Autorin in unerhörter Weise Desinformation und Zynismus (Fotounterschrift: „In flagranti erwischt ? Leider nein, das Bild ist nachgestellt.“) verbreitet…

Die Propaganda ist simpel gestrickt: Eingangs erfolgt eine Positivbewertung der Lohnarbeit, wenn es heißt „Die Arbeit anderer wird […] einfach ignoriert.“ Als hinge das Herzblut und eben nicht der Brotkorb des Bauarbeiters an seinem Tagwerk! (siehe unter anderem dazu S. 2/3 in diesem Heft; Arbeitsartikel)

Weit höher jedoch rangiert im präsentierten Wertekanon, dass das „Stadtbild verschandelt“ werde und so ein „Imageschaden“ entstehe, da tut „Kriminalitätsbekämpfung“ dann wirklich not. Ein totalitäres Staatsverständnis jedoch zeigt, wer in der „sofortige[n] Ergreifung“ den „Idealfall“ der Zusammenarbeit von Behörden und „couragierten“ BürgerInnen erkennen will. Die kritischen BürgerInnen fragen sich dann, wo denn da die „Leipziger Freiheit“ bleibt?! Als demokratisches Zuckerbrot neben der bürokratischen Peitsche bietet sich die AG Graffiti an, die Auftragswerke für Sprayer vermittelt. Dieses städtische Konzept beweist also neben einem völligen Unverständnis dieses künstlerischen und letzten Endes auch politischen Ausdrucks auch einen Hang zum Totalitären. Denn was ist das anderes als jede individuelle Regung registrieren, kontrollieren und gegebenenfalls verfolgen zu wollen und sich zu diesem Ansinnen die passenden Mittel zu verschaffen?

Seinen praktischen Ausdruck erfährt dies in der Beschlussvorlage der Leipziger Ratsversammlung (DS III/2192): „Dem entsprechend […] keine neuen Projekte, die nicht in der Koordination durch die Polizei stehen, mehr zu beginnen und alle laufenden Aktivitäten 1. bis zum Jahresende 2002 auslaufen zu lassen, 2. mit anderen Inhalten zu versehen […]“.

Aber einer geplanten und vermittelten Auftragsarbeit steht Graffiti, diese Kunst der Straße, diese revoltierende Bewegung der Sprayer genau entgegen. In den Armenghettos New Yorks entstanden, geht es dabei – neben dem sehr kritikwürdigen Heischen nach „fame“ (Ruhm) – um einen zeitweiligen Ausbruch aus den Bahnen der bürgerlichen Ordnung und ihrer einengenden Strukturen. Das Element des Unkontrollierten ist dabei ein wichtiger Aspekt.

Es geht um den Ausdruck der eigenen Individualität, die unter den Bedingungen des (v.a. Wirtschaftlichen) Zwangs keine Bedeutung hat. Mag sich die Kultur des Graffiti auch auf ein l’art pour l’art beschränken und in weiten Teilen gar in einen „ruhmreichen“ Kampf der Egoismen umschlagen, so sind doch ihre libertären Ansätze und Potentiale nicht zu verkennen. Dass der Staat als „ordnende Instanz“ mit Monopolanspruch eine solche Bewegung – und sei sie noch so beschränkt! – nicht dulden kann, das versteht sich von selbst … und dass er sich im demokratischen Zeitalter dabei hinter vermeintlichen Interessen einer „Allgemeinheit“ verschanzt, das wundert auch nicht.

A.E.

Graffiti

Farbeffekte

Als ich eines Tages vor einer Wand stand und meinen Namen sprühte, fragte mich eine ältere Frau, was ich dort täte und was es bedeuten würde. Ich erklärte ihr, dass das, was sie dort sehe, Buchstaben seien und das diese Buchstabenfolge einen Namen ergebe, sozusagen einen zweiten Namen, eine zweite Identität, die ich mir selber zugelegt hätte, im Gegensatz zu meinem bürgerlichen Namen, auf den ich keinen Einfluß hatte. Der Name sei der Mittelpunkt, die Buchstaben, deren Ausgestaltung und die Farbgebung das individuelle Ausdrucksmittel und die Unterscheidungsmerkmale zu anderen Sprayern. Sie erklärte mir, der Anfangsbuchstabe erinnere sie an einen Schiffsbug, und an einer anderen Stelle erkannte sie einen abstrakten Vogelkopf. Das zu erkennen bereitete wiederum mir Kopfzerbrechen, denn unsere kulturellen Blickwinkel waren verschieden.

