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Die Häuser denen, die in ihnen wohnen!

Mietkampf in der Kochstraße

In vielen Teilen der Städte werden Menschen durch Modernisierung oder sogenannte Viertelaufwertung aus ihren Wohnungen verdrängt. Mit welchen Mitteln die Modernisierer dabei vorgehen und dass man auch etwas dagegen tun kann, zeigt das Beispiel der Kochstraße 114 in Leipzig.

FA!: Wie ist eure derzeitige Situation?

Es wohnen noch drei Mietparteien von zwölf in der Kochstraße 114. Alle drei sind auf Räumung und Herausgabe verklagt, zwei Prozesse sind in erster Instanz zu unseren Gunsten entschieden worden, der dritte läuft noch. Der Vermieter hat in den beiden für ihn verlorenen Prozessen Berufung eingelegt, die Termine dafür stehen noch nicht fest. Am Haus und in den Wohnungen wird nichts gemacht.

FA!: Könnt ihr uns eine kurze Chronologie der Ereignisse geben?

2008 hat die Stadtbau AG dieses und das Nachbarhaus gekauft. Erst mal gab es keine Änderungen, außer einem auffälligen Geiz bei Reparaturen und Wartungen. Es folgte eine erste Mo­dernisierungsankündigung: Balkons, abwaschbare Fensterbänke, neue Fenster (obwohl das Haus teilsaniert ist und neue Fenster hat) und die Heizung sollten die Miete verdoppeln. Das war Anlass für die anderen neun Mietparteien freiwillig auszuziehen. Es wurde nichts modernisiert. 2010 wurden dann Selbstnutzer im Haus rumgeführt, eine bewohnte Wohnung wurde als frei im Internet angepriesen. Mit uns wurde erst geredet, als wir beim Amt für Stadtentwicklung nachfragten, was eigentlich los ist.

Von der Stadtbau AG wurde uns gegenüber nun der Wunsch geäußert: wir mögen doch ausziehen („erst mal ohne Eigenbedarfs- oder Verwertungskündigung“), den Umzug würde ja das Amt bezahlen. Welches Amt sie meinten, sagten sie nicht. Sie gingen aber wohl davon aus, dass wir alle Empfänger von Leistungen nach dem SGB II (sog. Hartz IV) sind. Wir sagten, dass wir nicht ausziehen wollen. Nach einer Weile ließ der Besucherstrom der Selbstnutzer nach, wir wussten nicht warum.

Wir erhielten eine zweite Modernisierungsankündigung, die im Wesentlichen eine Kopie der alten mit nach oben angepassten Mietpreisen war. Es wurde nichts modernisiert. Ein Schlüsseldienst überraschte eines Morgens damit, die Wohnungsschlösser austauschen zu wollen, also auch der noch vermieteten Wohnungen, zum Glück waren wir zu Hause. Der Dachboden musste beräumt werden, das Betreten des Hofes wurde verboten. Im Treppenhaus wurde nach alten Malereien gesucht, um in den Genuss von Denkmalpflegeabschreibungen zu kommen, da das Haus bisher keinen Denkmalstatus hatte. Es wurde sehr intensiv teilweise auch Unterputz gesucht und der anfallende Schutt einfach liegengelassen und auch auf Aufforderung nicht weggeräumt. Die Beseitigung mussten wir dann übernehmen. An einem Samstag wurden dann die Öfen der leeren Wohnungen abgerissen und einfach aus dem Fenster auf den Hof geschmissen, was Leute aus den Nachbarhäusern durch die Polizei beenden ließen.

Am 2.12.2011 erfolgte eine Kündigung, da die Wohnungen zu klein wären und einer wirtschaftlichen Verwertung entgegenstünden (die kleinste ist 53m²). Es folgten die Klagen auf Räumung Mitte 2012 und ihre Abweisung. Das Betreten des Hofes wurde dann erneut verboten, da ein Risiko bestünde, obwohl der Anwalt der Stadtbau AG/ Rubin24 gesagt hatte, dass keine Bauarbeiten stattfinden. Nun soll ein kleiner alter baufälliger Schuppen dafür herhalten, dass wir den gesamten Hof nicht mehr nutzen dürfen. Am Ende wurde die Hoftür zugemauert. Das dient nur dazu uns zu zermürben, aber damit werden sie keinen Erfolg haben.

FA!: Wie wehrt ihr euch dagegen?

Juristisch natürlich, wir haben einen sehr engagierten Anwalt, alle denselben, so dass es schwieriger wird uns gegeneinander auszuspielen. Keine und keiner sollte unterschätzen, wie anstrengend es werden kann. Wir wehren uns nun schon seit fünf Jahren gegen unsere Vertreibung aus dem Haus und versuchen, die Vorgänge öffentlich zu machen. Kann ja nicht sein, dass dieselbe Stadtbau AG so prestigeträchtige Projekte wie die Leipziger Markthalle realisiert und das Geld dafür aus ihren Mieter­Innen herauspresst oder Geschäfte auf deren Rücken macht!

FA!: Beratet ihr euer Vorgehen gemeinsam? Wie seid ihr organisiert?

Wir wohnen im selben Haus:-) Ja, wir versuchen alle anliegenden Probleme gemeinsam zu besprechen und auch zu lösen. Das ist manchmal nicht einfach, aber wir lernen dabei eine ganze Menge, was uns auch anderweitig nutzen kann.

FA!: Habt ihr Unterstützung? Von wem, in welcher Form?

Unser Anwalt ist eine große Hilfe, auch die Linkspartei in der Gegend kennt das Problem und hilft uns, Öffentlichkeit zu haben. Teilweise bekommen wir auch Unterstützung vom Mieterverein, der ist zwar nicht optimal, aber besser als gar nichts. Und jetzt hoffentlich auch von anderen MieterInnen, die von Verdrängung betroffen sind.

FA!: Gibt es eine Betroffenen-Vernetzung (über euer Haus hinaus)? Was versprecht ihr euch davon?

Wir fangen gerade damit an, Treffen einiger betroffener Häuser aus Leipzig zu organisieren, die regelmäßig stattfinden sollen. Da es bisher nur ein Treffen gab, kann man dazu wenig sagen, außer dass es ein Interesse gibt und der Austausch allein schon für das Gefühl wichtig ist, nicht allein zu sein. Im Moment sind ca. zehn Wohnhäuser und eine ganze Reihe von EinzelmieterInnen dabei.

FA!: Was wünscht ihr euch?

Dass wir in „unserem“ Haus zu vernünftigen Mieten weiter wohnen können. Wäre schön, wenn es eine Heizung gäbe, auch wenn wir dann etwas mehr bezahlen müssten. Und weiter, dass sich die Menschen in der Stadt nicht mehr so einfach vertreiben lassen, wie das z.B. mit unseren ehemaligen Nachbarn der Fall war. Und alle sollten darüber nachdenken, ob sie die Häuser, in denen sie wohnen, nicht selber erwerben und so dem Wohnungsmarkt entziehen. Dazu gäbe es eine Menge zu sagen. Und das ist gar nicht so schwer wie es scheint.

FA!: Wie kann man euch unterstützen?

Wir werden demnächst Veranstaltungen organisieren, da könnt ihr hinkommen und euch beteiligen. Sicher gibt es in absehbarer Zeit auch Aktionen in der Öffentlichkeit. Viele der Handlungen der VermieterInnen geschehen ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit und wir wollen das etwas ändern.

FA!: Was ratet ihr Leuten in ähnlichen Situationen?

Wichtig ist, sich sehr zeitig zu kümmern und nicht zu warten bis die Kündigung auf dem Tisch liegt. Dazu gibt es zum Beispiel in Leipzig die Initiative „Stadt für Alle“. Die können dann weitere Hilfe vermitteln oder selbst helfen. Oder an den Mieterverein Leipzig wenden. Oder an uns und wir helfen Euch weiter.

FA!: Vielen Dank für das Interview.

Kontakt zu „Stadt für Alle“:
leipzig@fueralle.org

Lokales

Die Redaktion demonstriert…

…gegen Pro Deutschland in Connewitz

Die rechte „Bürgerbewegung“ Pro Deutschland will groß rauskommen. Zum diesjährigen Wahlkampf startete sie deshalb eine große Tour durch diverse deutsche Städte und gastierte am 16. September mit ihrem Bürgerbewegungs-Bus auch in Leipzig, um dort u.a. in der Nähe des Conne Island eine zweistündige Kundgebung abzuhalten.

Momentan ist die Bürgerbewegung aber noch klein. Gerade mal fünf Leute schienen da zu stehen, obwohl auch das nur gemutmaßt werden konnte. Die Polizei war mit gut zwanzig Mannschaftswagen vor Ort, und von diesen wurde die Kundgebung nun derart fachmännisch umstellt und zugeparkt, dass sie gar nicht mehr zu sehen war. Nur eine einzelne Deutschlandfahne war zu erkennen, die einer da gelegentlich hinter den Polizeifahrzeugen schwenkte. Etwa fünfzig Linke hatten sich eingefunden und beobachteten das klägliche Treiben. Die Redebeiträge waren selbst von der gegenüberliegenden Straßenseite nur schwer bis gar nicht zu verstehen – die kleine Bewegung konnte sich vermutlich keine großen Lautsprecher leisten. Aber vielleicht hat sich ja der eine oder die andere der umstehenden Polizist_innen von diesem Auftritt überzeugen lassen.

