Der/die aufmerksame Leser/in wird es wissen, der Feierabend! hat sich schon länger mit dem Verein HausHalten und seinen Wächterhäusern beschäftigt. Ja, fast schon zählt die Rubrik zum Inventar. Zeit, den angesammelten Staub aufzuwirbeln und die investigativen Recherchen der letzten zwei Jahre mit der theoretischen Basis abzugleichen, die der einführende Artikel „WÄCHTERHÄUSER – Ist Lindenau denn noch zu retten?“ im FA!#29 damals setzte. Eine Zwischenbilanz also, angesichts der noch ausstehenden Wächterhaus-Portraits? Naja, nicht ganz, denn eine erneute Zusammenschau und Beurteilung des Wächterhaus-Konzeptes ist nicht geplant. Stattdessen soll die Wächterhaus-Reihe in Zukunft langsam austrudeln bzw. übergehen in die neu fokussierte Rubrik „Unter der Lupe“. Aber soweit ist es noch nicht …
HausHalten e.V. – eine typisch bürgerliche Erfolgsgeschichte
Wer erinnert sich nicht noch an die Begeisterungsstürme der Presse und die Lobeshymnen zahlloser PolitikerInnen, damals 2003, als der Verein HausHalten die Bühne der Leipziger Stadtentwicklung betrat und dem Abriss architektonischer Kernsubstanzen ein ausgefeiltes Alternativkonzept entgegenstellte: Die Wächterhäuser. Zielsicher und gut vorbereitet stieß der Verein damit in eine Servicelücke des städtischen Immobilienmarktes vor: Die Interessensvermittlung von säumigen Hausbesitzern und kommunalen Stadtplanern. Kontaktvermittlung, Hilfe bei der Konzeptionierung, billige Baugutachten für die einen, Ansprechpartner für die Verkehrspflichten und Bestandssicherung für die anderen. Attraktivere Stadtviertel hier, profitablere Renten dort – ein wahres Aufwertungsmärchen. HausHalten hatte hierfür ein zweigeteiltes Vertragsmodell entwickelt, bei welchem der Eigentümer eines bestandsgefährdeten aber architektonisch wertvollen Hauses im ersten Schritt Teile seiner Besitzrechte für einen modellierten Zeitraum von fünf Jahren an den Verein überträgt, worauf dieser im zweiten Schritt gegenüber Dritten als Quasi-Vermieter auftreten kann. Hier nun kommen die „Wächter“ ins Spiel, die Knechte des Wunders von der Stadtteilaufwertung sozusagen, die „Pioniere“, fachmännisch gesprochen. Ihnen bietet der Verein Räumlichkeiten in den betreffenden Häusern zur Nutzung an. Die Nutzungsvereinbarung umfasst neben der Mitgliedschaft im Verein und dem damit einhergehenden Mitgliedsbeitrag auch eine Betriebskostenumlage vom ursprünglichen Besitzer auf die „Wächter“. Der Verein unterstützt die NutzerInnen im Gegenzug bei Eigenleistungen und durch Infrastruktur. Im Grunde kann man diese doppelte Vertragsstruktur, die durch die vermittelnde Position des Vereins zwischen Vermieter (Besitzer) und Mieter („Wächter“) entsteht, als Ersatz für einen ordentlichen Mietvertrag verstehen. So wirbt dann auch HausHalten mit der Utopie, irgendwann als Vermittler überflüssig zu werden, wenn sich herkömmliche Mietverhältnisse einstellen würden. Bisher gilt allerdings lediglich das Wächterhaus in der Kuhturmstraße als „entlassen“.
