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Demonstrieren? Hier nicht!

Zum neuen sächsischen Versammlungsgesetz

Die sächsische Landesregierung hatte es offenbar eilig. In beispiellosem Tempo wurde das neue Versammlungsgesetz durch die Instanzen gepeitscht, am 20. Januar wurde es im Landtag durchgewunken. Die im September 2006 beschlossene Föderalismusreform macht es möglich. Mit der darin enthaltenen Neuverteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern wurde auch das Versammlungsrecht zur Sache der Länder. Nach Bayern ist Sachsen nun das zweite Bundesland, das die Chance ergreift und ein deutlich verschärftes Gesetz hinklotzt. Schon in ihrer Koalitionsvereinbarung hatten CDU und FDP eine Novellierung des Versammlungsrechts beschlossen. Eine von der Landesregierung beschlossene Änderung der Geschäftsordnung erlaubte es, das Gesetz im Schnellverfahren durch die Instanzen zu bringen. Die Hektik kommt nicht von ungefähr. Schließlich stand Mitte Februar der Jahrestag der Bombardierung von Dresden vor der Tür. Den reibungslosen Ablauf des alljährlichen bürgerlichen Gedenkspektakels wollte sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition dieses Mal nicht von imageschädlichen Neonaziaufmärschen und antifaschistischen Gegendemonstrationen versauen lassen.

Dieses Interesse macht schon der erste Satz des Ende Oktober 2009 vorgelegten Entwurfs (1) klar: Die Handlungsspielräume für „Extremisten in Sachsen“ sollen deutlich beschränkt werden. Schließlich sei es in den vergangenen Jahren „zu erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Versammlungen von Rechtsextremisten und Gegendemonstrationen von Linksextremisten“ gekommen. Das Gesetz richtet sich explizit gegen die Teile des politischen Spektrums, die der Landesregierung nicht in den Kram passen. Mit inhaltlichen Differenzierungen zwischen „links“ und „rechts“ hält sich die Regierungskoalition dabei nicht groß auf.

Das geplante neue Versammlungsgesetz soll eine rechtliche Grundlage für Demonstrationsverbote schaffen. Als rechtmäßig gilt ein Verbot zum Beispiel dann, „wenn in der Vergangenheit vergleichbare Versammlungen oder Aufzüge zu einer solchen Gefährdung oder Störung geführt haben“. Weniger schwammig formuliert: Wenn es z.B. schon früher im Rahmen antifaschistischer Aktionen zu Ausschreitungen gekommen ist, können die Behörden unterstellen, dass dies auch bei anderen antifaschistischen Demonstrationen der Fall sein wird. Eine grob über den Daumen gepeilte Risikoeinschätzung seitens der Polizei könnte künftig also genügen, um unerwünschte politische Meinungsäußerungen präventiv zu verbieten.

Wesentlich brisanter ist aber eine andere im Gesetz enthaltene Neuerung: Auch an Orten von besonderer historischer Bedeutung können Kundgebungen künftig verboten werden, wenn diese „die Würde von Personen beeinträchtigen, die unter nationalsozialistischer oder kommunistischer Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren“. Aber auch die Würde von Menschen, die ganz allgemein „Opfer eines Krieges“ waren, soll mit dem Gesetz geschützt werden.

Das betrifft offenbar auch die Opfer der Napoleonischen Kriege von 1813 – so wird als Ort von besonderer historischer Bedeutung auch das Leipziger Völkerschlachtdenkmal benannt. Aber auch „die Frauenkirche mit dem Neumarkt in Dresden sowie am 13. und 14. Februar darüber hinaus auch die nördliche innere Altstadt und die südliche innere Neustadt in Dresden“ werden als Orte von besonderer historischer Bedeutung im Gesetzesentwurf benannt.

