Ist das noch mein Manchester United?
Die Leidenschaft für einen Fußballverein kann etwas sehr Erfüllendes sein. Zu wissen, dass man mit Menschen durch dick und dünn geht und seine Mannschaft auch in schlechten Zeiten unterstützt. Was aber macht man, wenn etwas geschieht, mit dem man sich aus politischen Gründen gar nicht identifizieren kann?
Seit neun Jahren stelle ich mir diese Frage. 1998 begann ich mich für den englischen Fußball zu interessieren. Als mein Vater dies bemerkte, brachte er mir Manchester United (Man United) näher. Der Grund war ganz simpel: er hielt zur dieser Zeit auf den 1. FC Kaiserslautern, welcher wie United ein roten Teufel als Wappentier hat. 2003 war ich das erste Mal im Old Trafford, der Heimspielstätte von Manchester United, und auch wenn es die berühmte englische Stimmung zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr gab, war es doch für ein Jungen meines Alters ein sehr beeindruckendes Erlebnis. Im Jahr 2005 kaufte der US-Milliardär Malcolm Glazer Manchester United. Der Verein war damit offiziell Privateigentum eines einzigen Mannes. Ein Club der sich zuvor vor allem durch sein Arbeiterimage und seine linke Fanbasis ausgezeichnet hatte, wurde nun zur reinen Kapitalanlage. Aus diesem und anderen Gründen stellten sich viele Fans die Frage: Ist das noch unser United? Manche fanden ihre Antwort, einige sind noch auf der Suche, wieder andere sind einfach ignorant und wollen nur guten Fußball. Das Gewirr in der Manchester Fanszene ist groß. Dieser Artikel soll versuchen, es für Außenstehende etwas übersichtlicher zu machen und vielleicht auch den Autor seine Frage beantworten: Ist das noch mein Man United!?
Kurze Historie
Manchester United wurde 1878 als Newton Heath L&Y Railway Football Club von einer Gruppe Arbeitern gegründet, die auf dem Bahnhof in Newton Heath arbeiteten. Anfangs wurden Spiele gegen andere Eisenbahnfirmen abgehalten. Zu Beginn gab es starke finanzielle Probleme, die fast zur Insolvenz geführt hätten – wäre da nicht John Henry Davies, ein örtlicher Brauereibesitzer gewesen. Die Legende besagt, dass Davies von den finanziellen Problemen des Vereins erfuhr, als er den entlaufenen Hund des damaligen Mannschaftskapitäns Harry Stafford fand. Die Unterstützung von Davies führte nicht nur zu einer Änderung des Vereinsnamens – am 28. April 1902 wurde der Verein in Manchester United umbenannt –, sondern auch der Vereinsfarben von Gold-Grün zum heutigen Rot-Weiß.
Manchester verbrachte seine Anfangsjahre fast ausschließlich in der 2. Englischen Liga und konnte erst 1938 in die 1. Liga aufsteigen. 1958 ereignete sich die bisher größte Tragödie der Vereinsgeschichte: Am 6. Februar flog die Mannschaft von einem Europacupspiel in die Heimat, als das Flugzeug während eines Schneesturms verunglückte. Acht Spieler starben, zwei erlitten Verletzungen, die das Ende ihrer Karriere bedeuteten. Ab 1986 wurde Manchester von Alex Ferguson trainiert. Ferguson, der sich selbst immer als Sozialist bezeichnete, leitete die bis heute erfolgreichste Ära des Vereins ein, die 1999 im sog. „Triple“-Sieg (Gewinn der Meisterschaft, des Pokals und der Champions League) mündete.
1991 ging Manchester United an die Börse, um eine Kapitalerhöhung für den Verein zu erreichen. Bereits 1998 versuchte Rupert Murdoch sich die Mehrheit der Vereinsanteile zu sichern. Die Anhängerschaft von United befürchtete, ihr ohnehin schon geringes Mitspracherecht durch den Verkauf des Clubs komplett zu verlieren – im Falle einer Übernahme planten sie, einen eigenen Verein zu gründen. Da die Übernahme jedoch scheiterte, wurden die Pläne auf Eis gelegt.
Leider mussten sie bald wieder ausgegraben werden, da 75% der Aktienanteile seit dem 16. Mai 2005 Malcolm Glazer gehörten, was diesem erlaubte, den Verein von der Börse zu nehmen. Zwei Monate später, am 28. Juni gehörten ihm bereits 98 % der Aktien, womit eine Zwangsabfindung der restlichen Kleinaktionäre ermöglicht wurde. Dadurch wurde der Club nun Privateigentum der Glazer-Familie. Malcolm Glazers Söhne wurden in den Vorstand berufen. Mit Protestaktionen hatten viele Fans bis zuletzt versucht, die Übernahme zu verhindern. Fans des Vereins, die schon vorher mit der zunehmenden Kommerzialisierung, den hohen Kartenpreisen und der schwindenden Einflussnahme unzufrieden waren, gründeten daraufhin einen neuen Club: den FC United of Manchester.
