Die Freude war groß, als das DHL-Management am 9. November verlautbarte, dass das erweiterte europäische Drehkreuz des Logistikunternehmens 2008 am Flughafen Halle-Leipzig angesiedelt werden soll. Närrisches Frohlocken: „Ich bin völlig aus dem Häuschen! Ein unglaublicher Erfolg!“, meldete sich OBM Tiefensee zu Wort. Auch die sonstige veröffentlichte Meinung gibt sich rückhaltlos enthusiastisch. Wer freut sich da, worüber? Das Handelsblatt (9.11.2004) zitiert u.a. den ver.di-Bundesvorstand, die DHL-Ansiedlung in Leipzig sei ein „Signal für den Standort Deutschland“ (1). Ist es Begeisterung, die bisher schon mehr als 9.000 Bewerbungen motivierte?
Zuerst jedoch ein kurzer Blick auf den Hintergrund: DHL – der Firmenname leitet sich von den Initialen der drei Männer ab, die das Unternehmen 1969 in San Francisco gründeten – ist ein Tochterunternehmen des Deutsche Post World Net (Deutsche Post, Postbank, u.a.): 1998 wurde es von dem Konzern mehrheitlich, 2002 komplett übernommen. Im April vorletzten Jahres, während ArbeiterInnen in Hamburg, Bremen und Dortmund unter verdi-Anleitung für eine Lohnerhöhung streikten, wurden die Firmen DHL, Danzas und Deutsche Post Euro Express zu der heute bekannten Marke DHL Express & Logistik zusammengefasst – während die Verhandlungen mit ver.di über eine Fusion der Unternehmen, bzw. den dabei vorgesehenen Stellenabbau im Juli 2004 vorerst abgebrochen wurden. Derzeit unterhält DHL weltweit 250 Flugzeuge und ein dementsprechend dichtes Netz an Sortierzentren – insgesamt 160.000 ArbeiterInnen halten den Laden am Laufen, 10.000 davon in der BRD (2). Bevor die Sendungen in eins der beiden deutschen Sortierzentren in Köln oder Frankfurt/M. kommen, werden sie schon in sechs Gateways, darunter in Leipzig, vorsortiert. Danach werden die Sendungen zum derzeitigen kontinentalen Hauptumschlagplatzes (HUB) in Brüssel geflogen. Eben dieses Drehkreuz sollte erweitert werden – die Verhandlungen mit der Stadtverwaltung wurden Ende Oktober jedoch für gescheitert erklärt.
Am 21.10. waren also noch die Stadträte von Vatry und Leipzig „im Rennen“ um enorme Investitionen bis 2008 und um mehr als 3.500 Arbeitsplätze – währenddessen wurde im Brüsseler HUB, der seit 1985 existiert, die Arbeit niedergelegt (vgl. Demo in Brüssel, S. 7). Darüber fand sich in der hiesigen Presse kein Wort. Anfang November ist dann klar: Bis 2012 will der Konzern – DPWN konnte 2003 einen Umsatz von 40 Milliarden Euro verzeichnen – in der Leipziger Region 250 Millionen Euro investieren (3).
Hinzu kommen zumindest knapp 71 Mio. Euro aus EU-Kassen, die bereits im April 2004 für Leipzig bewilligt waren, etwa 35 Mio. Euro aus dem sachsen-anhaltinischen Landeshaushalt – unbekannt, wieviel der Sächsische Freistaat hinzugibt.
Außerdem sind an die Post-Niederlassung gebunden: der (evtl.) Ausbau der Bundesstraße 6 auf vier Spuren, eine Hochgeschwindigkeitsbahntrasse für Frachtverkehr zwischen Frankfurt und Leipzig, sowie die Erhöhung des Lärmschutzetats um 30 auf 380 Mio. Euro. Kein Wunder, dass Tiefensee angesichts dieser Taler schwindelig wird – gleichwohl ein Termin für den ersten Spatenstich ebenso wenig feststeht wie eine konkrete Auflistung der zu besetzenden Stellen. Bis zur Inbetriebnahme ist es ja noch 3mal Langzeitarbeitslosigkeit (d.h. 3 Jahre) hin.
