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Ein Job – 1000 Schlechtigkeiten

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) muss sich einiges anhören dieser Tage. Dabei gibt er doch beflissen den Mustersparer im Kabinett Tillichs. Ulbig will sich für höhere Weihen profilieren, im Juni OBM von Dresden werden. Inzwischen sind aber sogar „seine“ Polizisten schlecht auf ihn zu sprechen. Weil die Dienste vor allem für Großeinsätze steigen, die Stellen aber munter gekürzt werden, melden sie sich ständig krank, im Schnitt 32 Tage im Jahr – fast doppelt so oft wie der Durchschnittssachse. Jede dritte Beschwerde ist „psychisch bedingt“, klagt die Gewerkschaft GdP.

Das kann selbstverständlich nur eine grobe Schätzung sein, denn schließlich wurde letztes Jahr lächerliche 182 mal Anzeige gegen die Ordnungsmacht wegen Körperverletzung im Amt erstattet. Nur bei fünfen davon kam es überhaupt zu einer Anhörung und auch bei dieser handvoll Fälle konnte oder wollte die Justiz abschließend keine Schuld der beschuldigten, psychisch stabilen und integren Büttel feststellen.Wegen vorgeblicher Personalnot musste im Februar gar ein LEGIDA-Spaziergang untersagt werden. Ulbig reagierte wie gewohnt taktisch auf die patriotischen Abendlandbewahrer und kündigte eine neue Sondereinheit an, die gegen „straffällige Asylbewerber durchgreifen“ soll.

Das brachte Bundesinnenminister de Maiziere unter Zugzwang: auch er kündigte eine neue Antiterrortruppe an – auf dass sich Charlie Hebdo nie wiederhole! Die hochgerüstete und gepanzerte Schnelleingreiftruppen sollen auch für reguläre Einsätze bereitstehen und damit eine imaginierte Lücke zwischen Bereitschaftspolizei und GSG9 schließen. Ob die Superbullen dann Terroristen jagen oder doch wieder nur Fußballfans kontrollieren, muss die Zukunft zeigen. Der Neubau des BND ist indes durch einen Anschlag abgesoffen – dort kontrollierte ein privater Wachdienst.

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Was gibt´s Neues in Altwest?

In alter Zeit, als das Wünschen noch half… Da wurde Leipzig noch in einem Atemzug mit Detroit genannt, gab es Symposien, Ausstellungen, Wettbewerbe zum Thema „schrumpfende Stadt“ allüberall. Das ist keine zehn Jahre her, doch inzwischen ist der neue Kampfbegriff „Gentrifizierung“ an seine Stelle getreten. Seitdem ist dieser Topos, der lokal mit dem Begriff #hypezig einigermaßen treffend umrissen ist, ein Dauerbrenner in den Medien. Diese überschlagen sich im Wochenrhythmus mit den neuesten sensationsheischenden Beiträgen zum Thema Boomtown Leipzig. Nur selten jedoch werden die Akteure der Verdrängung benannt. Wie beispielsweise die Stadtverwaltung: „Leipzig hat ein ganz klares räumliches Leitbild: die kompakte Stadt, die Stadt der kurzen Wege. Der Zuwachs wird also in der inneren Stadt fokussiert“, so Jochen Lunebach, Leiter des Stadtplanungsamtes. „…hier gibt es noch ausreichend Flächenpotentiale, um die notwendigen Wohnungen und Einrichtungen unterbringen zu können – auch bei einem anhaltend starken Zuzug.“ (1)

Der ist in der Tat beträchtlich: inzwischen zählt Leipzig wieder 551.871 Einwohner (2) – so viel wie zuletzt vor 30 Jahren.

Leipziger Häuserkampf – Rennen um Ruinen

Die Zeichen stehen auf Sturm: Wurde in den ersten 20 Jahre nach der Wende meist nur über Abwanderung und Verfall geklagt, so schossen in den letzten fünf Jahren die Kräne und Baugerüste wie Pilze aus dem Boden. Leipzig ist mittlerweile die am schnellsten wachsende Stadt des Landes, hat die Einwohnerzahl aus der Wendezeit schon überschritten. „Wohnen wird in dieser Zeit zur zentralen sozialen Frage“ (3) mahnte kürzlich die frisch gewählte Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, wobei wir ihr gerne zustimmen. Noch sind es nur Einzelfälle, in denen es zu schikanöser Verdrängung der Altmieter kommt, das gibt auch das Netzwerk „Stadt für Alle“ zu, doch der Druck steigt spürbar an. Dass diese Entwicklung punktuell sehr unterschiedlich abläuft, lässt sich gut anhand der Karten auf www.einundleipzig.de erkennen. Besonders schnell wächst aktuell neben Wahren und den zentrumsnahen Stadtteilen im Osten vor allem Leipzigs wilder Westen, nach Schleußig und Plagwitz sind derzeit Lindenau und Leutzsch an der Reihe. (4) Der Oberbürgermeister höchstselbst, der sich seinen letzten Wahlkampf im Wesentlichen von Bauunternehmen hat sponsorn lassen (5), äußerte unlängst die Ansicht, dass Lindenau in naher Zukunft „DER Stadtteil Leipzigs“ (6) werde. Vergaß aber zu erwähnen, welche unangenehmen Folgen das für Alteingesessene und Zugezogene hat, wie etwa der enorme Mangel an Kita- und Schulkapazitäten, um nur die offensichtlichsten Versäumnisse der Verwaltung zu benennen.

Mit am lautesten wird derzeit in der Angerstraße gebaut, wegen der Anbindung an die kleine Luppe und weil das bürokratische Hickhack am Lindenauer Hafen so manchen Investor verschreckt hat. Größtes Bauvorhaben ist die Umwertung einer verfallenen Holzleimfabrik in eine luxuriöse Eigentums-Wohnanlage namens „Pelzmanufaktur“, wo es 35 m²-Wohnungen für rund 80.000 Euro zu erstehen gab (6), oder eine Vierzimmerwohnung (139 m²) für 390.000 Euro. Gab, wohlgemerkt, denn schon kurz nach Baubeginn waren alle Wohneinheiten verkauft. Die Preise mögen läppisch wirken im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten, doch für Lindenauer Verhältnisse ist das astronomisch. Es wäre dumm zu glauben, dass der rasante Zuzug (8) ohne Folgen für die Alteingesessenen bleibt, doch sind die von den Apologeten der Gentrifizierung befürchteten Verdrängungseffekte bislang nicht eingetreten: Der Lindenauer Markt ist noch immer ein Tummelplatz der Abgehängten, Abgelegten und Aufgegebenen.

Das änderte sich auch nicht, als vor zehn Jahren die ersten Wächterhäuser auf den Plan traten, zogen sie doch vor allem kreative Menschen mit geringem Einkommen an. Allerdings verschafften sie dem Kiez das Image als hip, rough, edgy, etc. – mit dem Effekt, dass plötzlich die New York Times und ungezählte andere Medien (9) berichteten, wie cool es hier doch sei. Daraufhin dauerte es naturgemäß nicht lange und Immobilienspekulanten erkannten ihre Chance und das Potenzial des Kiezes. Wie man heute weiß, dienten die Hauswächter als flexibel und günstig anzuwerbende Pioniere (bereits damals warnte der Feierabend! vor dem zu kurz gedachten Konzept, beginnend mit Ausgabe #29).

Licht und Schatten

Dass die Mietpreise vergleichsweise langsam steigen, liegt vorrangig daran, dass es noch genügend Brachflächen und seit den Wendewirren leerstehende Häuser gibt, die erst noch Stück für Stück in Rendite abwerfende Investments umgemünzt werden können. Nicht einmal die räumliche Nähe der Kleinmesse und des Zentralstadions, deren Veranstaltungen lärmendes Publikum magisch anzieht (und einen Verkehrskollaps herbeiführt), kann diesen Prozess bedeutend bremsen. Im Gegenteil – die gewieften Marketingstrategen der Immobilienmakler versuchen selbst aus diesem Makel Profit zu schlagen. Unter dem postironischen Label „Kiez mal rein!“ werden selbst Penthouses, von denen man zur einen Seite Kleinmesse und Rote-Brause-Tummelplatz im Blick hat und zur anderen das Parkdeck von Kaufland, für fast geschenkte 399.000 Euro angeboten (10). Und vom Fleck weg gekauft. Gewiss, dieser Zustand ist auch zu nicht unerheblichen Teilen durch die desaströse Situation auf dem Finanzmarkt verursacht: Wo Sparkonten, -briefe, Anleihen und Renten kaum oder gar Minuszinsen abwerfen, erscheint „das Investment“ in Immobilien langfristig lohnender zu sein. Ist es in gewissen Lagen sicher auch, doch treiben solche Überlegungen die Blasenbildung nur weiter an. Nicht von ungefähr erinnert dieses Verhältnis an die Lebensmittelspekulationen an der Börse, wo Mangel und Leid noch vermehrt werden durch den Antrieb, möglichst viel Profit aus einem Grundbedürfnis zu pressen.