Sonst noch was? Ja, am Ende der Veranstaltung nutzte ein unbekannter Chaot noch fix die Gelegenheit, eine Silvesterrakete in Richtung der Kundgebung abzuschießen – die alten Böller müssen ja auch irgendwann weg… Aber auch dieser Versuch, der lahmen Aktion ein wenig Glamour zu verleihen, verpuffte wirkungslos auf halber Strecke. Vielleicht ein kleiner Tipp zum Schluss: Beim nächsten Mal das Spritgeld sparen und dafür bessere Lautsprecher kaufen.

justus

…im Protestcamp mit den Flüchtlingen in Bitterfeld

Die Unterkünfte Friedersdorf und Marke im Landkreis Anhalt-Bitterfeld/Sachsen-Anhalt sind, wie so viele andere Sammelunterkünfte auch, isoliert von Aktivitäts- und Kontaktmöglichkeiten und ohne Privatsphäre. Die Kritik der Zustände bestand schon seit längerem, jedoch ohne, dass von Seiten des Landkreises was passierte. Daraufhin schlossen sich am 1. August hier mehrere Flüchtlinge zusammen, errichteten auf dem Bitterfelder Marktplatz ein Protestcamp und traten in einen Hungerstreik – insbesondere, um sich für verbesserte Unterbringungsbedingungen und das Recht auf Arbeit einzusetzen. Der Streik endete nach 16 Tagen, als die Landesintegrationsbeauftragte vor Ort ins Gespräch kam und einen Runden Tisch mit den zuständigen Behörden und handelnden Personen einberief.

Nun bleibt abzuwarten, ob sich für die Menschen tatsächlich etwas ändern wird. Im Rahmen der Möglichkeiten von kommunalen Ausländerbehörden bzw. Sozialämtern der Landkreise liegen immerhin Aspekte wie Sozial­leistungen, medizinische Versorgung d.h. Überweisung zum Facharzt und Therapien, Arbeitserlaubnisse, Erteilung der Verlassenserlaubnis zur Reise in andere Bundesländer sowie Abschiebungs­anordnungen. Hoffentlich bald nicht mehr zu Ungunsten der Betroffenen. Für ein Recht auf Rechte!

mona d.

… bei einer Fahrraddemo gegen die ­staatlichen Repressionen in Russland

Der unmittelbare Anlass war der gewaltsame Übergriff der russischen Spezialeinheit Omon auf das transnationale Austauschtreffen Vostok Forum bei Murmansk. Das Forum war von der deutschen Netzwerk AG Russland mitorganisiert worden. Dieser Angriff reiht sich ein in eine Kette repressiver Aktivitäten gegen regimekritische Menschen in Russland. Am bekanntesten dürfte die Verurteilung der Punkband Pussy Riot wegen Blasphemie sein. Dort hört es jedoch nicht auf. Seit 2012 müssen sich russische Nichtregierungsorganisationen als „ausländische Agenten“ registrieren lassen, um Geld aus dem Ausland erhalten und politisch tätig sein zu können. Und die Kriminalisierung geht weiter. Das neue „Homo-Propaganda-Gesetz“ verbietet es, in Anwesenheit von Minderjährigen oder in öffentlichen Medien positiv über gleichgeschlechtliche Lebensweisen zu sprechen.

All dies war Grund genug, am 13. August 2013 in Leipzig von der Blechbüchse zum russischen Generalkonsulat in Gohlis zu ziehen. Der bunte Haufen wurde eifrig vom Konsulatsmitarbeiter abfotografiert. Ob nur für die Pressemappe oder um beim nächsten Visaantrag seine Kritiker zu erkennen, wird sich zeigen. Solidarität mit den Betroffenen staatlicher Repressionen in Russland! Informiert Euch und andere!

wanst

www.ag-russland.de

… beim ­­diesjährigen Leipziger Christopher Street Day, Motto: „L(i)eben und L(i)eben lassen“

Meinen ersten Eindruck vom CSD prägten neben dem mit Ständen gefüllten Marktplatz und der sich vor dem sich Rathaus formierenden Demonstrationszug vor allem drei Junggesell(inn)­enabschiede, die dem Ganzen einen gewissen realistischen Rahmen boten. Die Frauengruppe in schwarz-pink war gar nicht weiter erwähnenswert. Die sieben Männer hingegen, die betrunken gröhlend ihren im rosa Tütü gekleideten Jungesellen anfeuerten und CSD-Besucher_innen von ihrem Party-Tandem zuwinkten, ernteten wenig verwunderte oder gar ablehnende Blicke. Im Gegenteil – die Leute vom Marktplatz winkten teilweise freundlich zurück. Für mich eine fast surreale Situation.

So wunderte ich mich dann aber nicht mehr über einen Stand der Jungen Union, freute mich hingegen über einen der Queeramnesty Leipzig. Den ersten Redebeitrag der Demo verfolgte ich mit Interesse, hatte ich doch das Glück, hinter dem Wagen der Redner_innen zu sein, während auf dem zweiten Wagen munter die Partymusik weiterlief. Besonders der Redebeitrag der diesjährigen Schirmherrin Lucie Veith (Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V.) war hörenswert. Sie erklärte, dass zum ersten Mal nicht nur LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans), sondern explizit auch Intersexuelle mit angesprochen und sich mit ihnen (v.a. im Kontext von Genitalverstümmelungen) solidarisiert werden sollte. Es war diesmal also ein CSD von und für “LGBT(I)”, was sich auch im Motto widerspiegelte. Und für Heten war auch Platz. 😉

shy

Die Redaktion … fühlt

INNEN sein. innen SEIN

Wenn ich an fühlen denke, steckt da für mich meine ganze Welt drin. Ich finde, Gefühle sind etwas ganz wunderbares. Ich ziehe das Fühlen dem Denken vor. Denken strengt mich an, denn das impliziert bei mir, dass ich auch Taten folgen lassen muss. Im Fühlen aber bin ich weich und fließend. Und mit allem was ist oder nicht ist, was dem Fühlen folgt oder nicht folgt, bin ich milde und gnädig zu mir, denn es ist ja mein Gefühl. Mein tiefes Inneres – und da drinnen in mir ist alles erlaubt und alles herzlich willkommen.

Wenn ich an Fühlen denke, denke ich auch daran, mit mir im Kontakt zu sein, mit dem zu sein, was für mich zählt. Und ich denke an Wachsen. Insbesondere in den Momenten, in denen Gefühle wie Schmerz, Enttäuschung, Trauer, Ungeduld oder Wut da sind, versuche ich (mal mehr mal weniger, aber dafür immer besser) diese bewusst wahrzunehmen. Sie wahrzunehmen, indem ich sie einfach nur benenne. Und zwar ohne sie gleich zu bewerten oder, was mein Kopf sehr oft versucht, sie zu kategorisieren und den Ursprung erklärbar machen zu wollen. Und das bedeutet für mich, meine Gefühle weder festhalten zu wollen – also mich in meinem Schmerz baden, noch, sie wegzudrücken und zu ignorieren im Sinne davon, dass es ja wenn ich es mal ganz objektiv und nüchtern betrachte, schon gar nicht so schlimm ist. Bei dieser Art von Innenschau, zumindest zu den Zeitpunkten, wo mir das gelingt, spüre ich, dass daraus Entwicklungsschritte erwachsen. Im Rückblick zumindest fühlt es sich so an, Dinge zu mir genommen zu haben und zwar so wie sie waren – weder verharmlosend noch dramatisierend. Und damit fühlt es sich an, dass ich selbst die Verantwortung für mein Leben übernehme. Ich projiziere und leugne nicht und will auch nicht festhalten, was doch gerade so schön ist. Vielmehr stelle ich mich dem, was genau im Hier und Jetzt, in diesem Moment in mir ist und wachse daran, dringe in tiefe Schichten meines Selbst vor und erlebe dabei ganz bizarrerweise auch, dass ich mehr bin als meine Gefühle.

Und indem ich meinen Gefühlen so unbewertet in die Augen blicke, sie versuche einfach nur wahrzunehmen, schärft sich in mir die Gewissheit, dass ich so wie ich bin, mit all diesen meinen Gefühlen, genau richtig bin und das alles in mir sein darf. Das da drinnen, in meinem Fühlen, eine Welt – und zwar meine ganze Welt – liegt. Und der Welt da draußen, darf ich mich und meine Themen, mein Innenleben zumuten, ich darf meinen Raum haben. Das wiederum lässt mich eigenverantwortlich in meine Kraft kommen und Situationen nehmen wie sie sind. Und indem ich das tue, im besten Falle natürlich mit liebevollem Blick auf mich selbst, komme ich irgendwann ganz bei mir an und sehe immer klarer, wozu mich das Leben ruft. Ich wachse in die Person hinein, die ich bin.

