Dresden Nazifrei

19. Februar 2011

Schon seit 1999 wird Dresden alljährlich um den 13. Februar herum zum Schauplatz einer der größten öffentlichen Neonazi-Veranstaltungen Europas. Und auch dieses Jahr rief die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland zu einem „Trauermarsch“ auf, um der Opfer des alliierten Großangriffs auf Dresden im Februar 1945 zu gedenken. Die Neonazis versuchen damit die Geschichte für sich umzudeuten und das Dresden der Nazizeit (damals ein wichtiger Rüstungsstandort) als unschuldiges Opfer darzustellen. So blenden sie die Gründe für den Angriff aus und verdrängen, dass der „Bomben-Terror“ eine Reaktion auf den Expansionskrieg des nationalsozialistischen Deutschland war.

Auch die Stadt Dresden gedenkt offiziell der Opfer des Angriffs. Das mag verständlich sein, der unreflektierte Umgang mit der Gedenkkultur jedoch bietet dem „Opfermythos“ der Rechten einen Nährboden. So wird geduldet, dass sich auch Neonazis seit Jahren an diesen Veranstaltungen beteiligen oder NPD-Landtagsabgeordnete Seite an Seite mit Vertretern der „Freien Kräfte“ Kränze niederlegen. Die Vertreter der „weltoffenen“ Stadt Dresden schauen zu – und schauen weg.

Der Widerstand gegen die wachsende Übernahme des Gedenkens und die Aufmärsche tausender Neonazis war jedoch lange Zeit zu schwach. Erst 2010 schaffte es das spektrenübergreifende Bündnis Dresden Nazifrei (siehe unten) erstmals, um die 10.000 Menschen nach Dresden zu mobilisieren, die den Aufmarsch aktiv verhinderten. Trotz dieser Niederlage kamen die Neo­nazis in diesem Jahr mit gleich zwei Aufmärschen wieder – am 13. und am 19. Februar unter dem Motto „Recht auf Gedenken – der Wahrheit eine Gasse“. Der erste hatte mit gerade mal 1200 Angereisten weit weniger Teilnehmer_innen als angekündigt und wurde von Blockaden und anderen Aktionen so gestört, dass nur eine stark verkürzte Route abgelaufen werden konnte. Eine Schlappe für die Neonazis, ein gelungener Auftakt für die Gegenaktionen.

In den nächsten Tagen folgte ein gerichtliches Tauziehen: Die Stadt Dresden verbot zunächst den zweiten Aufmarsch mit dem Argument des „polizeilichen Notstands“, da am Wochenende des 19. Februar nicht genügend Einheiten für die Absicherung der Anmeldungen zur Verfügung stünden. Schließ­lich mussten Polizeikräfte bereits die Woche zuvor in Dresden und beim Castortransport von Karlsruhe nach Lubmin Dienst schieben sowie ein Fußballderby in Hamburg absichern. Das Verwaltungsgericht hielt den bevorstehenden Notstand allerdings für konstruiert. Die Anmelder bekamen Recht.

Hauptschauplatz

Die Polizei kündigte daraufhin eine strikte räumliche Trennung der beiden „Lager“ an: Die Gegendemonstrant_innen sollten in der Neustadt bleiben, die Altstadt und Südvorstadt sollte den etwa 3.000 Neonazis gehören. In der Innenstadt angemeldete Kundgebungen von Gewerkschaften und Parteien wurden verboten und in die Neustadt verlegt. Dem Rektor der Technischen Universität wurde nahegelegt, eine Veranstaltung auf dem Uni-Campus abzusagen – was er auch prompt tat. Es sah so aus, als hätten die Neonazis in diesem Jahr durch die Unterstützung von Stadt­ver­wal­tung und Ver­wal­tungsgericht freie Bahn.

Es dürfte aber nicht überraschen, dass sich das Bündnis Dresden Nazifrei und rund 20.000 Menschen da­von nicht beeindrucken ließen. Schon früh am Morgen des 19. Februar brach das von der Polizei angekündigte Konzept der strikten räumlichen Trennung in sich zusammen. Die ersten Buskonvois erreichten die Stadt. Straßen und Kreuzungen der Südvorstadt wurden besetzt. Die Polizei versuchte Busse mit Gegendemonstrant_innen an der Einfahrt nach Dresden zu hindern. Das Ergebnis waren Demonstrationszüge auf den Autobahnzubringern. So war schon früh klar, dass die Neonazis auch an diesem Tag nicht ohne einen gewaltsamen Einsatz der Polizei laufen konnten.