Nicht nur den Gegnern von heute, den „Extremisten“ von links und rechts, soll also mit dem neuen Gesetz entgegengetreten werden. Die Landesregierung verfolgt zusätzlich ein geschichtspolitisches Interesse, auch den Gegnern von gestern soll nachträglich noch mal gezeigt werden, was eine Harke ist. Wie üblich bleiben dabei die historischen Fakten auf der Strecke: NS-Regime oder DDR, alles eine Soße… Dass die nationalsozialistische „Gewaltherrschaft“ doch deutlich gewalttätiger war als die kommunistische (man denke an den 2. Weltkrieg und Auschwitz), spielt keine Rolle, wo´s darum geht, die ideologische Lufthoheit der bürgerlichen „Mitte“ abzusichern. Wobei diese Mitte mitunter auch ziemlich weit rechts liegen kann: So legte die sächsische CDU in der Koalitionsvereinbarung Wert auf die Feststellung, man wolle die „Pflege von Kultur und Traditionen der Vertriebenen“ unterstützen (2). Mit dem neuen Gesetz will sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition nun die Dresdner Innenstadt für ein Gedenken nach eigenem Gutdünken reservieren.

Vor lauter Eile kann es dabei schon mal zu Flüchtigkeitsfehlern kommen. So wurde in weiten Teilen einfach der Text des alten Bundesversammlungsgesetzes übernommen, das z.B. erklärt, Demonstrationsverbote seien Sache der zuständigen Behörden. Welche Behörden nun genau zuständig sind, hätte aber im Landesgesetz explizit geregelt werden müssen. Die Stadt Dresden ist also gar nicht befugt, die für den 13. Februar geplanten Neonazidemonstrationen zu verbieten. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch das Dresdner Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 5. Februar. Trotz aller Gesetzesänderungen sah das Gericht keine Handhabe, den von der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland angemeldeten „Trauerzug“ zu untersagen (3).

Vermutlich gibt es also noch eine Chance, das neue Versammlungsrecht aufgrund solcher Formfehler zu kippen. Die sächsischen Oppositionsparteien haben bereits entsprechende Klagen auf den Weg gebracht. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Landesregierung jetzt eilig nachbessert, um das Gesetz in eine juristisch wasserdichte Form zu bringen. Es bleibt die Hoffnung, dass sich breiter gesellschaftlicher Widerstand formiert, um der CDU-FDP-Koalition einen Strich durch die Rechnung zu machen.

justus

(1) edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=286&dok_art=Drs&leg_per=5
(2) www.aussiedler.cdu.de/doc/pdf/Spaetaussiedler_Sachsen_Fromme.pdf
(3) www.linksjugend-sachsen.de/uploads/media/PM_Verwaltungs­ge­richt_DD_Nazi­demo.pdf

Lokales

„Oh ja Mann, das ist Pop!“

Theater aus dem Off: Das Licht am Ende des Tunnels

„Was kommt danach?“ Diese verdammte Rezension kommt nach dem Theaterstück an einem Abend in der Libelle, nachdem alternative Szeneleute den Spendenkorb aufgestellt hatten, nachdem sie sich familiär in den Armen lagen und 10 Minuten nach 8 angefangen hatten.

Der Titel weckt Assoziationen wie „Nah-Tod-Erfahrung“, Abrechnung mit dem Leben, Himmel oder Hölle, aber auch Hoffnung, dass da überhaupt irgendwas ist und nicht einfach nur das schöne Leben vorbei ist.

Zudem wird bei dem Titel, dem Ambiente und dem Publikum schnell klar – hier hat sich die freie Szene was komplett Neues ausgedacht, anstatt die Rrrräuber oder Leonce und Lena zum 10. Mal neu zu inszenieren. Gleichzeitig erwacht aber auch Skepsis, ob die dramatische Struktur, die Textqualität und die Schauspieler einem denn die erwartete Unterhaltung und eine „Message“ liefern oder ob man gutwillig mitfiebern muss, dass auch alles reibungslos abläuft.

Zur großen Erleichterung, ja Überraschung zieht einen das Bühnengeschehen vom ersten Moment an in seinen Bann. Es entwickelt sich ein Theaterstück über das Leben, vital, spritzig, amüsant, stilsicher und straff getimt.

Gleich mit dem Prolog von „Charon“ dem Fährmann beweist der Typ von einem Schauspieler (Daniel Grunewald): Wir sind ehrgeizig, wir sind poetisch, belesen und haben hart geprobt. Dann plumpst der „Baumgärtel“ (Robert Raithel) auf den schmalen Streifen Teppich zwischen den Schuhspitzen der ersten Reihe und der Wand wo das Leben im linken Szenetreff dann wirklich aufhört. Er plumpst in den Limbus – die Vorhölle, die im Stück uminterpretiert wird, nicht als der Ort an dem man gerichtet wird – eine Entscheidung zu hören bekommt, sondern in ein Möbiusband aus einem Bild von M.C. Escher, oder dem endlosen Bürotrakt aus Kafkas Prozess – wo die Widerwärtigkeiten des Lebens sich potenziert wiederholen.

