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Kiffen, Koksen, Saufen, Rocken, Sterben

Da werden sich einige unserer Stammleser_innen beim Anblick des Titelbilds gefragt haben, ob sie wirklich den neuen Feierabend! in den Händen halten oder wir das libertäre Leipziger Leitmedium mittlerweile an die Springer AG verhökert und uns einen Altersruhesitz in Plaussig-Portitz zugelegt haben.

Nichts von alledem, nur die Erleuchtung höchstselbst war es, die uns ereilte. Man kann ja schlechtes über‘s Missionieren sagen und meckern, pöbeln, motzen – doch eines hat uns schlicht die Augen geöffnet und uns zu dieser Titelbildhommage inspiriert.

Ein Buch, so voller Wahrheit und Offenbarung, dass schon der Titel mir sündigem Empfänger ein Gefühl der himmlischen Geborgenheit gab, bevor sich die 37 packenden Reportagen gänzlich in mir entfalten konnten. Nicht einfach nur ein paar Schritte weiter von der Hölle entfernt, sondern die Rettung meiner Seele zum Greifen nah.

Ein kurzer Griff zum Katholikentag war es auch, der das kleine ergreifende Büchlein in meinen Besitz brachte und der Soulsaverin*, die sich aufopferungsvoll dem Verschenken des „DyingStars“ verschrieben hatte, ein Lächeln auf‘s Gesicht zauberte. Vom Greifenden zum Ergriffenen durch fesselnde Biografien verstorbener Stars wie Michael Jackson, Amy Winehouse und James Brown. Und neben den eingehenden Beschäftigungen mit Toten einer auf den Sex, Drugs & Rock‘n‘Roll-Punkt gebrachten Lebensweise auch höchst ironische Erkenntnisse wie in der Einleitung: „Party, Rausch, Musik und Sex und alles so oft und so exzessiv wie möglich. […] Das ist ganz schön kaputt und führt ins totale Elend. Einsam, krank und süchtig verenden sie als no name in irgendeinem dreckigen Loch.“

Richtig ernst wird es dann aber schnell, bspw. beim „Schriftsteller, Drogenkonsument und Waffenfetischist“ William S. Burroughs: „Er wurde 83 Jahre und ein reicher und berühmter Schriftsteller, der in dem letzten Drittel seines Lebens noch die erstaunlichsten Eskapaden in anderen Genres vollführte.“ Der Titel ist bei diesem Buch Programm, die meisten Biografien der verstorbenen Stars lesen sich, als hätten die Autor_innen hier wirklich selbst den Sex, die Drugs und den Rock‘n‘Roll im Blut.

Über Ahmet Ertegun, den Begründer von Atlantic Records, der sich nach erfülltem Musik-Leben und anderen unternehmerischen Höhepunkten im Alter von ebenfalls 83 Jahren auf einem Stones-Konzert durch einen Sturz eine Gehirnblutung zuzog, an der er später verstarb, heißt es: „Ein würdiger Rock‘n‘Roll-Abgang: Er starb wirklich für seine Leidenschaft!“

So klar die betörende Botschaft auch sein mag, rhetorische Fragen à la „Ist es wirklich so erstrebenswert, als Star in die Annalen der Geschichte einzugehen? Ist es wirklich erstrebenswert, ein Leben im rhythmischen Rausch zu führen?“ konnten mich nicht über die bittere Wahrheit hinwegtäuschen: „Alle Träume, die uns Hollywood und die Popindustrie verkaufen, werden spätestens mit dem Tod wie Seifenblasen zerplatzen.“ Hier holten mich die Autor_innen dann vom Himmel wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Durchsetzt werden die morbid-motivierenden Reportagen immer wieder mit Ratschlägen und Zitaten eines gewissen Jesus. Hier haben die Soulsaver mich leicht in die Irre geführt, letztlich aber wahren Einblick in die Tiefen des Rock‘n‘Roll bewiesen. Denn dass gerade der als Jesus Christ Allin geborene „commanding leader and terrorist of Rock‘n‘Roll“** GG Allin dem Buch posthum einen roten Faden verleihen darf, ist angesichts der mannigfaltig beschriebenen Exzesse eine Offenbarung ohnegleichen.

Eine unbedingte Leseempfehlung also, dieses kleine Büchlein mit dem gewaltigen Inhalt sollte seinen Platz neben jeder gut sortierten Feierabend!-Sammlung finden. Wer nicht das Glück hat, bei einem Katholikentag ein Exemplar persönlich überreicht zu bekommen, bestellt es am besten bei soulbooks.de zusammen mit dem Vorgänger „Rock im Sarg“. Im 100er Pack.

Danke Soulsaver, rock on!

shy

 

*http://soulsaver.de

**aus: „GG Allin Manifesto“

„Sagt mal – geht‘s noch?!“

… war meine erste Reaktion, als ich von der Selbstjustiz-Aktion einiger Wagenplätzler im April diesen Jahres erfuhr. Die behandelten laut L-IZ zwei mutmaßliche Diebe schlimmer als die Polizei, die herbeizurufen eines alternativen Projekts anscheinend nicht würdig ist. So wurden die Crystal-Junkies alternativ verhört, erkennungsdienstlich behandelt, bei der nachfolgenden Razzia um vermeintliches Diebesgut gebracht und zu guter letzt in einem größeren Email-Verteiler an den Pranger gestellt. Samt Fotos und genauer Wohnortsbeschreibung, versteht sich. Unrecht mit Unrecht zu begegnen kann aus moralischer Sicht nur falsch sein. Es stellen sich spannende Fragen: Ob die Prangernden wiederum an den Pranger zu stellen ebenso falsch wäre, ob Wagenplatzbewohner_innen ob ihrer alternativen Lebensform dennoch Solidarität verdient hätten und ob die Selbstjustiz nur Ausdruck der letztendlichen Bürgerlichkeit, des fehlenden emanzipatorischen Charakters von (Leipziger) Wagenplätzen ist. Was in jedem Fall bleibt ist ein fader Geschmack und die Erkenntnis, dass alternative Wohnformen nicht per se zu besserem Verhalten führen.