Der FC United of Manchester
Am 19. Mai 2005 trafen sich United-Fans, die sich schon vorher gegen den Verkauf ihres Vereins gewehrt hatten, in der Manchester Methodist Hall. Vor der „offiziellen“ Übernahme ihres Clubs wurden verschiedenste Demonstrationen unter dem Motto „Manchester United – Not for Sale“ durchgeführt. Zugleich wurden die Pläne zur Gründung eines eigenen Vereins neu aufgenommen und in verschieden Fanzines diskutiert. Bei einem Treffen am 30. Mai wurde dann ein Beschluss gefasst: Ein neuer Verein sollte gegründet werden, wenn bis Ende Juli 2005 mindestens 1.000 Personen eine Spende geleistet hätten. Da dieses Ziel weit überschritten wurde, gründete sich im Sommer 2005 der FC United of Manchester.
Bereits bei der Namenswahl wurde der basisdemokratische Anspruch des Vereins deutlich, da die Spender_innen selbst über den Namen abstimmen durften. Sportlich gesehen startete der FC United in der zehnthöchsten Spielklasse und belegte in der abgelaufen Saison den 2. Platz in der siebthöchsten Spielklasse. Soviel zur Entstehungsgeschichte des Vereins. Doch was unterscheidet diesen Club so sehr von anderen englischen Vereinen und macht ihn für viele so attraktiv, dass er sogar eine eigene wöchentliche Fernsehsendung bekommt, die in keinem Verhältnis zu seinem fußballerischen Niveau steht?
Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Übernahme von Man United leider kein Einzelfall ist. Fast alle Profivereine Englands sind aktuell Privatbesitz, so z.B. der FC Chelsea und der FC Liverpool. Im Gegensatz dazu funktioniert der FC United nach dem Prinzip „Ein Mitglied – eine Stimme“, unabhängig von der Position im Verein oder der Höhe des Mitgliedsbeitrags. Eine Struktur, nach der sich viele Fans sehnen, da sonst meist der Eigentümer allein die Entscheidungen fällt. Weiterhin ist die viel beschworene Gemeinschaft um den Club zu nennen – der FC ist festverwurzelt in Manchester, unterstützt soziale Projekte und ab und an sieht man auch schon mal Kinder aus dem Viertel auf dem Trainingsgelände kicken – dagegen würde kein Kind, das Fan von Arsenal London ist, auf die Idee kommen, auf dem Trainingsgelände der Profis bolzen zu gehen. Dieser starke Bund zwischen der ansässigen Bevölkerung und dem Verein ist etwas, was sich viele Leute im heutigen Fußballgeschäft nur wünschen können. Besonders in England wird Fußball häufig als Arbeitersport propagiert, was für die meisten einfach nur bedeutet, dass der Verein eine Gemeinschaft darstellen soll, bei der die Grenzen zwischen Spielern und Fans möglichst niedrig sind. All das und noch mehr findet sich beim FC United of Manchester. So wird z.B. das „Working Class“-Image des Vereins durch verschiedene Logos stark nach außen getragen. In der Vereinssatzung befindet sich eine Passage, dass Diskriminierung jeder Art nicht geduldet wird, und ein weiterer Punkt, dass der Club versucht, Kommerzialisierung zu vermeiden. So ist z.B. die BMW Williams Group zwar Hauptsponsor des Vereins, jedoch wurde es abgelehnt, das Firmenlogo, wie eigentlich üblich, auf den Trikots zu tragen. Dies sind einige der Gründe, warum viele Fans, nicht nur auf der Insel, Sympathien für den FCUM haben.
Sind nun also alle „guten“ Personen FC-United-Mitglieder und alle „bösen“ Manchester-United-Fans? Da die Welt nicht einfach schwarz-weiß ist, kann sich der/die Leser_in die Frage vermutlich selbst beantworten: Natürlich nicht! Der Film „Looking for Eric“ beschreibt den Zwiespalt vieler Personen sehr gut. Hier werden die Streitigkeiten zwischen beiden Fanlagern deutlich beschrieben, aber vor allem die Gemeinsamkeiten gut dargestellt. Denn es ist mittlerweile als United-Anhänger in Manchester nicht mehr unüblich, auf zwei Vereine zu halten. Viele Personen, die ebenfalls gegen die Übernahme durch Malcolm Glazer protestiert haben, besuchen bis heute die Spiele von Manchester United bzw. beider Clubs. Sie sehen sich allerdings nicht als reine Konsument_innen, sondern organisieren sich und wollen sich Manchester United zurückerkämpfen. Wer die Fankurven Im Old Trafford aufmerksam beobachtet hat den wird nicht entgangen sein dass man vermehrt Leute mit gold-grünen Fan-Utensilien im Stadion sieht. Was hat das nun wieder zu bedeuten? Die Vereinsfarben von Man United sind doch eigentlich Rot und Weiß?
Der Manchester United Supporters’ Trust
Als United den Spielbetrieb unter den Namen Newton Heath L&Y Railway Football Club aufnahm, waren die offiziellen Vereinsfarben Gold und Grün, erst später wurden diese zu Rot und Weiß geändert. Dies machte sich der Supporters‘ Trust zunutze, um seinen Protest gegen den Verkauf des Clubs auch optisch im Stadion zu untermalen.