Schauen wir kurz auf die Vor- und Nachteile der beteiligten Interessensgruppen: Da haben wir auf der einen Seite den Besitzer eines „bedrohten“ Hauses, einer Immobilie also, die aus dem Markt „herausgefallen“ ist, sodass sich selbst bestandssichernde Investitionen derzeit nicht lohnen. Er profitiert vom Engagement des Vereins und seinen Wächtern insofern, wie sein Kostensockel minimiert wird und damit sein unternehmerisches Risiko weiterer Investitionen in das Haus sinkt. Einziger Nachteil: Um ein Minimum an Kosten für Warm- und Wasseranschlüsse, Grundsicherung und Verkehrspflichten kommt er nicht herum. Auf der anderen Seite stehen die „Wächter“, also Vereine, NutzerInnen-Gruppen und Einzelpersonen, die nach günstigen Räumlichkeiten suchen. Ihnen kann der Verein insoweit entgegenkommen, wie er über vergleichsweise moderate Mitgliedsbeiträge, die Betriebkosten und einen hohen Anteil an Eigenleistungen eine Quasi-Miete kombiniert, die weit unter dem lokalen Mietspiegel liegt. Zwei Nachteile ergeben sich hier: Der Mietschutz eines ordentlichen Mietvertrages gilt nur teilweise. Die Nutzungsvereinbarungen können trotzdem innerhalb der üblichen Frist von drei Monaten jederzeit aufgekündigt werden. Desweiteren sind die Häuser und einige Räumlichkeiten oft in schlechtem Zustand und nur teilweise nutzbar. Bleibt noch die Interessenpartei der kommunalen StadtplanerInnen. Ihnen bietet der Verein einmal den Kontakt zum Besitzer eines bestandsgefährdeten Hauses und damit einen Ansprechpartner in Sachen Verkehrspflichten, dann die Infrastruktur des Vereins für verlässliche Informationen über die betreffende Immobilie und schließlich den vorübergehenden bis permanenten Erhalt architektonisch wertvoller Bausubstanzen im Stadtkern. Ein Nachteil erwächst der Stadtverwaltung dagegen höchstens daraus, dass der Verein HausHalten für seine Arbeit auch auf kommunale Fördermittel angewiesen ist.
Soweit so gut, möchte man meinen. Im besten Falle gelingt es dem Verein über sein Modell, eine vom Markt abgekoppelte Immobilie in denselben zurückzuführen und damit vor dem Abriss zu bewahren. Es etabliert sich ein normales Mietverhältnis, die „Pioniere“ bleiben oder gehen und das Haus wird wieder Teil der typischen städtischen Immobilien-Spekulation – eine ganz bürgerliche Erfolgsgeschichte also. Kritisch wird die Sache erst, darauf hatte der einleitende Artikel im FA!#29 schon hingewiesen, wenn der Verein nun behauptet, sein Wächterhaus-Modell würde nicht nur zur rein ökonomischen Aufwertung von Stadtteilen taugen, also zu steigenden Mieten und Grundstücksrenten führen, sondern darüber hinaus so etwas wie „soziale Stadtentwicklung“ forcieren. Zwar ist es richtig, dass der Verein über die günstigen Konditionen NutzerInnen in Stadtviertel zieht, die sich ansonsten dort wahrscheinlich nicht einquartieren würden. Ob diese „Wächter“ jedoch mehr als die „Pioniere“ der ökonomischen Stadtteilaufwertung, nämlich Akteure einer nachhaltigen sozialen Stadtentwicklung sind, steht doch erheblich in Zweifel. Zumindest scheint HausHalten geflissentlich auszublenden, dass ein Widerspruch zwischen steigenden Renten bzw. Mieten und sozialer Entwicklung der Quartiere besteht. Es fällt jedenfalls schwer, die durch steigende Mieten ausgelösten Verdrängungsprozesse einkommensschwächerer Bevölkerungsschichten aus ihren angestammten Vierteln – wie man sie bspw. bereits in den 1980ern an der Lower East Side in New York oder in den letzten Jahren in den Berliner Stadtteilen Friedrichshain und Prenzlauer Berg beobachten konnte – als „sozial“ umzudeuten. Außerdem scheint der Verein die Aufklärung darüber zu vernachlässigen, dass die „Pioniere“ oftmals zu den ersten Verdrängungsopfern zählen, die ihre Quartiere verlassen müssen und in andere Stadtteile abgedrängt werden. Die Gentrifizierungstheorie lässt grüßen. Im Grunde ist das ganze Wächterhaus-Modell zu kurz gedacht, denn das positive Engagement der „Wächter“ durch mehr kulturelle und soziale Angebote für ein Viertel erreicht unter dem Eindruck ständiger Kündbarkeit und permanenter Verdrängungssorgen nicht die Qualität langfristig stabiler sozialer Institutionen. Im Gegenteil, eine durch Wächterhäuser ausgelöste Aufwertung eines ganzen Viertels bedroht auf lange Sicht sogar bereits bestehende soziale Einrichtungen, indem sie ihre Akteure verdrängt. Nur „bunte“ und „kreative“ Leute in einem Viertel zu platzieren und dann einfach das Beste zu hoffen, greift hier doch in gefährlicher Weise zu kurz.