[shy]

Die Redaktion zieht…

… einen Schlussstrich

Schluss mit dem Gejammer, Schluss mit dem Selbstmitleid. Schluss mit der Grübelei um verpasste Chancen, verbunden mit der Angst sie kämen nicht wieder. Schluss mit der Trauer um unerfüllte Träume. Schluss mit dem Zweifel am eigenen Lebensweg.

Ich ziehe einen Schlussstrich hinter all die selbstgezüchteten grauen Hirnzermarterer. Sie kommen einfach nicht mehr über die Rote Linie. Denn Ich bin mein eigener Gott, kann selbst bestimmen, was mich prägen soll.

Ich zieh die Zügel selbst, setz meine rosa Brille auf und reite auf meinem lila Pferd namens Aufbruch erneut der Sonne entgegen. Will leben, lieben, lachen, lustig sein. Geh meinen eigenen Weg. Verfolge meine Ziele und werde dadurch unweigerlich neue Türen finden, die sich mir öffnen. Ich hab mein Leben in der Hand, bin Schmiedin meines eigenen Glücks. Zeit dieses Handwerk richtig zu beherrschen. Ich fange mit dem roten Schlussstrich an und lass meine trübe Tasse dahinter stehen.

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Und jedem Anfang ein neuer Zauber. An meinem Anfang steht der Wille. Solang der bei mir ist, ist alles möglich.

[momo]

 

… die Schublade auf

während sie am endlosen Schrank entlangstürzt, drin sind Stimmen, die nicht raus können, zwischen den Funken in der Schublade, die Flammen sein wollen.

[schlecki]

 

… von c2 nach c4

Von Rubinstein abgeguckt. Also Akiba, dem größeren Genie, nicht Artur.

Viel zu selten allerdings, dass ich überhaupt mal noch Figuren ziehe. Das Schachproblem im Feierabend! ist schon seit Jahren leider der einzige Anlass, mich an‘s Brett zu setzen. Dabei lobpreise ich bei jeder Gelegenheit die meditativen Möglichkeiten des Schachspiels und gerade die Entspannung, die sich beim Lösen eines Problems einstellen kann. Doch damit nicht genug, ist Schach immer auch Lebenshilfe. So wie man zieht, so steht man. Klingt wie eine beliebige Binsenweisheit, ist jedoch als eine von vielen Schachmetaphern auch eine kleine Stütze im Trubel der Gesellschaft. Denn ob man nun umzieht, es einen zu jemandem hinzieht, man sich auszieht, jemanden abzieht, was krasses durchzieht oder jemanden erzieht. Zug um Zug ändert sich die eigene Position und auch die anderer.

[shy]

 

Ich ziehe…

… mir mal wieder warme Socken an, ziehe dabei an einem Faden, der sich zieht und zieht bis die Socke dahingezogen ist. Ich ziehe mit dem Faden los. Ziehe dabei ein mürrisches Gesicht, denn ohne Socken zieht es an den Füßen. Meine Oma zieht den Faden wieder auf, nach links, nach rechts, nach links, nach rechts, sie zieht und zieht, damit ich mir wieder warme Socken anziehen kann.

[mv]

 

hier niemanden durch den Kakao

Dazu ist die Metapher einfach zu altbacken. Außerdem ist es interessanter und relevanter, Dinge und Zustände als Personen durch den Kakao zu ziehen. Aber so große Kakaogefäße finden sich auch eher selten. Und besser werden die Dinge durch zuckrige Schmierschichten sowieso nicht. Also Dinge und Zustände lieber kritisieren und den Kakao der betreffenden Person ins Gesicht schütten. Oder eben einfach trinken – besonders empfehlenswert in Hinsicht auf den sich nähernden Winter.

[wasja]

Die Redaktion … fährt

fixed

Wie es sich für ordenliche anarchistische Hipster in Hypezig gehört, fahre ich ein Fixie. So ein Fahrrad mit starrem Gang, Ihr wisst schon. Kein Leerlauf, kein Rücktritt. Da kann ich an der Kreuzung stehend auf dem Rad balancieren und den ganzen zurückgebliebenen Normalos zeigen, wie cool ich bin. Oder mir von zugezogenen Teens Respekt zollen lassen, wenn ich an ihren Bremsmanövern und Beschleunigungsversuchen vorbeiziehe und auf die Frage „Ist das auch ein Fixie, Digger?“ mit ebensolchem Bremsmanöver antworten kann, so dass ich auch da ein ehrenvolles „Cool, Digger!“ als Anerkennung erhalte. Hach ja… Fixie fahren ist eben weitaus mehr als ein runder Tritt und das Einswerden der Beine mit den Pedalen, des Körpers mit dem Rad. Es ist Lifestyle, purer Lifestyle. Auch mit dem Flat Bar werde ich mich noch anfreunden, die passenden Karten für meine Rückgradspeichen suche ich noch. Soll ja schön individuell sein, so ein Fixie. Mich repräsentieren und meinem höchsteigenen Subjekt Geltung verschaffen in der Welt der Uniformitäten. Ich fahre Fixie, also bin ich ich.

(shy)

…nicht Fahrrad

Von meinen lieben Mitanarchist_innen beim Feierabend! bin ich mittlerweile ein paar Mal gefragt worden, warum ich zur Überbrückung der Distanzen zwischen Redaktions- und Wohnraum denn nicht ein Fahrrad nehme, die Strecke zu Fuß zurück zu legen, dauere doch zu lange und sei bestimmt recht anstrengend. Und mit beidem haben sie recht! Doch irgendwie gefällt mir das Laufen. Es ist meditativ. Oder um es mit Milan Kundera zu sagen, man spürt sich selbst, Alter und Gewicht.

(carlos)

… ab auf Literatur!

