Was gibt´s Neues in Altwest?

In alter Zeit, als das Wünschen noch half… Da wurde Leipzig noch in einem Atemzug mit Detroit genannt, gab es Symposien, Ausstellungen, Wettbewerbe zum Thema „schrumpfende Stadt“ allüberall. Das ist keine zehn Jahre her, doch inzwischen ist der neue Kampfbegriff „Gentrifizierung“ an seine Stelle getreten. Seitdem ist dieser Topos, der lokal mit dem Begriff #hypezig einigermaßen treffend umrissen ist, ein Dauerbrenner in den Medien. Diese überschlagen sich im Wochenrhythmus mit den neuesten sensationsheischenden Beiträgen zum Thema Boomtown Leipzig. Nur selten jedoch werden die Akteure der Verdrängung benannt. Wie beispielsweise die Stadtverwaltung: „Leipzig hat ein ganz klares räumliches Leitbild: die kompakte Stadt, die Stadt der kurzen Wege. Der Zuwachs wird also in der inneren Stadt fokussiert“, so Jochen Lunebach, Leiter des Stadtplanungsamtes. „…hier gibt es noch ausreichend Flächenpotentiale, um die notwendigen Wohnungen und Einrichtungen unterbringen zu können – auch bei einem anhaltend starken Zuzug.“ (1)

Der ist in der Tat beträchtlich: inzwischen zählt Leipzig wieder 551.871 Einwohner (2) – so viel wie zuletzt vor 30 Jahren.

Leipziger Häuserkampf – Rennen um Ruinen

Die Zeichen stehen auf Sturm: Wurde in den ersten 20 Jahre nach der Wende meist nur über Abwanderung und Verfall geklagt, so schossen in den letzten fünf Jahren die Kräne und Baugerüste wie Pilze aus dem Boden. Leipzig ist mittlerweile die am schnellsten wachsende Stadt des Landes, hat die Einwohnerzahl aus der Wendezeit schon überschritten. „Wohnen wird in dieser Zeit zur zentralen sozialen Frage“ (3) mahnte kürzlich die frisch gewählte Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, wobei wir ihr gerne zustimmen. Noch sind es nur Einzelfälle, in denen es zu schikanöser Verdrängung der Altmieter kommt, das gibt auch das Netzwerk „Stadt für Alle“ zu, doch der Druck steigt spürbar an. Dass diese Entwicklung punktuell sehr unterschiedlich abläuft, lässt sich gut anhand der Karten auf www.einundleipzig.de erkennen. Besonders schnell wächst aktuell neben Wahren und den zentrumsnahen Stadtteilen im Osten vor allem Leipzigs wilder Westen, nach Schleußig und Plagwitz sind derzeit Lindenau und Leutzsch an der Reihe. (4) Der Oberbürgermeister höchstselbst, der sich seinen letzten Wahlkampf im Wesentlichen von Bauunternehmen hat sponsorn lassen (5), äußerte unlängst die Ansicht, dass Lindenau in naher Zukunft „DER Stadtteil Leipzigs“ (6) werde. Vergaß aber zu erwähnen, welche unangenehmen Folgen das für Alteingesessene und Zugezogene hat, wie etwa der enorme Mangel an Kita- und Schulkapazitäten, um nur die offensichtlichsten Versäumnisse der Verwaltung zu benennen.

Mit am lautesten wird derzeit in der Angerstraße gebaut, wegen der Anbindung an die kleine Luppe und weil das bürokratische Hickhack am Lindenauer Hafen so manchen Investor verschreckt hat. Größtes Bauvorhaben ist die Umwertung einer verfallenen Holzleimfabrik in eine luxuriöse Eigentums-Wohnanlage namens „Pelzmanufaktur“, wo es 35 m²-Wohnungen für rund 80.000 Euro zu erstehen gab (6), oder eine Vierzimmerwohnung (139 m²) für 390.000 Euro. Gab, wohlgemerkt, denn schon kurz nach Baubeginn waren alle Wohneinheiten verkauft. Die Preise mögen läppisch wirken im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten, doch für Lindenauer Verhältnisse ist das astronomisch. Es wäre dumm zu glauben, dass der rasante Zuzug (8) ohne Folgen für die Alteingesessenen bleibt, doch sind die von den Apologeten der Gentrifizierung befürchteten Verdrängungseffekte bislang nicht eingetreten: Der Lindenauer Markt ist noch immer ein Tummelplatz der Abgehängten, Abgelegten und Aufgegebenen.

