Stickerdiskurs im öffentlichen Raum
Kinder sammeln sie manchmal in Alben, Reinigungsfirmen ärgern sich über ihre Rückstände und viele Passanten wundern sich über sie: Sticker laufen einem tagtäglich über den Weg, wenn man selber durch die Stadt läuft.
In Leipzig sind Aufkleber im öffentlichen Raum im Laufe der Nullerjahre zunehmend in Erscheinung getreten. Vermutlich war das in anderen und vor allem größeren europäischen Städten schon eher der Fall. Meiner Erfahrung nach sind Aufkleber in anderen Großstädten vergleichbar präsent – zumindest in Prag, St. Petersburg, Hamburg, Berlin, Halle, Dresden und Chemnitz . Da ‚Subkultur‘, im allgemeinen Sinne von nicht-institutionalisierter und eher ‚freier Kultur‘, ein vorwiegend urbanes Phänomen ist, kann man wohl schließen, dass Sticker mit regionalen Unterschieden in allen europäischen Großstädten auftauchen. In diesem Beitrag versuche ich zuerst, Aufkleber in Abgrenzung zu anderen Formen von ‚Streetart‘ zu bestimmen. Darauf folgen einige Überlegungen zum ‚Stickerdiskurs‘ in Leipzig. Und anschließend stelle ich eine themenbezogene Einteilung der Erscheinungsformen von Stickern/Aufklebern dar. Zwischendurch findet ihr einige Beispiele in Bild und Text. Es ist klar, dass hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird: dazu gibt es einfach zu viele verschiedene Sticker und vor allem Leute, die sie wo auch immer hinkleben.
Ursprünge und technische Aspekte
Das Platzieren von Aufklebern im öffentlichen Raum ist einer kleinen und harmlosen anarchischen Aktion näher als dem Straftatbestand des Vandalismus. Die Ursprünge der Sticker sind vielfältig. So haben Spuckies vor allem für Agitation/Präsenz von linken Ideen eine relativ lange Tradition. Für die Jüngeren: Spuckies sind vorgefertigte bedruckte Zettelchen, die nur in Verbindung mit Wasser (Spucke) selbstklebend sind. Für ‚die Linke‘ waren Spuckies mit Sicherheit seit den 60igern in der BRD wichtig, vor dem ersten Weltkrieg wahrscheinlich nicht. Zu dieser Zeit waren eher Anschläge/Plakate Mittel des ‚optischen politischen Kampfes‘ in der Alltagskultur. Bezogen auf den Zweiten Weltkrieg ließen sich seit dem späten Frühjahr 2015 (Tag der Befreiung?) noch von der Antifa an den entsprechenden, nach Widerstandskämpfern benannten Straßen angeklebte Reproduktionen der historischen Originale inklusive Foto-Porträt/Begleitplakat finden: Bspw. in der Georg-Schwarz- und William-Zipperer-Straße. Für die jüngere Zeit ist es plausibel anzunehmen, dass Sticker als Weiterentwicklung von Spuckies als praktische Erweiterung des Taggens (also des ‚öffentlichen Unterschreibens‘ mit Edding/Sprayfarbe) aufkamen. Praktisch weil billig, schnell zu platzieren und strafrechtlich weniger gravierend als Sprayfarbe/Edding. So sieht man etwa öfters Aufkleber der Form ‚Hello my name is …‘, wobei die Leerstelle per Edding um das Tag ergänzt wurde. Oft sind auch zweckentfremdete Paketscheine das Mittel der Wahl, die dann häufig mit Farbe und/oder Schablonen gestaltet werden. In diesem Sinne ist der Ursprung von Stickern auch apolitischer Natur, weil in Zusammenhang mit Graffitti stehend. So wirken z. B. in Leipzig entsprechende Sticker – Fast Drips/ORG bzw. der Schlagring für die RCS/Radicals – flankierend zur typischen optischen Präsenz beider Crews durch die üblichen Graffiti. Und ja, es gibt durchaus politische Motivation für Graffiti – hier ist aber die Rede von ‚dekorativen Graffiti‘, und nicht von Parolen, auch wenn die Grenzen wie so oft verschwimmen.