Ich weiß nicht, seit wann es so ist. Früher konnte ich mich nie wirklich dazu aufraffen, ein paar Seiten Belletristik am Stück zu lesen. Je älter ich werde, desto mehr scheint sich dies zu ändern. Es liegt nicht mal am Inhalt der Bücher, denk ich. Was mich mehr interessiert, ist der Stil, in dem das Werk geschrieben wurde. Metaphern, Allegorien, Bildnisse, wortgewaltige Reden, inspirierende Formulierungen, flinke und scharfe Witze und seltene Begriffe, die man sonst nie oder nur kaum im Leben so hört. Insgeheim suche ich wohl immer nach Inspiration. Die Sprache erscheint mir wie ein riesiges Kochbuch, aus dem wir meist nur die simpelsten Nudel- und Reisgerichte nutzen. Ein gutes Buch ist da wie ein Besuch in das feine Nobelrestaurant. Und danach denkt mensch sich: Kann ich das nicht auch vielleicht? Manche mögen mit meinen Gedanken nichts anzufangen wissen. Was spielt es für eine Rolle, wie man sich im Alltag ausdrückt? Wäre es nicht lächerlich, wenn sich Menschen so hochgestochen und langatmig ausdrücken würden, wie sie dies teilweise in der Literatur machen?

Vielleicht, aber ich glaube doch, dass sprachliche Kreativität ungemein wichtig ist. Ich denke, dass in seiner Sprache jeder ein kleiner Künstler sein kann! Vielleicht hat man zu unruhige Hände für das Malen und Zeichnen, zu wenig Geld und Zeit um Musik zu lernen oder zu wenig Geschick und räumliches Verständnis, um sich Faltarbeit wie Origami zu widmen. In seiner eigenen Gedankenwelt kann mensch hingegen immer rumstöbern und neue Assoziationen ausgraben, wie in einer frischen Goldgrube, um seinen Gedanken und Gefühlen die richtige Form zu geben. Die demokratische Kunst überhaupt, könnte mensch meinen. Die Dichtung gehört ja auch zu den ersten Künsten, die in der Antike bereits einige ihrer Höhen erklommen hat. Aber ach Gott, Gefühle! Die empfindet mensch ja heute als eher nervig und störend (die eine Bevölkerungshälfte wohl mehr als die andere). Vielleicht dichtet mensch heute deshalb ja nicht mehr so gern. In meiner Schulzeit hat glaub ich nie irgendjemand freiwillig gern gedichtet und es dann auch noch vorgetragen. Durch Wortwahl und Ausdrucksweise entblößt mensch sich ja vielleicht mehr als durch das Abfallen seiner Kleider. Gefühle, die Schamteile des Menschen?

(alphard)

… frei Bahn und aus der Haut

Man geht durch die Straßen, setzt sich in die Bahn und plötzlich ist die Batterie des MP3-Players alle. Auf einmal ist man mittendrin im alltäglichen Wahnsinn, und nicht nur die beißenden Gerüche fallen einem stärker auf und lassen leichte Übelkeitsgefühle entstehen, sondern ebenso kommt hinzu, dass man sich der laufenden Gespräche der Mitfahrenden nicht weiter des Hörens entziehen kann. Von rassistischen Äußerungen bis kruden, nach Mobbing mutenden Sprüchen von Halbwüchsigen ist die ganze Palette vorhanden. Ganz zu schweigen von Eltern, die die Versuche ihrer Kinder, Aufmerksamkeit zu bekommen, ignorieren oder gar niedermachen. Vor ein paar Tagen las ich einen Spruch, an den ich mich nicht mehr zur Gänze erinnern kann, aber er ging in etwa so: „Deutschland definiert: Alle sitzen in der Bahn und gucken grimmig. Ein Kind lacht. Die Eltern schimpfen, bis es genau das Gleiche macht.“ Erstaunlich passend, wenn man sich die Leute in der Bahn betrachtet. Ein paar Haltestellen weiter steigen dann Kontrolleure hinzu und man macht, dass man schleunigst aus der Bahn kommt. Skeptisch hinterher guckend zücken sie bereits ihr Scan-Gerät.

Aus der Bahn raus überlegt man, auf die nächste zu warten oder einfach den Weg zu Fuß fortzuführen. Die Entscheidung geht zum Laufen.

Als es nach wenigen Minuten zu regnen beginnt, stellt man sich dann schon die Frage, ob das jetzt ernst gemeint ist. Aber wie auch immer, es ändert ja nichts. Eh man sich versieht, fährt dann ein Auto in gefühlter Höchstgeschwindigkeit durch eine durch ein Schlagloch entstandene Pfütze. Klasse. Aber weiter. Noch im Tran bemerkt man nicht, dass ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit hinter einem ein Fahrrad anrollt und so knapp vorbei fährt, dass man fast noch hin fällt und bei dieser Gelegenheit tritt man dann gleich noch selber in eine Pfütze und man beginnt zu überlegen was zur Hölle man denn falsch gemacht hat. Entnervt kommt man dann seinem Ziel näher und bemerkt, dass man wohl den Schlüssel vergessen hat, und ein pöbelnder Mensch, der augenscheinlich mit einem Alkoholproblem zu kämpfen hat, plärrt einen sinnentleert voll. Erfolgreich entkommen geht man nun Nummern im Handy durch, um aus der entstandenen Misere zu entkommen. Es regnet noch immer, mittlerweile aber als leichter Nieselregen, doch nun kommt noch ein toller Wind hinzu. Ans Handy scheint keiner zu gehen. Gut, dann eben zurück. Diesmal aber wieder mit der Bahn. Ja – Glück gehabt, da kommt sie bereits. „Endlich mal was Gutes“, denkt man sich, um sich etwas zu beruhigen, und lässt sich erleichtert auf den Sitz fallen. Den Kopf ans Fenster gelehnt und mit zynischem Lächeln über den bisherigen Tag, als vom hinteren Ende der Bahn ein Mensch auftauchte. Ein Mensch, den man bereits am gleichen Tag gesehen hat. Doch nicht auf den Menschen achtet man, nein. Denn er hält ein Gerät in der Hand, und feist grinsend kommen die Worte: „Fahrausweis bitte“ über seine Lippen.