Hier an diesem hypothetischen Ort beginnt dann etwas künstlerisches, vielleicht ein Rockmusical? oder eine Collage szenischer Improvisationen. Auf jeden Fall kommen zwei weitere Figuren hinzu, die brilliante Angélique Saad als eine Figur mit gespaltener Persönlichkeit: „Pauline“ und „Florence“, und Lorenz Fiedler als der Trottel „Häppi“.

Die drei hätten jetzt auch in einem Fahrstuhl stecken bleiben können, es wäre nicht viel anders abgelaufen – als Zuschauer hat man einfach viel Spaß dabei zu zuschauen, was für freakige Momente zwischen diesen drei Charakteren entstehen können. Sie singen, zitieren, zittern, persiflieren – nur kann man sich hinterher schlecht dran erinnern, weil die Handlung eben keine chrono-logische Entwicklung aufweist. Sie alle suchen nach einem Ausgang (Sinn) aus dem Limbus und scheitern, sie hechten aus der linken Tür, um dann (nach einem Barfußsprint durch Eis und Schnee) zur rechten Tür wieder auf das Bühnchen zu fallen. Sie erstarren beim Blick in das Kühlschranklicht – der wie die sprechende Türklinke bei Alice im Wunderland die Erlösung symbolisiert, doch eine mächtige Stimme aus dem OFF verhindert jede Flucht / Erlösung.

Was nicht passiert – und was man vor lauter szenischen Überraschungen auch nicht vermisst – ist eine ernsthafte un­pa­the­tische Auseinandersetzung mit dem Thema Tod. Die schmerzlichen Seiten, die Angst vor dem Tod, die Trauer, den Verlust bekommt man nicht zu sehen. Das Stück bleibt thematisch an der philosophischen Oberfläche, statt den sinnlichen Symptomen des Todes nach­zuspühren. Der Verweis auf den Existenzialismus und Samuel Becketts Lucky, der an einem Hundehalsband seine Bestimmung findet, passt in den Diskurs und beweist das Diskursive.

Die vielen Songs werden mit einem so genialen, künstlerischen Understatement dargeboten, dass man sich als Zuschauer schon wieder wundert, warum man von den Originalinterpreten eigentlich mehr erwartet. Diese Leute wissen genau was sie da tun. Schade nur, dass sich die Libelle als Aufführungsort schon wieder verabschiedet, denn dort hatte man in einer Stadt wie Leipzig noch das Gefühl im Theater-Limbus zu sitzen, alles Andere kennt man schon.

(M S)

Globalisierungskritik goes to Hollywood

Seit sechs Jahren findet nun schon das alljährliche globalisierungskritische Filmfestival globaLE statt. Dieses geht auf das gleichnamige Filmfestival in Berlin zurück und übernahm anfänglich das Berliner Programm eins zu eins. Seit ein paar Jahren jedoch stellt das Leipziger Team ein eigenes Programm zum Thema Globalisierung zusammen.

Auch diesen Herbst werden wir wieder Filme und Dokumentationen in die Leipziger Kinos bringen. Denn nicht jeder Kinobesuch muss zwangsläufig eine seichte Berieselung mit Hollywood-Blockbustern oder experimentellen Kunstfilmen zur Folge haben. Zwar gibt es in Leipzig so einige Filmfestivals (z.B. Französische und Argentinische Filmtage, DOK), aber keines greift mit seiner Filmwahl so viele Facetten des Weltgeschehens auf wie die globaLE. Außerdem: Wer sah sich nicht schon mit der Frage konfrontiert, ob ein Besuch bei den genannten Festivals denn finanziell überhaupt machbar ist? So verlockend das Programm des kommerziellen Kinos auch sein mag, Eintritt kostet jeder Kinobesuch. Weil wir überzeugt sind, dass Teilhabe am politisch-kulturellen Leben das Recht jedes Menschen ist und nicht vom Einkommen abhängen soll, ist der Eintritt zu den globaLE-Veranstaltungen frei. Die Unterstellung, dass „was nichts kostet nichts wert ist“ gehört ja genau zu den neoliberalen Denkweisen, die im Widerspruch zur Realität stehen, wie Linux-User oder Studierende in Sachsen bei allen Vorbehalten sicherlich am besten wissen.