Mein Blick wird frei von dem, was ich nicht habe, und geht zu dem, was ich alles habe. Er lässt mich erkennen, das ganz egal welcher Schmerz da auch war, ich alles mitbekommen habe, was ich brauche. So wachse ich in die Tiefe und stoße auf das wertvollste, das ich habe – meine Liebe.

mona d

…dieses und jenes

Gefühle sind ja ihrem Wesen nach unbeständig, unklar und fließend. Doch im Moment fühle ich mich tatsächlich verunsichert, oder besser: irritiert. Es flimmert in meinem Blick, immer mehr, je länger ich auf die Buchstaben hinstarre. Ich schließe mein eines Auge. Mit dem anderen peile ich über die Nasenspitze weg, zögere kurz, ehe ich dem Monitor links und rechts ein paar hinter die nicht vorhandenen Ohren gebe. Jetzt geht es besser, ich atme auf. Nur ein technischer Defekt, mit meinen Augen ist alles okay. Da kann ich ja weiter über Gefühle schreiben…

Männlich sozialisierte Wesen wie ich haben damit ja so ihre Probleme. Am einfachsten wäre es wohl, ich würde die Frage nach meinem Innenleben so beantworten wie Nelson, der hässliche Junge bei den Simpsons – mit einem mürrischen Achselzucken und den Worten: „In mir sind Gedärme.“ Das stimmt natürlich, technisch gesehen, ist eben nur ein wenig unterkomplex. Ich könnte auch heucheln und behaupten, dass ich gerade unheimlichen Zorn in mir fühle. Ja, Zorn! Einen rechtschaffenen Zorn natürlich, gegen Kapitalisten und Kriegshetzer, sowieso gegen Neonazis und die allgemeine Gesamtscheiße.

Aber wenn ich ehrlich bin, dann bin ich gerade mal überhaupt nicht zornig. Viel eher schon ist es ein leichter Weltschmerz, ein sanftes Gefühl von ennui (um es mal so schön frankophil bzw. frankophon zu formulieren), das mich da von innen her anrührt. Nein, ich bin nicht traurig – das Gefühl ist eigentlich ganz angenehm. Ein Gefühl von Herbst und milder, in Eichenholz gereifter Melancholie, wie sie mich regelmäßig befällt, wenn ich so rumsitze und darüber nachdenke, dass ich nun schon gut dreißig Jahre meiner Lebenszeit ziemlich zweckfrei verplempert habe. Ganz angenehm soweit. Ich sollte wohl noch mehr Schnaps trinken und mich mehr mit meinen Gefühlen beschäftigen, um auch die verbleibende Lebenszeit noch gut über die Runden zu bringen.

justus

Was fühlen…

…und wann?

Ich nehme einfach die jetzige Situation.

Ich schreibe einen Artikel für den Feierabend! und fühle Angst.

Wird der Artikel gefallen? Oder wird er zerrissen?

Er wird sicher zerrissen, antworte ich mir. Ich kann das doch nicht richtig. Mit Sicherheit bin ich nicht gut genug.

Schluss jetzt! Mach halt. Keine Angst, das wird schon, schließlich ist ja auch keiner perfekt und selbst wenn etwas geändert werden muss – passt schon. Aber doch bleiben die Zweifel und die machen es nur noch viel schwerer. Ich mache es mir quasi selber schwer. Jedes Wort wird mehrmals unter die Lupe genommen, bis es passen könnte und immer noch, bei all der „Sicherheit“ die ich langsam bekomme. Im Hinterkopf bleibt sie, diese Unbestimmte Versagensangst. Es bleibt nur dagegen anzukämpfen. Einfach schreiben. Reinhängen, denken.

Langsam wird es besser. Ich sehe was ich geschafft habe und werde ruhiger. Lese und lese dennoch immer wieder alles durch. Vielleicht ist es das, was mir die Sicherheit gibt. Ich kann es vielleicht ja doch und mach mich nur klein. Also nochmal, sage ich mir – reiß dich zusammen!

Aber die Anderen werden bestimmt viel tollere Texte haben, da kann ich ganz klar nicht mithalten.

Das Gerüst beginnt wieder zu brechen, doch nicht ganz. Immer wieder muss ich mich selber beruhigen und es funktioniert. Er ist fast fertig, der Artikel. Es wird leichter. Innere Euphorie beginnt aufzukeimen. Ich habe den Kampf mit mir gewonnen.

…Es folgt der Moment des Absendens und die Kritik der restlichen Redaktion. Der Puls steigt – was wird passieren? Die Gedanken überschlagen sich nun wieder. Aber sei es drum.Ich habe es gemacht, habe meinen Arsch hoch bekommen und geschrieben.

Und da ist es doch wie bei allem. Wir müssen es probieren, denn wenn wir das nicht machen, dann wird die Angst nie überwunden, dann bleiben wir stehen und entwickeln uns nie weiter. Also Mut zum Streit mit sich selber.

R!

Gefühlsexpertin?

Eigentlich halte ich mich ja voll für die Gefühlsexpertin: ich nehme sie bei mir und Anderen oft wahr, kann sie einordnen, reflektieren, analysieren und über Ursachen und Wirkungen philosophieren. Ständig umgeben von meinen Gefühlen, die zwischen Bergen und Tälern des Lebens wandern, machen sie mir das Leben mal leicht, mal schwer. Unbemerkt bleiben sie nur, wenn sie auf gerader Strecke laufen. Das gibt dann zwar meinem rationalen Ich mehr Raum, ist aber eigentlich auch ziemlich langweilig.

So und jetzt zum „eigentlich“ – denn eigentlich mach ich mir da auch ganz schön viel vor, mich selbst als Gefühlsexpertin zu sehen: Denn ich sehe meist nur, was ich sehen will – Negatives blende ich auch gern mal aus, wenns nicht passt oder rede es mir schön. Reflexion wird schnell zur Grübelei und die Analyse von Ursache und Wirkung verhindert vor allem eines: sie einfach mal anzugehen. Mal spontan so zu handeln, wie das Gefühl signalisiert. Nicht darauf zu achten, ob es jetzt in den Kontext passt, oder irgendwen verletzt, oder mich in komisches Licht stellt, oder die Situation ungünstig beeinflusst. Gefühle fühlen ist das eine – danach zu handeln etwas anderes. Gerade diese zweite Kunst ist noch mein Lernfeld. Aber es geht voran 🙂

momo

GEFÜHLE…

Echt jetzt? Muss ich wirklich über GEFÜHLE schreiben. Blöder B…m… Na ja, besser als über GEFÜHLE sprechen zu müssen. Da das hier ein politisches Heft ist, könnte ich ja mal erkunden, was mich da so umtreibt. Wie wäre es mit Empörung über gewisse soziale und politische Verhältnisse? Empört bin ich über die weit verbreitete Sinnfreiheit medialer Berichterstattung. Aktuelles Beispiel: Skiunfälle. Tragisch ja, aber muss das zwei Wochen lang auf Titelseiten prangen, nur weil es dem Schumi passiert ist?

Erschüttert war ich in letzter Zeit auch angesichts der rassistischen Ressentiments, die mal wieder verstärkt in der Mitte der Gesellschaft aufschwappen und sich in der aktuellen Diskussion um Flüchtlinge und Asylsuchende in Leipzig und Umland manifestieren.

Und einfach angepisst hat mich neulich ein Gespräch mit jemanden, der sich hauptberuflich als Sohn bezeichnete und dessen großes Lebensziel es ist, eine Menge Geld zu haben und sich ein schickes Auto zu kaufen, weil das ja schon irgendwie cool wäre. Idiot.

Aber wohin führt die Erkundung solcher GEFÜHLE? Im schlimmsten Fall lediglich zu einer Diskussion über diese GEFÜHLE. Mit etwas Glück aber auch zum Erkennen von Missständen und zum Drang, etwas daran zu ändern: Die sinnfreie Berichterstattung lese ich einfach nicht mehr und mache stattdessen meine eigene Zeitung. Den Alltagsrassismus akzeptiere ich nicht und gehe auf die Strasse oder werde aktiv in Initiativen, die versuchen das Leben der Asylsuchenden in den Unterkünften zu verbessern. Kapitalistische Lackaffen argumentiere ich nieder und verbreite den Gedanken von sozialem und bewusstem Konsum.

Was zu sagen bleibt: Gefühlt ist schon halb gekämpft. Also los rein ins erste Haus… Geschichte wird gemacht, es geht voran, es geht voran.

wanst

„Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

10 Jahre Libelle: Zwischen Klassik, Romantik und Politik

Vor zehn Jahren, das war 2003, bestand der Innenhof der Universität Leipzig noch aus zerbrochenen Steinplatten, war dekoriert mit DDR-Blumenkübeln aus Beton und bot, so munkelten Mensa-ArbeiterInnen, ganzen Rattenkolonien eine Heimstatt.

Damals gab es noch Disketten, 56k-Modems, indymedia war der Knotenpunkt im Netz und Seattle und Genua waren noch frische Erinnerungen. Die großen Proteste gegen Studiengebühren waren vorbei, die gegen Stellenkürzungen der SHEK (Sächsische Hochschul-Entwicklungs-Kommission) sollten noch kommen (oder war es umgekehrt?), und die gegen die Bologna-Reform (Bachelor-Master) kamen nie richtig in Gang. Das Leben damals war angefüllt mit Dingen, die viele von uns vorher noch nie gemacht hatten: Demos, politisch aktiv sein, heftige, endlose Diskussionen – Idealismus pur und jung. Natürlich würden wir was bewegen!