(R!)

.weeeeiiiit weg.

Auch wenn ich aus Teilen der Redaktion dafür kritisiert werde, dass es inhaltlich falsch ist, vom Fahren zu sprechen, wenn ich doch nach Indien fliege, schreib ich hier jetzt trotzdem weiter.

Denn ich fahr mit einem modernen Luftschiff namens Flugzeug.

Viel spannender als die korinthenkackerische Begrifflichkeit ist aber derzeit mein Gefühl zur bevorstehenden gut drei Monate dauernden Reise. Gute Frage. Im Moment wird mögliche Vorfreude durch den Stressfaktor verhindert. Zu viele Punkte auf der ToDo-Liste, die vorher abgehakt werden müssen, damit es endlich losgehen kann. Aber irgendwie ist dieses Gestresstsein auch nicht wirklich ein neues Gefühl, wenn ich so an meinen Alltag denke…

Wenn ich dann doch mal Zeit habe, über Indien zu sinnieren, dann fällt mir auf, dass ich eigentlich gar nicht groß weiß, was mich erwartet. Aber ich freu mich trotzdem darauf. Oder gerade deshalb? Warum – weil ich Fernweh habe. Weil ich raus will. Weil ich neugierig bin. Weil mich fremde Welten interessieren und faszinieren. Angst hab ich eigentlich nur vor mir selbst: dass ich schlecht damit klar komme, mitunter viel krasse Armut zu erleben und gleichzeitig vielfach meinen Stempel als reiche Weiße zu bekommen. Damit umzugehen und sich selbst treu zu bleiben wird eine Herausforderung. Aber daran kann ich wachsen. Ja, ich freu mich darauf nach Indien zu fahren.

(momo)

Die Redaktion demonstriert…

…gegen Pro Deutschland in Connewitz

Die rechte „Bürgerbewegung“ Pro Deutschland will groß rauskommen. Zum diesjährigen Wahlkampf startete sie deshalb eine große Tour durch diverse deutsche Städte und gastierte am 16. September mit ihrem Bürgerbewegungs-Bus auch in Leipzig, um dort u.a. in der Nähe des Conne Island eine zweistündige Kundgebung abzuhalten.

Momentan ist die Bürgerbewegung aber noch klein. Gerade mal fünf Leute schienen da zu stehen, obwohl auch das nur gemutmaßt werden konnte. Die Polizei war mit gut zwanzig Mannschaftswagen vor Ort, und von diesen wurde die Kundgebung nun derart fachmännisch umstellt und zugeparkt, dass sie gar nicht mehr zu sehen war. Nur eine einzelne Deutschlandfahne war zu erkennen, die einer da gelegentlich hinter den Polizeifahrzeugen schwenkte. Etwa fünfzig Linke hatten sich eingefunden und beobachteten das klägliche Treiben. Die Redebeiträge waren selbst von der gegenüberliegenden Straßenseite nur schwer bis gar nicht zu verstehen – die kleine Bewegung konnte sich vermutlich keine großen Lautsprecher leisten. Aber vielleicht hat sich ja der eine oder die andere der umstehenden Polizist_innen von diesem Auftritt überzeugen lassen.

Sonst noch was? Ja, am Ende der Veranstaltung nutzte ein unbekannter Chaot noch fix die Gelegenheit, eine Silvesterrakete in Richtung der Kundgebung abzuschießen – die alten Böller müssen ja auch irgendwann weg… Aber auch dieser Versuch, der lahmen Aktion ein wenig Glamour zu verleihen, verpuffte wirkungslos auf halber Strecke. Vielleicht ein kleiner Tipp zum Schluss: Beim nächsten Mal das Spritgeld sparen und dafür bessere Lautsprecher kaufen.

justus

…im Protestcamp mit den Flüchtlingen in Bitterfeld

Die Unterkünfte Friedersdorf und Marke im Landkreis Anhalt-Bitterfeld/Sachsen-Anhalt sind, wie so viele andere Sammelunterkünfte auch, isoliert von Aktivitäts- und Kontaktmöglichkeiten und ohne Privatsphäre. Die Kritik der Zustände bestand schon seit längerem, jedoch ohne, dass von Seiten des Landkreises was passierte. Daraufhin schlossen sich am 1. August hier mehrere Flüchtlinge zusammen, errichteten auf dem Bitterfelder Marktplatz ein Protestcamp und traten in einen Hungerstreik – insbesondere, um sich für verbesserte Unterbringungsbedingungen und das Recht auf Arbeit einzusetzen. Der Streik endete nach 16 Tagen, als die Landesintegrationsbeauftragte vor Ort ins Gespräch kam und einen Runden Tisch mit den zuständigen Behörden und handelnden Personen einberief.

Nun bleibt abzuwarten, ob sich für die Menschen tatsächlich etwas ändern wird. Im Rahmen der Möglichkeiten von kommunalen Ausländerbehörden bzw. Sozialämtern der Landkreise liegen immerhin Aspekte wie Sozial­leistungen, medizinische Versorgung d.h. Überweisung zum Facharzt und Therapien, Arbeitserlaubnisse, Erteilung der Verlassenserlaubnis zur Reise in andere Bundesländer sowie Abschiebungs­anordnungen. Hoffentlich bald nicht mehr zu Ungunsten der Betroffenen. Für ein Recht auf Rechte!

mona d.

