Der Wert als Wille und Vorstellung

Robert Kurz´ Kritik des Arbeitswahns

Der Hörsaal war gut gefüllt. Mehrere hundert, meist recht junge Leute hatten sich am 19. April eingefunden, um den Vortrag zur „Kritik des Arbeitswahns“ (1) zu hören – eine Veranstaltung im Rahmen der vom 1.-Mai-Bündnis organisierten Kampagne The Future Is Unwritten. Auf dem Podium: Robert Kurz, der sich u.a. als Mitverfasser des 1999 erschienenen Manifest gegen die Arbeit (2) und Autor bei krisis bzw. EXIT! einen Namen gemacht hat. Vor allem aber ist Kurz der bekannteste Theoretiker der sog. Wertkritik, einer post-marxistischen Theorieströmung, die für die bundesre­pu­bli­ka­nische „radikale“ Linke der letzten 20 Jahre prägend war (und nach wie vor ist) wie kaum eine zweite. Es fragt sich nur, was das über den Zustand der hiesigen Linken aussagt.

„Capitalism is a virus from outer space“

Man könnte schon beim ersten Satz stutzig werden, mit dem Kurz in seinen Vortrag einsteigt: „Also zunächst mal von den Grundlagen her: Arbeit ist ganz einfach ein abstrakter Begriff“, also ein Denkvorgang, bei dem „ganz Ungleichartiges unter einen Begriff subsummiert“ wird. Eine interessante Definition… Die meisten Erwerbstätigen dürften ziemlich überrascht sein, dass es nur ein Denkvorgang ist, weswegen ihnen zum Feierabend der Rücken wehtut.

Um zu erläutern, was er meint, zählt Kurz nun auf, was landläufig alles als „Arbeit“ bezeichnet wird: Produktion von Maschi­nenteilen, Anbau von Salat, Krankenpflege, Bomben abwerfen… Tatsächlich ganz verschiedene Tätigkeiten also. So einen allgemeinen Oberbegriff habe es in früheren Epochen nicht gegeben. Drum wendet Kurz sich nun den etymologischen Wurzeln des Wortes „Arbeit“ zu. Der Begriff sei ursprünglich sehr negativ konnotiert gewesen, die indogermanische Wortwurzel bezeichne „das, was der Sklave tut“, beinhaltet also eine eindeutig abwertende soziale Zuordnung. Das lateinische „labor“ hätte ursprünglich „Leiden“ bedeutet.

Davon ausgehend versucht Kurz die geschichtliche Genese der Arbeitskategorie zu skizzieren. So sei es im Christentum zu einer positiven Besetzung des Begriffs gekommen. Das „Leiden“ in der Nachfolge Christi wurde idealisiert und im abgetrennten Raum des Klosters auch praktisch umgesetzt. Dass sich der Tagesablauf in den Klöstern nach der Uhrzeit richtete, veranlasst Kurz gar zu dem Ausruf: „Man könnte fast sagen: Das ist das Urbild der Fabrik!“. In der frühen Neuzeit habe sich dann in der „protestantischen Arbeitsethik“ die Leidensmetaphysik verweltlicht und sei vom abgetrennten Raum des Klosters in den Alltag eingedrungen.

Das wäre als ideengeschichtliche Abhandlung schon okay, wenn nicht mit jedem Satz deutlicher würde, dass Kurz eben tatsächlich die Ideen für die Ursache des Problems hält. Das sagt er auch selbst, wenn er erklärt, die „Arbeit“ sei nicht bloß eine „gedankliche Abstraktion“, sondern eine „Realabstraktion“ (3), also ein „abstrakter Gedanke, der sich in der Wirklichkeit geltend macht“. Der Kapitalismus wäre also eine Art fixe Idee, die sich irgendwie in den Köpfen festgesetzt und sich die Menschen unterworfen hat.