Es gibt bestimmt gute Gründe dafür zu glauben, dass Sticker auch ohne Spuckies ihren Weg in den öffentlichen Raum gefunden hätten. Aber immerhin waren Spuckies die ersten unkontrolliert im Stadtbild auftauchenden Zettelchen mit bestimmten Botschaften. Rein technisch gesehen lässt sich ohnehin die Frage stellen, ob eine Unterscheidung zwischen Stickern und Spuckies sinnvoll ist. Beide lassen sich massenhaft reproduzieren und verteilen. Das Internet ist aber relevanter für die flächendeckende Verbreitung von Stickern als für Spuckies, obwohl beides online barrierearm bestellt werden kann. Für die Platzierung von Stickern braucht man – im Unterschied zu Spuckies – eben einfach nichts weiter als a) den Sticker, b) einen geeigneten Untergrund und c) die Abwesenheit von Regen. Daher ist deren Verbreitung höher bzw. zumindest vielgestaltiger als die von Spuckies. An dieser Stelle noch ein Wort zur Unterscheidung von ‚professionellen‘ gegenüber ‚Do-it-yourself‘ (DIY)-Aufklebern: Für mich gehört zum DIY-Prinzip das selbständige ‚handwerkliche‘ Tätigwerden – also das Rumklecksen mit Farbe und Schablone auf Paketscheinen zum Beispiel. Das Designen von Motiven für die Internetbestellung hingegen hat zwar auch Züge davon, ist im strengen DIY-Sinne jedoch schon immer Teil der Aktion, da ja auch hier der Entwurf des Motivs an erster Stelle steht. Insofern ist für mich daher die industrielle Reproduktion von Aufklebern – etwa in professionellen Druckereien – ein Kriterium, was dem DIY-Prinzip widerspricht.
Stickerdiskurs als Reaktion auf Reklame
Sticker sind u. a. eine subkulturelle und oppositionelle Antwort auf die optische Omnipräsenz von Reklame und die damit einhergehende Reizüberflutung im Stadtbild. Diese Eigenschaft läßt sich allen Stickern zuschreiben, denen man im Alltag außerhalb des üblichen Anwendungsbereichs von Aufklebern begegnet. Wobei es eine ‚systemische Ausnahme‘ gibt, nämlich das sogenannte ‚Guerilla-Marketing‘. Ein vergleichsweise ‚sympathisches‘ Beispiel sind Skate/Graffiti-Shops oder Bandsticker. Diese systemische Ausnahme macht sich die ‚street credibility‘ des Mediums zu eigen und versucht so, etwas anderes zu sein als die herkömmliche Reklame. Klappt auch ganz gut. Aber noch sind zumindest meiner Wahrnehmung nach die meisten Sticker subversiver Natur.
Daher misst man sich, unabhängig von der eigentlichen Intention des Rumklebens, nicht nur subkulturell selbstbestimmt innerhalb des öffentlichen Stickerdiskurses, sondern steht gleichzeitig auch in Opposition zur Reklame im öffentlichen Raum. Werbung wird folgerichtig nicht selten unfreiwilliges Medium bzw. unfreiwilliger Gegenstand karikierender oder schlicht destruktiver Aktionen – Stichwort ‚Adbusting‘. Diese Anwendung teilen Sticker demzufolge mit Grafitti und – im Sinne politischer Meinungsäußerung/Agitation besonders hervorzuheben – mit Stencils. (Stencils sind zumeist einfarbige, mit Schablonen angefertigte Graffiti.) Und weiteren Streetartformen, wie z. B. diesen großflächigen und meist gedruckten Papierdingern, Kacheln und was es sonst noch gibt. So wie etwa von den notorisch sichtbaren LE-Sticker-Vandals Sladge&Konjack durchaus auch Fliesen zu bewundern sind und auch Dinge wie Guerilla-Knitting, Styropormotive und anderes im Stadtbild vorkommen.
Modell des Stickerdiskurses als Meinungsstreit
Zurück zum ‚Stickerdiskurs‘: Im Prinzip gibt es zwei modellhafte Kontexte, in denen sich Aufkleber platzieren lassen. Und das im jeweils ‚öffentlichen‘ und ‚halböffentlichen Raum‘ – der private wird hier ignoriert. Mit ‚halböffentlicher Raum‘ sind hier vor allem Kneipen etc. gemeint, deren Sanitärästhetik den subkulturellen Touch häufig aus der Stickerpräsenz bezieht.