 

Die globaLE ist auch mehr als reines Politkino in konsumptiver Form. Im Anschluss an die Filmvorführungen bieten ReferentInnen die Möglichkeit, das Thema des Abends kritisch zu diskutieren. Sei dies nun der Zugang zu AIDS-Medikamenten, die Folgen von Massentourismus, der Kampf gegen Konzerne oder die politische Lage in der Kaffee-Region Chiapas (Mexiko): Die globaLE ist stets bemüht, dem Publikum die Verhältnisse in anderen Teilen der Welt nicht nur konsumptiv näher zu bringen. Mit externen ReferentInnen kann das Publikum diskutieren und sich so mit der Thematik des Films näher auseinandersetzen. Auch dies unterscheidet die globaLE von anderen Medien-Spektakeln. Denn eine allabendliche Portion von Desastern und Katastrophen kann sich jedeR bei der Tagesschau um 20:00 Uhr abholen und (damit sich jedeR gleich besser fühlt) im Anschluss etwas für die Opfer der Flutkatastrophe in Pakistan spenden. Da jedoch gesellschaftliche Veränderung nicht ausschließlich über das Unicef-Konto laufen muss oder alle vier Jahre denen vorbehalten ist, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, stellt die globaLE auch immer wieder Organisationen und Initiativen vor, die sich global oder vor Ort der neoliberalen Globalisierung entgegenstellen.

 

So ist Widerstand eines der immer wiederkehrenden Themen, welches von der globaLE in diesem Sommer, mit ihrem monatlichen Programm der globaLE Zwischendurch, aufgegriffen wurde. Am 15. September 2010 zeigte die globaLE den Film „Battle in Seattle“ von Stuart Townsend. Der Titel spricht für sich. Die meisten werden schon einmal von den Protesten gegen die in Seattle stattfindenden Konferenz der Welthandelsorganisation WTO vor nunmehr 11 Jahren gehört haben. Die Proteste werden heute als Startpunkt der globalisierungskritischen Bewegung bewertet. Aber wer weiß schon noch, dass sich in den Tagen vom 30 November 1999 bis zum 4. Dezember 50.000 Protestierende (1) in Seattle einfanden, um ihrem Unmut gegenüber der WTO und deren neoliberaler Politik Ausdruck zu verleihen? Im Gedächtnis geblieben sind die Ereignisse wohl vor allem durch das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen die größtenteils friedlichen Demonstranten (2). Selbst der Ausruf des Notstandes und eine Ausgangssperre konnten nicht verhindern, dass Delegierte am Betreten des Konferenzgebäudes gehindert wurden. Am Ende scheiterten die WTO-Gespräche, was nicht nur den Protesten geschuldet war, sondern auch der afrikanischen Delegation (3) und deren Verärgerung über die Green Room Meetings (4).

 

Der irische Schauspieler und Regisseur Stuart Townsend verfilmte 2007 die Ereignisse als fiktionalisiertes Hollywood-Spektakel. Der Film erzählt die Geschichte der WTO-Konferenz und der Proteste durch verschiedene Protagonisten: dem damaligen Bürgermeister von Seattle, dem Polizeichef Norm Stamper, diversen WTO-Delegierten und natürlich den Protestlern. Schon  in den Wochen und Monaten nach den Protesten gab es Kritik an der medialen Darstellung von „Seattle“. Bemängelt wurden vor allem die einseitige und verkürzte Berichterstattung über die Gewaltausschreitungen und den Vandalismus. Dass vereinzelt Scheiben zu Bruch gingen, ist unbestritten, war jedoch nur ein Teilaspekt. Und dabei Anarchisten und den Schwarzen Block in einen Topf zu werfen, entwirft ein verqueres Bild der Ereignisse. Ebenso geriet der Mythos von einer spontanen Rebellion in die Kritik, da dieser z.B. die Organisationsarbeit des Direct Action Network im Vorfeld der Proteste ignoriert (5).