Das Problem ist nur: Wenn man jede Veränderung aus den Ideen ableitet, lässt sich eben nicht erklären, warum sich die Ideen verändern – warum es also überhaupt irgendeine Entwicklung gibt. Halten wir uns versuchsweise lieber mal ans marxistische Dogma: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“. Nicht weil´s ein Dogma ist, sondern weil dann auch die Ideengeschichte irgendwie mehr Sinn ergibt: Dass der Begriff „Arbeit“ irgendwann aufhörte das zu bezeichnen „was der Sklave tut“, könnte etwa damit zu tun haben, dass die entsprechenden Tätigkeiten tatsächlich nicht mehr von Sklaven verrichtet wurden (4). Und wenn die protestantische Arbeitsethik das Anhäufen von Reichtum als Zeichen besonderer Nähe zu Gott interpretierte, dann ließe sich diese Denkweise daraus erklären, dass manche Christen eben tatsächlich enormen Reichtum angehäuft hatten und weiter anhäufen wollten. Um dies mit ihrem Glauben (vor allem mit dem christlichen Armutsideal: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Himmelreich kommt“ usw.) vereinbaren zu können, musste der Glauben eben modifiziert werden.

Was heißt das für unser Hauptthema, die Arbeit? Kurz stellt richtig fest, dass es die „Arbeit“ als einen Oberbegriff für alle möglichen Tätigkeiten früher nicht gegeben hat, dieser Arbeitsbegriff also das Ergebnis einer historischen Entwicklung ist. Mit seinem idealistischen Ansatz kann er diese Entwicklung aber nur feststellen, nicht erklären.

Unterstellen wir also mal, dass der Begriff eine Veränderung der realen Arbeitsverhältnisse widerspiegelt, und dass der Kapitalismus an allem schuld ist. Denn kapitalistische Produktion ist vor allem industrielle Produktion – und die Arbeit eines Industriearbeiters sieht tatsächlich ganz anders aus als die eines Handwerkers oder Bauern. So ist es egal, ob ein Fabrikarbeiter nun diese drei Handgriffe ausführt oder jene drei Handgriffe. Es ist egal, wer diese Handgriffe ausführt, ebenso wie es egal ist, was für ein Gegenstand am Ende dieser langen Reihe von Handgriffen herauskommt. Die Abstraktion muss dieser Art von Arbeit nicht erst nachträglich übergestülpt werden, indem „ganz verschiedene“ Tätigkeiten zwangsweise unter einen Begriff gebracht werden. Industrielle Arbeit ist schon als solche „abstrakt“, aller besonderen Qualitäten entledigt. Sie lässt sich also auch problemlos rein quantitativ bestimmen, anhand der für die Herstellung eines Produkts notwendigen Arbeitszeit (5).

Aus dieser realen Abstraktheit der Arbeit ergibt sich die Abstraktion des Arbeitsbegriffs ganz zwanglos, und dieser wird dann schrittweise auf alle möglichen Tätigkeiten ausgedehnt – so weit, dass Leute z.B. von „Beziehungsarbeit“ sprechen, wenn sie mit einer geliebten Person mal ernsthaft reden müssen.

Kanonen & abstrakte Arbeit

Diese Industrie ist natürlich nicht vom Himmel gefallen. Aber von den technischen und sozialen Umwälzungen, um die es hier geht, nennt Kurz nur eine: die „militärische Revolution“ durch die Feuerwaffen. Die Produktion von Kanonen hätte eine gewaltige logistische Herausforderung dargestellt und die „frühmodernen Fürsten“ zu enormen Investitionen genötigt. Diese hätten darum den modernen Staat errichtet – laut Kurz eine sich stetig bürokratisierende „gesellschaftliche Maschine“, eine „Instanz, die anfängt, die Gesellschaft diesem Zweck zu unterwerfen, und dafür ein Mittel mobilisiert, das bis dahin randständig war, nämlich das Geld.“ Die staatlich forcierte „Entfesselung des Geldes“ zog dann wiederum eine drastische Änderung der Produktionsgrundlagen nach sich: Der Kapitalismus entstand.

Fragt sich nur, wie die bürgerlichen Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts in England bzw. Frankreich in dieses Bild passen. Wieso wurden dort Könige geköpft, wenn doch der ganze Prozess unter strikter Kontrolle des absolutistischen Staates ablief? Und was ist mit der Aufhebung der Leibeigenschaft, die ja erst die nötigen Arbeitskräfte für die entstehende Industrie freisetzte? Vor lauter Geldgier scheinen die Fürsten nicht bemerkt zu haben, dass sie sich mit solchen Maßnahmen selbst den Boden unter den Füßen wegzogen…

Der Fehler steckt vermutlich an der Stelle, wo Kurz die Entwicklung der Produktionsverhältnisse aus der Entfesselung des Geldes ableitet. Immerhin bezeichnet Kurz seine Theorie als „Wertkritik“. Der „Wert“, wie er sich im Geld ausdrückt, scheint also ziemlich wichtig für ihn zu sein.