Hinterhof-Banalitäten
Während der Recherchen in den letzten Jahren hat der Feierabend! deshalb immer wieder die Augen offen gehalten und beobachtet, nach welchen Kriterien HausHalten die NutzerInnen-Kollektive der einzelnen Häuser auswählt und intern organisiert. Dabei fiel auf, dass der Verein zwar hinsichtlich alternativer Nutzungskonzepte weitestgehend offen und flexibel ist, beinahe nach dem Motto: Hauptsache das Haus ist voll!, darüber hinaus aber eine umfassende Beliebigkeit bei der Wahl potentieller NutzerInnen vorherrscht, die höchstens nach rechts außen implizit begrenzt wird. In Bezug auf die interne Organisation der Häuser sind die „Wächter“ größtenteils sich selbst überlassen. Selbst die minimale Struktur der Benennung eines/r Haussprecher/in als Ansprechpartner/in für den Verein ist oftmals nur eine formale Hülle. Erschwert werden positive Organisationsprozesse zudem durch den Umstand, dass HausHalten sich vorbehält, die einzelnen NutzerInnen-Kollektive zusammenzustellen und so Leute zusammengewürfelt werden, die letztlich vielleicht gar nicht miteinander können. Desweiteren sind durch die gedoppelte Bevormundung seitens des Besitzers und des Vereins einer gemeinschaftlichen Vision größerer Hausprojekte enge Grenzen gesetzt. Zusammengenommen ergibt sich so das dröge Bild herkömmlicher Zweckgemeinschaften in den üblichen Mietskasernen, das allenfalls durch einige hauptsächlich kulturell geprägte Initiativen sporadisch aufgehellt wird. Auch die Wirkung auf die unmittelbaren Nachbarschaftsquartiere beschränkt sich meistens auf die ganz normalen Probleme rund um die leidige Lärmbelästigung und einige Sicherungspflichten an den Häusern. Von einigen wenigen positiven Ausnahmen abgesehen, ist das Wächterhaus-Modell in Sachen sozialer Stadtentwicklung also wenig erfolgreich.
Zu guter Letzt
Für eine progressive Weiterentwicklung des Modells fehlen hier einfach die Konzepte. Außerdem ist in dieser Hinsicht gerade die Ausrichtung auf die Rückführung des Hauses in das Spiel der gewöhnlichen Immobilienspekulation äußerst problematisch. Das Besitzverhältnis soll ja nicht gelockert oder verschoben, sondern gegenteilig stabilisiert werden. Ein ferner Hausbesitzer könnte gegen die Auszahlung eines kleinen Eigenleistungsanteils immer noch und jederzeit in der Frist von drei Monaten einen Auszug der „Wächter“ erwirken und das Wächterhaus bspw. abreißen lassen oder einfach weiterverkaufen. Auf dieser prekären Besitzlage lässt sich einfach keine über eine ökonomische Aufwertung hinausgehende „soziale Stadtentwicklung“ projektieren. Hierzu müsste man eher über Konzepte zur Besitzüberführung oder zu verstärkten Nutzungsrechten nachdenken. Aber auch das Eigenengagement der NutzerInnen wurde in der ursprünglichen Modellierung überschätzt. Es besteht eben ein sachlicher Unterschied zwischen Sich-Selbst-Überlassen-Sein und Selbstorganisation. Mehr Hilfe zur Selbsthilfe wäre hier dringend von Nöten. Das fängt schon damit an, dass man im Vorfeld eines Hausbezuges stärker sondieren sollte, inwieweit einzelne Parteien überhaupt zueinander passen und inwiefern sich einzelne Projektziele potentieller NutzerInnen wirkungsvoll ergänzen. Und das setzt sich bei Fragen der hausinternen bzw. hausübergreifenden Kommunikation und Vernetzung bis hin zur Koordination einer ineinandergreifenden Öffentlichkeitsarbeit fort.
Hier hat das Wächterhaus-Modell des HausHalten e.V. doch erheblichen Nachholbedarf, wenn der Verein neben der Bestandsicherung architektonisch wertvoller Gebäude es weiterhin zu seinen Zielen zählen will, auch eine „soziale Stadtentwicklung“ zu befördern, die diese Bezeichnung verdient. Ob nun gewollt oder nicht, der vom Verein temporär und prekär geöffnete Freiraum hat es in den vergangenen Jahren zumindest einigen NutzerInnengruppen gestattet, sich vielfältig auszuprobieren. Diese Möglichkeit zum Experimentieren muss man dem Bemühen des Vereins schon positiv anrechnen. Und es gibt doch aktuell beachtliche Initiativen in Leipzig, auf eigene Faust zu Immobilien zu gelangen, die eine langfristige Perspektive bieten und damit die Voraussetzung für eine nachhaltige soziale Stadtentwicklung, wenn diese Häuser der Marktspekulation entzogen werden. Mit Einschränkungen hat HausHalten diesen Pioniergeist mitbefördert. Aber zu guter Letzt steht doch die Einsicht, dass das Häuser besetzen und besitzen allemal besser ist, als die Häuser für eine gänzlich unbestimmte Zukunft nur „warm“ zu halten. Squat the world!
(clov)