Never stop dreaming

Eine „Fragestunde“ mit der Friedensbewegung

Eins vorneweg, ich werde das was ich Ihnen sage, nicht danach, entscheiden, was Sie hören wollen. Viel zu sehr beschneidet sich die Linke in ihren Möglichkeiten, wenn sie sich auf die Masse fixiert oder in einen linken aktivistischen Agitationspopulismus verfällt. Die Friedensdemo in Leipzig ist ein bestes Beispiel für Massenfixierung. Hauptsache es sind viele, da steigen die Teilnehmerzahlen in schwindelnde Höhen, erst zehn dann zwanzig dann dreißig- oder gar vierzigtausend und der Sprecher am Mikro bekommt fast einen Orgasmus, bei soviel an Masse vor seinen Füßen. (1)

Nachdem die Massen dann alle auf dem Augustusplatz versammelt waren, redeten attac, eine Ärzteorganisation und Sportler für den Frieden. Die Hauptfrage lautete: Warum sind wir hier? Der attac-Redner wusste das, denn zehntausende sind hier in Leipzig, weil woanders auch Zehntausende sind. Und noch besser, Millionen waren in Berlin und Rom und Paris und London weil sie wussten, dass auf anderen Kontinenten ebenfalls Millionen auf die Straße gingen. Halten Sie diese Argumentation auch für ausgemachten Blödsinn? Gehen Sie zur Demo um bei ´ner Demo mitzulatschen? Oder gehen sie aus inhaltlichen, ja aus politischen Gründen raus und zeigen ihre Meinung? Dazu später mehr.

Jetzt halten Sie sich erst mal fest: Der attac-Redner musste noch eine Frage stellen und die war so brisant, dass er sie gar nicht erst beantwortete: „Denn wer profitiert am Ende vom entfesselten Kapitalismus und den Kriegen?“ Ja wer? Die bösen Amerikaner, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, wie Pinky und Brain? Die transnationalen Konzerne, die die Macht übernehmen? Das Finanzkapital, dass ganze unschuldige Völker in den Abgrund reißt? Oder gar die Juden, die wie 40 % der Bundesbürger meinen, sowieso zu viel Einfluss auf das Weltgeschehen haben? (2)

Wie Sie vielleicht merken, unterstelle ich dem attac-Redner nicht, Antisemit zu sein. Er muss sich jedoch den Vorwurf gefallen lassen, durch seine Offenlassung der Antwort, oben genannten Kurzschlüssen und Ressentiments Vorschub zu leisten.

Dass bei attac nicht alles Gold ist was glänzt, zeigte die attac-Friedenstour mit Julie Fry aus den USA, der Journalistin Yvonne Ridley aus London und Alfonso De Vito, einem Aktivisten der Antiglobalisierungsbewegung aus Neapel, die auch im Januar. in Leipzig gastierte. In München setzte De Vito die Ereignisse im Warschauer Ghetto 1943 und die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila in Beirut im Jahre 1982 gleich. Und Julie Fry bezichtigte Israel des Völkermords und beschwor den heroischen Widerstand des palästinensischen Volkes. Zum unrühmlichen Abschluss erklärte der eingeladene islamische Geistliche Mohammed Herzog bei der letzten Veranstaltung in Berlin: „In 25 Jahren werden wir erfahren, wer die Täter waren. Wenn die Amerikaner ihre Geheimbücher aufschlagen. Es sieht ja fast so aus, als ob Amerika es selbst getan hätte.“ (3)

Doch zurück zur Friedensdemo in Leipzig Warum gehen Sie montags dorthin? Die Ärzteorganisation wusste warum: Weil der zweite Golfkrieg und das Embargo tausende Menschenleben und eine intakte Infrastruktur zerstört hat. Dem stimme ich zu, doch hätte ich mir gewünscht, dass sie auch erwähnt hätten, dass Hussein Lieferungen für sich und seine Familie reserviert hat und in Luxus und ohne Probleme leben konnte, während die Menschen im Irak ums Überleben kämpften und Hussein Giftgas gegen die kurdischen Siedlungen im Norden einsetzte etc.pp.

Die Sportler wussten auch warum sie da waren, dort wo Olympia sein soll, müssen auch Friedensdemos sein. Soweit so unklar? Okay.

Doch warum gehen Sie jeden Montag auf die Straße? Wegen ’89 und den Montagsdemos, die allerorten gehypt, instrumentalisiert und mystifiziert werden? Oder gehen Sie aus Sehnsucht nach Frieden? Erstmal ein guter Grund! Aber warum waren beim Kosovokrieg und Afghanistan-Krieg nicht mehr als 500 Leute auf der Straße und jetzt sind es über 10.000? Weil es diesmal gegen die USA geht und nicht gegen die eigene Regierung? Weil es gut tut, die Staatsgewalt auf der eigenen Seite zu haben? Die Differenz der Teilnehmerzahlen ist gravierend, also kann die Friedenssehnsucht nicht ausschlaggebend sein.

Und fast zum Schluss: Warum ist eine tiefgreifendere kapitalismuskritische Position, die nicht auf Personen oder einzelne Staaten fokussiert, kaum anzutreffen? Warum beschränken sich die meisten mit dem Bild des verrückten Cowboys, der Blut mit Öl tauschen will? Zum Beispiel: Resist Leipzig tragen nach einem Augenzeugenbericht ein Transpi, auf dem eine Tankstelle in Texas der Welt das Öl abzapft. Oder ein Straßentheater, in dem der peitschenschwingende Bush den CIA und MI6 vor sich hertreibt, die wiederum UNO und Völkerrecht in Ketten halten.

Eine Frage hätte ich noch, bevor es für heute genug ist: Warum rennt jemand mit dem Schild „Heil Bush???“ mitten in der Friedensdemo rum und wird nicht wegen zwar verschämter aber nicht desto trotz Gleichsetzung Bushs mit Hitler rausgeschmissen?

Haben Sie sich die Fragen gestellt?

Haben Sie Antworten?

Dann schreiben Sie uns!

Stichwort Ich, der Krieg und Frieden

kater francis murr

(1) letzten Endes waren es laut LVZ 18.000 DemonstrantInnen, da die LVZ aber selbst für die Montagsdemos trommelt, ist wohl eher mit weniger zu rechnen.
(2) laut einer Infratest-Umfrage im Oktober 2002 www.juden.de/newsarchiv/dezember 2002/16100202.shtml
(3) mehr auf jungle-world.com/ seiten/2003/06/228.php

…und Frieden

Schreibe einen Kommentar