… bei einer Fahrraddemo gegen die ­staatlichen Repressionen in Russland

Der unmittelbare Anlass war der gewaltsame Übergriff der russischen Spezialeinheit Omon auf das transnationale Austauschtreffen Vostok Forum bei Murmansk. Das Forum war von der deutschen Netzwerk AG Russland mitorganisiert worden. Dieser Angriff reiht sich ein in eine Kette repressiver Aktivitäten gegen regimekritische Menschen in Russland. Am bekanntesten dürfte die Verurteilung der Punkband Pussy Riot wegen Blasphemie sein. Dort hört es jedoch nicht auf. Seit 2012 müssen sich russische Nichtregierungsorganisationen als „ausländische Agenten“ registrieren lassen, um Geld aus dem Ausland erhalten und politisch tätig sein zu können. Und die Kriminalisierung geht weiter. Das neue „Homo-Propaganda-Gesetz“ verbietet es, in Anwesenheit von Minderjährigen oder in öffentlichen Medien positiv über gleichgeschlechtliche Lebensweisen zu sprechen.

All dies war Grund genug, am 13. August 2013 in Leipzig von der Blechbüchse zum russischen Generalkonsulat in Gohlis zu ziehen. Der bunte Haufen wurde eifrig vom Konsulatsmitarbeiter abfotografiert. Ob nur für die Pressemappe oder um beim nächsten Visaantrag seine Kritiker zu erkennen, wird sich zeigen. Solidarität mit den Betroffenen staatlicher Repressionen in Russland! Informiert Euch und andere!

wanst

www.ag-russland.de

… beim ­­diesjährigen Leipziger Christopher Street Day, Motto: „L(i)eben und L(i)eben lassen“

Meinen ersten Eindruck vom CSD prägten neben dem mit Ständen gefüllten Marktplatz und der sich vor dem sich Rathaus formierenden Demonstrationszug vor allem drei Junggesell(inn)­enabschiede, die dem Ganzen einen gewissen realistischen Rahmen boten. Die Frauengruppe in schwarz-pink war gar nicht weiter erwähnenswert. Die sieben Männer hingegen, die betrunken gröhlend ihren im rosa Tütü gekleideten Jungesellen anfeuerten und CSD-Besucher_innen von ihrem Party-Tandem zuwinkten, ernteten wenig verwunderte oder gar ablehnende Blicke. Im Gegenteil – die Leute vom Marktplatz winkten teilweise freundlich zurück. Für mich eine fast surreale Situation.

So wunderte ich mich dann aber nicht mehr über einen Stand der Jungen Union, freute mich hingegen über einen der Queeramnesty Leipzig. Den ersten Redebeitrag der Demo verfolgte ich mit Interesse, hatte ich doch das Glück, hinter dem Wagen der Redner_innen zu sein, während auf dem zweiten Wagen munter die Partymusik weiterlief. Besonders der Redebeitrag der diesjährigen Schirmherrin Lucie Veith (Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V.) war hörenswert. Sie erklärte, dass zum ersten Mal nicht nur LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans), sondern explizit auch Intersexuelle mit angesprochen und sich mit ihnen (v.a. im Kontext von Genitalverstümmelungen) solidarisiert werden sollte. Es war diesmal also ein CSD von und für “LGBT(I)”, was sich auch im Motto widerspiegelte. Und für Heten war auch Platz. 😉

shy

Die Redaktion … hört

Vinyl, best sound since 1930, your local record dealer

Knacksen und Knistern, Rauschen und Springen. Das schwarze Gold klingt nicht immer sauber, aber das macht es nur umso menschlicher. Die Tiefe der Bässe, das durch die physischen Übergänge der Klangspitzen entstehende Wärmegefühl, das von Vinylliebhaber_innen immer wieder gelobt wird, die prinzipielle Haptik und eine Umdrehungszahl, die dem menschlichen Auge gerecht wird. Und immer wieder Unsauberheiten, die eine Anziehung ausstrahlen wie das ewige Versprechen von Freiheit.

Empfohlen sei exemplarisch der von DJ Premier produzierte Beat „Statik“, auf den Jeru the Damaja rappen darf. Die knisternde klAuslaufrille geloopt und mit schlichten Drums und Bass hinterlegt, ist eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür, wie gut Staub klingen kann. Auf Vinyl!

shy

Los Fastidios

Los Fastidios ist eine Streetpunkband aus Verona, die im Jahr 1991 gegründet wurde. Ihre Musik setzt sich aus kraftvollen Hardcore und Oi Punk zusammen, aber auch die melodischen Einflüsse aus Rock ‘n Roll und Ska sind deutlich herauszuhören. Durch diese musikalische Vielfältigkeit und durch Texte in italienischer und englischer Sprache entstehen abwechslungsreiche Alben und Konzerte. Die Band bezieht in ihren Texten eine eindeutig linke Stellung. Themenschwerpunkte, die sie dabei aufgreift, sind hauptsächlich sozialkritische politische Themen und Fußball. Eine Band, die vom politisch aktiven Ska-Tänzer bis zum antifaschistischen Fußballfan alles abdeckt und sich zu einer meiner Lieblingsbands entwickelt hat.

Klaus Cancely

Astrid Lindgren

Ob Karlsson vom Dach, Lotta aus der Krachmacherstraße, die Brüder Löwenherz oder Mio, mein Mio. Alle Geschichten von Astrid Lindgren sind mir, wie so vielen, bekannt. Und immer noch schaffen es diese Geschichten mich mitzunehmen auf eine Reise weit weg von hier, der Realität. Wenn ich die Zeit über Bord werfe und pfeife: „Faul sein ist wunderschön!“

Vogel

Kythibong 10th Anniversary Compilation – „Décennie: Couverture“

Kythibong, was´n das? Antwort: ein sympathisches kleines Label aus Frankreich, das ebenso wie unsere Postille vor Kurzem gerade sein zehnjähriges Bestehen feierte. Dazu gibt´s eine Compilation mit einem ebenso einfachen wie bestechenden Konzept: 18 Bands (die meisten ziemlich unbekannt, dafür aber gut) sind hier versammelt und covern sich gegenseitig. Das Ergebnis ist stilistisch gemischt, zwischen elektronischem Vier-Vierteltakt und instrumentalem Gitarrengefrickel, dazu Indierock, hippiesker Folk, Pop mit komischen Geräuschen drin und vieles mehr. Durchgehend hörenswert und von vorn bis hinten unterhaltsam. Gibt´s auch zum kostenlosen Download unter www.kythibong.org/KTB31/KTB31.html

justus

Zeckenrap: tight oder whack?

