Blonde Bestien und antideutsche Kinnhaken

Bereits im letzten Jahr erschien beim „Archiv der Jugendkulturen“ in Berlin der Sammelband „Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics“. Schon der Titel verweist auf den sehr breiten Ansatz und so handelt es sich bei dem Buch auch nicht um eine konkrete Studie zum benannten Phänomen, son­dern eher um einen Rundumschlag. Hier wird alles unter die Lupe genommen, von NPD-Wahlkampf-Comics der letzten Jahr­zehnte bis hin zu italienischer Kriegs­pro­­pa­gan­da der frühen 1940er Jahre, von „Super­man vs Hitler“-Strips zum bahnbrechenden „Maus“-Comic eines Art Spiegelmann. Hier wird die Reproduktion rassistischer Klischees in Mainstream-Comics wie „Tim und Struppi“ ebenso betrachtet wie die Schattenwelten antilinker Hasscomics in Skinhead-Fanzines oder die hier­zu­lande eher unbekannten Ab­gründe zum Beispiel der aktuellen anti­zi­ga­nis­tischen Hetze per Comic in Ungarn. Selbst Neben­schau­plätze der „Nazi­sploitation“ und die fragwürdige Darstellung von NS-Täterinnen in der Sparte der erotischen Comics finden Beachtung. Alles in allem, das lässt sich so vorwegnehmen, bietet der Sammelband einen reichen Fundus sowohl an ressentimentgeladenen Bildwelten als auch ihrer gezeichneten Kritik und bietet allein aufgrund der Fülle an Material einen bislang einzigartigen Zugang zu dem Themenspektrum. Zugrunde lag dem Werk eine Tagung, die im Vorjahr stattgefunden hatte. Neben den genannten Ansätzen spielte hier die Frage nach der Rolle von NS- und Holocaust-Comics im Schulunterricht eine zentrale Rolle, die auch im Buch breite Beachtung findet.

„Wir zeigen euch, wer hier die Fremden sind! Feuer!“ – Die Comic-Adaption der deutschen Science-Fiction-Schmonzette „Perry Rhodan“ aus den 1960er Jahren ist nur ein Beispiel von vielen dafür, wie faschistoide Züge, rassistische Stereotype und antisemitistische Weltbilder in einer ganzen Reihe von populären Comics vertreten sind – Comics, die einem breiten Pub­likum zugänglich waren und sind und weitestgehend als völlig unbedenklich angesehen werden. Ob es nun der zitierte futuristische Held Perry Rhodan ist, der hier mal wieder im Dienste der Zivilisation die Ver­nichtung einer gesamten außerirdischen Kultur anordnet oder sein US-amerikanisches Vorbild Flash Gordon, spielt kaum eine Rolle. Viele der Abenteuer, gerade auch jene aus dem Superhelden- und Science-Fiction-Milieu, lassen in Wort und Bild keinen Zweifel daran, mit welchen ideologischen Grundlagen sie hantieren.

Das ist aber natürlich längst kein Geheimnis mehr, eben­so­wenig wie im Fall der vom Kolonialherrenblick durchdrungenen „Tim und Struppi“-Alben, bei denen selbst der Autor und Zeichner Hergé zugegeben hat, zeitgenössische rassistische Klischees und Vorurteile doch sehr unhinterfragt wie­der­gegeben zu haben. Und über die Comicszene hinaus bekannt ist auch der re­vanchistische Geist von „Fix und Foxi“-Schöpfer Rolf Kauka. Dieser besorgte seinerzeit die „Asterix“-Erstver­öffentlichung in Deutschland mit seinen eigenen Abwandlungen: So deutet er das gallische Heldenduo zu den grimmigen Germanen Siggi und Babarras um, welche die Trutzburg Bonnhalla gegen anrennende Völkerstürme verteidigen und sich am leidigen Schuldkomplex (ja, es ist der Hinkelstein…) abarbeiten müssen. Dass viele Autoren und Zeichner bei aller Fan­tasie aus ihren eigenen beklemmenden Welt­bildern nicht herauskamen und -kommen, systematisiert und veranschaulicht der Herausgeber des Sammelbandes, Ralf Palandt, schon in der ausführlichen Einleitung des opulenten Werkes.

