Eine kleine Geschichte der Ausgrenzung
Ab Januar 2009 wird es für alle in Leipzig lebenden Asylsuchenden endlich Bargeld anstatt der bislang zu größten Teilen ausgegebenen Lebensmittelpakete geben. „Jeder Asylbewerber kann künftig selbst entscheiden, was er wann und wo im Rahmen seiner Grundversorgung einkauft. Das bedeutet mehr Selbstbestimmung und ein Plus an Lebensqualität für die Leistungsberechtigten“, gibt sich Bürgermeister Thomas Fabian in der Pressemitteilung der Stadt vom 8. Oktober ganz human. Tatsächlich stellt dies auf jeden Fall eine Verbesserung der Lebensverhältnisse dar. Bisher mussten Flüchtlinge, die weniger als drei Jahre in Deutschland leben und Menschen mit „Duldungsstatus“ (1), aus einem Katalog mit einem sehr geringen Angebot und zu eher gehobenen Preisen bestellen. Oft kamen nicht die bestellten Lebensmittel mit, oder es waren bereits verdorbene Waren in den Paketen. Doch wie kam es zu dieser Entscheidung der Stadt? Warum dauerte es über ein Jahr, bis sich auch Leipzig dazu durchrang?
„Das Sachleistungsprinzip ist eine gewollte Einschränkung in der freien Gestaltung des Lebens. [Es] hat unter anderem, aber auch wesentlich den Zweck, dass kein besonderer Anreiz geschaffen werden soll, hier einzureisen und einen Asylantrag zu stellen, der keine Chance auf Erfolg hat“ (2), so klar formuliert Reinhard Boos (Referatsleiter für Ausländer- und Asylangelegenheiten im Sächsischen Innenministerium), mit welchen politischen Intentionen Bargeldauszahlungen an AsylbewerberInnen verweigert werden. Der rechtliche Hintergrund für die Versorgung durch Kataloge oder Pakete ist das bundesweit geltende Asylbewerberleistungsgesetz, nach welchem AsylbewerberInnen lediglich Leistungen unter dem Existenzminimum zustehen – in der Regel in Form von Sachleistungen. Über die Art der Umsetzung dieser Vorgabe entscheidet jedoch die zuständige Behörde vor Ort (Bezirksamt, Sozialbehörde): Sachleistungen haben dabei Vorrang vor Bargeld. Das Sächsische Innenministerium legt das Gesetz jedoch sehr strikt aus und genehmigte den entsprechenden Behörden nur Versorgungsmodelle nach dem Sachleistungsprinzip. 2002 kam es deswegen in und um Leipzig zu zahlreichen Protesten und (Hunger)Streiks von Seiten der Flüchtlinge. Dabei verweigerten sie die Annahme von Fresspaketen und Taschengeld, organisierten Straßenblockaden und Demonstrationen. In Taucha wurde gar der Heimleiter für mehrere Stunden ausgesperrt. (3) Die Flüchtlinge organisierten sich selbst und heimübergreifend, auf Netzwerktreffen wurden gemeinsame Forderungen erarbeitet, die nicht bei der Forderung „Geld statt Sachleistungen“ Halt machten, sondern an erster Stelle Arbeitsverbot und Residenzpflicht sowie die schlechten Lebensbedingungen in den Heimen anprangerten. Aufgrund dieses Drucks wollte die Stadt Leipzig zum Teil auf Bargeldzahlungen umsteigen. Dem wurde jedoch vom sächsischen Innenministerium und seinem ausführendem Organ, dem Regierungspräsidium, ein Riegel vorgeschoben: Sie beharrten auf dem Sachleistungsprinzip und kündigten an, Leipzig müsse ansonsten selbst die Leistungen bezahlen.
Die Stadt Leipzig gab klein bei. Nach langen Verhandlungen und zahlreichen Gesprächen vor allem mit dem Sächsischen Flüchtlingsrat kam es vor etwa einem Jahr endlich zu einer Veränderung der Lage. In einem „Erlass vom 21. November 2007 weist das Sächsische Staatsministerium des Inneren darauf hin, dass die Entscheidung, ob Bargeld zur Deckung der Grundleistungen nach §3 AsylbLG gewährt werden kann, der jeweiligen unteren Unterbringungsbehörde eigenständig, nach Prüfung der Sach- und Rechtslage, obliegt“ (4), d.h. alle Kreise und kreisfreien Städte in Sachsen können nun ohne Beantragung beim Innenministerium die Art der Versorgung frei wählen und auch Bargeld in Betracht ziehen. Sie müssen bei Bargeldzahlung jedoch nachweisen, dass keine andere Art der Versorgung möglich ist (z.B. wenn die Verwaltungsbehörde zu wenig Mitarbeiter hat). Seit September 2007 stellten viele Kommunen in Sachsen auf Bargeld um, darunter Kamenz, Bautzen, Zwickau, Chemnitz, der Landkreis Sächsische Schweiz und nun auch Leipzig. Vermutlich signalisierte auch das Modellprojekt in Dresden, nachdem dort lebende Asylsuchende bereits seit Dezember 2006 Bargeld bekommen, dass ein solcher Schritt möglich ist. Eigentlich wollte die Stadt Leipzig ab 2008 Chipkarten einführen, was aber erfreulicherweise daran scheiterte, dass sich kein Chipkartenanbieter gefunden hat. (siehe FA! #28)
Trotz aller Freude über diesen Schritt sollte allerdings nicht verschwiegen werden, dass diese Entwicklung auch darauf beruht, dass die Zahl der Flüchtlinge seit Jahren stetig zurückgeht. (5) Die Gründe hierfür liegen in der sehr restriktiven Asylgesetzgebung und -handhabung Deutschlands und generell der EU, die mit der Militarisierung der Außengrenzen und Abkommen wie der Dublin Convention (6) die Migration nach Europa erschweren und die Menschen nach ihrer vermeintlichen wirtschaftlichen Nutzbarkeit selektieren. Daran gemessen scheint das Sachleistungsprinzip als Kontroll- und Abschreckungsinstrument nicht mehr so relevant, vor allem angesichts der Mehrkosten.
