Das Gründerzeithaus in der Lützner Straße 30 ist gleich in mehrfacher Hinsicht interessant: Einerseits, weil es das erste Projekt war, dem sich der Verein HausHalten widmete. Es ist andererseits aber auch das erste Wächterhaus, das der Verein wieder aufgeben muss, mit der Konsequenz, dass die bisherigen NutzerInnen ihre Räumlichkeiten verlassen müssen. Desweiteren konnten die „Wächter“ zu keinem Zeitpunkt die komplette Fläche nutzen, sondern teilten sie mit Anderen, die nie dem Projekt angehört haben.
Aber mal von Anfang an: Der HausHalten e.V., im Oktober 2004 erst gegründet, suchte in Lindenau ein verfallenes Gebäude, das durch Inanspruchnahme von Fördermitteln und durch Eigenleistungen aufgewertet und nach dem Modell des Vereins (siehe FA! #29) nutzbar zu machen wäre. Schnell war ein Eigentümer gefunden, der sich über die kostenfreie Aufwertung seiner Immobilie freute. Allerdings stand das Haus an der stark befahrenen Bundesstraße nicht komplett leer: ein Pärchen bewohnte und bewohnt noch die erste Etage. Diesen ist es zu verdanken, dass zum Beispiel noch alle Öfen im Haus vorhanden sind und das Haus nicht als wilde Müllkippe zweckentfremdet wurde. Es mag dies einer der Gründe sein, warum der Eigentümer, ein Westdeutscher, welcher Mitte der 90er Jahre dieses Haus erworben hatte, keine Einwände gegen eine Wohnnutzung erhob. Schließlich flossen einige tausend Euro Sicherungsgelder des Amtes für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung in die Immobilie, der Hausschwamm wurde vernichtet, die bröckelnde Fassade gesichert sowie das Dach abgedichtet.
Im Januar 2005 begannen die künftigen NutzerInnen mit der Instandsetzung und schon drei Monate später, als es Strom und ein Außenklo, aber noch kein fließend Wasser auf allen Etagen gab, zogen sie ein. Sie wurden von der Tatsache überzeugt, dass sie hier Freiräume geboten bekamen, um Neues auszuprobieren und das zu einem fairen Preis, denn die gegenwärtig neun „Wächter“ bezahlen außer den Nebenkosten gemeinsam 180 Euro Förderbeitrag pro Monat an den Verein, also 20 Euro pro Kopf. Die NutzerInnen verteilen sich auf zwei WGs mit je drei BewohnerInnen und drei Personen, die im Erdgeschoss eine Holzwerkstatt betreiben. Die WGs werden seit zwei Jahren ausschließlich von StudentInnen der Hochschule für Grafik und Buchkunst betrieben, nachdem es zuvor häufiger Stress unter den NutzerInnen gab. „Anfangs wohnte im zweiten Stock ein sehr engagiertes Pärchen, das offen war für alles und jeden, was aber zu sehr häufigen Mieterwechseln geführt hat, weil viele von denen nicht bereit waren, Verantwortung für den Zustand des Hauses zu übernehmen“ erzählt eine Bewohnerin. Ein weiterer Streitpunkt war auch das Konzept für die Nutzung des Ladens im Erdgeschoß. Der trug anfangs keinen Namen, wurde später Kulturplattform Purpur getauft und heißt seit zwei Jahren Projekt- und Hörgalerie AundV.
Betrieben wird der Laden von allen neun NutzerInnen gemeinsam. Auf den monatlichen Plena werden die Entscheidungen generell im Konsens gefällt, was wohl u.a. auf die Nichtexistenz eines stichhaltigen Konzeptes zurückzuführen ist. Außer reinen Party/Disco-Veranstaltungen ist prinzipiell vieles möglich und auch schon verwirklicht worden. Eine Einschränkung ist jedoch dadurch gegeben, dass die gesamte Front des Ladens fast nur aus großflächigen Schaufenstern besteht und dadurch der Lärmpegel niedrig gehalten werden muss. In der Regel gibt es eine Veranstaltung pro Monat, der Raum kann also auch von anderen Gruppen oder Einzelpersonen genutzt werden, wie zum Beispiel vom Projekt HOT SPOTS::DER STADTENTWICKLUNG des Institutes für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft der Universität Leipzig, das dort regelmäßig jeden Monat im Semester eine Veranstaltung abhält. Wer Interesse hat, den Raum für eine Ausstellung, Performance, Installation, Theater, Filmvorführung oder ähnliches zu nutzen, kann sich jederzeit gerne unter kontakt@aundv.org melden.
Wie bereits angesprochen, wird das jedoch nur noch in diesem Jahr möglich sein, denn der Eigentümer ist äußerst unkooperativ und war zu keinem Zeitpunkt bereit, mit den NutzerInnen des Wächterhauses direkten Kontakt zu halten. Anders als bei dem Haus in der Kuhturmstraße 4, aus dem sich der HausHalten e.V. bereits 2007 zurückziehen konnte, weil die NutzerInnen ihre Mietverträge direkt mit der Eigentümerin abgeschlossen hatten, ist in dem nur 100 Meter entfernten Gebäude in der Lützner Straße, welches das AundV beherbergt, ein Ende der Nutzung absehbar. Wenn im Januar 2010 der Vertrag ausläuft, möchte der Eigentümer das komplette Objekt verkaufen. Ob dies gelingt, ist allerdings zweifelhaft: zwar gibt es heute viel mehr Projekträume und StudentInnen in Lindenau als noch vor vier Jahren, dennoch ist die Mietaufwertung nicht besonders vorangeschritten, weil es in Leipzig generell an Kapital fehlt, oder genauer an gutsituierten EinwohnerInnen, die in der Lage wären, höhere Mieten zu zahlen bzw. in Gewerbe zu investieren. Somit liegt eine „echte“ Aufwertung des Kiezes noch in weiter Ferne. In diesem Sinne betrachten die Leute vom Wächterhaus in der Lützner 30 ihr Projekt eher als temporäre „Aufhübschung“ des Viertels zur Sicherung der Bausubstanz vor weiterem Verfall und sehen sich nicht als ProtagonistInnen einer sozialen und nachhaltigen Stadtentwicklung.
(bonz)