Das, was diese Frau von der Mehrheit der Bürger Leipzigs und anderer deutscher Städte unterschied, war ihre Neugier. Der größte Teil der deutschen Bevölkerung tritt dem Phänomen Graffiti mit Ablehnung und Ignoranz gegenüber. Anstatt sich zu fragen, warum sich jede Nacht Tausende von Jugendlichen auf den Weg begeben, um ihren Namen an jeder erdenklichen und sichtbaren Stelle in den Großstädten, entlang der Bahnlinien oder auf Zügen zu hinterlassen, werden die Werke von vornherein verteufelt, ihre Macher gejagt, strafrechtlich verfolgt und gehasst. Verkannt wird eine Bewegung, die sich seit den 1960er Jahren zunächst in den USA entwickelte und in den frühen 80ern nach Europa schwappte. Seitdem ist Graffiti aus keiner Stadt in Deutschland mehr wegzudenken. Verkannt wird eine Kultur mit einer eigenen Sprache, eigenen Regeln und eigenen Helden.

Gesehen werden lediglich „verschmutzte Wände“, „Farbschmierereien“, „Sachbeschädigungen“ und „Vandalismus“. Mit den Worten wäre zugleich das Standardvokabular der Presse abgedeckt, die über Graffiti berichtet und die es sich in jüngster Zeit zum Ziel gesetzt hat, gemeinsam mit Polizei und Staatsanwaltschaft zu einer Hetzkampagne aufzurufen, um den „Farbschmierern“, „Schmierfinken“ und „Straftätern“ auf die Schliche zu kommen. Dabei werden Leipzigs Bürger zum Denunziantentum aufgerufen, um den Sprayern ihr Handwerk zu legen.

Ist es denn wirklich gerechtfertigt, das Besprühen einer Wand oder eines Zuges, strafrechtlich mit sinnlosem Randalieren, wie Fensterscheiben einzuwerfen oder Autos zu demolieren, gleichzusetzen?

Es wird schließlich nichts beschädigt. Der Zug kann genauso effektiv von A nach B fahren und ist in seiner Funktionstüchtigkeit in keinster Weise beeinträchtigt. Ebenso hat sich die Statik der Wand durch die Farbtupfer nicht negativ verändert.

Sprayer werden in jüngster Zeit durch Hetzkampagnen der oben angesprochenen Art schwerst kriminalisiert. Verhindert wird dadurch ein stärkeres Auseinandersetzen mit den Beweggründen der Jugendlichen und mit dem kulturellen Aspekt, verstärkt werden bipolare Meinungen und Unwissenheit. Den Bürgern wird mit der vereinten Macht aus Staatsgewalt und Presse ihr Recht auf freie Meinungsbildung entzogen, indem Beweggründe und Entwicklung der Sprühkultur deutlich in den Hintergrund geraten.

Sprayer wollen sich wie die meisten Menschen mitteilen und äußern. Ihr Medium ist die Sprühdose und ihr Kommunikationsforum der öffentliche Raum. Häufig taucht folgende Frage auf: „Wer erlaubt es den Sprayern, ihre Zeichen in der Öffentlichkeit zu hinterlassen und den Menschen aufzuzwingen? Die meisten Leute wollen die Sprühereien nicht sehen.“

Im Gegenzug könnte man die Stadt fragen, mit welchem Recht sie den öffentlichen Raum, der allen Menschen frei und zugänglich sein sollte, zunehmend privatisiert. Somit werden alltäglich und immer häufiger alle Bürger mit kommunal geduldeten Zeichen bombardiert. Werbeplakate, Litfasssäulen, digitale Anzeigetafeln und Slogans aller Art locken unsere Aufmerksamkeit auf sich und wollen uns zudem noch zum Konsum anstiften. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Stadt jemals ihre Bürger um Erlaubnis fragte, derartige Botschaften zu installieren, und es ist kein Geheimnis, dass sie vielen lästig sind.