Das änderte sich auch nicht, als vor zehn Jahren die ersten Wächterhäuser auf den Plan traten, zogen sie doch vor allem kreative Menschen mit geringem Einkommen an. Allerdings verschafften sie dem Kiez das Image als hip, rough, edgy, etc. – mit dem Effekt, dass plötzlich die New York Times und ungezählte andere Medien (9) berichteten, wie cool es hier doch sei. Daraufhin dauerte es naturgemäß nicht lange und Immobilienspekulanten erkannten ihre Chance und das Potenzial des Kiezes. Wie man heute weiß, dienten die Hauswächter als flexibel und günstig anzuwerbende Pioniere (bereits damals warnte der Feierabend! vor dem zu kurz gedachten Konzept, beginnend mit Ausgabe #29).

Licht und Schatten

Dass die Mietpreise vergleichsweise langsam steigen, liegt vorrangig daran, dass es noch genügend Brachflächen und seit den Wendewirren leerstehende Häuser gibt, die erst noch Stück für Stück in Rendite abwerfende Investments umgemünzt werden können. Nicht einmal die räumliche Nähe der Kleinmesse und des Zentralstadions, deren Veranstaltungen lärmendes Publikum magisch anzieht (und einen Verkehrskollaps herbeiführt), kann diesen Prozess bedeutend bremsen. Im Gegenteil – die gewieften Marketingstrategen der Immobilienmakler versuchen selbst aus diesem Makel Profit zu schlagen. Unter dem postironischen Label „Kiez mal rein!“ werden selbst Penthouses, von denen man zur einen Seite Kleinmesse und Rote-Brause-Tummelplatz im Blick hat und zur anderen das Parkdeck von Kaufland, für fast geschenkte 399.000 Euro angeboten (10). Und vom Fleck weg gekauft. Gewiss, dieser Zustand ist auch zu nicht unerheblichen Teilen durch die desaströse Situation auf dem Finanzmarkt verursacht: Wo Sparkonten, -briefe, Anleihen und Renten kaum oder gar Minuszinsen abwerfen, erscheint „das Investment“ in Immobilien langfristig lohnender zu sein. Ist es in gewissen Lagen sicher auch, doch treiben solche Überlegungen die Blasenbildung nur weiter an. Nicht von ungefähr erinnert dieses Verhältnis an die Lebensmittelspekulationen an der Börse, wo Mangel und Leid noch vermehrt werden durch den Antrieb, möglichst viel Profit aus einem Grundbedürfnis zu pressen.

Ein wenig fühlt mensch sich an das kleine gallische Dorf aus dem Comic erinnert, welches von römischen Heerlagern umgeben ist, betrachtet man vor diesem Hintergrund das Squat Lindenow. Seit mittlerweile zweieinhalb Jahren leben, arbeiten und feiern hier junge Menschen abseits vom Verwertungszwang und der Profitlogik der Miethaie nebenan. Grund genug für den Feierabend!, sich das Treiben einmal zu beschauen und die Besetzer_innen mit naiven Fragen zu löchern wie im folgenden Interview. „Dreckig bleiben“ nennt uns einer der Initiatoren des Projektes die Vision für Gegenwart und Zukunft. Mir sei das Pathos verziehen, doch es ist diesen hundefreundlichen Dosenbierafficionados zu wünschen, dass sich ihr Haus in diesem feindlichen Umfeld lange halten kann. Eben weil sie ihren Kiez abwerten und damit erhalten helfen. Und weil sie ein Experimentierfeld bieten, um Antworten auf Fragen zu finden, die vom Bündnis „Stadt für alle“ ebenso wie im Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ (11) aufgezeigt werden.