Im ersten modellhaften Fall werden Aufkleber in einer bislang aufkleberfreien Umgebung platziert, wie etwa einer von den LSB/JCDecaux-Leuten frischgeputzten Haltestelle oder einem relativ jungfräulichen Verkehrsschild. Das ist dann gewissermaßen der Ausgangspunkt für eine diskursive Auseinandersetzung, indem sich andere Leute zur Präsenz dieses Aufklebers verhalten (müssen).
Zum zweiten kann ein Sticker in genau einer solchen Reaktion in Bezug zu einzelnen oder mehreren bereits angebrachten Aufklebern platziert werden. Er kann dann entweder unterstützend wirken oder als Kontra-Statement dienen. Der erste Fall ist eher theoretischer Natur, wenn auch nicht soo selten. Schließlich ist die mit dem Sticker transportierte Botschaft ja an dieser Stelle bereits präsent. Und auch das Kontra-Statement wird eher direkt auf dem gegnerischen Aufkleber angebracht als daneben. In bester Erinnerung sind da die prototypischen freundlichen Aufkleber mit dem Cartoonmännchen und seiner Sprechblase ‚Ich überdecke einen blöden Nazi-Aufkleber‘. Oder eben doch daneben und der andere Aufkleber wird abgerissen bzw. anderweitig unkenntlich gemacht. Es ist natürlich auch denkbar, dass z. B. politische Sticker einfach von sich gestört fühlenden Bürgern mit Kontrollbedürfnis abgerissen werden, ohne dass die Sticker-Botschaft überhaupt wahrgenommen wird. Ein Beispiel aus dem Meinungsstreit mit Stickern im öffentlichen Raum findet ihr in untenstehendem Kasten, der den politischen Diskurs mit Aufklebern in Merseburg beschreibt. Wie auch immer das im konkreten Fall aussehen mag: Aufkleber dienen der eigenen Meinungsäußerung und damit auch der Auseinandersetzung mit gegnerischen Meinungsäußerungen.
Klingt banal und ist es auch. Deswegen sind Sticker ja auch ein urbanes Massenphänomen. Aber da Banalitäten immer trivial und damit wahr sind, bieten sie auch einen sicheren Ausgangspunkt zum weiteren Nachdenken und Beobachten: Wann sind wo wie viele Sticker präsent? Diese Fakten sagen immerhin etwas zum Stand des lokalen Meinungsaustauschs im öffentlichen Raum. Wie präzise und aussagekräftig diese Fakten sind, sei mal dahingestellt: schließlich ist ja auch denkbar, dass vergleichsweise wenig Leute relativ viele Sticker in einem bestimmten Gebiet über einen längeren Zeitraum immer wieder anbringen. Damit ist dann aber auch klar, dass bei vorausgesetzter Präsenz der Sticker zumindest die Gegenfraktion entweder nicht existiert, ignorant ist oder schlicht zu faul, sich den Stress des Abpulens zu machen. Das sind alles potentiell relevante Schlüsse auf die jeweilige Situation im Meinungsaustausch der verschiedenen Szenen vor Ort. So sind zum Beispiel als Sonderfall die einzeln verblichen noch auffindbaren ‚Fence-Off‘-Sticker im Leipziger Westen (und wahrscheinlich auch anderswo in der Stadt) eine schöne Reminiszenz an den Widerstand gegen die Nazi-Präsenz in der Odermannstraße. Hier befand sich von 2008 bis September 2014 ein sogenanntes NPD-Bürgerbüro, gegen das seinerzeit u. a. mit den ‚Fence-Off‘-Stickern agitiert wurde. Das letztendliche Verschwinden des Nazizentrums aus Lindenau hat sicher viele Ursachen, aber zumindest haben Sticker die Verbreitung des Widerstandes optisch unterstützt.
