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10 Jahre Libelle: Und wie stehts heute?

10 Jahre wird die gute Libelle alt, und ich wurde angehalten, einen Text dazu zu schreiben. Ganz ehrlich gesagt wusste ich und weiß auch bis zum Verfassen dieses Textes gar nicht richtig, was ich dazu schreiben soll. Deshalb habe ich mir, frei nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“, gedacht: einfach drauflos tippen. Vor ca. 3 ½ Jahren bin ich das erste Mal hier aufgeschlagen, damals zum FAU-Plenum. Als unschuldiger Arbeiterjunge vom Dorf ließ ich also meine politische Abstinenz hinter mir und gastierte zu oben erwähntem Plenum. Ganze sechs Leute waren anwesend – mich inbegriffen. Ich kann mich noch genau an meinen Gedankengang zu diesem Zeitpunkt erinnern: „Naja, die anderen 20 Mädels und Jungs müssen bestimmt arbeiten.“ Nach ca. drei Plena stellte ich dann fest, dass sechs Personen so ungefähr der Durchschnitt ist. Kurze Zeit deprimiert und enttäuscht von der sogenannten revolutionären Arbeiterklasse, die man überall sieht, nur nicht beim Gewerkschaftsplenum, machte ich dann aber doch irgendwie weiter.

Somit waren meine ersten Erfahrungen eher enttäuschend, obwohl dieser schöne Laden gar nichts dafür konnte. Trotz beschränkter Kochkünste half ich dann auch bei den VoKüs und der Brunchorganisation mit, schnippeln kann ja schließlich fast jede_r. Obwohl wir hier ca. acht Gruppen im Laden haben, sind es doch immer wieder die gleichen Leute, die diese Arbeit auf sich nehmen. In diesem Rahmen einmal ein dickes Minus an die Leute, die den Laden nur als Treffpunkt benutzen und sich sonst nicht um ihn scheren. Aber vor allem ein großes „Dankeschön!“ an alle Leute, die immer wieder mithelfen. Ich denke da vor allem an unsere ASJ-Küchendiktatorin, vor der selbst ich Angst bekomme, wenn sie mal wieder ca. 70% der Brunchspeisen vorbereitet; an alte Männer mit Wrestling-Fetisch, die bei einem vierstündigen Brunch ca. 10 Stunden arbeiten; an Mütter, die trotz Kindern auch gleich einmal eine ganze VoKü alleine schmeißen und die Libelle danach so sauber ist wie sonst nie. Natürlich auch ein herzliches „Dankeschön“ an alle, für die mir keine lustige Metapher eingefallen ist. Einmal da­von abgesehen, dass es auch einige Leute gibt, die mich hier manchmal nerven – mit ihrer links-elitären moralischen Argumentationsweise – habe ich hier auch Freundschaften fürs Leben geschlossen. Zum Beispiel zwei Leute, die ich in der Libelle kennengelernt und auf die ich einen sehr schlechten Einfluss ausgeübt habe. Denn letztendlich sind sie zu unkultivierten, aggressiven Fußball-Fans mutiert. Aber selbst das konnten sie mir verzeihen, und ich kann mich nur schwer an Leute erinnern, auf die man sich so sehr verlassen kann. Eigentlich ist das schon eher Familie als Freunde.

Das politisch erfolgreichste Erlebnis war für mich bis jetzt die Gründung der ASJ. Eine Freundin und ich dachten zu Beginn: „Naja, lass es uns einfach mal versuchen.“ Heute hat sich die Gruppe, meiner Meinung nach, zu der aktivsten in der Libelle entwickelt. Hier auch nochmal ein „Dankeschön!“ an oben erwähnte Freundin, die nach anfänglich gemeinsamem Flyer- und Plakatentwurf die Gründungsveranstal­tung allein geschmissen hat, weil ich mich damals erst einmal von meiner politischen Aktivität zurückgezogen habe. Ja, jetzt habe ich nicht wirklich was zum Laden an sich geschrieben, sondern eher über meine Erfahrungen, die ich mit ihm hatte. Aber wahrscheinlich ist das dann doch genau der richtige Weg, diesen Laden zu beschreiben: mit persönlichen Erinnerungen und Emotionen. In diesem Sinne: „Ohne euch kein Laden, kein Laden ohne euch!“

Klaus Canzely

Lokales

„Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

10 Jahre Libelle: Zwischen Klassik, Romantik und Politik

Vor zehn Jahren, das war 2003, bestand der Innenhof der Universität Leipzig noch aus zerbrochenen Steinplatten, war dekoriert mit DDR-Blumenkübeln aus Beton und bot, so munkelten Mensa-ArbeiterInnen, ganzen Rattenkolonien eine Heimstatt.

Damals gab es noch Disketten, 56k-Modems, indymedia war der Knotenpunkt im Netz und Seattle und Genua waren noch frische Erinnerungen. Die großen Proteste gegen Studiengebühren waren vorbei, die gegen Stellenkürzungen der SHEK (Sächsische Hochschul-Entwicklungs-Kommission) sollten noch kommen (oder war es umgekehrt?), und die gegen die Bologna-Reform (Bachelor-Master) kamen nie richtig in Gang. Das Leben damals war angefüllt mit Dingen, die viele von uns vorher noch nie gemacht hatten: Demos, politisch aktiv sein, heftige, endlose Diskussionen – Idealismus pur und jung. Natürlich würden wir was bewegen!

