Es gibt sie tatsächlich noch: echte besetzte Häuser! In Erfurt gibt es ein solches seit 2001. Dabei handelt es sich jedoch nicht um irgendein Haus, sondern um einen Teil des Geländes der ehemaligen Firma Topf & Söhne, welche während der Zeit des Nationalsozialismus die Öfen für die Krematorien sowie Be- und Entlüftungsanlagen für die Gaskammern von Konzentrations- und Vernichtungslagern wie Buchenwald und Auschwitz produzierte. Den Besetzer/innen ist eine Auseinandersetzung mit dem geschichtlichen Hintergrund sehr wichtig, weshalb sie die Geschichte der Firma Topf & Söhne durch Infostände, Vorträge sowie Workshops und Rundgänge thematisieren. Im Projekt finden zudem Konzerte, Partys und andere kulturelle Veranstaltungen, wie zum Beispiel Filmabende mit VoKü statt. Bandproberäume, Wohnräume, Raum für künstlerische Aktivitäten und ein Lesecafe finden im Haus ihren Platz, ebenso wie Veranstaltungen zu Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Kapitalismus.
Soweit so gut, möchte mensch meinen. Doch wurde das gesamte Gelände, das vorher der Stadt gehörte, im letzten Jahr von der Domicil Hausbau GmbH & Co. KG gekauft. Die Stadt stellte an diese die Bedingung, dass das ehemalige Verwaltungsgebäude, welches sich nicht auf dem besetzten Teil des Geländes befindet, vom neuen Eigentümer renoviert und zwei Etagen an die Stadt für die Einrichtung einer Erinnerungs- und Gedenkstätte vermietet werden sollen. Die Ausgestaltung des Ortes würde vom Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne übernommen werden, der sich bereits seit Jahren mit den Hintergründen dieser Firma auseinandersetzt. Getan hat sich seitdem nichts, Besetzer/innen und Immobilienfirma schieben sich nun gegenseitig die Schuld zu, einen Geschichtsort Topf & Söhne zu behindern. Die Stadt stellt sich (eher passiv) auf die Seite des Eigentümers, weil dieser Wohn- und Gewerbeflächen auf dem gesamten Gebiet errichten will, wovon sich die Stadt auch erhöhte Stadtteilattraktivität verspricht. Um dieses Ziel auch umzusetzen, müsste die Immobilienfirma allerdings zuerst einmal die Hausbesetzer/innen rausschmeißen. Nun regt sich freilich Widerstand gegen die bevorstehende Räumung des besetzten Hauses. Es gab viele (Spontan)Demonstrationen und symbolpolitische Aktionen wie „Freiluftwohnen“ auf dem Rathausplatz, eine Straßenbahnparty, eine Fahrraddemo und eine Vermessungsaktion (das Rathaus und die Immobilienfirma wurden als eventuelle neue Räumlichkeiten vermessen) in Erfurt.
Auch in mehreren anderen Städten fanden Solidaritätsaktionen für das besetzte Haus statt. In Langensalza – in welchem die Forderungen nach einem (neuen) autonomen Zentrum immer lauter werden – und Weimar kam es zu Scheinbesetzungen, in Jena und anderen Städten zu Transparentaktionen und spontanen Soli-Demos. Aktive aus dem besetzten Haus Erfurt befinden sich ausserdem mit Info- und Mobilisierungsveranstaltungen auf Rundreise in ganz Deutschland, um für die große Demonstration am 22.11. zu werben. Um 13.00 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz in Erfurt heisst es dann: „Hände weg vom Besetzten Haus in Erfurt!“.
sal.bye
Mehr Infos unter:
topf.squat.net
haendeweg.blogsport.de
www.topf-holocaust.de
Ausserdem könnt ihr bis zum 29.11.08 im Veranstaltungsraum der Gießerstrasse 16 die Fotoausstellung „Über sieben Jahre Besetzung in Bildern“ besuchen.