Erfreulich wäre es, wenn sich mehr Menschen darum bemühten, die modernen Hieroglyphen, die uns alle umgeben, zu verstehen. Es kann nur bereichern und es gibt viel zu entdecken. Dialoge zwischen Akteuren und Betrachtern können helfen und können, wie die eingangs beschriebene Geschichte beweist, für beide Seiten fruchtend sein.

lam

Graffiti

Die Diktatur der Ästheten

Die ästhetische Gestaltung unserer Umwelt trägt heute vorwiegend elitären Charakter. Im Sinne derer, die Macht und Geld haben, werden gestalterische Ideen umgesetzt. Die Masse hat sich diesen Vorstellungen unterzuordnen. Grafittimaler rebellieren gegen diese Diktatur der Ästhetik. Legitim?

Meinen Frankreichaufenthalt vor einigen Jahren verbrachte ich vorwiegend knipsend. Ausgerüstet mit einem Fotoapparat lief ich durch die Straßen Albis und hielt Ausschau nach Styles (1) und Farben, nach gutem Graffiti. Ich ging wohl mit anderen Augen durch die Stadt, als die meisten Touristen, denn mich interessierten keine Berge, Strände oder Kakteen. So etwas langweilte mich. Mich interessierten die Bilder und Botschaften, die ich an den Wänden und Zügen finden konnte. Graffitis, deren Platzierung eine besondere Dreistigkeit des Malers vermuten ließen, weil sie an gewagten Orten gemalt waren, freuten mich besonders.

In den darauf folgenden Tagen ging ich mit zwei Bekannten erneut in die Stadt. Es dauerte nicht lange und wir unterhielten uns über Graffitis. Einer meinte, er empfände illegale Graffitis als Schmierereien und als respektlos gegenüber den Bewohnern und Hausbesitzern. Schöne, bunte Bilder an legalen Plätzen seien etwas anderes. Sie wären im Einverständnis der Besitzer des Untergrundes. Aber diese dahingerotzten, silbernen Großbuchstaben und vor allen Dingen, diese bloßen Schriftzüge würden nichts anderes als Zerstörung bedeuten.

Natürlich widersprach ich ihm vehement. Ich empfand, im Gegenteil, die Tristheit und Einfallslosigkeit vieler Architekten und deren Auftraggeber wären eine Verschandelung meiner Umwelt. Immer die gleichen Plakate, von immer den gleichen Zigarettenmarken seien nicht nur eine optische Plage, sondern auch von der Botschaft her beschissen. Bombings und Tags (2) seien, voraus gesetzt die Qualität stimmt, öffentliche Kunst. Sie würden etwas sehr persönliches aussagen, zur Kreativität aufrufen und nicht versuchen, irgendwelche Menschen dazu zu manipulieren, Gifte zu inhalieren. Wie könne mensch nur so intolerant sein. Weshalb versuche mensch nicht zu verstehen, was das alles bedeutet, warum Maler malen und weshalb das manchmal schnell gehen müsse. Wie könne mensch sich beschweren, gebombte Bilder zu erhalten. Der Spießbürger selber würde sie doch produzieren. Er wäre doch der Erste, der die Situation ausnützte, wenn sich der Maler für ein aufwendigeres Bild Zeit nähme. Ich meinte auch, dass ich mir von niemand irgendwelche, ästhetischen Kriterien aufzwingen lassen würde. Vor allen Dingen nicht von Hauseigentümern und Spießbürgern.

Was ich dabei nicht bemerkte, war, dass ich selber versuchte, Anderen meine ästhetischen Kriterien aufzuzwingen. Zwar hatten all die vorgebrachten Argumente ihre Berechtigung, doch hatte ich es unterlassen, auch die Position der Anderen, in erster Linie der Hausbewohner und Fahrgäste von Zügen, mit einzubeziehen. Ehrlich gesagt, waren mir diese Leute zu diesem Zeitpunkt auch herzlich egal.