Syndikat als einziger Ausweg?

Auf Unterstützung der Stadtverwaltung sollte hingegen niemand hoffen. Denn die Personen mit Entscheidungsbefugnissen im Rathaus bewerten ganz offensichtlich die Erhaltung der Altbausubstanz höher als Partikularinteressen. So schön die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude auch ist, doch selbst auf Brachen angesiedelte selbstverwaltete Projekte und Wagenplätze durften noch immer nicht dem Status der Duldung entwachsen. Ein beredtes Zeugnis, wohin die Entwicklung gehen soll, zeigt die Verbreitung von sogenannten „Stadthäusern“ auf Freiflächen. Auch die perfide Instrumentalisierung von Bürgerpartizipation und von keinerlei Sachkenntnis zeugende Statements wie dieses (aus dem Arbeitsprogramm des OBM für 2020): „Leipzig wächst! Die Einwohnerzahlen steigen, seit 2010 um rund 10.000 Menschen jährlich. […] Leipzig braucht dieses Wachstum dringend, um seinen Bürgerinnen und Bürgern Lebensqualität dauerhaft bieten und als Stadt auf eigenen Füßen stehen zu können.“ (12) Wie viele Einwohner Leipzig denn haben muss, um eigenständig sein und die Lebensqualität halten zu können, behält der Bürgermeister aus naheliegenden Gründen für sich.

Der unübertreffliche Max Goldt – sonst nicht als Befürworter von Umverteilung bekannt – sprach schon im Sommer 1992 deutlich aus, woher die ganze Chose rührt:

Es gibt nämlich gar keine Wohnungsnot, sondern nur zu viele Zahnärzte, Innenarchitekten und Zeitungsredakteure, die ganz allein in riesigen Altbauwohnungen wohnen…“ (13). Einen begrüßenswerten Ansatz haben darum auch die Menschen hinter der Aktion „Willkommen im Kiez“, die Asylbewerberinnen dezentral in WG-Zimmern und Mietwohnungen in Lindenau und Plagwitz untergebracht sehen wollen (14). Höchstwahrscheinlich ist die Schnittmenge zwischen denen, die solcherlei fordern und jenen, die riesige Altbauwohnungen für sich beanspruchen, gleich null.

bonz

(1) www.mdr.de/sachsen/leipzig/leipzig-platzt100_zc-20d3192e_zs-423b0bc6.html

(2) www.leipzig.de/news/news/einwohner-entwicklung-uebertrifft-selbst-optimistischste-prognosen/

(3) www.weltnest.de/Blog/577/was-fr-einen-oberbrgermeister-wrden-sie-sich-fr-leipzig-wnschen

(4) Im Osten der Stadt ist die Entwicklung mancherorts ähnlich dynamisch, doch in kleinerem Maßstab, die Verdrängungseffekte werden des erheblich größen Leerstands wegen noch etwas länger auf sich warten lassen.

(5) LVZ vom 19.03.2014

(6) www.bild.de/regional/leipzig/burkhard-jung/leipzigs-ob-jung-mag-hypzig-nicht-37168814.bild.html

(7) dima-immobilien.de

(8) Von 2008 bis 2013 hat Lindenau 665 Einwohner hinzugewonnen, ein Zuwachs von 25,9%. Quelle: www.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.6_Dez6_Stadtentwicklung_Bau/61_ Stadtplanungsamt/Stadtentwicklung/Monitoring/Monitoting_Wohnen/Monitoringbericht_2013_14_web.pdf?L=0

(9) www.hypezig.tumblr.com

(10) dima-immobilien.de/immobilie-Henricistra%DFe+15%2B04177+Leipzig%2BLindenau/vk-henri-allgemein

(11) berlingentrification.wordpress.com

(10) www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/stadtverwaltung/oberbuergermeister/arbeitsprogramm-leipzig-2020/?eID=dam_frontend_push&docID=28519

(13) Titanic!-Kolumne vom Juli 1992

(14) www.willkommenimkiez.de/

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