Als verschworener Kreis namens „unbequem nachfragend initiativ“ engagierten wir uns bei allen Protesten, besetzten das Hörsaalgebäude, kurzzeitig auch das Rektorat, demonstrierten gegen und für… Zu dieser Zeit – 2001, 2002 –  hatten wir uns manchmal in der Uni getroffen und oft auch bei jemandem zu Hause. Manko: Die Uni wurde um 21 Uhr geschlossen. Dennoch, irgendwer meinte, es gäbe da auf dem Augustusplatzcampus, gleich gegenüber des kleinen Mensa-Ablegers, einen ungenutzten Raum, den man als selbstorganisiertes Café nutzen könnte! Im Nachgang der Hörsaalbesetzung brachten wir eine Kaffeemaschine, ausrangierte Stühle und sonstigen Kram dorthin. Aber wir hatten keinen Schlachtplan, kein Dekor, keine Öffentlichkeit. Kurze Zeit später waren die Sachen weg. Ein altgedienter Hausmeister meinte, wir wären schön blöd gewesen, hätten wir das nicht so ohne jegliche Absprache oder Anfrage gemacht, hätten wir den Raum wohl sogar bekommen. Ach ja, die Jugend.

Aber die Idee eines Cafés als offener Treffpunkt, als Infrastruktur für allerlei freiheitlich-politische Gruppen, als Anlaufstelle für Interessierte und noch Desinteressierte, blieb in einigen Köpfen hängen. Eines war immer noch sicher: Wir würden was bewegen! Der Masterplan war einfach, aber einleuchtend. „Zur Erneuerung der Gesellschaft brauchen wir: Gewerkschaft, Zeitung, Lokal.“ Gewerkschaft und Zeitung, FAU Leipzig und Feierabend!, hatten wir seit 2002 (oder glaubten das). Nun fehlte noch ein Ort, der Schaufenster und Hauptquartier zugleich sein sollte. Ganz bewusst versuchten wir, uns vom linken Szenebetrieb und seinem Distinktionsbedürfnis, das seinerzeit die extravagantesten diskursiven Volten schlug, abzugrenzen. Denn klar war und ist, ohne die „normalen Leute“ ist kein Staat zu stürzen. Das Lokal, oder salopp gesagt: „der Laden“, sollte ohne große Worte, sondern allein durch seine Existenz, Struktur und Außenwirkung den alten Spucki-Spruch belegen: „Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

Nicht zuletzt wäre er die erste explizit anarchistische, oder verschämt gesagt: libertäre, Anlaufstelle in Leipzig. Im Laden war Platz für die Redaktion des Feierabend! sowie für die Treffen der FAU, der linken studentInnen gruppe (lsg) und vielerlei sonstige Initiativen. Legendär sollten die „Kulturabende“ der BÜHNE und später die Theatervorführungen der Gruppe tag werden. Er sollte auch einen repräsentativen Charakter haben: Die Bibliothek sollte beweisen, dass da mehr ist als nur das A im Kreis. Und der vordere Bereich sollte – damals noch ohne Sofas, sondern mit nagelneuer Gastro-Garnitur! – tatsächlich auch als Café (mit Bedienung!) auf Spendenbasis dienen und auf PassantInnen einladend wirken.

Connewitz und Plagwitz schieden also aus. So führte ein Weg zu einer alten Metzgerei auf der Georg-Schumann-Str. Der dafür angedachte Name war Kachelstan. Geklappt hat’s dann letztlich, wo die „Libelle“ – Libertärer Laden Leipzig – noch heute sitzt: im schönen, innenstadtnahen Kolonnadenviertel. Beim ersten „Plenum“ nach Unterzeichnung der Mietverträge waren bestimmt 30, 40 Leute da. Die Hoffnung war groß, die Ambitionen mannigfaltig. Sehr elanvoll gestaltete sich die mühselige Renovierung, und zur Eröffnung im Frühsommer kamen tatsächlich auch viele Leute aus der Nachbarschaft. Ein guter Auftakt. Wie steht’s doch im Faust und in anarchistischen Broschüren: „Im Anfang war die Tat!“

Gelöst hat sich die „Libelle“ nicht aus der linken Szene, vielmehr hat sie dem Anarchismus ein Standing verschafft und darf wohl auch als Impulsgeber einiger libertärer Initiativen etwa in Plagwitz oder in der PDS/LINKE gelten. Trotz einiger zarter Anwandlungen über die politische Jugendsubkultur hinaus ist der anarchistische Funke nicht übergesprungen. Und manchmal hat man den Eindruck, nicht zuletzt dank der Sofas, es handele sich, sympathisch genug, um einen gewöhnlichen Jugendclub. Das Besondere ist und bleibt jedoch, dass der ohne jegliche Subventionen auskommt und vollkommen selbstorganisiert ist – und das ist naturgemäß, trotz allen Wollens, ergebnisoffen. Von daher blieb und bleibt sich die „Libelle“ auch in der zweiten oder dritten Generation treu.

wanst & AE

Lokales

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Am 8. März erinnert man(n) sich wieder der zweiten Hälfte der Gesellschaft, um sie zu ehren. Es ist Frauentag. Und Frau darf stolz sein, wenn sie als kleine Anerkennung für ihre Arbeit in Firma, Geschäft oder Haushalt einen Blumenstrauß überreicht bekommt. Vor einigen Jahren verteilte ein Parteistand gar Mini-Kakteen an die Frauen mit dem Spruch: „Immer schön stachelig bleiben.“ Was heute zu einer seichten Zelebrierung scheinbarer Gleichberechtigung und gegenseitigem auf die Schulter klopfen für die Fortschritte im Namen der Frauenemanzipation verkommen ist, begann einst im politischen und sozialen Kampf.

Bereits im 19. Jahrhundert formierten sich im Zuge der Arbeiterbewegung Sozialistinnen zu einer Frauenbewegung. Ihr erstes Anliegen war die Beteiligung am politischen Geschehen per Wahlrecht und die Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen. Zunächst fanden in einzelnen Ländern nationale Frauentage statt, wie z.B. 1892 in Österreich. In den USA riefen seit 1909 Sozialistinnen zu einem „National Woman´s Day“ auf, um das Frauenwahlrecht zu propagieren.

Der Internationale Frauentag wurde bereits ein Jahr später auf der „2. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz“ in Kopenhagen auf Initiative von Clara Zetkin beschlossen. Die Wahl des Datums fiel auf den 19. März 1911, um den Märzgefallenen der bürgerlichen Revolution von 1848 zu gedenken. Im Zentrum der großangelegten Demonstrationen in Dänemark, Deutschland, der Schweiz und Österreich stand die Forderung nach voller politischer Mündigkeit für Frauen, aber auch nach Arbeitsschutzgesetzen, dem Achtstundentag, Mutterschutz, der Festsetzung von Mindestlöhnen und dem Ende des imperialistischen Krieges. Gleichzeitig war dieser Tag ein Bekenntnis zum Sozialismus. Sein Ziel, nach Clara Zetkin, ist die Verwirklichung von „Frauenrecht als Menschenrecht“, als Recht der Persönlichkeit, losgelöst von jedem sozialen Besitztitel. Sie fordert: „Wir müssen Sorge tragen, dass der Frauentag nicht nur eine glänzende Demonstration für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, sondern darüber hinaus der Ausdruck einer Rebellion gegen den Kapitalismus, eine leidenschaftliche Kampfansage all den reaktionären Maßnahmen der Besitzenden und ihrer willfährigen Dienerschaft, der Regierung, ist.“

In den folgenden Jahren wurde auch in anderen Ländern der Welt, wie z.B. Russland, China, Japan oder Rumänien, Türkei und Iran der Frauentag organisiert.

Das Elend des 1. Weltkrieges und die wirtschaftliche Depression verschlechterten die Lebensbedingungen der Menschen enorm. Die politischen Forderungen der Frauenbewegung nach Wahlrecht (1) wichen daher zunächst dem existentielleren Verlangen nach „Brot und Frieden“. In St. Petersburg demonstrierten Frauen am 23. Februar (nach altem russischem Kalender), am 3. März (nach neuer gregorianischer Zeitrechnung) 1917 gegen den Krieg. Diese Aktion verbreiterte sich zu ArbeiterInnenkämpfen und löste die Februar-/Märzrevolution aus. Als Erinnerung an dieses Ereignis wurde 1921 auf der „2. Internationalen Konferenz der Kommunistinnen“ wieder auf Initiative Clara Zetkins beschlossen, den Internationalen Frauentag in Zukunft am 8. März abzuhalten.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der Frauentag verboten und durch den Muttertag ersetzt. Die Frauenbewegung sah ihre Anhänger in ein Rollenbild gedrängt, welches Selbstverwirklichung nur noch als Reproduktionsmaschine zuließ. Die „Emanzipation von der Emanzipation“, Schlagwort der Diskriminierer, beeinflusste das Frauen- und Familienbild bis in die 50er und 60er Jahre. Die Kleinfamilie als kleinste Einheit der Gesellschaft mit der Mutter am Herd und dem Vater am Malochen, entsprach dem propagierten Ideal öffentlicher Meinungsmache.

In der Nachkriegszeit wurde der Frauentag von den sozialistischen Staaten vor allem als Tag der Befreiung der Frau gefeiert. In den kapitalistischen Staaten erhielt er durch die neue Frauenbewegung der späten 60er Jahre wieder einen politischen Hintergrund mit alten und neuen Themen, wie der Kritik an geschlechtlicher Arbeitsteilung, dem Recht auf Abtreibung und der effektiven Kriminalisierung von Gewalt gegen Frauen, der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit und gleichen Bildungschancen.