Und Geld ist in unserer Wirtschaftsordnung ja auch wirklich ziemlich wichtig. Jeder nützliche Gegenstand kostet Geld, ist also nicht einfach ein nützliches Ding, sondern eine Ware – er hat nicht nur einen Gebrauchs-, sondern vor allem einen Tauschwert. Und der muss bezahlt werden. Das Geld ist in dem Sinne eine Ware, deren besonderer Gebrauchswert darin besteht, dass sie den Tauschwert schlechthin repräsentiert: Für Geld lassen sich alle anderen Waren eintauschen, also kaufen.

Diesen Wert nun rückt Kurz ins Zentrum der Kritik. Denn in der kapitalistischen Produktion ist allein der (vom Geld repräsentierte) Tauschwert der Ware von Bedeutung. Der Tauschwert trennt sich ge­wissermaßen vom Gebrauchswert, er unterwirft sich diesen. So wie der Begriff der „Arbeit“ die verschiedensten Tätigkeiten gleichmacht, so macht der Tauschwert die unterschiedlichen Gebrauchsgegenstände gleich: Soweit sie Waren sind, erscheinen diese nun als austauschbar, soweit sie gleichwertig sind, sind sie letztlich auch gleichgültig – vom Tauschwert her ist es z.B. egal, ob man Medikamente oder Giftgas verkauft. Für sich betrachtet erscheint der „Wert“ also wirklich als ziemlich verrückte Idee.

Von dieser Warte her kritisiert Kurz auch die Arbeit: Die Arbeit ist abstrakt, weil sie Lohnarbeit ist, weil sie nur eines abstrakten Zwecks, des Geldes wegen getan wird. Im von Kurz mitverfassten Manifest gegen die Arbeit (Abschnitt 5) wird das so gesagt: „In der Sphäre der Arbeit zählt nicht, was getan wird, sondern dass das Tun als solches getan wird, denn die Arbeit ist gerade insofern ein Selbstzweck, als sie die Vermehrung des Geldkapitals trägt – die unendliche Vermehrung von Geld um seiner selbst willen. Arbeit ist die Tätigkeitsform dieses absurden Selbstzwecks.“

Kurz leitet also die „abstrakte Arbeit“ aus dem Wert ab. Dieses Verfahren führt allerdings zum alten Problem: Wenn der Wert als Erklärung für alles andere (die Arbeit, die Industrie, den Kapitalismus) herhalten muss – wie lässt sich dann der Wert erklären? Daraus ergibt sich auch der idealistische Ansatz von Kurz: Weil er auf diese Frage keine Antwort weiß, kann er sich den Wert nur noch als fixe Idee denken, deren Ursprung irgendwo in grauer Vorzeit verschwindet. Gucken wir also mal, was herauskommt, wenn wir die Gleichung umdrehen – vielleicht lässt sich dann erklären, wo diese Wahnvorstellung herkommt. Damit uns aber im wüsten Niemandsland des reinen Geistes nicht plötzlich eine fixe Idee anfällt, sollten wir uns zunächst mal ideologische Rückendeckung besorgen: Schauen wir mal, was der alte Marx zum Thema sagt.

Auf den ersten Blick scheint dieser voll mit Robert Kurz überein zu stimmen. Auch Marx geht schließlich von der Analyse der Ware aus. So schreibt er z.B. in Zur Kritik der Politischen Ökonomie gleich im ersten Satz: „Auf den ersten Blick erscheint der bürgerliche Reichtum als eine ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als sein elementarisches Dasein“ (MEW Bd. 13, S. 15). Genaues Lesen lohnt sich aber: Die Ware erscheint als die elementare Grundlage des Kapitals, aber eben nur auf den ersten Blick. Marx geht von der Ware aus – aber wo geht er hin?

Schon ein paar Seiten später stellt Marx die Sache nämlich schon ganz anders dar. Der Tauschwert, die Ware ist nicht das Primäre, sondern die Arbeit muss selbst schon in besonderer Weise organisiert sein, damit ein Tauschwert herauskommt: Die Warenproduktion setzt „unterschiedslose Einfachheit der Arbeit“, eine „tatsächliche Reduktion aller Arten auf gleichartige Arbeit“ voraus (S. 19). Es ist hier also ähnlich wie beim Arbeitsbegriff: Die Arbeit muss erst einmal selbst abstrakt und gleichförmig werden, damit sich die abstrakte Gleichförmigkeit des Tauschwerts daraus ergibt.

