Krieg ist Frieden ist . . .

Einige Eindrücke zu den Wahlkampagnen 2004 . . .

Wieder mal Wahlen . . . . .ob Kommunal-, Landtags- oder Europa­wahlen, der Bürger durfte sich ent­scheiden. Aber wie? Als kleine oder auch größere Ent­scheidungs­hilfen prang­ten an jeder nur erdenklichen Stelle Wahl­werbeplakate. Nach Wählerstimmen heischend lächelten dort Stadträte von Straßenlaternen herunter, einige suhlten sich, Sturm bedingt oder bewusst heruntergerissen, schnell im Straßenmatsch des verregneten Sommeranfangs.

Die CDU setzte mit dem comic-haften Leipziger Löwen auf die junge Wähler­schaft. . . Die FDP blieb ihrer Geld­fixierung treu und war so kreativ, ihrem Programm mit ganzen drei Worten Ausdruck zu ver­leihen: „Geld-Stadt-Wahl“. . . Die SPD machte aus der Einfachheit eine Tugend. Ein Foto und vage Worte sollten überzeugen. Aber schließlich ging es ja auch nur um ein paar Kreuze. . . Die PDS versuchte mit einer „X statt Y-Strategie“ ihr Programm für den sozialen Wirtschaftsstandort zu for­mulieren. Mit den Forderungen „Arbeit statt Almosen“ oder „Aufträge statt Pleiten“ wollen sie für ein „Leipzig gerecht“ einstehen. Die Frage, ob diese Logik nicht letztendlich dazu führt, dass Mensch gelinkt wird, weil die Sachzwänge der Marktwirtschaft immer Ungerechtigkeit hervorrufen, wird an keinem Punkt gestellt.

Aber darum geht es ja auch gar nicht. Egal welches Programm oder welche Ver­sprechen gemacht wurden, die Wahlen dienen zuerst der erneuten Legitimation der par­la­mentarischen Demokratie, die bei der stetig sinkenden Wahlbeteiligung immer frag­würdiger wird. Daher kommt auch der grundlegende Aufruf der PDS, „Wählen statt Resignieren“, als kleinster Konsens aller Parteien, nicht über­raschend. Mit dem moralischen Zeige­finger sollen die Wahlmuffel zurück zur Urne getrieben werden, wo sie zwischen dem größeren und dem kleineren Übel wählen dür­fen. Was bei der Wahl herauskommt ist letztlich nicht so wichtig. Denn am Ende bleiben alle Parteien nur ein Teil der bürgerlichen Demo­kratie­maschine und somit unfähig, den Menschen auf der Straße das Recht auf Selbstbestimmung einzuräumen; weder mit noch ohne Mehrheit im Parlament.

Die Generalsperspektive, aus der der Mensch nur am Wert seiner Nützlichkeit bemessen wird, wohnt dem Stellvertreter­system namens Demokratie inne. Sym­p­tome, wie der tief verwurzelte Büro­kratismus, zeigen dabei nur zu deutlich, wie weit die reale Politik und deren Kommunikation von den konkreten Bedürfnissen entfernt ist.

Europawahlen

Wesentlich schwereres Geschütz wurde vom Bundespresseamt und dem Europä­ischen Parlament für die Europawahl aufgefahren, um die 61,6 Millionen Wahl­berechtigten in Deutschland zu erreichen. Da gab es neben dem Europa­bus, eine alle Medien umfassende Kam­pagne. Abgesehen von einem Werbespot, der im Mai bundesweit durch Kinosäle und über U-Bahn-Moni­­tore flimmerte, präsentierten sich Stars und Sternchen der Promi­welt auf dem Fernsehbildschirm. Im Internet stand ein „Wahl-O-Mat“ dem unentschlossenen Wähler mit 30 Test­fragen zur Seite, an­hand derer ermittelt wurde, welche Partei ihm wohl am nächsten stehe. Das Ziel dieser über­partei­lichen Kampagne war es, die `inno­vative Insti­tution Europa` in den Köpfen der Men­schen als Leitfigur der neuen europäischen Konsu­menten­ge­mein­schaft zu verankern. Nicht umsonst werden, be­sonders von den Grünen, The­men, wie Verbraucherpolitik, Lebens­mittel­sicher­heit oder Verkehr als bürger­nahe Belange des Europäischen Parla­ments hervor­gehoben. Der `Binnen­markt’ Eu­ropa spiegelt unbegrenzte Wirt­schafts­räume (Freihandelszone) vor, obwohl die Grenz­markierungen nur ein wenig ver­schoben wurden. Allein wirt­schaft­lich nutzbare MigrantInnen sind in der Festung Europa erwünscht. Die anderen sollen doch bitte bleiben, wo sie sind und sich Armut, Krieg oder Ver­folgung stellen.