 

Auch der Film „Battle in Seattle“ geriet für die Darstellung der Aktivisten in die Kritik. Denn wenn dort z.B. eine Aktivistin gezeigt wird, die die Versuchslabore ihres Vaters niederbrennt, erscheint ihr Protest gegen die WTO eher als Resultat eines Elektra-Komplexes und weniger als (eventuell berechtigte) Kritik an der undemokratischen Institution der WTO und ihrer neoliberalen Politik. So reproduziert der Regisseur, obwohl er die mediale Ausblendung der Hintergründe im Film zu thematisieren versucht, genau diese. Ebenso fehlt im Film jeglicher Verweis darauf, dass die Proteste nicht nur von Gruppen aus dem globalen Norden getragen wurden, sondern sich auch zahlreiche Gruppen aus dem globalen Süden durch das Netzwerk People’s Global Action daran beteiligten (5).

 

Zugegebenermaßen ist „Battle in Seattle“ keine Dokumentation der Ereignisse, sondern ist und bleibt ein Spielfilm. Wer sich also Unterhaltung mit einem Hauch von Globalisierungskritik wünscht, dem/der sei dieser Film wärmstens empfohlen. Doch neben seichter Unterhaltung bot die Veranstaltung auch Raum für Reflexion. Als Referentin war Friederike Habermann eingeladen, die als Teilnehmerin der Proteste etwas zu den Ereignissen erzählen konnte. Wie üblich bei der globaLE wurde im Anschluss an den Film über das Thema diskutiert. Denn der Film ließ viele Fragen offen, und eine kritische Auseinandersetzung mit der „Hollywoodisierung“ der globalisierungskritischen Bewegung ist wünschenswert und notwendig.

 

Wer die Veranstaltung verpasst oder Lust auf mehr hat, kann sich nun auf den Herbst freuen. Denn von Oktober bis Dezember findet die globaLE wieder im Wochenturnus statt. Geboten werden  Dokumentationen zu Themen wie Fabrikbesetzung, Gated Communities, Ölsand-Abbau in Kanada,  Uranmunition im Irak, Formen des Widerstands gegen den G8-Gipfel in Göteborg und Gentrifizierung in Hamburg. Wieder einmal sollen Themen kritisch beleuchtet werden, die es sonst nicht in die Schlagzeilen schaffen. Der Einsatz von Uranmunition im Ersten Golfkrieg und dessen Auswirkungen werden zum Beispiel auch der/m einen oder anderen Indymedia-LeserIn noch unbekannt sein. Und was der Abbau von Teersand in Kanada (dessen Prozess im Vergleich zu konventionell gefördertem Öl drei- bis fünfmal so viel Treibhausgase entstehen lässt) mit kapitalistischen Produktionsweisen zu tun hat, ist außerhalb von klimapolitischen Kreisen wohl wenig bekannt. Von Gated Communities haben dagegen vielleicht schon einige gehört. Jedoch ist diese Entwicklung nicht nur durch Sicherheitsrisiken bedingt. Vielmehr spiegelt sie die Realität einer Gesellschaft wieder, in der sich die mit dem nötigen Kleingeld in von Armut und Gewalt abgeschirmte Enklaven zurückziehen können. Auch der Film über die Werkschließung eines deutschen Konzerns in Mexiko und die folgende Mobilisierung der Belegschaft wirft Fragen auf, die es mit dem Publikum zu diskutieren gilt. Denn eine selbstverwaltete Fabrik in den Händen der Angestellten ist nicht frei von Problemen, auch sie muss sich der Logik des kapitalistischen Marktes beugen. Zum selben Thema gibt es auch einen Film aus Lateinamerika, wo in den Favelas von Venezuela Konzepte für die konkrete Umsetzung von der Idee der Selbstverwaltung entwickelt werden. Doch auch in Deutschland passiert so einiges: Zwei Filme, einer aus Berlin und einer aus Hamburg, fragen kritisch, wem die Stadt eigentlich gehört und wer entscheidungsberechtigt ist. Wer die globaLE aus den Jahren davor kennt, kann erahnen, dass das Team aus Ehrenamtlichen sich wieder bemüht hat, die Vielschichtigkeit der Globalisierung deutlich zu machen. Auch wenn der Fokus der globaLE10 auf dem Thema Stadt, Stadtentwicklung und Freiräume liegt, ist die diesjährige globaLE kein rein „urbanes“ Filmfestival. Denn neben Filmen wie Empire St. Pauli, Communa under construction oder RAW. Wir sind gekommen um zu bleiben wird mit umweltpolitischen und sozialen Themen die ganze Bandbreite der Globalisierung abgedeckt. Dabei wird deutlich, dass urbaner Raum, Ressourcen-Nutzung und soziale Auseinandersetzungen eng miteinander verknüpft sind.

