„Tod den Feinden der Revolution“

Eine Kritik am Wendehype

Und wieder ein Jahrestag, ein Gedenkjahr, ein Augenblick, um in der Geschichte inne zu halten und ihrer Helden zu gedenken. Es ist 2009. 20 Jahre nach der „friedlichen Revolution“, die den sozialistisch unterdrückten DDR-Bürger­Innen eine Welt grenzenlosen Konsums eröffnete. Vor 20 Jahren verpesteten die ersten Trab­bis auch westdeutsche Luft. Vor 20 Jahren fiel die Mauer oder korrekter, sie wur­de aus­ein­an­der genommen und als Sou­venir in die Welt verkauft, um ewig und überall an vergangenes Unrecht zu gemahnen.

So zelebrierte die Stadt Leipzig den 9. Oktober mit einem Hochglanzevent namens „Lichterfest“, um traditionsbewusst Kerzen zu entzünden und auf dem Innenstadtring dem Weg der 1989er „Revolutionäre“ zu folgen, flankiert von diversen Lichteffekten seriöser Künstler­Innen. Massen verstopften die Einkaufspassagen, lauschten den Tondokumenten vergangener Zeiten, zelebrierten sich selbst und das Image der Stadt Leipzig.

Die Begrifflichkeiten, die für die Deutung der Ereignisse von 1989 bemüht werden, konstruieren eine Vergangenheit, die man sich nur aus dem Heute heraus so schön malen kann. Die Beteiligten werden zu Helden glorifiziert und der heutige gesellschaftliche Zustand als das damalige Ziel definiert, das auf friedlichem Wege erreicht wurde. Die demonstrierenden Massen von damals werden so zu „Revolutionären“, zu Akteuren einer „Revolution“, obwohl die Masse weder homogen war noch einhellig die Abschaffung der DDR forderte. Viele wollten lediglich eine Re­for­mierung des Systems Sozialismus oder auch dessen tatsächliche Realisierung ohne Bonzen, Stasi und Mauerschützen.

Nun soll hier nicht gesagt werden, dass die DDR wieder her soll oder dass Erinnerung nicht wichtig ist. Vergangene Er­eig­­nisse haben eine große Bedeutung, etwa für die subjektive Verortung des Menschen im Hier und Jetzt. Sie können den Glauben an eine wie auch immer geartete Zukunft bestärken und die idealistische Hoffnung unterfüttern, dass die Gegenwart nur ein vorübergehender Moment der Stagna­tion ist…der auch wieder vorbei geht. Immerhin sind die Menschen damals über­haupt noch auf die Straße gegangen, um gegen gewisse Regeln des Systems zu pro­testieren. Dass heute nur noch in Erin­nerung an die hehre Ver­gangenheit so viel Mo­bilisierungspo­ten­tial zu existieren scheint, ist bedauerlich. Trotz wachsender so­zialer Ungleichheit oder zweifelhaften Mi­­li­täreinsätzen in der ganzen Welt lässt sich auf der Straße kaum noch jemand blicken, um dagegen aufzubegehren. Es scheint als wäre mit der „friedlichen Revo­lu­tion“ alles erreicht, die BürgerInnen in den aktuellen Zuständen am Ende der Geschichte an­gekommen. Das zumindest ver­mittelt der Hype um das 20jährige Ju­bi­­läum in Form des „Licher­festes“ in Leipzig.

Dem Werbespektakel mit historischen Bezügen fehlte also komplett der Moment kritischer Reflexion. An dieser Stelle hakte sich das Projekt „Licht-Spiel-Feld-2009“ ein, mit einer etwas praktischeren Idee zum Umgang mit 1989. Die drei Freitage vor dem Großereignis luden der Helden Wider Willen e.V., AFAEA (Aktionskreis für aktive Erinnerungsarbeit), ProMemoria und die Gruppe Schwarze Zahlen zum aktiven Erinnern auf die Karl-Heine-Str. zwischen Garage und Jahrtausendfeld ein. Hier sollten Fragen aufgeworfen werden: „Wie lange gibt es eigentlich schon Revolution in Deutschland? Wie wird man friedlicher Revolutionär? Was heißt es plötzlich einer Masse anzugehören? Wie skandiert man die entscheidenden Sätze richtig: WIR sind das VOLK? Wir sind das VOLK? Wir SIND das Volk? Wir sind DAS Volk?“ (1). In so genannten Kaderschmieden sollte die „Generation, die über keine aktive Erinnerung mehr an die Ereignisse des Herbstes ’89“ (1) verfügt, im friedlichen Demonstrieren trainiert werden. Dabei wurde versucht das Ambiente möglichst dem Zeitgeist vor 20 Jahren anzupassen. So gab es ein Grenzhäuschen mit Wechselstube, wo sich der Euro endlich mal direkt in Gewaltlosigkeit, Freiheit oder Demokratie umtauschen ließ. Außerdem wurde freudiges Wiedersehen nach dem Mauerfall geübt, indem sich zwei Gruppen jubelnd in der Mitte des Jahrtausendfeldes trafen.

Einen zeremoniellen Rahmen fand die künstlerische Revolutionsübung mit der Weihung der Friedensglucke durch Tho­mas Müntzer (2). Das offizielle Pendant zur Glucke, die Glocke der Demokratie, wurde auf dem Augustplatz enthüllt. Es handelt sich dabei um ein übergroßes hohles goldenes Ei, mit dem Motto: „Demokratie ist in unendlicher Nähe längst sichtbar als Kunst“, das aber von den Passant­Innen höchstens noch mit Colum­bus in Verbindung gebracht wurde.

Die Proben auf dem Jahrtausendfeld wurden am 9. Oktober praktisch. Der Plan war die Friedensglucke mit Gesang („Ich geh mit meiner Laterne“) in die Innenstadt zu treiben und die blinden Massen zu singenden Massen zu machen. Die Ak­tions­methode lässt sich unter subversiver Affirmation fassen, womit versucht wird, die herrschende Deutung des 9. Oktober 1989 aufzubrechen. Dabei geben sich die Initiatoren einen offiziellen Anschein, durch seriös wirkende Logos oder eine offizielle Wortwahl wie „aktive Er­in­nerungs­arbeit“, die die unterschwellige Kritik am offiziellen Umgang mit der Geschichte verschleiern. Die Ent­wen­dung und Umdeutung der Symbole – hier wird aus der Glocke eine Glucke und aus Pfarrer Führer gar Thomas Müntzer – macht die Position dann schon klarer.

Das große Ziel der Aktion, die singenden Massen, wurde leider nicht realisiert, da nur wenige mit bunten Hütchen, Tröten und Flüstertüte von Plagwitz in die Stadt aufbrachen. Außer einer Kleinfamilie mit Lampion schloss sich auch niemand an. Die Leute schmunzelten oder rümpften die Nase, weil die beschwingten Friedens­gluckenanhängerInnen keinen andächtigen Ernst an den Tag legten. So wurde zwar teilweise irritiert, aber keine kritische Masse erreicht, um das Imagespektakel aus den Angeln zu heben.

wanst

 

(1) aus: Aufruf von AFAEA

(2) Thomas Müntzer wurde in der DDR als Anführer der Bauernaufstände in Thüringen 1524/25 geehrt, der ersten „proletarischen Erhebungen“.

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