In den vorbürgerlichen Agrargesellschaften diente die Produktion vor allem der Subsistenz, dem eigenen Bedarf. Geld spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Mit der industriellen Produktion ändert sich das: Die Arbeit dient nicht mehr vorrangig der Selbstversorgung, sondern wird zur Arbeit für andere – d.h. in erster Linie für den Unternehmer, in zweiter Linie für den Markt.

Der erste Schritt in diese Richtung ist die um 1700 in England einsetzende ´agrarische Revolution´: Durch neue Methoden können die Ernteerträge beträchtlich gesteigert werden. Zugleich wird der Boden immer mehr in den Händen weniger Grundbesitzer konzentriert. Dadurch wird ein großer Teil der Landbevölkerung ´freigesetzt´. Der ´freie Lohnarbeiter´ entsteht, der nur über sich selbst als Eigentum verfügt und darum zum Verkauf seiner Arbeitskraft gezwungen ist. Dem folgt als zweite Phase die ´industrielle Revolution´, die Verdrängung des Handwerks durch die industrielle Arbeit (wozu die Erfindung der Dampfmaschine entscheidend beitrug).

Die Produzent_innen wurden dabei von ihren Produktionsmitteln getrennt und der entstehenden Industrie eingegliedert. Der Kapitalismus konstituiert sich so als Klassenverhältnis zwischen Besitzenden und Besitzlosen. Zur Steigerung der Produktivität wird die Arbeit in Einzelschritte zerlegt, jede_r Arbeiter_in wird auf eine Tätigkeit, ein Produkt, einen Teilbereich im Prozess festgelegt. Eben diese Zerteilung der Arbeit, die „Vielseitigkeit der Bedürfnisse des Einzelnen in umgekehrten Verhältnis zur Einseitigkeit seines Produkts“ (Marx, S.74) liefert die Voraussetzung, damit wirklich Waren produziert werden: Wer den ganzen Tag Schrauben in eine Autokarosserie dreht, kann eben kein Gemüse mehr anbauen, braucht aber trotzdem was zu essen. Die einzelnen Arbeiten müssen also wechselseitig auf­einander bezogen werden – in der Warenzirkulation. Erst dadurch, als Arbeit für den Markt, erhalten die drei Handgriffe, die eine einzelne Arbeiterin ausführt, einen gesellschaftlichen Charakter.

Das „Gesetz des Wertes“, so Marx, setzt also „zu seiner völligen Entwicklung die Gesellschaft der großen industriellen Produktion und der freien Konkurrenz, d.h. die moderne bürgerliche Gesellschaft“ voraus (S. 46). Die Landwirtschaft muss z.B. die nötigen Lebensmittel für die Leute liefern, die in der Industrie mit dem Zusammenschrauben von Autos beschäftigt sind. Umgekehrt produziert die Industrie z.B. Traktoren oder Dünger, damit die Erträge der Landwirtschaft gesteigert werden können. Erst in dieser verallgemeinerten Warenproduktion und -zirkulation erhält das Geld die zentrale Rolle, die es heute spielt.

Der „Wert“ stellt sich dabei nicht als Gegenstand, sondern wesentlich als Prozess der Verwertung dar. Einerseits als Produktion von Mehrwert, d.h. der Marktwert der Waren, die eine Arbeiterin an einem Arbeitstag produziert, ist höher als der Lohn, den sie braucht, um weiterarbeiten zu können. Andererseits wird ein Großteil des so erwirtschafteten Gewinns wieder in die Produktion investiert und dient so der weiteren Akkumulation.

Der klassenlose Kapitalismus

Kurz wirft also Wirkung und Ursache durcheinander, indem er das Geld an den Anfang setzt und dann versucht, die „abstrakte Arbeit“ daraus abzuleiten. Damit geraten ihm nicht nur die geschichtlichen Abläufe ein wenig durcheinander (bzw. muss er sehr weit zurückgehen, um den vermeintlichen Punkt zu finden, von dem das Übel seinen Anfang nahm). Letztlich verflüchtigen sich ihm auch die realen Verhältnisse zu Ideen und Begriffen. Nach seinem ungelenken Schwenk zu den Kanonen bzw. zur realen Ökonomie muss Kurz folglich erst mal weiter „Realabstraktionen“ kritisieren, genauer gesagt die Aufklärungsphilosophie. Denn auch die hätte sich positiv auf die Arbeit bezogen, und damit wiederum die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts angesteckt.