Natürlich kommt der Befund nicht überraschend: Denn wenn es Antisemitismus, Rassismus und andere Ideologien der Un­gleichwertigkeit in der „gesellschaftlichen Mitte“ gibt, warum sollten dann gerade Comics verschont davon sein? Tatsächlich herrscht aber Palandt zufolge in Deutschland die Lehrmeinung vor, es gebe gar keine Comics von rechts. Das wäre ja „undeutsch“. Das erklären dann aber Vorwort und einige der Beiträge anhand zahlreicher Bei­spiele zum offenkundigen Nonsens und widerlegen auch den Mythos, Comics habe es vor 1945 in Deutschland nicht gegeben. Keinesfalls war die Verbreitung von Comics im NS verboten: So gab es vor dem Krieg nicht nur US-Publikationen zu kaufen, sondern entstanden mit Reihen wie „Mucki’s lustige Streiche“ auch Sprech­bla­sen­ge­schichten aus deutscher Feder. Und Comics von extrem rechts sind in der BRD seit den 1980ern zu finden, auch jenseits der Nazi-Skin-Fanzines. Man ver­zichtet halt nur oft auf die englische Be­zeichnung und greift zur „Bildge­schichte“. So goss der Nationaldemo­kra­tische Hochschulbund Ende 1979 in einer Publi­ka­tion den Mauertod eines linken Journalisten in Comicform – nicht ohne den Hin­weis, dass mit Wilhelm Busch angeblich der erste Comic-Zeichner ein Deutscher war. Bundesweite Öffentlichkeit erlangten rechte Comics mit dem illustrierten Beileger der NPD-Schulhof-CD (2005) und dem NPD-Wahl­kampf­comic „Enten gegen Hühner“ (2009). In letzterem wird der rechtschaffende Schnabeltier-Staat vom artfremden, gackernden Federvieh heimgesucht. Und der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache ruft im Nach­barland als blassblauer Superheld in Strumpfhosen einen Jungen mit Zwille zur xenophoben Gewalt auf.

Bil­dergeschichten, so viel wird klar, eignen sich bestens zum Transport simpler Welt­bilder. Sie haben aber auch Potenzial zur Kritik, wie der Autor Ole Frahm argumentiert. In seiner kürzlich erschienen Comic-Theorie „Die Sprache der Comics“ geht er von der Grundthese aus, dass Comics im vergangenen Jahrhundert „eine parodistische Ästhetik“ etablierten, welche „die rassistischen, sexistischen und klassenbedingten Stereotypien reproduziert und zugleich aufgrund ihrer immanent erkenntniskritischen Anlage reflektiert“. Wenn immer wieder auch antisemitische Stereotype durch sogenannte Funnys und Fantastisches geistern – wie etwa Frahm im Sammelband schildert –, so können sie diese eben auch explizit aufs Korn nehmen.

Dabei zeigen sich ausgesprochen pädagogische Werke von staatlichen Institutionen nicht selten als peinlich-naiv wie „Ha­ni­sau­land“ der Bundeszentrale für Politische Bildung, wo „Hass-Hasen“ mit Möhrenklau die Demokratie untergraben. Oder eben unter nur spärlich verschleierter ideologischer Brille gezeichnet wie die „Andi“-Reihe, die vom nordrhein-westfälischen Innenministerium in Auftrag gegeben wurde und seither in diversen linken Kreisen als illustrierte Version der Extremismustheorie gilt.

„Andi“ dominiert dann auch das schmale Kapitel über Antirechts-Comics im Buch. So kommt der Erfinder des „Bildungs­comic für Demokratie und gegen Extremismus“ Thomas Grumke zu Wort. Der Referent in der Abteilung Verfassungsschutz im NRW-Innenministerium preist die „subversive Verunsicherung“ der Reihe, die als eine Art „Inspektor-Colombo-Pädagogik“ „extremistische“ Weltanschauungen hinterfragen soll. Warum das im Falle Andi auf so langweilige Weise geschieht, erklärt Grumke nicht. Immerhin scheint Herausgeber Ralf Palandt der Comic so sauer aufzustoßen, dass er ihn im Vorwort ausführlich kritisiert. Es wird zudem empfohlen, „Andi“ bes­tenfalls zusammen mit dem „Mandi“-Comic pädagogisch zu verwenden, einem Anti-“Andi“ von der Mar­burger Antifa-Gruppe 5