Ein wenig fühlt mensch sich an das kleine gallische Dorf aus dem Comic erinnert, welches von römischen Heerlagern umgeben ist, betrachtet man vor diesem Hintergrund das Squat Lindenow. Seit mittlerweile zweieinhalb Jahren leben, arbeiten und feiern hier junge Menschen abseits vom Verwertungszwang und der Profitlogik der Miethaie nebenan. Grund genug für den Feierabend!, sich das Treiben einmal zu beschauen und die Besetzer_innen mit naiven Fragen zu löchern wie im folgenden Interview. „Dreckig bleiben“ nennt uns einer der Initiatoren des Projektes die Vision für Gegenwart und Zukunft. Mir sei das Pathos verziehen, doch es ist diesen hundefreundlichen Dosenbierafficionados zu wünschen, dass sich ihr Haus in diesem feindlichen Umfeld lange halten kann. Eben weil sie ihren Kiez abwerten und damit erhalten helfen. Und weil sie ein Experimentierfeld bieten, um Antworten auf Fragen zu finden, die vom Bündnis „Stadt für alle“ ebenso wie im Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ (11) aufgezeigt werden.

Syndikat als einziger Ausweg?

Auf Unterstützung der Stadtverwaltung sollte hingegen niemand hoffen. Denn die Personen mit Entscheidungsbefugnissen im Rathaus bewerten ganz offensichtlich die Erhaltung der Altbausubstanz höher als Partikularinteressen. So schön die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude auch ist, doch selbst auf Brachen angesiedelte selbstverwaltete Projekte und Wagenplätze durften noch immer nicht dem Status der Duldung entwachsen. Ein beredtes Zeugnis, wohin die Entwicklung gehen soll, zeigt die Verbreitung von sogenannten „Stadthäusern“ auf Freiflächen. Auch die perfide Instrumentalisierung von Bürgerpartizipation und von keinerlei Sachkenntnis zeugende Statements wie dieses (aus dem Arbeitsprogramm des OBM für 2020): „Leipzig wächst! Die Einwohnerzahlen steigen, seit 2010 um rund 10.000 Menschen jährlich. […] Leipzig braucht dieses Wachstum dringend, um seinen Bürgerinnen und Bürgern Lebensqualität dauerhaft bieten und als Stadt auf eigenen Füßen stehen zu können.“ (12) Wie viele Einwohner Leipzig denn haben muss, um eigenständig sein und die Lebensqualität halten zu können, behält der Bürgermeister aus naheliegenden Gründen für sich.

Der unübertreffliche Max Goldt – sonst nicht als Befürworter von Umverteilung bekannt – sprach schon im Sommer 1992 deutlich aus, woher die ganze Chose rührt:

Es gibt nämlich gar keine Wohnungsnot, sondern nur zu viele Zahnärzte, Innenarchitekten und Zeitungsredakteure, die ganz allein in riesigen Altbauwohnungen wohnen…“ (13). Einen begrüßenswerten Ansatz haben darum auch die Menschen hinter der Aktion „Willkommen im Kiez“, die Asylbewerberinnen dezentral in WG-Zimmern und Mietwohnungen in Lindenau und Plagwitz untergebracht sehen wollen (14). Höchstwahrscheinlich ist die Schnittmenge zwischen denen, die solcherlei fordern und jenen, die riesige Altbauwohnungen für sich beanspruchen, gleich null.

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(1) www.mdr.de/sachsen/leipzig/leipzig-platzt100_zc-20d3192e_zs-423b0bc6.html

(2) www.leipzig.de/news/news/einwohner-entwicklung-uebertrifft-selbst-optimistischste-prognosen/

(3) www.weltnest.de/Blog/577/was-fr-einen-oberbrgermeister-wrden-sie-sich-fr-leipzig-wnschen

(4) Im Osten der Stadt ist die Entwicklung mancherorts ähnlich dynamisch, doch in kleinerem Maßstab, die Verdrängungseffekte werden des erheblich größen Leerstands wegen noch etwas länger auf sich warten lassen.

(5) LVZ vom 19.03.2014

(6) www.bild.de/regional/leipzig/burkhard-jung/leipzigs-ob-jung-mag-hypzig-nicht-37168814.bild.html

(7) dima-immobilien.de

(8) Von 2008 bis 2013 hat Lindenau 665 Einwohner hinzugewonnen, ein Zuwachs von 25,9%. Quelle: www.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.6_Dez6_Stadtentwicklung_Bau/61_ Stadtplanungsamt/Stadtentwicklung/Monitoring/Monitoting_Wohnen/Monitoringbericht_2013_14_web.pdf?L=0

(9) www.hypezig.tumblr.com

(10) dima-immobilien.de/immobilie-Henricistra%DFe+15%2B04177+Leipzig%2BLindenau/vk-henri-allgemein

(11) berlingentrification.wordpress.com

(10) www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/stadtverwaltung/oberbuergermeister/arbeitsprogramm-leipzig-2020/?eID=dam_frontend_push&docID=28519

(13) Titanic!-Kolumne vom Juli 1992

(14) www.willkommenimkiez.de/

Interview: Squat Lindenow

Feierabend!: Wie habt ihr zusammengefunden und wie definiert ihr euch als Gruppe?

Squat Lindenow: Als wir hier angefangen haben, waren wir zu dritt. Über gemeinsame Freundschaften haben wir uns vergrößert, inzwischen sind wir neun. Als Gruppe haben wir keine festgelegte Ausrichtung, uns eint die politische Gesinnung.

FA!: Was war der Anlass, gerade dieses Haus in der Angerstraße zu besetzen?

SL: Wir waren unabhängig voneinander auf der Suche nach einem geeigneten Haus. Dieses Haus stand leer, hat einen Garten und ist stadtnah. Außerdem gefällt uns, dass es architektonisch heraussticht. Eines Tages stand die Eigentümerin plötzlich vor uns und hat ein sehr nettes Gespräch mit uns geführt. Sie duldet uns hier, weil wir die Bausubstanz erhalten. Das Haus stand 16 Jahre lang leer, darum ist vor allem das Dach in einem schlechten Zustand. Die einzige Bedingung ist, dass potenzielle Kaufinteressenten auch hereingelassen werden. Das war bisher viermal der Fall, jedoch machen wir denen klar, dass das Haus nur mit uns darin zu kaufen ist. Einmal waren auch Leute vom HausHalten e.V. da.

FA!: Was stört euch denn am Wächterhaus-Konzept von „Haushalten e.V.“?

SL: Wir haben deren Vertreter als scheinheilig erlebt, denn sie geben vor, für günstigen Wohnraum zu sorgen. Dabei kooperieren sie eng mit der Stadt und sind mitschuldig, dass der Westen und der Osten der Stadt momentan so aufgewertet werden. Wir fordern unser Wohnrecht ein und finden, für Besetzung ist jetzt genau die richtige Zeit.

FA!: Wollt ihr nicht letzten Endes selber einen legalen Status? Oder seht ihr euch auch nur als Zwischen-Nutzer?

SL: Wir brauchen keinen Vertrag! Wir wollen auch keine Miete zahlen! Wir fühlen uns auch so sicher. Wohnen ist ein Grundrecht, wieso viel Miete zahlen? Was wäre die Stadt ohne Menschen? Wir fänden es wünschenswert, wenn wir Akzeptanz finden und dieses Projekt so weiterentwickeln können. Schön wäre, wenn andere Leute angeregt werden, über die offensichtlichen Alternativen nachzudenken und sich selbst nicht so sehr einengen und eingrenzen lassen.

FA!: Welche Angebote habt ihr an den Start gebracht, was ist noch in Arbeit?

SL: Wir kochen jeden Dienstag Abend VoKü, am Freitag bieten wir auch eine Fahrradwerkstatt an. Zu diesen Zeiten kann auch der Umsonstladen genutzt werden. Wir sind jederzeit für Außenstehende offen, Auswärtige können hier pennen. Andere Angebote sind in Vorbereitung, jedoch noch nicht spruchreif.

FA!: Wie reagieren die Anwohner, Stadt und Polizei auf euch?

SL: Die Nachbarn bringen uns öfter mal Einrichtungsgegenstände vorbei, die sie nicht mehr brauchen und plaudern auch gerne mit uns, wenn wir zum Gassi gehen draußen sind. Dahingehend können wir uns also nicht beschweren. Die Polizei und die Stadt sind bislang friedlich geblieben, doch generell werden wir als Gefahrenquelle eingeschätzt. Das hat beispielsweise zur Folge, dass bei Demos im Stadtteil eine Wanne direkt gegenüber vom Haus geparkt wird. Lediglich das Ordnungsamt macht Stress und sitzt der Eigentümerin im Nacken. Die haben vor Monaten mal gemeckert, als sie den verstärkten Zaun bemerkt haben, aber seitdem ist nichts mehr gekommen. Wir sind schon aus eigenem Vorteil daran interessiert, nicht zuviel Stress zu haben.

FA!: Wie wichtig waren die Erfahrungen aus dem geräumten Hausbesetzungsprojekt in der Naumburger Straße vor zwei Jahren?