Thematische Einteilung von Aufklebern
Vom Stickerdiskurs zum Versuch einer thematischen Klassifizierung: Neben den eindeutig politisch motivierten Stickern vor allem von links (Antifa, Refugees Welcome, Linksjugend etc.) existieren vielfältige weitere Formen, wie etwa ‚sportlich‘ motivierte, wobei eine trennscharfe Abgrenzung häufig nicht möglich ist. Überspitzt formuliert: Wo hört z. B. der Ausdruck der Unterstützung des FC Lok auf und wo beginnt rechtsradikale Propaganda? Besonders am Beispiel des Fußballs vermischen sich die Motivationen. (Ein seit einiger Zeit besonders kontrovers diskutiertes Beispiel seht ihr im zweiten Kasten.) So intendiert ein Sticker der BSG Chemie neben dem Support des Vereins auch immer ein politisches Statement gegen rechts – unabhängig davon, ob das dem einzelnen Betrachter/Anbringer des Stickers bewusst ist oder nicht. Oder ob der zufällige Betrachter das erkennt. Deutlicher ist das beim Fußballverein ‚Roter Stern Leipzig‘, wo häufig auch eindeutige politische Statements auf den Aufklebern zu finden sind. Als weiteres Beispiel aus dem Bereich Sport wäre etwa noch der Support des Handballvereins DHFK zu nennen.
Abgesehen davon gibt es viele Formen eher ‚ästhetisch-motivierter‘ Stickertypen, die vermutlich vor allem der ‚unpolitischen‘ Graffitiszene entspringen (LE-Sticker Vandals). Hinzu kommen noch Sonderfälle wie etwa die derzeit präsenten Mandala-Sticker der Lina-Leute, die ich persönlich einer verhipsterten Eso-Richtung zuordnen würde. Und dann gibt es natürlich noch die bereits erwähnten Sticker, die nur Reklame sind. Aber die beiden letztgenannten sind derzeit eher Randphänomene. Prototypisch unterscheiden lassen sich daher: a) politisch, b) sportlich und c) ästhetisch motivierter Sticker. Überschneidungen sind gängige Praxis und die systemische Ausnahme sind Sticker des Guerilla-Marketings.
Aufkleber sind Medium und Spiegelbild eines Meinungsaustauschs. Dabei kann es um Politik, Sport, Musik, künstlerische Freiheit oder einfach darum gehen, die neusten Sneaker im hippsten Store anzupreisen. Dieses Spiegelbild ist häufig unpräzise oder verzerrt – aber dennoch ein konkretes Abbild der gegensätzlichen Meinungsfraktionen in einem begrenzten urbanen Raum. Und außerdem macht es zumindest mir persönlich ein bisschen – zugegeben pubertären – Spaß, immer wieder an selbstplatzierten Stickern vorbeizulaufen. Optische Präsenz ist ein wichtiges Mittel in jedem Meinungsstreit. Also überlegt euch beim nächsten Besuch in einer von euch präferierten Lokalität, die auch Sticker zum Mitnehmen rumliegen hat, ob ihr nicht ein paar von denen mitnehmt und platziert. Und im besten Fall eine Spende dafür da lasst. Falls ihr eigene Beobachtungen zum Thema Aufkleber im öffentlichen Raum oder insbesondere Kritik zu den bisherigen Ausführungen beizusteuern habt, fühlt euch frei, die Feierabendredaktion damit zu behelligen. Die freut sich darüber!
[wasja]
* LSB = Leipziger Service Betriebe – u.a. zuständig für die Instandhaltung von Haltestellen; JCDecaux = in Leipzig marktführende Firma für Stadtmöblierung, baut/vermietet u.a. Haltestellen und Werbeflächen.