Interessanter und wohl auch in Sachen Information erfolgversprechender als staatlich bestellte Bildgeschichten sind jene – zum Teil gegen den Mainstrich gebürstete –, die in anderen Beiträgen diskutiert werden. Dabei tritt ein ganzes Genre von Holocaust-Comics zu Tage, die hierzulande zu Unrecht im Schatten der gefeierten „Maus“-Geschichte von Art Spiegelmann stehen. So ist zu erfahren, dass die erste die Deportationen thematisierende Tierfabel („Die Bestie ist tot“) bereits 1944 zu Zeiten der Résistance in Frankreich erschien, in der Hitler als braune Bestie bildlich zum Leitwolf des deutschen mörderischen Rudels wird. Hellsichtig und im Struw­wel­petergewand attackierte die britische Hitler-Satire „Trüffel­esser“ schon 1933 den militanten Antisemitismus. Im Mi­ni­heft „Micky in Gurs“ wird der Mäuseprotagonist mit dem KZ-Grauen konfrontiert. Der Zeichner Horst Rosen­thal hielt 1942 im Internierungslager Gurs/Frankreich die Ver­hör- und De­mü­ti­gungs­praxis fest – kurz nach dessen Fertigstellung wurde er in Auschwitz ermordet.

Solche historischen Wertstücke einem breiteren Publikum vorzustellen macht den Sammelband allein schon zu einer lohnenden Lek­türe. Diese wird durch die Diskussion zeitgenössischer Comics und ihren Um­gang mit Shoah und Nationalsozialismus noch ergänzt, die auch das Risiko von Verklärung und Vereinfachung mit­einbeziehen. Demnach können sich Comics als Medien mit niedrig­schwelligem Zugang auszeichnen, denen im Mix aus Text und Bild eine differenziertere Erinnerungskultur gelingt als manch ritualisiertes Gedenken. Im Comic-Albumformat gedruckt, kommt im Band auch das Grafische gut zur Geltung. Denn mit den Unmengen an Bildmaterial ist er eine beispiellose Materialsammlung, die obendrein mit dem Komplettabdruck von Bernie Kriegsteins weitgehend unbekannt gebliebenem „Master Race“ (1955) aufwartet – einer dichten, virtuos erzählten Short Story über die NS-Vernichtungspolitik. Beim Durchstöbern dieses Fundus stößt man aber immer wieder auch auf komische Momente, die bei allem Ernst des Sujets eben zum Charakter des Comics gehören. So wie in einem Superman-Strip: Der Hüne packt Hitler am Schlafittchen und droht: »Ich würd’ dir liebend gern einen absolut nicht-arischen Kinnhaken verpassen«.

Bei aller Lobpreisung des Bandes sollen aber auch kritische Anmerkungen nicht unterlassen werden. Ein Problem stellt sich bei der Lektüre nämlich nicht trotz sondern wegen der Materialfülle und dem bewussten Verzicht auf Einschränkungen des Themas. Die Tour de Force durch das ganze Comic­uni­­ver­sum erscheint so mitunter un­ko­or­di­niert und zerfahren. Da wird mal chronologisch vorgegangen, dann wieder gar nicht; hier werden didaktische Fragen aufgeworfen, da ästhetische, dann diskutiert ein kurzer Absatz Aspekte der Zensur an, und schon fährt die Achterbahn weiter zur nächsten Fragestellung. Gerade die Einleitung erfüllt hier ihren Zweck nicht optimal, sie verwirrt mehr als zu klären und kann so gerade auf die im Comicgenre etwas unbedarften Leser_innen überfordernd und abschreckend wirken. Wer sich dieser Herausforderung jedoch stellt, wird eine Menge entdecken und erfahren.

waldschratt/teckla

Ralf Palandt (Hrsg.): »Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics«, Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2011, 450 S., 36 €

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