SL: Es hat uns viel Erfahrung gebracht im Umgang mit der Polizei. Jetzt wissen wir, was auf uns zukommen kann und sind besser vorbereitet für den Fall der Räumung.

FA!: Ihr strebt seit kurzem auch in die Öffentlichkeit, wollt ihr nur Werbung für eure Partys machen oder geht es euch auch um eine andere Botschaft?

SL: Wir finden es natürlich schön, wenn viele Menschen zu unserer wöchentlichen VoKü kommen oder zu Partys. Aber nach zwei Jahren Arbeit am Haus wollen wir auch mal „ausstrahlen“ und zeigen, dass man nicht gleich ein Haus kaufen muss, sondern es auch anders geht.

FA!: Wie stehen die Chancen für baldige weitere Hausbesetzungen in Leipzig?

SL: Aus unserer Sicht gut, wir sind auch schon eifrig dabei, Metastasen zu bilden und unser Wissen weiterzugeben. Wir unterstützen gerne jegliche Besetzer, die es ernst meinen. Einige Häuser sind in Arbeit, andere in Vorbereitung, aber genauer wollen wir zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht darauf eingehen.

Interview: bonz

Wawa for Mayor

Der Leipziger Polizeichef Horst, oder kurz „Wawa“, wie er sich seit Bekanntgabe seiner OBM-Kandidatur nennen lässt, findet keine Ruhe. Kurz bevor er seinen strafversetzten Nachfolger Bernd Merbitz – brutaler Haudrauf, versierter Nebelkerzenwerfer und CDU-Amigo wie er selbst – einlernt, lässt Hotte noch mal den Knüppel aus dem Sack, um sich mit großem Knall in den Wahlkampf zu verabschieden.

Freitag Nachmittag lässt er mit mehreren Hun­dertschaften eine Hälfte der Stockart­straße, unsereins auch als Stö bekannt, über Stunden abriegeln. „Drogenlabor“ lau­tet der Schluss der „monatelangen Ermittlungen“. Woher die Polizei das weiß? „Ver­dächtige Kabel und Schächte“ auf dem Dach wurden „durch die Auswertung von Luft­bildern“ ausgemacht. Das euphorisch gefeierte Ergebnis der fünfstündigen Suchaktion: ein paar Kilo Gras und Hasch im Wert von etwa 60.000 Euro (die genaue Ki­lo­menge variiert ständig in den Stellungnahmen) sowie „mehrere Stich- und Schuss­waffen“. Die dann aber so gefährlich nicht sein konnten, schließlich sind sie inzwischen nicht mehr der Erwähnung wert.

Aber zwei 36-Jährige Schwerverbrecher sind dingfest gemacht, Leipzig atmet auf!. Für ein Wochenende ist Hotte der Held und Retter in der Not, die reflexhaften Krawalle in Connewitz werden als Schuldeingeständnis der „Linksautonomen“ eingestuft, ein paar Scherben vor der Plag­witzer Wache als „Molotowcocktails, die aber nicht zün­den wollten“ deklariert.

So weit, so schmierig, möchte mensch meinen, doch schon am Montag wendet sich das Blatt. Denn der MDR berichtet, dass einige Dutzend Kleinkinder in unmittelbarer Nachbarschaft zur Stö gelegenen Kita Bieder­mannstraße die Stürmung ihres Spielplatzes gar nicht so doll fanden. Erst dann geben auch die örtlichen Medien ihr anfängliches Jubelgeschrei auf. Die beiden Polizeichefs sehen sich zerknirscht gezwungen, aus eigener Tasche ein paar Plastikbälle zu kaufen und diese persönlich in der Kita zu übergeben. Dazu gibt´s noch eine kleine Spende, womöglich damit sich die Erzie­her_innen in Traumatherapie begeben können.

Tags darauf ist Hotte aber wieder ganz der Alte. In seiner neunten Komplexkontrolle stellt sich heraus, was wir schon immer ahnten: Leipzigs eigentliches Problem sind die vielen Radfahrer_innen. Hunderte Cops stehen sich einen halben Tag lang die Beine in den Bauch, genießen die frische Luft und stellen dabei Dutzende Delinquent_innen mit technischen Mängeln am Rad oder bei-Rot-über-die-Ampel-Fahrer_innen. Da kann wenigstens niemand sagen, die Polizei würde wegschauen, wenn das Gesetz missachtet wird.

Und falls doch, verteidigt sich Wawa eben mit Erinnerungslücken. Wie an seinem letzten Arbeitstag vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtags. Mehr als 20 Mal versagte ihm, der von 2000 bis 2004 Polizeichef in Chem­nitz war, das Gedächtnis. Über die Arbeit seines Mobilen Einsatzkommandos hatte er keine Kenntnis, auch die Videoüber­wachung der Chemnitzer Wohnung des Trios durch seine eigenen Leute war ihm unbekannt. Vermutlich hat der gute Gendarm einfach die vorab zugeschickten Fragen der Parlamen­tarier_innen nicht richtig verstanden, denn diese waren, so verteidigte er sich, „sehr umfangreich und schwer verständlich formuliert“. Wie können sie nur?! Der Horst ist eben einer aus dem Volk, der weiß schon, was die Bürger_innen wollen. Zum Beispiel einen debilen bayrischen Rentner als Leipziger OBM, der in Naumburg wohnt.

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Lokales

Erwin Wagenhofers „Let‘s Make Money“

Selbst verschuldete Unmündigkeit

„Die beste Zeit zu investieren ist, wenn Blut auf dem Boden ist.“ Diese Maxi­me eines Investmentbankers heutiger Prä­gung vereint so ziemlich den ganzen Zy­nis­mus und die Verantwortungslosigkeit, welche in den vergangenen Monaten die (beinahe) globale Weltordnung des Fi­nanz­marktliberalismus in den Ruin führ­ten. Anstelle einer Fortführung des Ban­ken­krise-Artikels in der letzten Ausgabe daher nun eine Rezension des Dokumen­tar­films „Let´s Make Money“, der am Welt­spartag (30.10.2008) Premiere feierte.

Regisseur Erwin Wagenhofer hat vor drei Jahren mit der Doku „We feed the World – Essen global“ eine kleine Sen­sation er­reicht, weil in kaum gesehener Schonungs­lo­sigkeit dem Zuschauer ein Einblick in die Produktionsweisen der Nahrungs­mit­­­­­tel­­­industrie gewährt wurde. In ge­konn­ter Weise stellte er die enorme Über­pro­duk­tion der Industriestaaten und die haar­sträu­­benden Mängel der so genannten „Drit­­ten Welt“ einander gegenüber. Die Zeit seit diesem Erfolg, der Wagen­hofer un­ter an­de­rem einen Amnesty International Human Rights Award ein­brach­te, hat der Re­gisseur damit genutzt, die komplizier­ten Strukturen und Auswir­kungen des In­vestmentbankings auf vier Kontinenten zu verfolgen.

Die Vorgehensweise ist dabei fast identisch mit dem Vorgängerfilm, es werden einfa­che Arbeiter/innen, die um ihr täglich Brot kämp­fen müssen, und vermögende Ent­­schei­der, die Multi­million­en­­beträge ver­­schie­ben, befragt, hoch­trabende Ver­laut­ba­rungen mit tristen, ja erschreckenden Bil­dern aus der Wirklichkeit kom­biniert. Da­­bei verzichtet Wagenhofer auf Kommen­tare aus dem Off, taucht niemals selbst im Bild auf, um kritisch nach­zu­haken und hört sich die Argumente auf beiden Seiten an. Er verfolgt die Strategie, durch die Ab­folge der Bilder und die Dra­ma­turgie der einzel­nen Szenen eine Span­nung auf­zu­bauen, die als Ergebnis deut­licher aus­fallen als nur platte Polemik.

Nach oben buckeln, nach unten treten

Da ist zum Beispiel die Näherin in einem in­dischen Sweatshop ganz zu Anfang des Films, von der mensch nur den Ober­kör­per sehen kann. Gleich darauf folgt eine Ein­­­stellung, in welcher druckfrische Euro-Bank­­noten vom Band laufen. Auf den er­sten Blick wirkt es, als würden diese von der jungen Frau im Sari mit ihrer Nähma­schi­ne hergestellt, eine gelungene Meta­pher für die Wertschöpfung, von der die In­de­rin nie­mals profitieren wird. Dies wird gele­gent­­lich durch Fakten unter­mauert, welche auf das Nötigste be­schränkt am Ende der ein­­zelnen Sequen­zen eingeblendet werden. Zu Beginn wirft Wa­genhofer die Frage auf „Wis­­sen Sie, wo Ihr Geld steckt?“, später macht er den In­ter­nationalen Währungsfond (IWF) und die Weltbank als Komplizen aus, wel­che das System der Ausbeutung der Ar­men zu Gunsten der Reichen von langer Hand ge­plant haben. Beispielsweise indem sie ver­­schul­­dete Ent­wicklungsländer in Ab­hän­g­ig­­keit gezwungen, kommunale Ge­mein­­­schaf­­ten über Public Private Partner­ships (PPP) lang­sam enteignet, unfassbare Geld­­men­gen in die Errichtung von Geister­städ­ten in­vestiert und geschätzte 11,5 Tril­lionen Dollar an Privatvermögen in Steu­er­­para­die­sen vor dem Zugriff des Fiskus ver­­steckt wer­den. Dabei wiederholt Wa­gen­hofer sich in teilweise etwas zu deut­li­chen An­spielun­gen, etwa wenn die große Ähn­­lichkeit der Fassade des Welt­bankge­bäu­des in New York quä­lende Sekunden mit einer Ge­denktafel auf dem (militä­ri­schen) Hel­denfriedhof ver­glichen wird oder glatt­ge­bü­gel­te Manager­phrasen wie­der­holt mit Bil­dern aus dem Slum unter­malt werden.