Bald bestimmten besetzte Straßen und Kreuzungen das Bild. Tausende Menschen, ausgestattet mit Tee, Decken und Musikinstrumenten waren bereit, den ganzen Tag auf der Straße auszuharren, begleitet und bewacht von Einheiten der Be­reit­schafts­polizeien aus dem gesamten Bundesgebiet. Rings um den Hauptbahnhof, im Stadtteil Löbtau ebenso wie in der Südvorstadt wurden Blockaden etabliert. An vielen Stellen versorgten Volxküchen die Blockierer_in­nen mit heißen Getränken und Essen, Musik erklang von Bands und Sambagruppen, auch prominente Künstler wie Konstantin Wecker und viele Politiker_innen beteiligten sich.

Doch die Anspannung war auf allen Seiten spürbar. Vielerorts wurde die Überforderung der Polizei deutlich, die sich immer wieder entlud: Es kam zum Einsatz von Pfefferspray, Pepperballs, Tränengasgranaten, Wasserwerfern, Knüppeln und schwerem Räumgerät gegen die Bloc­kierer_in­nen. Gewalt ging dabei jedoch von beiden Seiten aus. Es kam zu Sachbeschädigungen, Polizeiketten und Absperrungen wurden mit Körpereinsatz durchbrochen, Bauzäune und Mülltonnen als Hindernisse auf die Straße geräumt und teilweise angezündet, Steine flogen auf die Polizei. Das erschwerte die Arbeit der sowieso schwach aufgestellten Polizei und trug sicher auch dazu bei, dass diese im Gegenzug mit unverhältnismäßiger Härte gegen die Demons­trant_innen vorging. Es verhinderte aber auch, dass der Naziaufmarsch sich in Bewegung setzen konnte.

Nebenschauplätze

Abseits der Massen fand am frühen Nachmittag ein Angriff von ca. 200 Neonazis auf das Wohnprojekt Praxis statt. Die Fenster wurden mit Steinen und Schaufeln eingeschlagen. Die Polizei war vor Ort, sah sich aber nicht in der Lage einzugreifen bzw. schaffte es nicht entsprechend Verstärkung zu holen. Inzwischen widmet sich die Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) des LKA Sachsen den Ermittlungen wegen Verdachts des Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall gem. § 125a StGB.

Die bezahlten Kräfte des Tages, das SEK Sachsen, waren da bei einer Razzia erfolgreicher. Mit Kettensägeneinsatz und übers Dach gelangten sie in das Pressebüro des Bündnisses Dresden Nazifrei. Die anwesenden Mitarbeiter_innen wurden gefesselt, zum Teil in Gewahrsam genommen und alle Speichermedien beschlagnahmt.

Nach dem misslungenen Aufmarschversuch in Dresden fuhren etwa 500 Neonazis mit dem Zug nach Leipzig. Den Bahnsteig konnten sie jedoch nicht verlassen, weil der Leipziger Polizeipräsident eine Spontandemo aufgrund des polizeilichen Notstandes nicht genehmigte. Es waren nicht nur zu wenig Beamt_innen, sondern vor allem zahlreiche Gegen­demons­trant_in­nen im und um den Bahnhof zugegen.

Das Fazit des Tages: Die Neonazis wurden erneut in die Schranken gewiesen, von einem beeindruckenden Aufmarsch und einer „Gasse für die Wahrheit“ der Nazis keine Spur. Der Polizeieinsatz dagegen wird noch ein juristisches Nachspiel haben. Und das Bündnis Dresden Nazifrei wird sich nicht einschüchtern lassen. Denn immer mehr Menschen sind bereit, sich gegen Aufmärsche von Neonazis zu stellen – und dies nicht mehr nur symbolisch.

(J.M. & exa)

Bündnis Dresden Nazifrei

Das Bündnis Nazifrei – Dresden stellt sich quer! entstand im Oktober 2009. Damals organisierte das aus Antifa-Gruppen bestehende No Pasaran!-Bündnis eine Aktionskonferenz in Dresden. Ziel war es, noch mehr Initiativen an der Mobilisierung zu Massenblockaden gegen Europas größten Naziaufmarsch zu beteiligen. Im Februar 2010 gelang es durch die Beteiligung von über 12.000 Menschen aus unterschiedlichen Spektren, den Aufmarsch zu verhindern. In diesem Jahr konnte sich das Bündnis nochmals verbreitern. Aktiv an der Vorbereitung beteiligt sind Antifa-Gruppen, Gewerkschaften, Parteien, Jugend- und Stu­dieren­denverbände, Initiativen sowie engagierte Einzelpersonen.

www.dresden-nazifrei.com

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