Die Arbeiterbewegung sei nämlich keines­wegs und niemals irgendwie revolutionär gewesen. Nein: „Die Arbeiterbewegung hat sich (…) auf dem Boden dieser Arbeitsabstraktion, des Geldes, der Geldvermehrung einrichten wollen, die wollte hier anerkannt werden!“ Mit ihrer Forderung nach „gerechtem Lohn für gerechte Arbeit“ sei sie ein „Kampf um Anerkennung auf dem Boden dieser Verhältnisse und nicht gegen sie“ gewesen.

Kurz macht es hier ähnlich wie die „Arbeitsabstraktion“: Er subsummiert ganz Ungleichartiges unter einen Begriff – was sich so nicht fassen lässt, existiert für ihn schlichtweg nicht. Zum Beispiel revolutionäre Bewegungen jenseits von Sozialdemokratie und Staatssozialismus (den Anarcho­syndikalist_innen der 30er Jahre ging es in der spanischen Revolution also nur um „Anerkennung“?). Oder ein Unterschied zwischen Funktionären und Basis: Wenn etwa die SPD-Regierung 1919 die revoltierenden Arbeiter_innen von der Reichswehr zusammenschießen ließ, könnte man darin schon einen gewissen Gegensatz von Führung und Basis sehen… Und wieso musste denn zu so drastischen Mitteln gegriffen werden, wenn die Leute doch nur „gerechten Lohn“ wollten?

Widerstand gegen die Arbeit erwähnt Kurz nur an einer Stelle: So habe es im 18. Jahrhundert noch Menschen gegeben „die alles wollten, bloß nicht sich diesem neuartigen, monströsen Zwangsverhältnis abstrakter Arbeit zu unterwerfen“. Nachdem auch die unters Joch gezwungen waren, gab keine Kämpfe gegen die Arbeit mehr, sondern nur noch „Arbeiterbewegung“.

Das hat durchaus seine Logik: Nur indem Kurz alle Bewegungen abseits von Sozialdemokratie und Staatssozialismus ignoriert, kann er seine eigene Theorie als radikalst­mögliche Kritik darstellen. Die Alternative ist allerdings falsch, denn Kurz teilt mit der von ihm geschmähten „Arbeiterbewegung“ die Ignoranz gegenüber den Produktionsverhältnissen. Während der sozialdemokratische und leninistische Umverteilungssozialismus die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft beibehalten und nur das Endprodukt ´gerecht´ verteilen will, beschränkt sich die Kurzsche Wertkritik auf ein letztlich hilf- und begriffsloses Anprangern der Verhältnisse: Kapitalismus ist schlecht, weil er alles kaputt macht und den Menschen ihre Menschlichkeit raubt.

Die Pointe der Marxschen Kritik liegt freilich nicht in der bloßen Feststellung, dass die Verhältnisse schlecht sind, sondern vielmehr in dem Nachweis, dass wir selbst es sind, die diese Verhältnisse produzieren. Für Marx versteckt sich unter der „dinglichen Hülle“ der Ware keine fixe Idee, sondern vielmehr ein gesellschaftliches Verhältnis. Der auf rätselhafte Weise in der Ware steckende „Wert“ ist tatsächlich nur der Ausdruck der dafür aufgewandten Arbeitskraft – was uns im Kapital entgegentritt und uns unterwirft, ist das verdinglichte, enteignete Produkt unserer Tätigkeit. Und weil die kapitalistische Produktion auf der Ausbeutung lebendiger Arbeitskraft beruht, steckt schon im System selbst der Konflikt, der es potentiell sprengen könnte.

Dies entgeht Kurz bei seinem angestrengten Starren auf die Ware, den „Wert“. Statt die Ware als vergegenständlichten Ausdruck menschlicher Tätigkeit zu entziffern, gerät sie ihm zur transzendentalen Zwangsgewalt. Indem er den Wert als „Götzen“ attackiert, erhebt er ihn tatsächlich zur finsteren Gottheit, der alle dienen müssen: Ob Putzfrau oder Vorstandsvorsitzender, irgendwie sind alle nur Opfer. Einen Interessensgegensatz von Aus­beuter_innen und Ausgebeuteten gibt es für Kurz nicht, alle handeln nur als „Charaktermasken“, als bloße „Personifikationen ökonomischer Verhältnisse“.