Doch trotz seiner Schwarzmalerei ist der Film insgesamt sehr empfehlenswert, weil mensch so nicht nur lernt, Banken gene­rell zu misstrauen, sondern auch ne­ben­bei neue Theorien zur Entstehung des Irak­­krieges erfährt und dass die Phrase von den sogenannten „Heuschrecken“ nicht ganz unberechtigt war: Ein öster­reich­i­scher Unternehmer etwa lobt ausführlich die Arbeitsbedingungen in Indien (ein ein­­facher Arbeiter erhält ca. 100 Dol­lar im Monat, kaum Gewerkschaften, ge­rin­ge Nebenkosten) und ist dabei, sein Be­triebsvolumen zu vervierfachen, äußert aber zugleich seine Bereitschaft, jederzeit wo­­anders hingehen zu können, falls die Kos­ten zu sehr steigen.

Die Rolle des Sympathieträgers darf mit Her­mann Scheer ausgerechnet jemand über­nehmen, der für die SPD im Bun­des­­tag sitzt, indem er es ist, der aus­drück­lich auf erneuerbare Ressourcen drängt, vor einem „neuen Zeitalter der Bar­barei“ warnt und die Behauptung des Ban­kers im Steuerparadies Singapur, dass die „Glo­ba­l­isier­ung für alle von Vorteil ist“, gründ­lich widerlegen darf. Doch das letzte Wort hat glücklicherweise Paul Feyer­abend, wel­cher am Schluss die Moritat aus der Drei­groschen­oper zum besten gibt: „Denn die einen sind im Dunk­len/ Und die andern sind im Licht/ Und man siehet die Lichte/ Die im Dunk­eln sieht man nicht“.

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Mehr Infos unter:
www.letsmakemoney.at

Rezension

Einblicke ins Lagerleben

Interview mit Betty Pabst

FA!: Wie kamst Du auf die Idee, die Flücht­lings­­­­heime in Leipzig zu fotografieren?

Betty Pabst: Ich hatte schon zu meiner Zeit in Offenbach zwei verwandte Pro­jek­te: ein­­mal habe ich den Alltag in einem Frau­en­haus fotografiert, und als Vor­diplom­­ar­beit die Situation von blinden und seh­be­hin­der­ten Migranten. Ich hatte den Wunsch, mich mit diesem Thema ex­pli­zit aus­einan­der zu­setzen und habe mich erstmal auf die Suche nach Organisa­tio­nen begeben, die sich mit dem Thema be­schäftigen. Später ha­be ich be­­griffen, dass Aus­schluss, und so­mit auch La­ger als sol­che, unserem Ge­sell­schafts­­sys­tem imma­nent ist, und kein „Aus­rutscher“ oder bloße Reaktion auf eine Not­si­tuation.

FA!: Wie verlief die Kontakt­aufnahme?

BP: Über den Flüchtlingsrat in Leipzig ha­be ich die Sozialarbeiterin in der Rasch­witzer Straße kennen gelernt. Sie hat mir Kon­takt zu Flüchtlingen vermittelt und mich einigen vor­­gestellt. Ich habe erst alles Mög­liche foto­gra­­fiert, später, als ich schon in­tensiveren Kon­­takt zu einzelnen Per­so­nen hatte, durfte ich auch Porträt­auf­nahmen machen. Wir ha­ben auch viel ge­re­det und ich habe zu Fragen des Asyl­rechts in der EU, Lagersysteme und Ab­­schiebe­regelungen gelesen.

FA!: Wie hast Du die Probleme der Migrant­Innen wahrgenommen?

BP: Ein zentrales Problem, in das sie ge­zwungen werden, ist die Isolation. Das, was von ihnen lautstark verlangt wird, die In­te­­gra­tion, wird verhindert, weil ihnen der Kon­takt zu Menschen außerhalb des La­gers so er­schwert wird. Über das Leben der Flücht­linge wird vom Staat verfügt, ein­fache Dinge des Lebens, wie z.B. die Be­wegungsfreiheit und die eigene Ver­sor­gung wird in den Lagern or­ganisiert. So gibt es z.B. die Residenz­pflicht, die besagt, dass Asylsuchende nur nach vorheriger amt­licher Erlaubnis den Ort ihrer Resi­denz­pflicht verlassen dürfen. Der An­trag da­für kostet hierzulande 10 €, bei 40 € Bar­geld im Monat extrem viel. An­trägen, zu Familienmitgliedern ziehen zu dür­fen, wird oft nicht stattgegeben. Die psycho­lo­­gische Belastung der Menschen im Lager schien mir enorm zu sein.

FA!: Die Fotos, welche Du im Kuhturm aus­ge­stellt hast, vermitteln ja vor allem Eindrücke von den geräumten Flüchtlings­heimen. War das von Anfang an so geplant?

BP: Eine Idee war, die Leute an Orten ihrer Zu­­kunftswünsche zu fotografieren. Das wa­ren oft erträumte Arbeitsstellen. Ich woll­te kei­ne falschen Schlüsse zu­lassen, daher ha­be ich diese Idee ver­wor­fen. Auch die Porträts allein schienen mir wenig aus­sage­kräf­tig. Ein wic­h­tiger Teil meiner foto­grafischen Arbeit sind jedoch auch Bilder von Fotos an den Zimmer­wän­den. Diese Por­traits habe ich von den Men­schen ge­macht und einige ha­ben sie sich an die Wand ge­hängt. Diese Or­te ha­be ich fotografiert. Das schien mir eine gute Metapher für den Zwischen­zustand, in den die Leute ge­zwungen werden und der ja oft Jahre an­dauert. Überhaupt habe ich lange gebraucht, um die Situation wir­klich zu begreifen, um sie zu foto­gra­fieren, und ich arbeite weiter daran.

FA!: Was soll dann der Betrachter für Im­pressionen erhalten, wenn er nur die leeren Räume abgelichtet sieht?

BP: Ich möchte keinen Schockeffekt er­zielen, sondern wollte den Zustand des War­­tens, ausharren Müssens festhalten. Ich fand es interessanter, die begrenzten privaten Räume zu zeigen, das Pro­vi­so­rium, in dem kein persönlicher Bezug vor­han­den ist. Die Frage finde ich schwierig, weil die Betrachter ja nicht nur die leeren Räume sehen, son­dern auch die ver­mittel­ten Portraits.

FA!: Ist das Thema nicht viel zu komplex? Kann man das mit einem guten Dutzend Still­leben ausdrücken?

BP: Das ist na­tür­lich schwierig. Worum es mir geht ist, ei­nen Einstieg zu schaffen, um sich eventuell wei­ter mit dem Thema zu be­schäf­tigen. Fo­tos können meiner Meinung nach auf einer sensitiven Ebene ansprechen, Ge­fühle und Irri­ta­tionen auslösen, die im bes­­ten Fall dazu führen, über ein Thema mehr wissen zu wollen. Wie gesagt, arbeite ich wei­ter da­ran und will in Zukunft auch mehr Text ein­fließen lassen, denn Fotos können nicht viel von den Zu­sammen­hängen er­klären. Und ich finde jetzt wich­tig, ganz kon­­­kret zu werden.

FA!: Wer­den den Flüchtlingen grundsätzliche Rech­te ab­ge­sprochen?

BP: Natürlich! Es ist entwürdigend, über­haupt an diesem Ort festgehalten zu wer­den, das Essen eine Woche im Voraus be­stellen zu müssen, videoüberwacht zu wer­den, jede Be­wegung über die Stadt­gren­zen hinaus be­an­tragen zu müssen, keine Ver­fügungsgewalt über die Räum­lich­keiten zu ha­ben. Zum Bei­spiel sind da­durch auch Po­li­zeirazzien ohne Durch­suchungsbefehl mög­lich. In Aus­reise­zen­tren wie etwa Hal­berstadt bleiben den Flücht­lingen noch we­niger Rechte, und um­so mehr wird Druck auf die Menschen aus­­ge­übt, Deutsch­land zu verlassen.

FA!: Hast Du denn ein zufrieden stellendes Feed­­back erhalten?