Frau sollte meinen, dass ein über 100jähriges Ringen diese Ziele durchsetzen kann. Aber die Realität sieht anders aus. Nach wie vor zählen Frauen im leistungsgesteuerten Berufsalltag meist zu einer niedrigeren Lohnklasse als ihre männlichen Kollegen (2). Der Abtreibungsparagraph 218 StGB kriminalisiert noch immer Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden. Sie werden gezwungen einen erniedrigenden Hürdenlauf von Beratungsstellen zu Ärzten zu unternehmen, um über Körper und Leben auch vor dem Gesetz straffrei entscheiden zu dürfen. Auch ist es für gewöhnlich Frau, die sich entscheiden muss zwischen Kind und Beruf Gleichermaßen werden aber auch Männer benachteiligt, die typische, Frauentätigkeiten ausüben. So finden sich z.B. Babywickelräume vornehmlich in den Damenklos. Kondomautomaten aber bei den Herren. Eine der am tiefsten in der Gesellschaft verwurzelten Ebenen auf der geschlechtliche Diskriminierung existiert, ist die Sprache. Männlich ist hier v.a. stark und klug, weiblich hingegen schwach und untergeordnet. Die meisten Menschen gehen heute noch zu einem Arzt, auch wenn „er“ Heike oder Petra heißt. Bis zur Einführung des neutralen Begriffes „Reinigungskraft“ war es eine Putzfrau, die den Besen schwang, auch wenn „sie“ Vater von drei Kindern war. Gegen diese Rollenmuster, in die jeder Mensch per Geschlecht, Bildungsgrad oder Herkunft gedrängt wird und die daraus folgende Ungerechtigkeit, begehrte die damalige und heutige Frauenbewegung auf. Obwohl auf der Oberfläche der heutigen Zeit Gleichberechtigung zu herrschen scheint, hat sich doch an der grundsätzlichen Mann-isst/Frau-kocht-Denkweise nur in wenigen Gesellschaftsspektren etwas geändert. Die sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich existierende Diskriminierung, die durch patriarchalische Wertmaßstäbe produziert wird, gilt es zu durchbrechen. Der Frauentag sollte daher nicht länger als Selbstbeweihräucherung verstanden werden, sondern als Kampftag aller Frauen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben. Schluss mit den Blumensträußen, hoch die Faust.

wanst

(1) Frauenwahlrecht:
1918 Deutschland, Großbritannien
1919 USA
1944 Frankreich
1971 Schweiz (1990 Halbkanton Appenzell-Innenhoden)
(2) dazu: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

Sag mir wo Du stehst

Zum Wieso – Weshalb – Warum einer Wandgestaltung

 

Mitten im Zentrum von Leipzig stolpert so mancher seit zwei Jahren geistig über diesen „extremistischen Farbtupfer“. So jedenfalls wurde das Wandbild Ross Sinclairs, eines schottischen Künstlers, von mehreren Passanten bezeichnet. Auch wenn den meisten auf den ersten Blick nicht klar sein dürfte, was das Bild an dieser Stelle soll, scheint es zu polarisieren

„Mich mit meinem Publikum zu unterhalten, ist mein Ziel […] Und nicht auf eine […] vorübergehende Art, sondern….“

Sehr trist sähe die graue Wand gleich gegenüber dem Nikolaikirchhof aus, wenn nicht dieses comicartige Wandbild in grel­len Farben dort prangte. Große schwarze Lettern auf buntem Hintergrund verkün­den eine „Anleitung“ für das „REAL LIFE“ – „Das wahre Leben“.

Aber Vorgaben, wie das Leben zu meis­tern sei, sind die zehn Punkte keineswegs. Vielmehr zieht Sinclair den Betrachter in einen Sog aus Zweifeln. Was soll hier ver­mittelt werden?

Die Verwirrung, die das Bild erzeugt, erinnert daran, dass wir uns die Frage nach dem Sinn ei­ner Staatsbürgerschaft, einer nat­ionalen Zugehörigkeit oder eines Passes gar nicht mehr stellen.

Es zeigt auch, dass die Einteilung der Welt in politische Einheiten nur ein Kon­strukt ist um Herrschaft zu erhalten, Kon­trolle auszuüben und dem Einen ein gro­ßes Stück vom Kuchen, dem Anderen aber ein kleines zuzuteilen. Dass du nicht als Mensch, sondern über die Nummer in deinem Pass definiert wirst. Dass allein deine Herkunft dich entweder zu einem zivilisierten Menschen oder einem barbarischen Schurken macht.

Die Position, die der Betrachter einnimmt, ist hierbei flexibel. Sie hängt davon ab, ob man es bevorzugt DU SOLLST oder DU SOLLST NICHT zu lesen. Diese Wahl wird einem gelassen. Denn genau das ist der Clou: während man das Gefühl hat, nichts verstanden zu haben, da ja alles offen bleibt, ist man schon dabei Stellung zu beziehen. Auf diese Weise zeigt Ross Sinclair das wirkliche Leben und einige der Entscheidungen, die es bestimmen. (Bitte das Bild jetzt noch mal gründlich lesen oder in die Leipziger Innenstadt pilgern.

„… in einem ehrlichen Versuch, uns alle zusammenzubringen, uns alle auf den Kopf zu stellen und zu schütteln, bis es weh tut.“ (2)

Was ist das „REAL LIFE“? Ist es un­ser alltägliches Leben, Arbeit, Haushalt, Fernsehen – die Mühsal des Alltags? Oder findet es statt in jenem Lebensstil, den wir in Filmen, im Fernsehen, in der globalen Werbung und Kommunikation vermittelt bekommen? Haben wir uns an diese Bilder derart gewöhnt, dass wir nicht mehr in der Lage sind das Wahre vom Falschen, das Reale vom Fiktiven und dem oft Lächerlichen eines spektakulären Lebens zu unterscheiden?

Ross Sinclair bietet eine mögliche Sichtweise an: „REAL LIFE“ kann irgend­wo sein, versteckt in unseren Köpfen. Es könnte eine andere Art zu leben geben. Irgendeine, bei der die Wünsche und Mög­lichkeiten jedes Individuums verwirklicht werden. Ross Sinclairs „REAL LIFE“ Pro­jekte funktionieren wie Fenster, durch die das Publikum diese anderen Räume betre­ten kann, Orte, an denen man sich für eine Weile einbildet, wie unsere Lebensweisen auch anders sein könnten. Und da die Kunst Sinclairs vom Dialog und der Denk­arbeit des Publikums lebt und sich an die Öffentlichkeit wendet, kann man sich vielleicht auch vorstellen, wie dieser Ort gemeinschaftlich gestaltet werden könnte. Es geht dabei – wie Ross Sinclair sagt – „um uns selbst, […] gegenüber der Welt.“ (2)

Die Thematik des Werkes findet sich nicht nur in diesem Einzelkunstwerk. Wäh­rend der zurückliegenden sieben Jahre hat Ross Sinclair, 1966 in Glasgow geboren, seine Projekte in vielen verschiedenen Län­dern und Kontexten realisiert, an öffentlichen und privaten sowie institutionellen und autonomen Orten. So ließ sich der Künstler 1994 in großen fetten Lettern die Worte „REAL LIFE“ auf seinen Rücken tätowieren. Er betrachtet seine künstleri­sche Arbeit als ein nachhaltiges Forschungs­projekt – unser gesamtes Lebensumfeld als seinen Fundus. Für sich und andere Künst­ler arbeitet er an seinem eigenen „REAL LIFE“. Mitte der 70er Jahre fand sich in Glasgow eine Gruppe aus Künstlern, Stu­denten und Kritikern zusammen, die sich nach und nach eine selbst organisierte In­frastruktur von Ausstellungshäusern, Ga­lerien, Ateliers u.ä. aufbaute. So wird die Utopie durch gemeinsames Handeln kon­kret und REAL.

Realisiert wurde das Wandbild im Rah­men der Expo 2000, unter Mitarbeit der „Galerie für zeitgenössische Kunst“. Die Anregung dazu lieferten die verblassenden Werbemalereien des alten Regimes, die noch an einigen Häusern in Leipzig zu se­hen sind. Allerdings soll hiermit nicht in Nostalgie abgedriftet werden, sondern altvertraute Technik wird benutzt um neue, scheinbar paradoxe Inhalte zu vermitteln.

Die „Anleitung“, die auf den zweiten Blick keine ist, stellt auch einen interessanten Kontrast zu der sie umgebenden Einkaufsmeile Leipzigs dar. Dort, wo mensch eigentlich nichts als die „pure Auswahl“ haben sollte, weist sie darauf hin, dass es wesentlichere Fragen gibt. Zurück bleibt das merkwürdige Gefühl, nicht zu wissen, ob man gerade auf eine Werbung hereinfällt oder ob tatsächlich jemand eine Entscheidung erwartet.

Lasst uns grenzenlos werden!

 

wanst & hannah r.

(1) bezieht sich auf eine Umfrage in der Nummer vier der Zeitung zum Projekt „Neues Leben“ der Galerie für Zeitgenössische Kunst.

(2) Zitat Ross Sinclair in „Neues Leben“ Nummer vier.