Das ist insofern nicht falsch, als die Arbeiter_innen ja wirklich nicht zum Spaß arbeiten, sondern weil sie Geld brauchen. Da Kurz das reale Zwangsverhältnis aber nur als Zwangsvorstellung begreifen kann, ist der bloße Fakt, dass die Arbeiter_innen arbeiten, für ihn schon der Beweis, dass sie auch arbeiten wollen – dass auch sie dem „Arbeitswahn“ verfallen sind.

Die Krise & die kritische Kritik

Eine Selbstbefreiung der Menschen ist für Kurz damit kategorisch ausgeschlossen. Die Leute sind eben einfach viel zu blöd dafür, so gibt er mit sublimer Arroganz zu bedenken: „Jetzt kann man natürlich sagen: Ja, wenn der Alltagsverstand, die Milliarden von Normalos, die sich nicht mit den Hintergründen (…) des Ganzen befassen, sondern einfach da drin existieren, wenn die nichts anderes wollen als Kapitalismus, das heißt Arbeit haben, Geld verdienen, Waren kaufen… dann müsste es doch ewig so weitergehen können!“

Aber zum Glück gibt es noch einen Ausweg: Die Krise, den endgültigen, unvermeidlichen Zusammenbruch des Systems. Denn gerade jetzt stößt der Kapitalismus an seine „objektive historische Schranke“. Um diese These zu begründen, beruft Kurz sich auf den „tendenziellen Fall der Profitrate“ – ein Marxscher Begriff, der ungefähr dies meint: Im Laufe der Entwicklung ändert sich die organische Zusammensetzung des Kapitals. Das heißt, der Anteil des konstanten Kapitals (der Maschinerie) wächst im Verhältnis zum Anteil des variablen (der menschlichen Arbeitskraft). Kurz erklärt diesen Vorgang aus der Konkurrenz: Um sich durchzusetzen, müssen die Unternehmer_innen ihre Waren billiger anbieten, also die Produk­tions­kosten senken. Das tun sie, indem sie Maschinen einsetzen. Und da nur die menschliche Arbeitskraft Mehrwert produziert, sinkt darum langfristig der Gesamtprofit – die Eigendynamik der Verwertung führt zur Ver­wertungskrise.

Das passt scheinbar ziemlich gut mit den Tatsachen zusammen. Denn seit dem Ende die Boomphase nach Ende des Zweiten Weltkriegs stolpert die Weltwirtschaft seit nunmehr 40 Jahren von einer Krise in die nächste. Von der Ölkrise der 70er bis zur immer noch fröhlich wütenden „Finanzkrise“ – das Kapital schafft es einfach nicht, eine ausreichend stabile Profitrate zu erwirtschaften. Der „tendenzielle Fall der Profitrate“ ist allerdings nur eine Tendenz, der sich mit diversen Mitteln entgegensteuern lässt, etwa durch Lohnsenkungen oder durch Verlagerung der Produktion in „Entwicklungsländer“. Als letzter Ausweg lässt sich immer noch ein ordentlicher Krieg anzetteln. Alles kaputtschlagen und anschließend wieder aufbauen – die Methode hat sich schon bewährt.

Für Kurz dagegen ist der Fall der Profitrate so was wie ein eingebauter Selbst­zer­störungs­me­cha­­­nismus der Ka­pital­ma­schine: „Das ist ein Prozess, der nicht aufzuhalten ist – er wird ja von der Konkurrenz erzwungen.“ Zusätzlich zur Krise des Geldes, das immer weniger reale Arbeitssubstanz repräsentiert, komme es zu einer Energiekrise durch das Schwinden der fossilen Brennstoffe. „Das alles löst sich natürlich nicht in Wohlgefallen auf“: Vielmehr führe das „Diktat des automatischen Subjekts, des Zwangs der Konkurrenz“ unweigerlich zu Zerstörung und zur Barbarei.