BP: Einerseits haben sich innerhalb der Aus­­stellung gute Gespräche entwickelt. Je nach­­dem, ob Leute schon vorher mit dem Thema in Berührung gekommen sind, oder so­gar selbst in einem Asyl­be­werberlager waren oder dort gelebt haben, konnten sie in den Fotos mehr sehen, als nur das, was ich ab­ge­bildet habe. Anderer­seits habe ich fest­­ge­stellt, dass ein Raum, der erstmal „Kunst“ ver­spricht, durchaus für viele Leute Hemm­­schwellen bereithält, ihn überhaupt zu be­tre­ten. Es wäre also sinn­voller, dieses Thema im öffentlichen Raum zu platzieren. Ich suche nach Orten, die zwar öffentlich sind, aber eben auch ge­nug Ruhe und Raum bie­ten, um sich auf Bilder und Text einzulassen, nach­zu­denken und zu dis­ku­tieren.

FA!: Wie wird es weitergehen?

BP: Wir, d.h. Eva Winckler, ich [und hoffent­lich noch weitere Autor/innen] ar­bei­ten daran, eine Auswahl an Fotografien und Texten als Buch zu veröffentlichen. Auch um der Komplexität des Themas mehr ge­recht werden zu können. Außer­dem arbeite ich weiter an einem Aus­stellungs­konzept, dass wie schon erwähnt, eher im öffentlichen Raum seinen Platz finden wird.

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Betty Pabst ist 30 Jahre alt, durchlief von 1996 bis 1998 eine Ausbildung zur Fotografin, absolvierte anschließend das Grundstudium in visueller Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und seit Oktober 2004 ihr Hauptstudium in Fotografie an der HGB Leipzig. Von November bis Dezember 2006 stellte sie Fotografien aus den Leipziger Flüchtlingsheimen unter dem Titel „Wartezimmer“ in der Kuhturm-Gallerie aus. www.bettypabst.de

Lokales

Protest wohin?

Nicht ohne Grund ist das Hakenkreuz in Deutschland ein „verfassungswidriges Symbol“. Daher sollte mensch auch seine Ablehnung gegen das Logo von unheilvollem Gedankengut, welches eine menschenverachtende Weltanschauung und millionenfachen Mord verursachte, zur Schau tragen dürfen. Am 3.Oktober, als der Hamburger Chefnazi Worch seine „Kameraden“ vom Leipziger Hbf bis zum Ostplatz führte, war dies aber nicht mehr möglich. Was war passiert?

Die rund 200 FaschistInnen profitierten v.a. vom geringeren Widerstand der Bevölkerung vor Ort und massivem Polizeischutz. Bis 2012 sind die Aufmärsche schon beantragt, es gilt, Methoden zu entwickeln, damit sie in Zukunft nicht mehr vorwärts kommen. Am bequemsten wäre es, viel mehr Menschen zu gewaltlosen Sitzblockaden zu bewegen, die aufgrund ihrer Masse nicht geräumt werden. Steinewerfen und Barrikadenbau erhöhen zwar das Drohpotential, spielen aber auch der Argumentation der Nazis in die Hände. Jedoch sind sie eine gerade noch verständliche Reaktion auf die Aggression der Staatsgewalt, die die existentiellen Rechte der Antifaschisten mit Füßen tritt.

Als ob das nicht genug wäre, argumentiert auch die Legislative, das durchgestrichene Hakenkreuz müsse verschwinden, denn „es besteht die Gefahr der Gewöhnung“ ( Wolfgang Küllmer, Richter Landgericht Stuttgart). Soll das Symbol als Relikt des Hitlerregimes im Museum verrotten, während sich die BürgerInnen an zwei Nazi­aufmärsche pro Jahr gewöhnen sollen?

bonz

Kommentar

Wächterhaus Merseburger 17

Freie Träume für off‘ne Räume

Nein, das Haus in der Merseburger Straße 17 in Plagwitz ist kein ge­wöhn­liches Wächterhaus, sagen die Nutze­rIn­nen selbstbewusst (1). Denn schon 2005 und unabhängig vom HausHalten e.V. waren drei von ihnen auf der Suche nach ei­nem geeigneten Objekt gewesen und hat­ten mehrere Hausbesitzer zwecks Nut­zung kontaktiert. Doch ohne den Wäch­ter­hausverein, geben sie zu, wären die Ver­hand­lungen viel schwieriger gewesen. So­wohl die NutzerInnen selbst als auch der HausHalten e.V. hätten auch lieber einen di­rekten Vertrag zwischen Vermieter und Nut­zerInnen gesehen, aber der Besitzer eben nicht. Er vertraute eher auf die dop­pel­te Vertragsstruktur, die der Verein zau­dernden Immobilienbesitzern anbietet (2). So konnte im September 2006 alles für sie­ben Jahre unterschrieben werden. Be­triebs- und Nebenkosten für den Vermie­ter und 15,- pro Monat und Person als För­dermitgliedsbeitrag an den Verein be­deu­tete ein ganzes Haus für die NutzerIn­nen. Das frischgebackene Hauskollektiv war glücklich. Dadurch dass man schon vor­her eine feste Gruppe gewesen war, ließ ihnen der Verein die sonst unübliche Frei­heit, selbst über die genaue Zusammenset­zung der NutzerInnen zu bestimmen und un­terstützte die notwendigsten Aufbau­maß­nahmen mit Material und Know How. Dementsprechend gab es auch von An­fang an einen festen Zusam­menhalt un­ter den neun BewohnerInnen im ganzen Haus und die späteren NutzerInnen wie der Tischtennisverein BumBum, die Näh­werkstatt Total Vernäht und ein kleines Hörspielstudio wurden per Unternut­zungs­verträge eingebunden und de facto im Stimmrecht gleichgestellt. Die Mit- und Selbstbestimmung bei der kollektiven Ver­wirklichung des Hausprojektes wird ernst genommen und jedeR ist bemüht, im Konsens zu entscheiden, Veto zu be­rück­sichtigen und nur im Ausnahmefall einen Mehrheitsbeschluss herbeizuführen.

Zwei große WGs, eine Werkstatt und ein Studio – damit ist das an sich relativ kleine Haus zwar schon ziemlich voll, trotzdem will man in der Merseburger 17 in Zu­kunft noch stärker nach außen tre­ten und in den Parterre-Räumen regel­mäßig Kul­tur­veranstaltungen anbieten, die auch Men­schen ansprechen, die nicht unbe­dingt aus dem ‚üblichen Klüngel‘ stam­men. Eine offene Küche ist ebenfalls für je­de zweite Woche geplant. Zwar gibt es wei­terhin noch einen lauschigen und ge­räumigen Hinterhof, aber der kann auf­grund der schlechten Nachbarschaft nur sehr eingegrenzt genutzt werden. Neben of­fen ablehnenden Spießbürgern zählen da­zu auch eine Gruppe Faschisten, die nachts des öfteren Fahrräder vor dem Haus demolieren oder ihre widerlichen Pa­­ro­len brüllen. Abgesehen von solchen Prob­lemen in der konkreten Nachbar­schaft, sehen die NutzerInnen ihre Aus­strah­lung durchaus positiv, insbesondere auf ein jüngeres und mehr in der „Szene“ zwi­schen Schreibmaschinencafé und Zoll­schuppen verortetes Publikum.

Der Kontakt zu den anderen Wächter­häu­sern läuft zwar schleppend, aber gerade über die Projekte und Freunde ist man untereinander verbunden und tauscht auch schon mal Material oder Werkzeuge aus. Zudem hat der HausHalten e.V. aktuell eine neue Vernetzungsinitiative gestartet, um die internen HaussprecherInnen­struk­turen zu stärken und den Informa­tions- und Erfahrungsaustausch zwischen den Häusern zu erhöhen. Alles in allem scheint man in der Merseburger Straße 17 zufrieden mit dem Engagement des Vereins, geschätzt wird die Zuarbeit auf der einen und die gewährte Selbst­be­stim­mung auf der anderen Seite. Der Eigen­tümer vertraut langsam den regelmäßigen Zah­lungen und hält sich ansonsten zu­rück. Da er weder über das genügende Klein­geld verfügt noch das Haus verkaufen kann (3), geht das Hauskollektiv opti­mistisch von einer langfristigen Perspek­tive für das Projekt aus. Über die noch verbleibenden fünf Jahre des Nutzungs­ver­trages hinaus denkt jedoch kaum je­mand. Ge­rade wegen der durch den Arbeitsmarkt ge­forderten Flexibilität sind die meisten mit der Situation zufrieden, auf lange Sicht nicht wirklich zu wissen, wo und wie es für jedeN EinzelneN weitergeht und ob dies auch gleichzeitig eine Zukunft mit und in dem Haus in der Merseburger Straße 17 bedeutet.