Meinen Bekannten konnte ich mit dieser Einstellung nicht überzeugen. Mich selber überzeugen diese Argumente heute nicht mehr. Mittlerweile sind ein paar Jahre vergangen und ich habe mich während dieser Zeit mit der anarchistischen Idee der Herrschaftslosigkeit auseinandergesetzt. In einem Satz formuliert, besagt diese Idee, dass niemand das Recht hat, die Freiheit des Anderen zu beschneiden, solange dieser ebenfalls die Freiheit des Anderen respektiert. Allerdings ist das Thema etwas komplexer und es bedarf einen eigenständigen Text, um es befriedigend abhandeln zu können. Da entsprechende Texte bereits im Rahmen des Feierabend! Veröffentlicht wurden, möchte ich, bei weiterem Interesse an diesem Thema, auf diese verweisen.

Wenn ich heute mit jemandem über Graffiti diskutiere, so argumentiere ich aus dieser Idee heraus, dass niemand das Recht hat, die Freiheit des Anderen zu beschneiden, solange dieser die Freiheit der Anderen respektiert.

Und deswegen meine ich, dass sich Maler diese Arroganz im Denken, gegenüber Hausbewohnern und Fahrgästen von Zügen, nicht leisten können. Ich glaube, dass es unablässig ist, immer auch den Standpunkt der Anderen in seine Überlegungen mit einzubeziehen, und wenn uns diese Anderen noch so sehr zuwider sind. Anders kann ich mir eine freie Gesellschaft, basierend auf freien Vereinbarungen, nicht vorstellen. Graffitis auf Häuserwänden, z.B. jene, welche die Bewohner eines Hauses ablehnen, bedeuten das Ausüben von Gewalt und Herrschaft gegenüber diesen Menschen. Sie engen diese Menschen in ihrer Freiheit ein, selbst zu bestimmen, wie das Gebäude aussehen soll, indem sie wohnen. Wenn nur ein Einverständnis der Menschen, die jene Wände wohl am häufigsten sehen müssen, nämlich die Hausbewohner, ein Graffiti legitimiert, wie ist es dann einem Maler auch in Zukunft möglich, zu produzieren?

In der Feierabend!-Ausgabe Nummer 1 vom September 2002, in dem Artikel „Farbeffekte“, schildert der Autor eine Begebenheit mit einer älteren Dame, die ihn beim Malen erwischt. Anstatt aber zur üblichen Predigt auszuholen oder die Polizei zu alarmieren, bleibt sie stehen und fängt an, sich für das Graffiti zu interessieren. Der Maler erklärt ihr, was es mit dem Bild auf sich hat und es hat eine Vermittlung statt gefunden. Eine solche Dame wird in Zukunft vielleicht erfreut sein, ein frisches Graffiti auf ihrer Hauswand zu entdecken. Natürlich findet mensch wenig solch aufgeschlossene Menschen. Die meisten predigen, schimpfen und drohen. Die allermeisten aber rufen die Polizei und kassieren ein Kopfgeld.

Deshalb sollte mensch nicht warten, bis eine aufgeschlossene Person, mitten in der Nacht vor einer bemalten Wand anhält und nach der Botschaft fragt. Mensch könnte für die Akzeptanz von Graffiti werben, in Zeitungen, auf Plakaten, Aufklebern und Flyern vermitteln und erklären. Zu versuchen, die Position des Kontrahenten zu verstehen und eine gemeinsame Basis zu finden, könnte nicht nur den staatlichen Denunzierungsaufrufen entgegen wirken, es wäre auch ein weiterer Schritt in Richtung herrschaftslose Gesellschaft. Bleibt die Frage offen, wie mensch sich gegen die ästhetische Diktatur der Städteplaner, Architekturverantwortlichen und Werbenden zur Wehr setzt, wo Macht und Geld ein unvergleichbares Ungleichgewicht geschaffen hat.

Anmerkungen:
(1) Style: Der Stil eines Graffitis. Also ob es z.B.
reduziert oder üppig, weich oder kantig in seiner
gemalten Form ist.
(2) Bombing/gebombtes Bild: Graffiti mit großen
Buchstaben, reduziert in Farbe und Form. Oft in
starken, farblichen Kontrasten, wie Schwarz und
Silber gemalt.
Tag: Meistgehasste Form des Graffitis. Eine Art
Unterschrift des Malers.

Kunststück