Rap als Mittel, um politische Inhalte zu vermitteln? Die Verbindung zwischen beiden ist sicher nicht neu – schon Public Enemy haben den Sprechgesang als Transportmedium für gesellschaftskritische Botschaften genutzt. Neu ist dagegen das Stichwort „Zeckenrap“, unter der diese Verbindung heute verstärkt verhandelt wird und mediale Aufmerksamkeit erfährt. Künstler_innen wie Neonschwarz, Sookee, Refpolk und andere texten gegen die herrschenden Verhältnisse, gegen Sexismus, Homophobie, Nationalstolz und alles Schlechte in der Welt. Natürlich ist solche klare Positionierung und das politische Engagement der Zeckenrapper_innen allemal sympathisch. Aber ist nicht ein wenig zu verbissen? Kommt dabei nicht die Sprachkunst zu kurz, der Flow, oder vielleicht auch die politischen Inhalte selbst, wenn aus jedem Refrain eine Parole wird? Logisch – das mag letztlich reine Geschmacksfrage sein, und über Geschmack lässt sich bekanntlich endlos streiten. Also machen wir das einfach mal! Willst du Battle, kriegst du Battle!

PRO:

„Zeckenrap“. In letzter Zeit hörte man diese Bezeichnung durchaus öfter – gerade in der linken und anarchistischen Szene. Aber auch auf Seiten wie rap.de gewinnt er langsam an Aufmerksamkeit. Aber was ist es und warum sollte man es hören? Sind es nur gerappte Parolen und ist das immer schlimm? Mehrmals hörte ich auch Stimmen, welche die Qualität des Gehörten kritisierten. An dieser Stelle möchte ich einmal auf gestellte Fragen eingehen.

Die Schlange ist lang. Alles läuft ein wenig unorganisiert, aber irgendwann ist man doch drin. Anfang des Jahres im SO36 in Berlin. Dort fand sie statt – die erste Zeckenrap-Gala. „Wir wollen der Szene nicht die Hand reichen – wir sind mehr so anschleichen, angreifen, brandzeichen tick tick boom!“ Da wird der/die geneigte Höhrer_in doch aufmerksam. Aha, was ist denn das? Und hört man weiter, kommen schnell Antworten. Es sind Leute wie Sookee, Johnny Mauser und Kurzer Prozess, welche dort auftreten. Die Texte sind vielfältig. Gesellschaftliche Missstände, wie die Vereinsamung von Individuen durch den Arbeitswahn (z.B. „Rain“ von Neon­­schwarz) oder Rassismus. Auch Anti­homophobie und Antisexismus sind Themen. Aber ebenso ganz anderes, dem Leben entsprungenes. Zeckenrap bietet also die ganze Palette an, und das Vorurteil, dass nur Parolen gerappt werden, kann sehr schnell behoben werden.

Natürlich werden Themen klar und unmissverständlich angesprochen, das ist langsam aber sicher auch mal bitter nötig bei einer Hip-Hop Szene, die leider immer noch sehr stark von Sexismus, Rassismus, Homophobie und Ähnlichem dominiert wird. Dass man dadurch bei manchen Menschen aneckt, ist unausweichlich. Aber was wäre der andere Weg? Die Themen weiterhin totschweigen? Wohl eher nicht. Ich höre schon die Stimmen der Menschen, die nun einwerfen: „Aber man muss es doch nicht so deutlich sagen und einfach besagte -ismen nicht gebrauchen, und außerdem darf doch die Sprache nicht derart eingeschränkt werden, nur weil manches plötzlich nicht mehr PC ist.“

Nun – zum Einen: Ja sicher, das gehört auch dazu und das muss auch nicht bei jedem Song immer gesagt werden. Aber es braucht meiner Ansicht nach auf jeden Fall Texte, bei denen Thematiken direkt kritisiert werden, um ein Umdenken anzuregen, auch wenn sich dadurch erst mal Einige „auf den Schlips getreten fühlen“. Und zum Anderen: Wenn man es für einen Verlust hält, wenn Bezeichnungen wie „Hurensohn“ u.ä. nicht mehr verwendet werden und man sich dadurch in seinem/ihrem Sprachgebrauch behindert sieht, dann sollte man vielleicht mal die eigene Einstellung überprüfen und überlegen, warum einem das denn so wichtig ist und ob es nicht andere Wege, Begriffe und Arten gibt, etwas auszudrücken.

Die Entwicklung schreitet schnell voran. Und Zeckenrap ist durchaus nicht immer gleich. Die Bezeichnung „Punk-Rap“ ist auch bereits gefallen, z.B. Special K. Marie Curry singt und rappt gleichermaßen. Die Beats sind wechselnd, mal an den klassischen Rap angelehnt, mal mit Electroklängen versetzt. Natürlich gibt es immer Menschen, denen dies und das nicht zusagt. Dafür ist Musik einfach auch Geschmackssache und über Geschmack lässt sich natürlich immer streiten.

Meiner Ansicht nach ist Zeckenrap eine echte Bereicherung für die „Rapszene“ – er wühlt auf, eckt an und regt Debatten an. Von mir gibt es ein eindeutiges PRO.

R!

CONTRA:

Rap als Mittel der Meinungsäußerung – eingängig, wirksam, mit viel Potential, nicht nur, was die Textfülle betrifft. Kein Wunder also, dass soziale Konflikte nicht nur in der Hip-Hop-Kultur immer wieder mittels Rap thematisiert wurden. Seien es Rassismus, Polizeigewalt oder die üblichen Probleme, die so ein Kapitalismus mit sich bringt.