Möglichkeiten, um in das Projekt hinein zu schnuppern, gibt es derzeit vor allen Din­gen über persönliche Kontakte und den regelmäßigen Sportlertreff des Tisch­tennisclubs jeden Freitag ab 21 Uhr. Wer Interesse am Kochen hat oder eine Veranstaltung organisieren will, kann sich auch per Mail (siehe unten) melden. Außerdem ist für nächstes Jahr ein großes Haus­fest geplant, für welches weiterhin noch Leute gesucht werden, die Lust oder/und kreatives Potential mitbringen.

bonz & clov

 

Kontakt über:

Merseburger17@web.de

 

(1) Vgl. hierzu FA! #29 „Ist Lindenau denn noch zu retten“

 

(2) Das Modell des Haushalten e.V. sieht eine Ge­stattungsvereinbarung „Haus“ zwischen dem Verein und dem Besitzer und eine Ge­stat­tungsvereinbarung „Raum“ zwischen den Nut­zerIn­nen und Haushalten vor, um die Interes­sen beider Parteien miteinander zu vermitteln. Diese Struktur wurde insbesondere für die Re­vi­talisierung von Häusern entwickelt und soll dann langfristig durch einen direkten Miet­vertrag ersetzt werden.

 

(3) Das Haus gehört eigentlich einer Erben­ge­meinschaft. Allerdings ist die andere Partei der­zeit nicht ermittelbar, weswegen dass Haus rein rechtlich nicht so einfach verkauft werden kann.

Medien & Mythen

„Versprich mir, dass Du keine Steine werfen wirst“ verlangte meine Mutter von mir, ehe ich Richtung Heiligendamm aufbrach. Bei ihr konnte ich das verstehen, schließlich hat sie zur 68er-Zeit studiert und von damals sicherlich noch ganz andere Bilder im Gedächtnis. Zum Beispiel das berühmte Bild vom blutenden Benno Ohnesorg, welcher genau 40 Jahre zuvor ermordet wurde, was die Studen­ten­revolten der 68er und die Entstehung der RAF maßgeblich beeinflusste. Was mir jedoch die Sprache verschlug, war der flapsige Kommentar meiner Groß­mutter, als ich ihr eine Woche später telefonisch aus dem Erfahrungsschatz des Erlebten berichtete. „Das finde ich richtig, dass man diesen Chaoten mal die Grenzen aufgezeigt hat, wenn die nur Steine schmeißen können…“ sagte sie sinn­gemäß. Wie sollte ich ihr auch erklären, dass in Wirklichkeit doch alles ganz anders abgelaufen ist, als sie es vermittelt bekam?

Dazu hätte ich erstmal das Hinter­grundwissen darüber gebraucht, was während des Gipfels alles geschehen war und wer wie darüber berichtet hat. Als von Zeit zu Zeit journalistisch Tätigem sind mir die Ab­läufe und möglichen Fehlerquellen des Systems bekannt, die Auftaktkundgebung am 2. Juni in Rostock lieferte ein nur zu anschauliches Beispiel für verzerrte und oft­­mals grundfalsche Kolportage in den Mas­senmedien. Darum sehe ich es als meinen Beitrag zu den Gipfelprotesten, den gegenwärtigen Zustand der Massenmedien zu beschreiben und auf die Miss­stände aufmerksam zu machen.

Die Vorbereitung

Es fällt den meisten Menschen schwer zu realisieren, dass sie in Bezug auf den G8-Gipfel von „ihren“ Medien schamlos be­logen und zu Narren gehalten wurden. Das Gipfeltreffen wurde Monate im Vor­aus sorgfältig geplant und keine der beteiligten Seiten wollte etwas dem Zufall über­lassen. Staatliche Stellen haben im Vorfeld mit „Präventivmaßnahmen“ (Stichwort §129a StGB „Bildung terroristischer Vereinigungen“) sämtliche Register gezogen. Auch Bundes­innen­minister Schäuble wurde nicht müde, diese Bedrohungskulisse durch regelmäßige Warnungen vor Terror­an­­schlä­gen noch eindringlicher zu ma­chen und hat damit umfangreiche Überwa­chungs­met­hoden ermöglicht und den schlei­chenden Einsatz der Bundeswehr im Inland weiter vorangetrieben. Dieses Vor­gehen diente wohl dem Zweck, sich nicht schon im Vorfeld mit den Argumenten der GipfelgegnerInnen auseinandersetzen zu müssen und wird auch jetzt noch weiter betrieben. Wen verwundert es da, dass durch diese Kri­mi­nalisierung ein Mobili­sie­rungs­schub in der Autonomen Szene erreicht wurde? Ent­sprechend vorherseh­bar gab es dann zur Auftaktkundgebung in Rostock auch Ge­walt zu sehen, welche v.a. im Fernsehen genüsslich ausgeschlach­tet wurde, denn sie kam erwartet.

Alles, bloß keine Inhalte

Der Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert zwar das Recht auf freie Meinungs­äußerung und die Freiheit der Presse, die etablierten Massenmedien sind aber keineswegs so frei, wie mensch sich das wünschen würde. Denn jeder Medien­konzern gibt eine bestimmte Linie vor, der sich alle Angestellten unter­ordnen müssen. Leider wagten nur sehr sel­ten und zaghaft einzelne Journa­listInnen, entgegen der eigentlichen Gepflogenheiten das Verhalten der Obrigkeit zu kri­tisieren, nie aber wurde der Polizei­einsatz als Gan­zes in Frage gestellt. Der Konkurrenzdruck innerhalb der Branche führte dazu, dass in den meisten Fällen Pressemeldungen der Kavala (die Ein­satzleitung der Polizei­kräfte rund um den G8-Gipfel) einfach unreflektiert übernom­men wurden. Schnel­lig­keit geht eben vor Sorgfalt.

Selbst wenn eine Kamera Bilder aufgezeichnet hat­te, die ein­deutig Gewalt gegen fried­liche Prote­stie­rerInnen zeigt, kommen­tierten viele Sender diese Bilder so, als sei die Gewalt von eben jenen aus-gegangen und der Einsatz von Wasserwerfern, Tränen­gas und Pfefferspray darum ge­recht­fertigt und notwendig. Am Donners­tag beispielsweise wurde die friedliche Sitz­blockade vor dem westlichen Kontroll­punkt geräumt und weil während dessen auch verein­zelt Plasteflaschen in Richtung der ver­mumm­ten „Robo­cops“ flogen, wurde daraus kurzerhand der Anlass gestrickt, der die Brutalität notwen­dig gemacht habe. Tags zuvor wurde schon per Pressemit­teilung die Lüge in die Welt gesetzt, am östlichen Kontrollpunkt – ebenfalls eine durchgehend friedliche Sitzblockade – würden sich die Demon­strantInnen mit Molotowcocktails bewaff­nen. Wie inzwi­schen leider üblich, wurde auch die Anzahl der mutmaßlich Gewalt­bereiten (festge­macht an jenen, die schwarz gekleidet waren) immer etwas höher als real, die Gesamtmasse der BlockiererInnen ständig zu niedrig eingeschätzt. In Rostock hätte es bei einigen kaputten Scheiben bleiben können, wenn es die völlig überzogene Reaktion der Polizeikräfte nicht gegeben hätte. Aber so wurde daraus die „schlimm­ste Straßenschlacht seit 20 Jahren“ (BILD vom 4.6.), für die alleine Steinewerfer verantwortlich gemacht wurden. Keine Be­haup­tung klang un­glaubwürdig genug, um nicht verbreitet zu werden. In den wenigsten Fällen machte mensch sich die Mühe, diese fehlerhafte „Berichterstat­tung“ hinterher zu korrigieren. Traurig genug, dass bei über 5.000 angereisten Jour­nalistInnen kaum jemand in der Lage war, das Geschehen einigermaßen wahrheits­­getreu wiederzu­geben.

Keine Analyse – Lügen und Gewalt

Die so genannte „Deeskalationstaktik“ war hier­für ein leuchtendes Beispiel. Auch wenn seit Rostock offensichtlich war, dass es diese Taktik seitens der Polizei nie gab (siehe Artikel Seite 12), wurde sie in der fol­genden Woche immer wieder zu Propa­gan­­dazwecken benutzt, um die Gipfelkriti­ker­Innen als Provokateure hinzustellen. Als am Montag klar wurde, dass die Kavala die An­zahl der ver­letzten und schwerverletzten Po­lizistInnen weit übertrieben hatte und statt angeblich zweien keine einzige Person mit Messern angegriffen wurde, haben die Lohnschrei­ber­linge dies im besten Falle zur Kenntnis genommen. Noch Tage danach griffen viele Berichte die angeblich 433 ver­­letzten PolizistInnenen auf, während über die Haftbedingun­gen in den GeSa (Gefangenensammel­stellen) erst Tage später berichtet wurde. Mit täglich neu ver­breiteten Einschüchterungen und Lü­gen, die von staatlichen PR-Fach­leuten lanciert schnell in der Szene Ver­breitung fanden, ist die Masse der Gegen­demon­strantInnen von Anfang an in die De­fensive gedrängt worden. Vielleicht auch, weil die TV- und Zeitungsleute ihren LeserInnen den Willen nicht zutrau­ten, die kom­­plexe Realität zu verstehen, hat man lie­ber ein Schreckgespenst und Feind­­bild „Schwar­­zer Block“ in den Vorder­grund gerückt, das eben darum so wirksam war, weil es so diffus gefasst und flexibel handhabbar ist. Diese Vor­liebe von Medien­leu­ten, Sachver­halte zu ver­einfachen und an Ein­­­zelper­sonen fest­zumachen, hat die Or­ga­ni­sa­torInnen der Zelt­lager dazu bewogen, eine strikte Infor­ma­tionspolitik zu fahren und Kamerateams nur nach Anmeldung, unter Aufsicht und nur für kurze Zeit in die Camps zu lassen. Denn wie die Praxis zeigt, sorgt der Selek­tions­drang in der Flut der Bilder und Ge­rüch­te dafür, dass nur die quotenträchtig­sten den Filter passieren können. Mit an­deren Worten: was nicht skan­dalträchtig ist, wird skandalös ge­macht. So wurde einer der friedlichsten G8-Gipfel der letzten Jahre zum inszenierten Aus­nahme­zustand.