Urlaub mit Kriminellen

Wir trauern. Sommer 2003. Um dich. Viel zu früh gingst du von uns, just im Zenit deiner Jugend… Doch wir trauern nicht nur wegen lauer Sommernächte, Badeseen und Tofuwürstchen, sondern auch, weil die heiße Zeit der politischen Sommercamps und -gipfel vorbei ist. Schade, schade… und weil’s so schön war, lassen wir einige Highlights noch einmal Revue passieren.

Manch einer mag sich fragen, was jetzt eigentlich ein Camp ist. Vielleicht ein Jugendferienlager mit Betreuern und festen Ess- und Schlafzeiten? Oder ein Rekrutierungspool obskurer Politsekten? Es wird gemunkelt, die Camps seien mehr ein „Urlaub mit Freunden“, ein „linker Freizeitspaß“ und mensch könne genauso gut auf ein Festival fahren. Aber bei näherem Hinsehen verbirgt sich hinter all der Camping- und Gemeinschaftsduschidylle eine ernste politische Aussage. Politische Camps, als relativ neue Aktionsform im Katalog der Sub-Politik, drehen sich laut Selbstdefinition um verschiedene Themen. Mal wird Antirassismus und die Abschaffung von Grenzen, mal Umweltschutz, mal selbstbestimmte Kultur in den Vordergrund gestellt. Dass es letzten Endes um das Erreichen einer befreiten Gesellschaft gehen soll, wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Das dort entstehende solidarische Miteinander ist praktisch eine gelebte Utopie – aber was wäre eine Utopie ohne …setzt bitte ein was ihr wollt…? Wo bliebe die Attraktivität politischen Handelns ohne den Slogan „Schöner leben jetzt!“? So wird Herrschaftsfreiheit nicht nur gefordert sondern soweit es eben geht vorgelebt – mit hierarchiefreien (oder zumindest -armen) Entscheidungsstrukturen (Plenum), gemeinsamer Versorgung (Volxküche), vielen Workshops, Gesprächsrunden, Musik, Kultur und gänzlich autonomer Entscheidungsfreiheit jeder/-s Einzelnen.

Teilweise dominierte der Aspekt, der herrschenden Politik, die ja in eine gänzlich andere Richtung geht, direkt in den Arm zu fallen (wie bei den Gipfel- und NoBorder-Camps). Teilweise stand die Vernetzung und eben auch die Nestwärme im Vordergrund, die eine Gruppe Gleichgesinnter nun mal ausmacht. So waren das A-Camp auf der Burg Lutter und das Wendland-Sommer-Camp dieses Jahr eher interne Veranstaltungen für AnarchistInnen und den Anti-AKW-Widerstand.

Das mit Abstand meistbesuchte Spektakel war unbestritten der G8-Gipfel in Evian am Genfer See (siehe FA! #7) mit bis zu hunderttausend TeilnehmerInnen in verschiedenen Groß-Camps und auf Demonstrationen. Gegen die neoliberale Verelendungspolitik („Globalisierung“) wurde hier im Juni ein deutliches Zeichen gesetzt. Ähnlich wie bei vorangegangenen Gipfeln wurde der Widerstand mit einem bombastischen Polizeiaufgebot konfrontiert. Die Gewalteskalation, die von den Medien immer gern bei den DemonstrantInnen („Chaoten“) gesucht wird, ist hier eindeutig auf Seiten der „Ordnungshüter“ zu finden, was die verletzten GlobalisierungskritikerInnen in den überfüllten Krankenhäusern beweisen. So riskierte die Polizei bewusst den Tod von angeseilten AktivistInnen, als sie diese einfach los schnitt (Resultat war ein Schwerverletzter) und setzte, wie schon in Davos (IWF-Gipfel im Januar mit massiven Protesten) neuartige Schockgranaten ein. Diese und andere „non-lethal weapons“ sind als nicht tödlich deklariert, sorgen aber mindestens für schwere Verletzungen. Erneut zeigt sich, dass herrschende Politik auf offene Kritik nur die Antwort der Gewalt kennt – und die wächst mit der Intensität der Proteste. Praktisch alle politischen Sommerevents waren massiver Polizeirepression ausgesetzt, die von Räumung und Kriminalisierung des Kölner Grenzcamps (siehe FA! #8) mit hunderten Verhafteten bis hin zur umfassenden Überwachung einer Kultur-Floßfahrt reichte.

Die auf den ersten Blick verrückte Idee, auf Brettern und Fässern die Elbe runter zu fahren, wurde praktisch umgesetzt, um gegen die Vorstellung anzugehen, „Flüsse wie Autobahnen auszubauen und zu zu betonieren“ sei wichtig für den ‚Standort‘, so die OrganisatorInnen-Gruppe. Hier wird deutlich, dass Widerstand vielfältige Formen annehmen kann und keineswegs Steine schmeißen bedeuten muss. Manchmal heißt Widerstand auch, „…auf der Elbe zu fahren, auf einem Floß zu liegen, und eben dieses Vehikel zu nutzen, um Aufmerksamkeit zu bekommen und kulturelle Inhalte zu transportieren.“

Auf solch unkonventionelle Ideen reagiert die Staatsmacht im Allgemeinen argwöhnisch: Bei Nichteinhaltung der diversen Auflagenkataloge wird gewaltfreie, kulturelle Politarbeit einfach verboten. Zu sehen auch an der Fahrrad-Karawane, die sich im April Richtung Thessaloniki (Nordgriechenland) zum EU-Gipfel auf den Weg machte um in drei Monaten fünf Grenzen zu überqueren und sich den Protesten anzuschließen. Neben Erfahrungsaustausch und Vernetzung mit anarchistischen Gruppen in Osteuropa und dem grandiosen, oft „anstrengenden“ (Zitat Teilnehmer) Reiseerlebnis fühlten die RadlerInnen mal ganz direkt, was geschlossene Grenzen bedeuten und wie wichtig es ist, gerade diese als Kernpunkt staatlicher Macht zu thematisieren um sie irgendwann einmal abzuschaffen.

So sehen die Einen Sommeraktionen als einen Weg an, „den Aufstand zu proben“, um die Obrigkeit immer wieder aufs Neue herauszufordern. Anderen ist die Vernetzung wichtig, nicht nur für politische Arbeit sondern auch um selbstbestimmtes, solidarisches Miteinander auch im restlichen Jahr über leben zu können. Und für viele mag es eben auch der „Urlaub mit Freunden“ sein, der im Vordergrund steht. Mit Inspiration und der Bestätigung, das viele, viele Menschen woanders auch so denken wie sie, kehren die „Kriminellen“ (Polizei), „Chaoten“ und „Krawallbrüder“ (BILD), „Störer“ (Express) und das „unappetitliche Pack“ (Ex-Minister Kanther) also zurück in ihre Winterquartiere um dort die „Sommerpause“ zu beenden und lokal aktiv zu bleiben.

Camps machen Mut weiter zu machen – bis zur Befreiung, vielleicht mal irgendwo, irgendwann. Oder bis zum nächsten „Urlaub mit Freunden“.

soja und wanst

Von Pommes, Bomben…

…und den Worten

Wir leben in aktiven Zeiten. Überall auf dem Gebiet der politischen Äußerungen herrscht Bewegung. Die Forderung nach Frieden angesichts der kriegerischen Mittel aktueller ‚Diplomatie’ zieht sich durch die gesamte gesellschaftliche Breite.

Ob nun die regenbogenfarbene Peace-Fahne vom Fenstersims weht oder wir am Montag gemeinsam um den Leipziger Innenstadtring laufen, friedensbewegt sind zur Zeit fast alle.

Wenn auch die Art des Friedens, den wir fordern und die Adresse an die wir unseren Protest richten zum Teil stark voneinander abweichen. Doch nicht nur Fahnen schwenken und zur Demonstration gehen, sind heutzutage Mittel, um in der Öffentlichkeit eine Meinung zu äußern. Es geht auch ganz anders. So startete z.B. der Verein „Sprache in der Politik“ (1 ) am 30. März 2003 einen Aufruf (2) zu einer Sprachdemo, in dem sie vorschlagen, dass „alle Deutschsprachigen [.….], anstelle der englischen wieder vermehrt französische Lehnwörter“ verwenden.

Mit diesem Vorgehen werden klare Feindbilder konstruiert und gleichzeitig Normen festgelegt, was ‚pc’ (politically correct) ist und was nicht. Angesichts der politischen Lage wäre es daher nur logisch, dass der friedliebende Mensch den französischen Ausdrücken (Gallizismen) mit Sympathie gegenüber steht, während er die englischen Formen (Anglizismen) als Sprache der Kriegstreiber erkennt und ablehnt. Den Anspruch, als Leitkultur für Europa zu dienen, hätten die USA mit Ihrer Politik verwirkt. Denn, „wer unrechtmäßige, z.T. sogar unmoralische Politik betreibt, kann kein Vorbild sein“. Mit dieser friedlichen Sprachdemo könne also deutsch-französische Solidarität geübt und den USA ihr Ansehensverlust auf dem internationalen Parkett vorgeführt werden.

Soweit die Argumentation des Vereins der Sprachpfleger. Die ernsthafte Absicht ihres Aufrufes wird bestärkt durch eine Liste mit französischen Ersetzungen für englische Ausdrücke, die im deutschen Sprachgebrauch verwendet werden.