Doch was heutigen deutschsprachigen „politischen Rap“ vom ursprünglichen, in der Hip-Hop-Kultur angesiedelten veränderungswilligen Sprechgesang unterscheidet, ist die soziopolitische Verortung der Musiker_innen und die damit einhergehende linksradikale Attitüde. Gerade in einem Land wie der BRD, in der die deutsche Vergangenheit tiefgehende politische Beschäftigung und ebenso tiefe Gräben zwischen linken Spektren ausgelöst hat, ist Rap kaum mehr ein Mittel, mit dem Unüberzeugte agitiert werden können. Im Gegenteil sind mit Beats unterlegte Kampfparolen ein noch schlechteres Mittel als Flugblätter auf Demonstrationen. So wie die Demos, die von massiver Staatsgewalt umrahmt nicht nur räumlich vom Rest der Gesellschaft isoliert werden, so isolierten sich über die Jahre auch linke Rapper_innen, die sich textlich radikalisierten. Anarchist Academy hätte schon in den 90ern als warnendes Beispiel dienen sollen. Den Mangel an Flow und Rhythmusgefühl mit dem aggressiven Style brennender Barrikaden zu ersetzen, führte nicht zum erhofften revolutionären Anstoß. Im Gegenteil, die Combo stieß damit in der Rap-Szene auf Widerstände, die eine Rezeption ihrer im Grunde inhaltlich wertvollen Texte behinderten. Die rebellische Attitüde, die Public Enemy noch zum Welterfolg verhalf, ist in Zeiten der immer stärkeren musikalischen und politischen Ausdifferenzierung eher ein Stein im Weg der „Aufklärung“ der Massen. Und sei es nur der jugendlichen Massen.

Doch nicht nur für agitatorische, aufklärerische Inhalte sollte gelten, sie besser in vermittelbare Form zu bringen. Auch das klassische Empowerment in Texten, die auf’s erste Hören unpolitisch daherkommen, birgt ein weitaus größeres emanzipatorisches Potenzial als der radikale Duktus, mit dem mitunter gegen Bullen und Kapital angesungen wird. Lieber guter Rap mit Liebe zum Hip Hop und dem ein oder anderen gesellschaftskritischen und politischen Einschlag als politischer Rap, bei dem die Form um den Text herum austauschbar geworden ist und lediglich dem Zeitgeist folgt.

Wie auch die Bezeichnung „Zeckenrap“, die mittlerweile als probate Eigen­beschreibung einer subkulturellen Identität zu Selbstvertrauen verhilft, gleichermaßen ein Symbol für das abschreckende Moment heutigen politischen Raps ist. Die meisten Menschen wollen nicht agitiert werden, sie wollen die Wahrheit nicht übergeholfen bekommen. Auch nicht mit musikalischen Mitteln. Es sollte eher gelten, Rap als Mittel zu erkennen, mit dem Inhalte vermittelt werden können, nicht vertont. Es sollte gelten, in erster Linie Musik zu machen. Musik, die durch ihre Authentizität den Themen Gehör verschafft, da wo eine politische Überladung nur den Zugang versperrt. Freilich nicht für die linksradikale Szene, die gern Rap hört, selbst. Dort funktioniert Zeckenrap als identitätsstiftendes (sub)kulturelles Medium hervorragend. Aber es wird aus diesem Sumpf heraus niemand in die Breite der Gesellschaft, und sei es nur der Hip-Hop-Kultur, Botschaften senden können wie einst Looptroop mit „Fort Europa“ oder KRS One mit „Sounds Of The Police“. Übrigens kein Zufall, dass KRS auf dessen B-Seite mit „Hip Hop vs. Rap” den grundlegenden kulturellen Punkt gleich mit ansprach: Rap will gelebt werden. In einer Kultur, die dieser Ausdrucksform einen sozialen und künstlerischen Rahmen bietet. Daher ist dies weniger ein Contra politischer Rap, als vielmehr ein Pro Rap und Pro Hip Hop.

shy

Nebenwidersprüche

Erster Schritt zur Privatisierungsbremse

Na, schon das Bürgerbegehren für eine Privatisierungsbremse unterschrieben? – Ach, noch nicht mal davon gehört …

Die Initiative hat sich die Aufgabe gestellt, ein Bürgerbegehren in den Stadtrat einzubringen. Das Thema: die Privatisierung kommunalen Eigentums der Stadt Leipzig. Unternehmen, Einrichtungen und Immobilien der Stadt Leipzig, die dem Gemeinwohl dienen (z.B. Verkehrsbetriebe, Wasser- und Energieversorgung), sollen nicht an private Investoren verkauft werden dürfen. Als Reaktion auf Privatisierungsdesaster in aller Welt entsteht eine Bewegung, die sich die Sicherung kommunalen „Tafelsilbers“ auf die Fahnen geschrieben hat. In Leipzig ist der erste Schritt mit über 25.000 gesammelten Unterschriften getan. Nun wird das Begehren formal geprüft und schließlich muss der Stadtrat über die Annahme oder Ablehnung entscheiden.

Bremen hat Ende August 2013 die sog. „Privatisierungsbremse“ als erstes Bundesland in die Verfassung aufgenommen. Öffentliche Unternehmen dürfen dort künftig nur nach einem Volksentscheid verkauft werden. So werden die Unternehmen und Einrichtungen noch am ehesten den Zweck erfüllen, zu denen v.a. die Versorgungsdienstleistungen ursprünglich angedacht waren – der Sicherung der Grundversorgung der ansässigen Menschen.