Doch die Lage für bereits hier lebende Asylsuchende bleibt weiterhin prekär. Die Anerkennungsraten sind sehr niedrig (7), die Gefahr einer drohenden Abschiebung für viele Menschen immer gegeben. Neben Lagerzwang und Arbeitsverbot besteht die Residenzpflicht, welche die Menschen zwingt, in ihren zugeteilten Städten oder Landkreisen zu bleiben und diese nur im Einzelfall mit im Voraus zu beantragenden „Urlaubsscheinen“ verlassen zu dürfen. Dieses Gesetz ist bisher einmalig in der EU. Allerdings ist die Bundesregierung bestrebt, die Residenzpflicht EU-weit einzuführen, da sie sich damit im Raum des Schengen-Abkommens verbesserte Kontrolle für alle Mitgliedsstaaten verspricht. Das zeigt, dass es trotz solcher Teilerfolge wie Bargeld statt Sachleistungen um die konkreten Lebensbedingungen der Flüchtlinge in Europa schlecht bestellt ist und das Thema nicht aus dem Fokus geraten darf. Dafür setzen sich in Leipzig heute schon z.B. die neu entstandene Gruppe LExil und die Initiative Flüchtlingsheim Grünau, die wir an dieser Stelle bald vorstellen werden, ein.
else
(1) D.h. abgelehnter Asylantrag und ausreisepflichtig, eine Abschiebung kann jedoch aus humanitären Gründen nicht erfolgen.
(2) Zitat aus der Sendung „Was lange währt, wird auch nicht gut“ am 15.3.2006 auf coloRadio Dresden.
(3) Nachzulesen in der Spezial-Themenbroschüre „Ver-Flucht – Flüchtlinge in Leipzig“, herausgegeben 2002 von Klarofix und Kahina.
(4) Auszug aus dem Newsletter der Sächsischen Ausländerbeauftragten vom 01.10.2007.
(5) In Leipzig hat sich die Zahl der Asylsuchenden in den letzten 6 Jahren deutlich mehr als halbiert, von 1.852 in 2002 auf 741 im August diesen Jahres.
(6) Faktisch die Drittstaatenregelung auf europäisch: „Nicht derjenige [Staat soll] für die Prüfung eines Asylantrages zuständig sein, in den der Asylsuchende einen Antrag stellt, sondern derjenige, in dem er die Außengrenze überschritt, ein Familienangehöriger Asyl erhalten hat oder aber, für den ihm eine Aufenthaltserlaubnis oder ein Visum erteilt wurde.“ (Wikipedia).
(7) 2007 lag sie bei 0,8%.
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
Das AsylbLG wurde 1992 im Rahmen des sogenannten Asylkompromisses von CDU/FDP und SPD (Stichwort: Abschaffung des Grundrechts auf Asyl) verabschiedet und regelt die Versorgung von AsylbewerberInnen. Neben einer minimierten Gesundheitsversorgung, die nur Notfälle abdeckt und der (Zwangs-)Unterbringung in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften, ist in ihm die Absenkung der Leistungen für AsylbewerberInnen auf ca. 20% unter Sozialhilfeniveau (d.h. unter dem Existenzminimum) festgeschrieben. Zentral ist außerdem die Verankerung des Sachleistungsprinzips im § 3 AsylbLG:
(1) „Der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts wird durch Sachleistungen gedeckt.“
(2) „Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylverfahrensgesetzes können, soweit es nach denUmständen erforderlich ist, anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen nach Absatz 1 Satz 1 Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen im gleichen Wert gewährt werden.“
Die Formulierung der „besonderen Umstände“ lässt jedoch durchaus Spielräume zu und wird von den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ausgelegt. In den meisten Bundesländern wird inzwischen überwiegend Bargeld ausgezahlt, in anderen gibt es teilweise noch Gutscheine oder Chipkarten. Sachsen ist neben Bayern und Baden-Württemberg das Bundesland, wo das AsylbLG besonders streng ausgelegt wird.