Die Rolle der unabhängigen Medien

Mit Pauschalisierungen, der Ignoranz ge­gen­­über Polizeigewalt, Desinteresse an al­ter­nativen Praxen und Ideen, sowie dem Kampf um die besseren Bilder sollte die oh­­ne­hin zersplitterte Linke anhand der Ge­­walt­frage gespalten werden. Es steht zu hof­fen, dass durch das Internet und des da­raus resultierenden vereinfachten Zu­gangs zu einem breiten Publikum, die Mas­sen­medien diese einseitige Berichter­stat­tung irgendwann überdenken werden. Auch wenn sie nur die Vorurteile ihrer Ziel­gruppe zu bedienen glauben, ha­ben zahl­reiche TV-Stationen und Printmedien an Glaubwürdigkeit einge­büßt, was sich über kurz oder lang auch in den Zu­schauer- bzw. Verkaufszahlen zeigen wird. Hier sind alternative Modelle gefragt, die zwar auch schnell, da­für fundiert und aus ei­nem anderen Blick­winkel berichten kön­nen. Indymedia hat es vorgemacht und als ei­gentlich reines Onlinemedium in der Gip­felwoche täg­lich eine Printaus­gabe auf­gelegt, die den Camp­bewoh­nerIn­nen zu­sam­menfassende Mel­dun­gen über das Ta­­gesgeschehen und Au­gen­zeugenberichte bot. Freie Teams aus Video­aktivistInnen ha­­ben sich zusammen­gefunden (beispielsweise g8-tv.org und interpool.tv) und re­la­tiv schnell ihre Bilder ins Netz gestellt. Freie Radios waren fast überall präsent und bo­ten Einsichten, die sowohl erfri­schend tief­gründig als auch unterhaltsam ein brei­tes Publikum auf dem Laufenden hielten. Es ist wahrscheinlich, dass hiermit auch Leu­­te angeregt wurden, sich selbst zu betei­li­gen und Neuigkeiten mit Informa­tions­wert weiterzugeben. Denn die News kön­nen nur so glaub­würdig sein, wie die Per­son, die sie weiter­gibt. Diese Modelle der Ei­gen­partizi­pation müssen weiterver­folgt wer­den und ständig die herrschende Me­­dien­­realität hinterfragen, wenn künftig die Be­völkerungsmehrheit auch die Positio­nen systemkritischer Initiativen und Netz­wer­ke zu Gehör kriegen soll.

(bonz)

Taler, Taler, Du mußt wandern…

…von der einen Hand zur andern. Warum die Banken überschuldet sind

Wer nicht völlig medienabstinent lebt, hat es längst er­kannt: Die Weltwirtschaft be­­findet sich in einer Krise, welche vom Aus­maß die New-Economy-Blase weit über­steigt und von selbsternannten Ex­perten inzwischen häufiger mit dem „Schwarzen Freitag“ von 1929 verglichen wird. Es ist längst nicht absehbar, wie lan­ge noch Betriebe verramscht, Arbeits­kräfte „weg­rationalisiert“ und von den National­regierungen Konjunktur­förder­programme ini­tiiert werden müssen, ehe ein Ende der Krise absehbar wird. Solche Spekulations­blasen, die im globalisierten Finanzmarkt­kapitalismus, wo ein Räd­chen ins andere greift, von Zeit zu Zeit unvermeidlich sind, offenbaren aber auch Handlungs­mög­lichkeiten, die zur Über­windung des Systems beitragen können. Aus Platzgrün­den kann hier leider nicht genauer auf den Wandel der Welt­wirtschaft oder den Fetischcharakter des Kapitals einge­gangen werden, vielmehr präsentiere ich hier einen Über­blick über die Geschehnisse des ver­gangenen Jahres, für Menschen, aus revolutionärer Weitsicht oder trotziger Existenzeuphorie keine Wirtschaftsnachrichten mehr konsumieren

Der Faktor „Vertrauen“

Das gab es in Europa seit den 30er Jahren nicht mehr: Tausende britische Klein­sparerInnen standen im September 2007 tage­lang vor Filialen der Bank Northern Rock an, in der Absicht, ihr Geld vor der sich abzeichnenden Pleite des klammen Kre­ditinstituts zu retten (sogenannter „bank-run“). Dabei waren ihre Spar­ein­lagen angeblich gar nicht ge­fährdet, denn per Gesetz sind die Banken ver­pflichtet, Rücklagen (in Form eines Ein­lagen­sicherungsfonds) in einer Höhe zu bilden, welche die Sicherheit sämtlicher Spar­buchguthaben auch im schlimmsten Falle gewährleistet. Die vielen kleinen Ar­beiter_innen haben Northern Rock den Todesstoß versetzt, weil der Hypotheken­fi­nan­zierer nach Medienberichten in Zah­lungs­schwierig­keiten steckte. Daran waren nicht einmal in erster Linie Manage­mentfehler schuld, sondern vor allem das Miss­trau­en der anderen Banken, die aus Mangel an eigener Liquidität keine Kre­dite an Hypothekenbanken mehr verge­ben wollten und deshalb den Geldhahn ab­drehten. Dieses Beispiel zeigt exem­pla­risch, wie der Kapitalismus Rendite schafft: Geld, das zu Hause im Spar­strumpf liegt, ver­mehrt sich nicht, es muss da­her ständig von einer Hand zur nächs­ten gereicht werden. Kreditinstitute leihen sich enorme Summen voneinander, in der Hoff­nung, noch einen Dümmeren zu fin­den, dem sie zu einem noch höheren Zins­satz das Geld weiter­borgen können. Weil aus Profitgier diese Summen das Eigenka­pital der Banken in der Regel um ein Viel­faches übersteigen, ist so der Kreislauf schnell durchbrochen. An irgendeiner Stelle entsteht plötzlich Zahlungsunfähig­keit und durch das Miss­trauen der Anderen hortet jeder im großen Maßstab Geld. Dies ist bei allen ins Trudeln geratenen Kreditinstituten des letzten Jahr­­­es der Fall gewesen – einer langen Euphorie­phase folgte das böse Erwachen.