 

Für alle, die im Detail wissen möchten, welche Filme die globaLE diesen Herbst in die Leipziger Kinos bringen wird, haben wir hier noch das Programm. Wer weiterhin auf dem Laufenden gehalten werden möchte, kann sich auch auf der Webseite www.globale-leipzig.de informieren oder in unseren Newsletter aufgenommen werden, dazu einfach eine Email an infos@globale-leipzig.de senden.

Euer globaLE-Team

 

(1) Schätzungen reichen von 40.000 bis 75.000. Siehe de.wikipedia.org/wiki/Ministerkonferenz_der_Wirtschafts_und_Handelsminister_der_WTO_in_Seattle_1999. Die Zahl 50.000 ist folgender Webseite entnommen: realbattleinseattle.org/node/70

(2) democracynow.org/2008/9/18/battle_in_seattle_with_a_list

(3) Patrick Bond: „From Seattle to Copen-hagen. Will African again block a bad deal?“ Siehe zeitschrift-luxemburg.de/?p=427

(4) Green room bezeichnet im WTO-Jargon ein besonders informelles Verhandlungsforum, das in einem unbekannten Raum und in unbekannter Zusammensetzung tagt, um problematische Fragen zu besprechen. Siehe germanwatch.org/pubzeit/z10green.htm

(5) David & Rebecca Slonit „The battle of the story of the battle of Seattle“ 2009 AK Press

Militante Gruppe Leipzig

Jeder Albtraum nimmt ein gutes Ende

Es ist die Nacht vom 20. zum 21. Januar, der Morgen graut tief, als in kurzem Abstand drei Autos brandschlagen, das erste 3:42 Uhr – ein geparkter Kleintransporter, der völlig ausbrennt – das zweite 6:15 Uhr in einer Tiefgarage – ein Honda Cabrio – und schließlich das dritte gegen 6:35 Uhr – ein Transporter mit drei Kleinbussen auf der Ladefläche, davon zwei der Polizei; das Fahrerhaus des Lasters brennt aus, die Busse bleiben unversehrt. Die Stadt gähnt noch, als die Sirenen heulen. Der Tag 1 nach den Anschlägen beginnt sorglos, nur vier Versicherungsvertreter weinen und der Winterdienst ächzt. Die Nacht bleibt ruhig und hebt sich ihren Paukenschlag für den nächsten Morgen auf. Passend zum Frühstück meldet die LVZ den Erhalt einer E-Mail, in welcher sich eine sogenannte Militante Gruppe Leipzig bekennt, das Cabrio und den Laster angezündet zu haben. Weitere Anschläge werden angekündigt. Die Begründungen klingen dumpf und hohl. Zu eindeutig links. Darauf kolportiert der Staatsschutz die These, die rechte Szene könne ebenso hinter den Anschlägen stecken wie die linke. Auf jeden Fall Extremisten! Noch am gleichen Morgen öffnen sich an mehreren Orten die Kasernentore. Und am Tag 3, Sonntagmittag, pünktlich nach der Messe, verkündet Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal die Neue Leipziger Harte Linie: Man wolle in Zukunft Schluß machen mit dem Kuschelkurs und die „Sümpfe austrocknen“, auf denen der politische Extremismus der Linken wie Rechten gedeiht. Leipzig würde keine „menschenverachtenden Zündelein“ mehr dulden und eine „flächendeckende Brandschutzanlage“ installieren. Die Medien frohlocken, die Masse jauchzt. Zwei Sonderkommissionen sollen sich unter Federführung des Sächsischen Landeskriminalamtes und des Staatsschutzes um alle weiteren Ermittlungen kümmern. Zur Seite stehen den höheren Beamten zusätzliche Spezialeinheiten aus Berlin, Erfurt, Chemnitz und Dresden.