Doch beginnen wir wie üblich am Anfang: Die Geschichte des Supporters‘ Trust beginnt im Jahr 1998, als die Fans – damals noch unter den Namen Shareholders United – versuchten, den Verkauf ihres Clubs an Rupert Murdoch zu verhindern. Mit Demonstrationen, Treffen und Flugblättern sensibilisierten sie einen Großteil der Fanszene für das Thema.
Damals wurde die Übernahme noch vom Kartellamt verhindert, aber im Jahr 2005 wurde der Verein dann wirklich verkauft. Am ersten Treffen am 19. Mai 2005 in der Manchester Methodist Hall, aus dem später der FC United hervorgehen sollte, nahmen auch viele Mitglieder des Shareholders United teil – sie sprachen sich jedoch gegen eine Vereins-Neugründung aus: Ihrer Meinung nach sollte man den Verein von „innen“ heraus verändern und sich nicht von ihm abwenden. Aus diesem Grund setzten die Shareholders United ihre Arbeit auch nach der Übernahme fort und besuchten weiterhin die Spiele von Manchester United. Im Jahr 2006 wurde der Name dann in Manchester United Supporters Trust geändert. Da zu diesem Zeitpunkt bereits viele englische Clubs in Privatbesitz waren, wurden landesweit die sogenannten Supporters Trust gegründet. Kurz gesagt, versuchen diese Trusts Leute zu organisieren, die ihre Clubs nicht als Privat-, sondern als Gemeineigentum sehen wollen. Sie organisieren sich bereits jetzt in dieser angestrebten Vereinsstruktur, nach dem Prinzip „Ein Mitglied – eine Stimme“. Ihr langfristiges Ziel ist es, den Verein wieder selbst zu übernehmen und ein demokratisches Beschlussprinzip einzuführen, in dem Aktionäre wie auch Vereinsmitglieder gleiches Stimmrecht haben. Da die Shareholders United all diese Punkte schon anstrebten, bevor die Supporters Trust aus dem Boden schossen, fiel ihnen die Namensänderung nicht schwer. Der Grund für die Umbenennung war also eher ein symbolischer, um eine vereinsübergreifende Solidarität zu den Trusts zu zeigen. Aktuell hat die Organisation bei Man United 204.025 Mitglieder. Am auffälligsten ist ihr Wirken für Außenstehende wahrscheinlich durch die Unmengen an grün-goldenen Schals, die bei weiten kein Einzelfall mehr im Old Trafford sind. Auch wenn es noch ein sehr langer Weg ist, bleibt doch zu hoffen das Manchester United bald wieder seinen Fans gehört. Aber auch wenn damit gezeigt wurde, dass es durchaus Man-United-Anhänger gibt, die sich zur Wehr setzen, bleibt die Anfangsfrage doch noch offen: Manchester United oder FC United of Manchester?
Manche Fragen benötigen keine Entscheidung!
Durch die erwähnten Ereignisse verfolgte ich ab dem Jahr 2005 Man United zunächst gar nicht mehr. Die Identifikation ging verloren, es entstand aber auch das Gefühl, „dass man sich doch nicht einfach kampflos geschlagen geben kann“. Schließlich bemerkte ich, dass ich beim Fußballschauen in der Stammkneipe um die Ecke doch nicht so einfach emotional objektiv sein kann, wenn Man United spielt. Also begann ich mich zu Informieren. Schnell bemerkte ich, dass sich viele Leute ähnlich fühlten wie ich und sich engagierten. Auch der von mir erwartete Konkurrenzkampf zwischen der „aktiven“ Fanszene von Manchester United und den Anhängern des FC United of Manchester ist in der Realität kaum vorhanden. Im Gegenteil: Man unterstützt sich gegenseitig bei seinen jeweiligen Projekten, und häufig kommt es sogar vor, dass die Spiele beider Vereine besucht werden. Die größere Kluft besteht zwischen Personen, die einfach nur guten Fußball sehen wollen und denen das Vereinsleben egal ist, und den Mitgliedern des FC United, sowie den organisierten Fans von Manchester United. Jede_r ist diesbezüglich natürlich frei in der Entscheidungsfindung, und mit großer Sicherheit gibt es beim FC United, aber auch bei Manchester United Personen, deren Meinung zu dieser Thematik eindeutiger ausfallen. Aber ich fand meine Leidenschaft durch die Aktivitäten der Fans für beide Vereine! Allen Fans eines englischen Vereins, die Ähnliches durchmachen mussten, hoffe ich ein wenig Hoffnung gemacht zu haben. Vielleicht motiviert es euch, auch selbst bei euren eigenen Verein aktiv zu werden – das geht, auch wenn man nicht in England wohnt! Aus diesen Gründen möchte ich diesen Artikel mit einem Dank an meinen Vater beenden, der es auch einmal geschafft hat, mir einen bzw. zwei gute Fußballvereine näher zu bringen. 😉
klaus canzely