Die Gemeinschaft ist klar definiert.

Die Nationalstaatsbürger erhalten nun ein weiteres Identifikationsmerkmal. Sie werden zu Europabürgern, die jetzt auf einer weiter übergeordneten Ebene für den Erhalt ihrer Ohnmacht wählen dürfen.

Aber haben sie wirklich eine Wahl? Welchen Unterschied macht es, ob CDU, SPD oder gar die Bibeltreuen Christen im euro­päischen Parlament sitzen? Für den Wähler dürfte es nach der Stimmabgabe laufen, wie immer. Die biegsam formu­lierten Versprechen lassen sich schnell noch biegsamer umdeuten, womit die plakative Werbestrategie einmal mehr gute Dienste geleistet hätte. Aber schließlich war es auch nicht ihre Aufgabe, offen und ehrlich über die Möglichkeiten oder Grenzen der Realpolitik zu informieren. Es ging eher darum schlagkräftige Über­schriften mit der eigenen Partei in Verbindung zu bringen und beim Wähler auf eine Ge­dächtnisleistung bis zum 13. Juni zu hoffen.

Inwieweit Wahlkampagnen überhaupt geeignet sind, eine faktenorientierte Aufklärung zu verwirklichen, sei dahingestellt.

Besonders auffällig war im parteilichen Wahl­kampf für Europa das wieder salon­fähig gewordene nationalpatriotische Ideologie­vokabular (1). Gegen den Ver­trauens­verlust der Bürger in die Politik, der nach Johannes Rau, ehemaliger Bundespräsident durch „Ego­ismus, Gier und Anspruchsmentalität in Teilen der so genannten Eliten“ verursacht wird, sollen starke Worte ein neues nationales Gemein­schaftsgefühl pro­duzieren.

Horst Köhler, neuer „Bundespräsident aller Deutschen“, meint „Patriotismus und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, sie bedingen einander“.

Mit vollem Munde spricht die SPD gar vom „Deutschen Interesse“, dass sie in Brüssel vertreten will. Das Deutsche an sich darf wieder als Wert hoch­gehalten werden. Es ist gar „Zu­kunfts­gerecht“.

Ebenso offensiv prangt der SPD-Slogan „Friedensmacht – Politik mit Ent­schlos­sen­heit“ vor den Farben der Na­tional­flagge. Hier wird nicht mit Ar­gumenten gekämpft, sondern mit Worten. „Frie­densmacht“ ist das Instru­ment der Stimmungsmache.

Die negative Bedeutung des Wortes „Macht“ – viele verbinden es zunächst mit `Missbrauch` – wird umgekehrt. In Verbindung mit dem positiv besetzten Begriff „Frieden“ wird suggeriert, dass die SPD ihre „Macht“, die vom Wähler Zugestandene, nur zu gewaltfreien Zwec­ken verwendet. Das zu glauben, dürfte jedoch schwer fallen, angesichts der bisher betriebenen Außenpolitik. So wurde nicht nur 1999 im Kosovo bom­bardiert, son­dern auch 2003 erstmals unter der Hoheit der EU-In­terventions­truppe in der Demo­kra­tischen Republik Kongo eingegriffen, eben­so, wie 2001 in Afghanistan. Ge­kämpft wird hier nicht nur um die politische Macht, sondern ebenso um die Sprache, die den Menschen doch eigent­lich zur Verständigung dienen sollte, anstatt Gewalt zu legitimieren.

Die erste Wahl sollte daher sein, sich den Krieg nicht für Frieden verkaufen zu lassen und die eigene Stimme zu behalten!

wanst

(1) Ideologievokabular, das sind „Wörter, in denen politische Gruppierungen ihre Deutungen und Bewertungen der politisch-sozialen Welt, ihre Prinzipien und Prioritäten formulieren“. Josef Klein, Sprachwissenschaftler

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