Freilich mögen die 3.500 DHL-Arbeitsplätze, und weitere 6.000 im Umfeld (4), in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und ALG II wie ein seligmachendes Glücksversprechen erscheinen – so stark ist der Impuls, dass binnen weniger Wochen mehr als 9.000 Bewerbungen bei der städtischen PUUL (vgl. PUUL, S. 7) eingegangen sind. Nach Angaben des Geschäftsführers Oertel seien 50 Prozent der BewerberInnen derzeit arbeitslos. In Kontinuität der unsäglichen Olympia-Kampagne übt sich die Lokalpresse darin, Hoffnungen zu schüren und das Glück auf Erden in Arbeit, Arbeit, nochmals Arbeit zu finden. Den „Arbeitgebern“ macht man sich heutzutage Untertan, man scheut nicht den Wettkampf der Anbiederung, der Privatisierung öffentlicher Gelder, des aus ehrlicher Dankbarkeit geschmeidigen Bücklings. Dankbar wofür? Was einen Gutteil der künftigen 3.500 (Un-)Glücklichen erwartet beschreibt eine Reportage aus Brüssel: „Bevor er zupackt, stopft er sich noch Stöpsel ins Ohr, anders ist der ewige Lärm der Bänder nicht auszuhalten. Und dann steht er in einem Gang, der kaum mal einen halben Meter misst, fast 100 Meter lang, zwischen weiteren 100 Kolleginnen und Kollegen, die das gleiche machen, wie er: Pakete sortieren.“ (5) Freilich kann es auch anders kommen. Nicht unwahrscheinlich nämlich ist es, dass das Management im Zuge des Neubaus auf die Automatisierung weiter Bereiche setzt – wie ArbeiterInnen in Brüssel vermuten. (6)
Jedenfalls ist die Stimmung bei DHL nicht allzu glückverheißend: das Management übt seit Monaten Druck auf die Belegschaften aus, indem Aufträge systematisch an Subunternehmen abgegeben werden … erste Vorboten einer verschärften Situation, denn ab 2008 wird das Briefmonopol in der BRD aufgehoben, von dem der Mutterkonzern heute noch profitiert. Die künftigen Leipziger DHL-MitarbeiterInnen können sich also schon jetzt einstellen auf Maloche unter „autoritärem Führungsstil“ (7) – und die entsprechenden Auseinandersetzungen. Denn es ist die einfache Einsicht in den Klassenkampf, die LVZ und Tiefensee mit ihrer Tollerei um „Arbeitsplätze“ verdrängen wollen. Das Arbeitsverhältnis ist schließlich von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt: für DHL arbeiten fast 50 Prozent der Konzernbelegschaft, die mehr als 50 Prozent des Umsatzes realisieren. In dem Schlüsselsektor des Konzerns selbst, bildet wiederum das kontinentale Drehkreuz einen der wichtigsten Knotenpunkte.
A.E.
(1) aus einer Presseerklärung vom 21.10.
(2) Ob diese Zahlen auch die Angestellten in Subunternehmen umfasst, ist unklar. Quelle: A. Storn, Nur der Name bleibt, Die Zeit, 2.9.04
(3) Mind. ebensoviel soll Deutsche Post World Net für die Logistiksparte von Karstadt/Quelle geboten haben, deren Verkauf fürs Quartal 1/05 vorgesehn ist.
(4) Nach Schätzungen der sächs. Regierung.
(5) D. Drewes, Wo nachts die Post für ganz Europa abgeht, 16.12.04, www.stimme.de
(6) Darauf deutet auch die erwähnte Bahntrasse hin, deren Investitionsvolumen nach Angaben der Financial Times Deutschland (27.12.04) mehrere 10 Mio Euro umfasst. Im dazugehörigen „Luftfracht-Umschlagbahnhof mit spezieller Technologie“ sollen in 15 Minuten 200 Tonnen Fracht verladen werden.
(7) Storn, Nur der Name bleibt. Die Zeit, 2.9.04
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