Die Hatz beginnt am darauffolgenden Montagmorgen. Gegen 5 Uhr stürmen Einsatzkräfte der Polizei fast zeitgleich das Lindenauer NPD-Büro und den linken Stadtteilladen Atari in Reudnitz. Beschlagnahmt werden Computer, Datenträger, Zeitungen, Plakate, Flyer, Werkzeuge und sogar Reinigungsmittel. In der nächsten Nacht schlagen die Behörden nach dem selben Muster zu. Diesmal trifft es ein Vereinslokal bekannter LOK-Hooligans und den Libertären Laden Libelle. Es gibt keine Festnahmen, die Polizei schweigt sich über Spuren aus. Im Verlaufe des Mittwochs, am Tag 6 nach den Anschlägen, kommt es zudem zu Komplexkontrollen in den Stadtteilen Reudnitz, Connewitz, Volkmarsdorf und Schönefeld. Es werden nach Dresscode gezielt Leute auf Waffen, Drogen und illegale Flugschriften durchsucht. Nachdem sich am Abend mehrere hundert Menschen am Conne Island versammeln, um das Gelände vor einer möglichen Razzia zu schützen, löst die Polizei die Versammlung kurzerhand auf. Die Flucht mehrerer AktivistInnen in die Büroräume des Projektes nehmen die Staatsbeamten dabei zum Anlass, um auch dort eine Hausdurchsuchung mit anschließender Beschlagnahme durchzuführen. Es kommt zu zahlreichen Festnahmen. Als der Gefangenentransporter provozierend langsam die Bornaische Straße Höhe Stockartstraße passiert, versuchen ca. zwei Dutzend Punker den Bus zu stürmen. Alle werden festgenommen, die Stöckertstraße abgeriegelt. Am nächsten Tag fordert der Stadtrat endlich Ergebnisse. Die Polizei schweigt sich aber weiterhin über mögliche Verdächtige aus. Abends: Solidaritätskundgebungen. Eine am Südplatz von den Linken und eine rechte in Schkeuditz. Es kommt zu Straßenschlachten und noch mehr Verhaftungen. Am darauffolgenden Freitag, also am Tag 8, erreicht zahlreiche linke und rechte Leipziger Vereine Post von den Ordnungsbehörden. Es geht um Mitgliederlisten, Fördermittel, Gemeinnützigkeit und Mietverträge. Die Nacht vom 29. zum 30. Januar wird zur Nacht der tausend Brände, die Stadt kocht bei Minusgraden. Der von der LVZ eingerichtete Auto-Counter zählt bis zum Samstagmittag 1367 gemeldete Autobrände.

Am Abend des neunten Tages endlich rührt sich auch die Militante Gruppe Leipzig wieder und kündigt über einen stadtbekannten Blog eine schnüffelsichere Online-Präsenz an. Schon am Sonntagmorgen von Tag 10 ist diese im Netz. Neuerlich bekennt sich die Gruppe zu einem weiteren Brandanschlag auf einen BMW-X5 (3:15 Uhr), droht den ermittelnden Beamten mit Ermordungen und der Veröffentlichung von einem ganzen Archiv voll von Bombenanleitungen und anderem brisanten Material. Sonntagmittag, pünktlich nach der Messe, tritt daraufhin der Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière vor die Presse und verkündet seine Doktrin für die Sicherheit im Innern … dumpfes Klopfen, immer lauter. Sie sind schon da?! Nein, verdammt! So schnell??? Ich muss … aaaaaaahhhhhh!

Schweißgebadet wache ich auf und bin erleichtert. Püüh! Nur ein Traum. Ein wahrer Albtraum. Ich nehme einen Schluck Wasser und schalte die Nachrichten ein. Heute gegen Mittag, so höre ich, am Donnerstag des 04. Februar, also am Tag 14 nach den ersten Brandanschlägen, hat die Polizei einen dringend Tatverdächtigen aus der sogenannten Militanten Gruppe Leipzig festgenommen. Der 24jährige Tommy T. war bis vor ein paar Wochen noch Gesellschafter und Filialleiter einer bekannten Computerkette mit mehreren Läden in Leipzig und Umgebung. An seinen Kleidern fanden die Beamten Spuren von Brandbeschleunigern. Der ganz gewöhnliche Wahnsinn also, denke ich, und lehne mich beruhigt zurück. Nicht dumm, das Ganze politisch aufzuladen, um von sich abzulenken. Angesichts der bekannten Allergien des deutschen Staates aber auch nicht besonders klug. Ich muss schmunzeln. Fast hätte er mich reingelegt.

clov

Lokales