Hier tauchen Wortpaare wie ‚Bonvivant für Playboy / Chef für Boss / Formidable für Cool / Sofa für Couch / Tristesse für Sadness’ auf. Bei einigen stellt sich die Frage, ob der ‚Boss’ nicht schon immer eher der ‚Chef’ war und das ‚Sofa’ nicht seit jeher die gebräuchlichere Bezeichnung für eine ‚Couch’.

Andere Anglizismen, wie ‚Sadness’ (Traurigkeit) oder auch ‚Basement’ (Keller) dürften den wenigsten als typische Formulierungen innerhalb der deutschen Sprache aufgefallen sein. Demnach erübrigt sich die Ersetzung durch die französischen Formen ‚Tristesse’ und ‚Souterrain‘.

Die Aufstellung macht den Eindruck eines beliebig zusammengewürfelten Worthaufens. Zu mehr als einer kleinen Vokabelliste oder der Belustigung, lässt sich dieser Vorschlag wohl nicht verwenden. Oder kann sich jemand vorstellen, das einschlägige Nacktfotomagazin „Playboy“ würde sich aus Solidarität in „Bonvivant“ umbenennen oder Thomas Gottschalk wäre bereit sich von einem ‚Showmaster’ in einen ‚Conférencier’ umschulen zu lassen? Und wer würde die neuen Formen tatsächlich verwenden? Wahrscheinlich niemand. Es ist daher zu kurz gedacht, Protest durch den Boykott einer Sprache auszudrücken. Zumal die USA und Großbritannien neben Australien zwar die größten Länder mit Englisch als Muttersprache sind, daneben aber immerhin noch 45 Nationen Englisch als Amtssprache (3) verwenden.

Wer ist hier der Feind: Das Mittel Sprache, dessen sich bedient wird, um kriegerische Machenschaften zu legitimieren oder die Institutionen und Menschen, die die Sprache zu manipulatorischen Zwecken nutzen?

Es wirkt zudem sehr opportunistisch, die USA und Großbritannien auf die dunkle Seite der Macht zu stellen und im Gegenzug, u.a. die Regierungen von Frankreich und Deutschland als die Guten zu präsentieren. Diese Darstellung betrachtet einen zu kurzen Zeitraum. Um die Glorifizierung zu entblößen, bedarf es nur eines kleinen Rückblickes in die Jahre 1998/99, als die rot-grüne Regierung mit allen Mitteln der Propaganda und Argumentehascherei die öffentliche Meinung auf den ‚unabwendbaren’ Kriegskurs im Kosovo einzuschwören versuchte.

Auch damals war die Wortwahl ein deutlicher Ausdruck der Politik, die im jeweiligen Land gemacht wurde. Doch niemand rief dazu auf, deutsche Worte durch…, „ja durch was denn nun?“ zu ersetzen. Welche Sprache wäre es wohl, deren Sprecher in einem Staat lebten, der nicht schon einmal Krieg geführt, Menschen getötet und unterdrückt oder ausgebeutet hätte? Daher ist es ein unzulässiger Ansatz, den Protest gegen eine Regierung und ihre Politik über den Boykott der Sprache der EinwohnerInnen auszudrücken.

Viel kritikwürdiger aber ist hier das Verhältnis zwischen den wenigen Mächtigen und den vielen Ohnmächtigen. Wenn die Entscheidungsträger in den Regierungen sagen: „Wir müssen Krieg führen!“, die Menschen auf der Straße aber rufen: „Wir wollen Frieden!“ und am nächsten Tag die Bomben über Bagdad fallen, ist es mit der real existierenden Demokratie nicht mehr weit her. In dem Moment, wo eine Regierung solch eine Entscheidung fällt, um ihre Macht zu demonstrieren oder Standortvorteile zu wahren, hat sie sich ihrer schalen Legitimation selbst enthoben. Jede ohnmächtige Stimme, die durch ein System von oben und unten produziert wird, sollte alle verantwortbaren Mittel nutzen, gegen diese gewählte „Diktatur“ aufzubegehren

.

Wie verhängnisvoll dieses Verhältnis von Macht und Ohnmacht ist, wird einmal mehr offensichtlich in den Schatten, die die koloniale Vergangenheit des „alten Europa“ in die Gegenwart wirft. Die UN (speziell Frankreich und Deutschland) sieht sich derzeit gezwungen, in die Massaker im Kongo einzugreifen – militärisch, versteht sich. Der in solchen Situationen bereits erfahrene Joschka (Joseph) Fischer spricht von einer „humanitären Katastrophe“. Eingeführt wurden die Prinzipien „Ethnie“ und „Massaker“ aber durch die Europäer selbst, als sie den „wilden Stämmen“ vor 100 Jahren mit Macheten und Maschinengewehren „die Zivilisation“ brachten. Wenn sie heute wieder auftauchen – mit Maschinengewehren und Panzerwagen – unterscheidet sie nichts von den paramilitärischen „Banden von Bunja“ … die Gewalt entscheidet und wird entscheiden. Eine Lösung ist das nicht.

Auch wenn schon wieder von „Friedensabkommen“ (LVZ, 30.6.03) die Rede ist, liegt es doch auf der Hand, dass diese Formulierung viel zu weit greift. Dieser Frieden meint hier nur die Aufteilung der militärischen Zuständigkeiten zwischen den Konfliktparteien. Dieses einfache Beispiel verdeutlicht wie uneindeutig die Wortwahl der politischen Sprecher ist. Oftmals dienen ihre konsumentengerecht verpackten Ansprachen in den skandalabhängigen Medien nur dem Wahlkampf oder der Profilierung innerhalb der Partei. Angesichts dieser Demagogie, ist die einzige Alternative; nicht weiter auf diese Stimmen zu hören und statt dessen die Kommunikation zwischen Menschen – egal welcher Sprache – die eine hass- und gewaltfreie Gesellschaft wollen, zu beginnen. Also: Hör nicht auf die Stimme, sondern sprich selbst!

wanst

(1) Eine Gruppe von Sprachwissenschaftlern, die den vermehrten Einfluss von englischen Wörtern im deutschen Sprachgebrauch kritisch betrachten und für den Erhalt von deutschen Formen plädieren.
(2) vollständiger Aufruf unter: www.sprache-in-der-politik.de
(3) Wird in Bürokratie und Institutionen verwendet. Meist neben der Muttersprache, die zweite Sprache.

P.S.: Im Übrigen war der Verein „Sprache in der Politik“ nicht der einzige Aufrufer zu einem derartigen Sprachboykott. Auch auf der anderen Seite des großen Teiches wurde versucht die Sprache der politischen Gegner, in diesem Falle Frankreich, demonstrativ aus dem US-amerikanischen Alltag zu vertreiben. So gab es in einigen Fast- Food-Restaurants (Schnellimbiß) anstatt „french fries“ (hierzulande „Pommes Frites“) „freedom fries“ („Freiheits- Fritten“). Das Französische Fremdenverkehrsamt nutzte diesen lächerlichen Patriotismus gleich zu Werbezwecken aus. Sie präsentieren mit Woody Allen einen US-Amerikaner, der offen dazu steht; keinen „freedom kiss“ ausführen zu wollen, wenn es ihm um einen „french kiss“ (Zungenspiel) geht. Wie sollte der wohl auch aussehen!?

Krieg

Navinki lebt im Untergrund!

Navinki, die anarchistische Satirezeitung aus Weißrußland, ist nun offiziell verboten. Seit Anfang des Jahres unterlag das unabhängige Blatt verstärkter Repression durch die Regierung Lukaschenko. Bereits im Mai wurde der Herausgeber wegen Präsidentenbeleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. In kurzer Abfolge erhielt das Magazin daraufhin zwei Verwarnungen. Die eine wegen Verstoßes gegen das Presserecht. Die andere aufgrund der Beeinträchtigung der „Moral des Volkes…”. Zwei solche Verwarnungen sind in Weißrußland ausreichend für das Verbot einer Zeitung.

Aber nach dem Verbot ist Navinki in den Untergrund gegangen und arbeitet nun an der ersten neuen Ausgabe. Die Illegalität macht den Druck und Vertrieb zwar wesentlich schwieriger. Aber Nichtsdestotrotz. Der Kampf geht weiter!

wanst

Nachbarn

Fünf Flaschen sind genug!

Protest gegen Burschenschaften in der Universität

Mittwoch, 29.10.2003. Es ist früher Nachmittag als ein Trupp von 20-30 PolizistInnen in Kampfmontur auf den Innenhof der Universität Leipzig stürmt. Es kommt zu einer Rangelei, in deren Zuge die PolizistInnen tat- und schlagkräftig zwei Personen abführen. Gerechtfertigt wird dieser Einsatz mit der Verpflichtung, jede angezeigte Straftat verfolgen zu müssen. Aber was ist da eigentlich passiert?

Wie jedes Semester präsentierten sich auch an diesem Tag wieder studentische Gruppen und Initiativen auf der vom StudentInnenrat (gewählte Vertretung der Studierenden in Ostdeutschland) initiierten „Vorstellungsstraße“. Darunter sind seit einigen Jahren auch korporierte Studentenverbindungen.