Exkurs 1: Sticker-Diskurs am Beispiel Merseburg
Ein etwas breiteres und rein politisches Beispiel für Manifestationen des Stickerdiskurses begegnete mir bei einem (touristisch motivierten) Besuch der Stadt Merseburg (Nähe von Halle, knapp 35.000 Einwohner). Im Stadtbild der Innenstadt finden sich erfreulicherweise ausschließlich Aufkleber politisch linker Gruppierungen (Antifa, Refugees Welcome, Anti-Homophobie-Gruppe), die zur guten Hälfte auch intakt sind. Eine beträchtliche Anzahl (vorsichtige Schätzung nach zwei Stunden Spaziergang durch die Stadt mit offenen Augen: 30-40%) der Sticker wurden beschädigt. Derartige Beobachtungen müssen naturgemäß extrem unpräzise bleiben, zumal einem nicht klar sein kann, wie viele Sticker komplett entfernt wurden und daher gar nicht mehr sichtbar sind. Außerdem lassen sich erkennbare Rückstände meist nicht mehr ihrer ursprünglichen diskursiven Stoßrichtung nach identifizieren. An einigen Stellen waren jedoch überklebte/stark beschädigte Nazisticker (gewohnte rechte Propaganda: ‚Überfremdung stoppen – Heimat schützen‘ inkl. der schwarzen Autonome-Nationalisten-Fahne) erkennbar. Auch in anderer Form ist rechte Meinungsäußerung sichtbar – so zum Beispiel in Gestalt von Eddingschriftzügen, wenn auch nicht übermäßig frequent. Fazit für die derzeitig Situation in Merseburg: linke Gruppierungen sind im Stickerdiskurs derzeit dominant. Es gibt vermutlich deutlich weniger Nazis, die sich dazu am Diskurs eher destruktiv als durch optische Präsenz durch eigene Aufkleber beteiligen.
Exkurs 2: Kritik an RB in Stickerform
Exemplarisch nachvollziehen lässt sich der Stickerdiskurs in seinen vielen Facetten am Beispiel des Umgangs mit dem Fußballverein Red Bull Leipzig. Mittlerweile existiert ein beachtliches Spektrum von Pro-RB-Stickern, vor allem von Fanclubs bzw. -gruppierungen. (Ich habe allerdings noch nie einen DIY-Aufkleber oder Vergleichbares aus diesem Lager gesehen.) Zumindest im Westen von Leipzig halten sich diese Sticker im öffentlichen Raum nicht lang. Derzeit weniger häufig sichtbar sind professionell gefertigte Anti-RB-Sticker. Am häufigsten sieht man noch den ‚Nein-zu-RB-Aufkleber‘. In Halle hingegen fiel mir bei meinem letzten Besuch im Juli diesen Jahres die massive Präsenz von professionell gefertigten Anti-RB-Stickern auf, die sich in ihren Motiven stark von den in Leipzig sichtbaren unterschieden.
Besonders das Logo einer Anti-RB-Facebookgruppe erlangte jedoch (auch in Stickerform) einiges an Aufmerksamkeit, als Herr Schöler als Redakteur des mittlerweile eingestellten Stadtteilmagazins ‚Dreiviertel‘ hier ‚strukturellen Antisemitismus‘ zu identifizieren suchte (http://3viertel.de/Inhalte-Artikel-491). In seinem Artikel kritisiert Schöler, wohl nicht ganz zu Unrecht, die Gestaltung des Logos. Diese stellt eine Parodie auf das RB-Wappen dar: die beiden symmetrischen Stiere sind durch Ratten ersetzt, welche sich an eine Euromünze klammern (s. Bild). Ja, Ratten sind eine antisemitisch vorbelastete Metapher, die insbesondere in Verbindung mit dem negativen Bezug auf Geld die Interpretation des ‚Finanzjudentums‘ heraufbeschwören kann. Andererseits legt aber auch die marketingtaugliche Namenskonstruktion des Vereins ‚Rasenball‘ die Verballhornung zu ‚Rattenball‘ relativ nahe. Dass Kapitalismuskritik auch von Antisemiten argumentativ genutzt wird – geschenkt. Aber die Kritik an einem Marketinginstrument wie RB Leipzig mit unreflektierter Kapitalismuskritik gleichzusetzen und simultan mit ‚strukturellem Antisemitismus‘ zu betiteln, erscheint dann doch ziemlich abstrus. Was genau Herr Schöler mit seinem Artikel auch immer bezwecken wollte – man kann durchaus kritisch gegen den Verein RB Leipzig eingestellt sein und dies auch mit dessen astronomischem Etat begründen, ohne Antisemit zu sein. Dann sollte man aber auch konsequenterweise den gesamten Profifußball mit seinem unrealistischen und unverhältnismäßigem Finanzgebahren in diese Kritik einschließen.