Als verschworener Kreis namens „unbequem nachfragend initiativ“ engagierten wir uns bei allen Protesten, besetzten das Hörsaalgebäude, kurzzeitig auch das Rektorat, demonstrierten gegen und für… Zu dieser Zeit – 2001, 2002 –  hatten wir uns manchmal in der Uni getroffen und oft auch bei jemandem zu Hause. Manko: Die Uni wurde um 21 Uhr geschlossen. Dennoch, irgendwer meinte, es gäbe da auf dem Augustusplatzcampus, gleich gegenüber des kleinen Mensa-Ablegers, einen ungenutzten Raum, den man als selbstorganisiertes Café nutzen könnte! Im Nachgang der Hörsaalbesetzung brachten wir eine Kaffeemaschine, ausrangierte Stühle und sonstigen Kram dorthin. Aber wir hatten keinen Schlachtplan, kein Dekor, keine Öffentlichkeit. Kurze Zeit später waren die Sachen weg. Ein altgedienter Hausmeister meinte, wir wären schön blöd gewesen, hätten wir das nicht so ohne jegliche Absprache oder Anfrage gemacht, hätten wir den Raum wohl sogar bekommen. Ach ja, die Jugend.

Aber die Idee eines Cafés als offener Treffpunkt, als Infrastruktur für allerlei freiheitlich-politische Gruppen, als Anlaufstelle für Interessierte und noch Desinteressierte, blieb in einigen Köpfen hängen. Eines war immer noch sicher: Wir würden was bewegen! Der Masterplan war einfach, aber einleuchtend. „Zur Erneuerung der Gesellschaft brauchen wir: Gewerkschaft, Zeitung, Lokal.“ Gewerkschaft und Zeitung, FAU Leipzig und Feierabend!, hatten wir seit 2002 (oder glaubten das). Nun fehlte noch ein Ort, der Schaufenster und Hauptquartier zugleich sein sollte. Ganz bewusst versuchten wir, uns vom linken Szenebetrieb und seinem Distinktionsbedürfnis, das seinerzeit die extravagantesten diskursiven Volten schlug, abzugrenzen. Denn klar war und ist, ohne die „normalen Leute“ ist kein Staat zu stürzen. Das Lokal, oder salopp gesagt: „der Laden“, sollte ohne große Worte, sondern allein durch seine Existenz, Struktur und Außenwirkung den alten Spucki-Spruch belegen: „Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

Nicht zuletzt wäre er die erste explizit anarchistische, oder verschämt gesagt: libertäre, Anlaufstelle in Leipzig. Im Laden war Platz für die Redaktion des Feierabend! sowie für die Treffen der FAU, der linken studentInnen gruppe (lsg) und vielerlei sonstige Initiativen. Legendär sollten die „Kulturabende“ der BÜHNE und später die Theatervorführungen der Gruppe tag werden. Er sollte auch einen repräsentativen Charakter haben: Die Bibliothek sollte beweisen, dass da mehr ist als nur das A im Kreis. Und der vordere Bereich sollte – damals noch ohne Sofas, sondern mit nagelneuer Gastro-Garnitur! – tatsächlich auch als Café (mit Bedienung!) auf Spendenbasis dienen und auf PassantInnen einladend wirken.

Connewitz und Plagwitz schieden also aus. So führte ein Weg zu einer alten Metzgerei auf der Georg-Schumann-Str. Der dafür angedachte Name war Kachelstan. Geklappt hat’s dann letztlich, wo die „Libelle“ – Libertärer Laden Leipzig – noch heute sitzt: im schönen, innenstadtnahen Kolonnadenviertel. Beim ersten „Plenum“ nach Unterzeichnung der Mietverträge waren bestimmt 30, 40 Leute da. Die Hoffnung war groß, die Ambitionen mannigfaltig. Sehr elanvoll gestaltete sich die mühselige Renovierung, und zur Eröffnung im Frühsommer kamen tatsächlich auch viele Leute aus der Nachbarschaft. Ein guter Auftakt. Wie steht’s doch im Faust und in anarchistischen Broschüren: „Im Anfang war die Tat!“

Gelöst hat sich die „Libelle“ nicht aus der linken Szene, vielmehr hat sie dem Anarchismus ein Standing verschafft und darf wohl auch als Impulsgeber einiger libertärer Initiativen etwa in Plagwitz oder in der PDS/LINKE gelten. Trotz einiger zarter Anwandlungen über die politische Jugendsubkultur hinaus ist der anarchistische Funke nicht übergesprungen. Und manchmal hat man den Eindruck, nicht zuletzt dank der Sofas, es handele sich, sympathisch genug, um einen gewöhnlichen Jugendclub. Das Besondere ist und bleibt jedoch, dass der ohne jegliche Subventionen auskommt und vollkommen selbstorganisiert ist – und das ist naturgemäß, trotz allen Wollens, ergebnisoffen. Von daher blieb und bleibt sich die „Libelle“ auch in der zweiten oder dritten Generation treu.

wanst & AE

Lokales