Hintergrund

So warb z.B. die Leipziger Burschenschaft Arminia, die zum rechtsextremen Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) gehört, für neue Mitglieder. Die Gedanken, die vor allem von einigen Verbindungen der DB propagiert werden, sind u.a. ein „volkstumsbezogener Vaterlandsbegriff“ (1), der die Volkszugehörigkeit biologisch begründet. Nach diesem völkisch-nationalistischen Politikverständnis „betrachtet die DB die deutschen Bewohner Österreichs und Südtirols als Teil des deutschen Volkes“ (2) und die ehemalige DDR wird meist als „Mitteldeutschland“ bezeichnet. Die großdeutsche Idee verdeutlicht ein Geschichtsbewusstsein, bei dem es nicht verwundert, dass die Aachener Burschenschaft Libertas Brünn fordert, „der wiederholt in der Öffentlichkeit aufgestellten These von der Alleinschuld Deutschlands am 2. Weltkrieg entgegenzutreten.“. Die großdeutsche Variante verwirklichte der DB organisationsintern schon Anfang der siebziger Jahre, indem österreichische Burschenschaften integriert wurden. So konnte auch Jörg Haider (östereichischer Rechtspopulist, ehemaliger Ministerpräsident von Kärnten), seines Zeichens Mitglied der Silvania Wien, gleichzeitig Mitglied der DB werden.

Außerdem beziehen sich die Burschen positiv auf den starken Staat, der die „nationale Einheit“ nach Innen, gegen Andersdenkende, und nach Außen, gegen „Unterwanderung seines Volkskörpers durch Ausländer“ (3 ) zu schützen hat. Immanent ist diesem Weltbild die Sympathie für Militärisches und Soldatisches. So ist der ideale Mann wehrhaft, mutig, kameradschaftlich und patriotisch im Gegensatz zur schwachen und friedfertigen Frau. Die Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern war daher auch Grund genug, die „Arminia Marburg“ aus dem DB auszuschließen. In den „Burschenschaftlichen Blättern“ (57/1980) findet sich zudem die Behauptung, „die menschliche Weltordnung ist auf das Männliche ausgerichtet“. Die Burschen sehen sich als die „Elite der Nation“, die allein befähigt ist, „eine Ordnung in Freiheit und Recht zu gewährleisten“. Nach ihrer Argumentation ist die „Masse nicht besonders klug…Gewöhnlichkeit oder Geringwertigkeit ist [ihr] wahrscheinlicher Zustand“. (4) Nicht alle Burschenschaften vertreten derart extreme Standpunkte. Die gemäßigteren Verbindungen traten 1996 wegen des anhaltenden ‚Rechtsrucks’ aus dem DB aus, und gründeten die „Neue Deutsche Burschenschaft“ (NDB).

Außer der Burschenschaft Arminia, präsentierten sich auf der Vorstellungsstraße des StuRa Leipzig noch das „Corps Thuringia“, das „Jagdcorps Hubertio“, die „Katholische Deutsche Studentenverbindung Germania Leipzig“ und „Wingolf“. Letztere bezeichnen sich als unpolitisch, sind aber doch einem nationalkonservativen Weltbild verhaftet. Die Ausgrenzung oder Herabwürdigung von Frauen ist ebenso Programm, wie eine straffe Hierarchie, in der nur vorankommen kann, wer sich unterordnet. Die Gefahr aber, die von allen Verbindungen, im Besonderen von den Burschenschaften des DB, ausgeht darf nicht unterschätzt werden. Sie tragen unter der Mütze des rechtschaffenen, deutschen Akademikers, stolz die Gedanken weiter, die Vernetzungen mit der NPD (Nationaldemokratischee Partei Deutschland) und der rechtsradikalen Szene sehr wahrscheinlich machen. Der elitäre Drang, überall Spitzenpositionen zu besetzen, ist nicht nur eine verklärte Theorie. Vielmehr zeigen Namen wie Franz Josef Strauß (Tuskonia München) und Jörg Haider (Silvania Wien), dass der politische Einfluss der Burschen real ist und daher auch real bekämpft werden muss.

Aktion

Das war auch der Ansatz einiger Leute, die einen kreativen Protest auf der Vorstellungstraße veranstalteten. Sie wollten die Anwesenheit rechter Gedanken an der Universität nicht einfach hinnehmen. Mit einer Tanz- und Theateraktion vor den betreffenden Ständen sollten die Männerbünde thematisiert und offener Protest bekundet werden. Etwa fünfzehn AktivistInnen, deutlich an ihrer pinken Kleidung und den silbernen Puscheln zu erkennen, sprangen, hüpften und sangen gegen Hierarchie und für die Anarchie. Die verwendete Aktionsform „Pink & Silver“ stammt aus dem globalisierungskritischen Kontext und wurde zum Beispiel in Prag beim WTO-Gipfel 2000 angewandt. Die Ursprünge liegen jedoch schon in den 1960er Jahren beim „Radical Cheerleading“. Anders als der „schwarze Block“, setzt „Pink & Silver“ auf positive Außenwirkung und Deeskalation. Nach diesem Prinzip wurde auch mit der Aktion vor den Ständen das Ziel verfolgt, die korporierten Männer lächerlich zu machen. Trotz der einheitlichen Taktik blieb noch genug Raum für die Beteiligten, dem ein oder anderen individuellen Reflex nachzugehen.

Die Stimmung auf dem Innenhof der Universität zur Mittagszeit war ausgelassen. Es gab bunte Tische mit Kaffee, Kuchen und mehr. Vor den Ständen der kooperierten Verbindungen protestierten bereits einige Leute mit Transparenten und gelegentlich wurden ein paar Knallfrösche ihrer Bestimmung zugeführt. Zu den Transparentträgern gesellte sich bald auch der pinke Haufen, der mit silbernen Puscheln choreographierte Anti-Burschenschaftstexte zu Gehör brachte. Es waren Liedzeilen wie: „Lieber ein Geschwür am After, als ein doitscher Burschenschafter“ zur Melodie von „99 Luftballons“ und anderes zu vernehmen. Zahlreiche SympathisantInnen und Umstehende applaudierten der Darbietung und fingen gar selbst mit an zu puscheln. Inmitten dieses lauten, bunten Treibens begannen einzelne Protestierende etwas übermütig zu werden und es wurden Stände von Propagandamaterial abgeräumt. Von Seite der Männerbünde wurde daraufhin eine Anzeige wegen Diebstahl, Sachbeschädigung und tätlichem Angriff bei der Polizei erstattet, die einige Streifenpolizisten zur Personalienfeststellung auf den Innenhof der Universität schickte. Der Fokus der Gesetzeshüter richtete sich sofort und ausschließlich auf die pinken Tänzer- Innen, die größtenteils versuchten sich dem Zugriff zu entziehen. Das verursachte hitzige Debatten und auch kleinere Schubsereien zwischen Grün und Pink. Die „Pink & Silver“ Aktion war damit jedoch beendet und die Beteiligten verließen auf Umwegen die Vorstellungsstraße.

Eine zweite Anzeige wurde von einem der Verbindungsstände aus erstattet, nachdem fünf Flaschen Alkoholika von unbekannt entwendet worden waren. Weitere Vorwürfe waren ein Kerzenwachsattentat auf eine wehrlose Hose und die Entführung eines Tisches vom RCDS Stand (Ring Christlich Demokratischer Studenten), der später unversehrt auf der Herrentoilette aufgefunden wurde. Die Reihenfolge und Vollständigkeit der 7-8 laufenden Anzeigen war bei der Polizei bis zum Redaktionsschluss nicht in Erfahrung zu bringen, da mittlerweile der Staatsschutz ermittelt, der keine Auskünfte erteilt.

Es war bereits wieder Ruhe auf dem Hof eingekehrt, als ein Verbindungsstudent vermeintliche Täter wiedererkannt zu haben glaubte. Damit war der Manöverübungsplatz ausreichend abgesteckt und die „Straßenkämpfe“ konnten beginnen. Vier PolizistInnen scheiterten zunächst beim Versuch die Personalien der Verdächtigten zu ermitteln und wurden von einem Menschenauflauf umringt, der lauthals bekundete, dass die Polizei nichts auf dem Gelände der Universität zu suchen habe. Von der Situation überfordert wurde Verstärkung gerufen, die sich in Form von 20-30 behelmten BereitschaftspolizistInnen im Laufschritt dem Geschehen näherte. Nach dem Austausch verbaler und physischer Tätlichkeiten wurden zwei Menschen unter Anwendung von Gewalt abgeführt.

Das Fazit des Einsatzes waren, zwei Ingewahrsamnahmen, inklusive aufgeschrammten Händen und einer zerrissenen Hose. Außerdem die Anzeigen durch die Verbindungen und einer Anzeige der Polizei wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Und zu guter Letzt eine Aufsichtsbeschwerde gegen einen Polizisten und eine Feststellungsklage durch den StudentInnenrat zur Klärung der Frage, was die Universität für ein Raum ist und wieweit dort die Befugnisse der Polizei reichen. Nicht unerwähnt bleiben sollte, daß das bedauerliche Verschwinden einer Burschenschaftsmütze, dem einen kalte Ohren und dem anderen eine rote Nase beschert haben dürfte.

wanst

(1) Begriff vom DB 1971 eingeführt
(2) Antrag der Aachener Burschenschaft Libertas Brünn auf dem Berliner Burschentag 1965
(3) Wiener Burschenschaft Olympia, Burschentage 1991
(4) Hettlage. in: Academia, Zeitschrift des Cartell-Verbandes, 1966

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