Zumindest, wenn nicht eine Gegenbewegung entsteht, die es wage „die kategoriale Kritik zu formulieren (…) gegen den Alltagsverstand, der mit und Zähnen und Klauen an seiner abstrakten Arbeit festhalten will“. Kurz fordert also nichts Geringeres als eine „Neuerfindung des Kommunismus“. Eines hochgestecktes Ziel, das sich aber sofort in heiße Luft auflöst. So erklärt Kurz nun mit großem Ernst, dass es zur kategorialen Kritik keineswegs genüge, den Begriff der Arbeit nur durch den der „Tätigkeit“ zu ersetzen. Vielmehr brauche es eine „Kritik der Realabstrak­tion“. Es gelte, die Differenz zwischen den verschie­denen Tätigkeiten ernst zu nehmen, denn diese „kann man nicht unter einen Funktionsbegriff, unter einen Tätigkeitsbegriff fassen. Das ist diese destruktive Realabstraktion, die abstrakte Arbeit!“

Da schließt sich der Zirkel: Wenn Arbeit, wie Kurz eingangs meinte, „von den Grundlagen her“ nur ein „abstrakter Begriff“ ist, dann müssen wir eben aufhören zu abstrahieren. Wenn wir nicht mehr ganz verschiedene Tätigkeiten unter einen Begriff bringen, ist der Bann der Realabstraktion gebrochen. „Das ist eigentlich ziemlich einfach, ist auch oft gesagt worden: Der Kommunismus ist das Einfache, das schwer zu machen ist.“

In der Tat. Man muss auch erst mal drauf kommen, dass es dermaßen einfach ist… Mit ein wenig Bosheit könnte man hier das unverarbeitete Trauma eines ehemaligen K-Gruppen-Mitglieds am Werk sehen, das nach endlosen Schulungen in ML-Ideologie den Begriff „Arbeit“ einfach nicht mehr hören kann, aber auch das gute Gefühl, einer Avantgarde anzugehören, nicht missen möchte – und darum flugs den Nicht-Gebrauch des Wortes „Arbeit“ zum neuen revolutionären Programm erhebt.

Diese Strategie ist freilich nur dann erfolgversprechend, wenn tatsächlich der „Arbeitswahn“ das Problem wäre und nicht die Arbeit selbst – in diesem Fall wäre die Kurzsche „kategoriale Kritik“ genauso nutzlos wie die Forderung, die Unter­nehmer_innen sollten doch bitte nicht so gierig sein. So wie diese, wenn sie Unter­nehmer_innen bleiben wollen, Gewinn machen müssen, egal ob sie dabei „gierig“ denken oder nicht, so verschwindet der reale Zwang zur Arbeit nicht einfach, sobald man aufhört, sich positiv darauf zu beziehen. Im Gegensatz zum „Arbeitswahn“ lässt sich die reale Arbeit nicht wegtherapieren, sondern nur abschaffen. Und dies kann nur das Ergebnis praktischer Kämpfe gegen die Arbeit sein, auf dem Boden der Verhältnisse, schon deshalb, weil ein anderer Boden leider nicht zur Verfügung steht. Der Kapitalismus wird uns nicht den Gefallen tun, von allein zusammenzubrechen.

justus

(1) Ein Mitschnitt des Vortrags ist unter mayday2011.blog­sport.eu/media/ verlinkt.
(2) Zu finden unter www.krisis.org/1999/manifest-gegen-die-arbeit. Eine gute Kritik am Manifest findet ihr unter www.wildcat-www.de/zirkular/54/z54kritk.htm.
(3) Der Begriff stammt von dem Ökonomen Alfred Sohn-Rethel, der das Verhältnis von Realem und Abstraktion aber anders als Kurz so bestimmt: „Das Wesen der Warenabstraktion aber ist, dass sie (…) ihren Ursprung nicht im Denken der Menschen hat, sondern in ihrem Tun“, d.h. die Idee des Tauschwerts folgt aus der realen Praxis des Tausches.
(4) Das ist gar nicht so banal wie´s klingt. So lange ein Großteil der Arbeit von Sklav_innen, und nicht von formal Freien und Gleichen verrichtet wurde, musste auch die Arbeitsleistung als nicht vergleichbar erscheinen. Ein vom Ge­brauchs­wert abgetrennter Tauschwert war damit im antiken Rom undenkbar.
(5) Darum hinkt auch der von Kurz angestellte Vergleich von Kloster und Fabrik ganz gewaltig: Arbeit als Nachvollzug der Leiden Christi ist eben was anderes als Arbeit für die Warenproduktion. So hat auch die ´Arbeit nach der Uhr´, in der Fabrik eine ganz andere Funktion: Die Arbeitszeit wird gemessen, weil sie der Maßstab für den Wert der Waren ist.

Theorie & Praxis

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