Der Auslöser: Vom eigenen Wachstum berauscht

Die Quelle des letzten Erdrutsches ist wie schon so oft in den USA zu verorten und machte sich zuerst darin bemerkbar, dass viele ein­kommensschwache Hypothek­en­zahler in den Vereinigten Staaten ihre Schulden nicht mehr begleichen konnten oder woll­ten, weil die Grundstückspreise (und da­mit auch die Hypothekenraten) kon­ti­nu­ierlich stiegen sowie die Ein­kommen (v.a. in­fla­­tionsbedingt) sanken. Das Wachs­tum der Profite hatten die Banken und die Zwischenhändler nämlich dadurch noch zu verstärken versucht, indem sie mit durch­trie­­be­nem Eifer massenhaft Kredit­karten und Hypo­theken­kredite an die Bürger_innen brachten, weil diese nur zu gerne an das Versprechen vom ewig anhaltenden Wachstum glauben wollten. Manche Institute hatten sich darauf spezialisiert, Kredite an Kun­den mit geringer Zah­lungs­fähigkeit zu ver­leihen, zu enormen und zugleich variablen (d.h. risiko­abhängigen) Zinsen, häufig ohne jegliche Prüfung wie vertrauens­würdig die Kredit­nehmer sind. Oft konn­ten diese aber nicht einmal die zweite Ra­te zah­len. Das ging einige Zeit gut, weil die Wirt­schaft wuchs, der Leitzins niedrig war und die Immo­bilienpreise stiegen. Die Hypo­thek schien auf dem Papier durch den errech­net­en Wert der Immobilie ge­deckt, die Kredit­geber konnten also damit rechnen, dass im Fall einer Insolvenz des Schuldners zumindest kein Verlust ent­stünde. Zu­nächst gab es zwar nur wenige In­solvenzen, aber das Risiko für die Ban­ken erhöhte sich dadurch ständig. Also wurden die Zinsen auch für die übrigen Hypo­thekenzahler er­höht. Darauf jedoch folgte eine Lawine von Zahlungs­un­fähigkeiten, Zwangsvoll­streckungen und Kauf­kraft­ver­lusten – die Grenze war überschritten. Als die Klein- und Mittelverdiener dann reihenweise über­schuldet waren, ordneten die Gläu­bi­ger wegen der sin­ken­den Grund­stückspreise – was Zwangs­versteige­rungen unrentabel machte – die Schuldbe­tei­li­gun­gen vielfach neu und verteilten sie auf verschiedene Fonds, die von Rating­agen­turen je nach Risiko mit bestenfalls ima­gi­nären Real­werten ge­schätzt wurden. Die Fonds, in denen solche höchst riskanten Immo­bilienspeku­lationen zu­sammen­gefasst sind, wurden munter weiter­verschachert und die eigene Sta­bilität dabei zu hoch bewertet, weil die jeweiligen Be­tei­ligungen in hohem Maße als sicher betrachtet und daher in den Quartals­bilanzen viel zu niedrige Verluste abge­schrie­ben wurden. Der IWF (Inter­nat­io­nal­er Währungs­fonds) schätzte die weltweiten Ab­schreibungen der Finanzins­titute allein bis April 2008 auf 603 Milliarden Euro. Eine der Folge davon ist zum Beispiel, dass derzeit häufig unklar ist, wie mit den Grund­stücken wei­ter verfahren wird, weil die Besitz­ver­hältnisse so weit gestreut sind. Es liegt nun in der „Natur der Sache“, dass auch euro­päische und deutsche Finanzins­titute gierig genug waren, in den ver­lock­enden US-Immo­bilienmarkt zu investieren. In kurzer Folge ge­rieten deshalb hierzulande unter anderem die IKB Deutsche Industrie­bank und die Sachsen LB in Zahl­ungs­schwie­rigkeiten, die Deutsche Bank, Bayern LB, West LB und un­zählige andere wiesen Verluste in Milliardenhöhe aus, zum Teil jetzt schon das vierte Quartal in Folge. In Spanien et­wa sind die Auswirkungen noch größer, weil sich der inländische Immo­bi­lien­markt als noch größere Blase erwiesen hat: mit gut 18 Prozent Anteil am BIP war der Bau­sektor wichtiger für die Konjunktur als die In­dustrie (13 Prozent). Wegen der güns­tigen Zinsen wurde hier in den letzten zehn Jahren mehr gebaut als in Doitsch­land, Frank­reich und Italien zusammen. Das Land ist stark verschuldet und weist der­zeit ein Handelsbilanzdefizit von rund zehn Prozent aus, Inflation und Arbeits­lo­sigkeit sind auf Rekordhoch.

Abhilfe?

Sobald eines der Kreditinstitute zu stark ins Trudeln geriet, war für die Reg­ierungen klar, dass hier die Steuerzahler einspringen müssen und mittels Sofor­t­hilfe der Euro­pä­isch­en Zentralbank (EZB) die Unter­nehmen zu retten hätten. In den USA übernahm diese Aufgabe die Federal Reserve Bank (FED), welche so viel neues Geld verteilt hat, dass von einer haus­gemachten Inflation gesprochen werden muss. Dieser Umstand entlarvt die un­seri­öse Konstruktion des „Finanz­markt­kapitalismus“, der im Prinzip genauso wie ein Kettenbrief/Pyramiden­spiel funk­ti­oniert. Irgendwann ist der Zeitpunkt er­reicht, wo sich die Summen, die zu steigenden Zinssätzen weiter­verliehen werden, eben nicht mehr steigern lassen und das Platzen der Spekulations­blase unvermeidlich wird. Es wird ruckartig weniger investiert, was ein Stagnieren oder gar Schrumpfen der Gesamtwirtschaft zur Fol­ge hat, die Arbeitslosigkeit wächst, die Kauf­kraft sinkt und die Wirtschaft schrumpft weiter. Die Herangehensweise in den USA unterscheidet sich jedoch von derjenigen der EZB: Die FED hat das Zinsniveau gesenkt, um den Banken zu helfen, sich aus dem Dilemma raus­zukaufen, das Außen­handelsbilanzdefizit niedriger erscheinen zu lassen und die Kaufkraft der Bevölkerung zu stärken, nimmt dabei aber Hyperinflation und Überschuldung in Kauf. Mensch befindet sich also im Ausverkauf, alles wird ver­ramscht, damit wenigstens der Geldfluss nicht zu sehr ins Stottern gerät. Die EZB sah sich seit ihrer Gründung 1998 vor allem der Ein­dämmung der Inflation verpflichtet und erhöhte daher die Zinsen, was die Kon­junktur abwürgt und die Menschen finan­z­iell immer schlechter dastehen lässt. Dafür kann die Liquiditätskrise nicht mehr so leicht auf andere Branchen übergreifen. Dem Aktienmarkt hat das freilich nicht geholfen, so fiel etwa der DAX, der im Juni 2007 noch ein Allzeithoch von 8.100 Punkten erreicht hatte, innerhalb von nur einem Jahr auf knapp über 6.000 Punkte. Anders ausgedrückt, die 30 wichtigsten deutschen Aktien­unter­nehmen haben in einem Jahr ein Viertel ihres Wertes verloren.

Das zeigt überhaupt das Dilemma der angeblichen „Führungsfiguren“ weltweit auf: In einem System der freien Markt­wirt­schaft ist der politische Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung marginal, eigent­lich kaum messbar. Präsident_innen können jedoch mit Hilfe ihrer Verlautbarungen das Konsumverhalten der Bevölkerung be­einflussen, indem sie Vertrauen in die Zukunft des eigenen Standortes erzeugen. Das erscheint ihnen sinnvoller, als den von Arbeitsplatzverlust, Lohnkürzungen oder Zwangsversteigerung betroffenen Men­schen finanzielle Linderung zu verschaffen und so die Kaufkraft der breiten Be­völkerung zu stärken. Und wie die aktuelle Krise wieder einmal beweist, erreichen die staatlichen Hilfen nur jene, die zuvor völlig verblendet Unsummen (die ihnen nicht einmal gehörten) in hoch­spekula­tiven Investments verzockt haben. Mitt­ler­weile rechnen sogar hochrangige EZB-Vertreter damit, dass das Schrumpfen der Wirtschaft in Europa bis Mitte 2009 anhalten wird. Weil es um die Volks­wirtschaften in den USA und Japan noch schlimmer bestellt ist, wird auch der Exportweltmeister Doit­schland die Folgen noch viel stärker als bisher zu spüren bekommen.

Ankämpfen!

Wer nun denkt, mit der Einführung einer Kapitalertragssteuer für Risikogeschäfte wie der Tobin-Steuer, wie es vor allem von attac beworben wird, könnte das Problem eliminiert werden, glaubt sicher auch, dass das Verbot von Alcopops für Minder­jährige verhindert, dass Jugendliche Alkohol trinken. Zum einen würden von der Tobinsteuer nur Devisenspekulationen begrenzt, die aber ohnehin nur einen sehr geringen Teil der Gesamtmenge umfassen. Damit würde zwar Entwicklungsländern enorm geholfen, für die momentan vor­liegende Situation ist sie aber ohne Bedeutung, da sich die Blase innerhalb der jeweiligen Volxwirtschaften entwickelt hat. Der Zeitraum zwischen zwei Spe­ku­la­tions­blasen würde zwar größer, diese aber unvermeidlich immer wieder platzen und weiterhin Steuereinnahmen zur Sanierung der Großverdiener miss­braucht. Wie aber die britischen Klein­sparer_innen bewiesen haben, bildet das Sparvermögen der Geringverdiener den Grundstock für die Spekulationsgeschäfte der Finanzinstitute. Weil es im höchsten Maße un­wahr­scheinlich ist, dass Aktien­spekulationen, die ja im Grunde nichts anderes als Wetten auf die Entwick­lungs­chancen eines Unter­nehmens darstellen, in absehbarer Zukunft abgeschafft werden und so der Huldigung des Mammon ein Riegel vorgeschoben wird, sind die Alternativen für ethisch saubere Geld­anlagen äußerst begrenzt. Hier bieten sich folgende Möglichkeiten an: Zuerst einmal der altbackene, heimische Sparstrumpf, mit den bekannten Vor- und Nachteilen. Zweitens eingeschränkte, „moralisch saubere“ Investitionen, wie es inzwi­­schen häufig auch unter dem Stich­wort „islamic banking“ angeboten wird. Dabei ist allerdings zu beachten, dass auch die jeweiligen ethischen Standards durch viele juristische Kniffe unterlaufen werden und ebenfalls in Investmentfonds angelegt wird. Daher lautet mein Rat an die Leser: Die finanziellen Mittel, welche nicht zur unmittelbaren Bewältigung des Alltags benötigt werden, in alternative Projekte zu investieren, welche sich der Rettung der Um­welt, einem breit gefächerten Kultur­angebot und vor allem der Bildung sozial Be­nachteiligter verschrieben haben. Auf dass in Zukunft mehr Menschen erkennen, was schief läuft und was getan werden muss!

(bonz)