Nötig wird die Privatisierungsbremse in Leipzig auch, weil der Bürgerentscheid vom Januar 2008, bei dem ein Großteil der Wähler_innen auf die Frage:

„Sind Sie dafür, dass die kommunalen Unternehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100% in kommunalem Eigentum verbleiben?“

mit Ja antworteten, nicht bindend für den Stadtrat ist. Die meisten Stadtratsmitglieder haben zwar aus den schlechten Erfahrungen der Privatisierungen der letzten Jahre gelernt. Doch sind solche Einsichten nicht viel wert in einer Gesellschaft von Schmiergeldern und Lobbyismus. Und so kann der „Ausverkauf der Stadt“ derzeit lediglich über eine gesetzlich festgeschriebene Privatisierungsbremse im Zaum gehalten werden. Revolution ist ja grad irgendwie nicht in Sicht.

shy

Die Unterschriftensammlung geht weiter, denn noch ist das Bürgerbegehren nicht in Sack und Tüten. Informationen: privatisierungsbremse.wordpress.com/

Lokales

E-Petitionen: Fluch oder Segen?

Im World Wide Web stolpern wir inzwischen ständig über die verschiedensten Petitionen. Mit unserer Unterschrift können wir fast gleichzeitig gegen Schulschließungen protestieren, versuchen konkrete Abschiebungen zu verhindern und uns gegen die GEMA stark machen. Petitionen liegen irgendwie im Trend, durch ihr „Mitmachelement“ Unterschrift sind sie Medium und Startegie zugleich. Doch ihre zweifelhafte Wirksamkeit befördert auch ihre Kritiker_innen. Entwaffnen sich damit linke Initiativen und soziale Bewegungen selbst? Oder sind E-Petitionen zur Beförderung ihrer Sache nicht doch eine (neue) Chance?

PRO:

Wer sich heutzutage erfolgreich gegen konkrete gesellschaftliche Missstände einsetzen will, kommt an Online-Petitionen nicht vorbei. So naiv eine Überschätzung der Wirkung von Petitionen zwar wäre, so fahrlässig wäre auch die generelle Ablehnung selbiger.

Ihr größtes Potential liegt in ihrer Beliebtheit, denn dadurch werden verschiedenste, aktuelle Themen und konkrete Belange in die breite Öffentlichkeit getragen. So können innerhalb kürzester Zeit Infos gestreut und Menschen mobilisiert werden – mit einer Pressemitteilung hingegen wird heutzutage kaum noch jemand hinterm Ofen vorgelockt. Zudem sind Petitionen ein Handlungsmittel „von unten“, denn jede_r kann eine Petition einrichten; dafür braucht mensch nicht einmal eine Organisation im Rücken.

Qualitativ unterscheidet sich die Petition vor allem durch ihr Unterschriftselement von der klassischen Pressemitteilung. Während man letztere lesen und wieder vergessen konnte, regt die Petition zur eigenen Positionierung an. Wird das Anliegen für unterstützenswert gehalten und die Unterschrift gesetzt, dann ist schon ein erster Schritt getan, weil Auseinandersetzung bzw. Bewusstwerdung passiert ist. Natürlich dürfen Petitionen nicht mit Engagement verwechselt werden und ersetzen dieses mitnichten. Wohl aber muss mensch diejenigen, die eine Petition unterstützen, nicht mehr vom Anliegen überzeugen – sondern kann darauf aufbauend zur weiteren Aktivierung, z.B. durch direkte Aktionen anregen, um wirklichen Druck für das konkrete Anliegen aufzubauen.

Die Petition selbst wird ja als Zeichen des Protestes und mit der konkreten Aufforderung, bestimmtes Handeln zu unterlassen/zu verändern o.ä., an den entsprechenden Schaltstellen der Macht eingereicht. Selbst wenn die Hoffnung auf Veränderung dann meist enttäuscht wird – vor allem, wenn keine begleitenden Massenproteste und Aktionen stattfanden – so hat sie dennoch einen wichtigen Effekt: Ihre Empfänger setzen sich (mehr oder weniger intensiv) mit dem Gedanken auseinander, dass ihr Handeln auf breite Gegnerschaft in der Bevölkerung stößt. Bestimmte Institutionen, wie die Ausschüsse im Bundestag, sind darüber hinaus verpflichtet aufgrund von (erfolgreichen) Petitionen den Sachverhalt erneut zu prüfen und eine weitere Stellungnahme im Bundestag abzugeben. Vor allem auf lokaler Ebene erzielen sie auch öfter ihre gewünschte Wirkung, bspw. bei der Verhinderung von konkreten Abschiebungen (1). Vor allem aber können Petitionen für uns selbst nützlich sein: zum Beispiel, um die eigene Argumentation in Alltagsdiskussionen zu untermauern. Denn es wirkt schon verstärkend, wenn nicht nur ich aus guten Gründen die EU-Richtlinie zur Wasserprivatisierung scheiße finde, sondern mit mir noch über eine Million Andere. Kurzum: selbst wenn auf die Forderungen der Petitionen nicht eingegangen wird, so spiegeln sie dennoch verbreitete Protesthaltungen und Meinungen wider und machen Stimmungen in Teilen der Bevölkerung präsent. Diese zu kennen ist wiederum eine wesentliche Voraussetzung, um nicht über sondern mit den Menschen Politik zu gestalten – egal auf welcher Ebene.

Schlussendlich fördern Petitionen auch ein allgemeines kritisches Bewusstsein. Denn es gibt auch viele im Netz kursierende Petitionen, die inhaltlich fragwürdig oder problematisch sind. Angesichts ihres „Trends“ werden es sogar zunehmend mehr. Wo mensch seinen „Otto“ drunter setzt, sollte daher wohl überlegt sein.

Festzuhalten bleibt: Petitionen sind sicher nicht DAS Element, um die Verantwortlichen zu Veränderung zu zwingen, wohl aber sind sie DAS Element, um heutzutage an der Basis ansetzend viele Menschen zu erreichen und im ersten Schritt zu aktivieren. Darüber hinaus geben sie uns und den Verantwortlichen einen Einblick in die Stimmungslage der Menschen, die nicht am Machtschalter sitzen. Petitionen daher nicht als Türöffner für weiterführendes (direktes) Engagement zu nutzen, bedeutet v.a. sich viele Chancen zu vergeben.

momo

(1) Im Sommer 2012 erwirkte eine Petition, einhergehend mit Schüler-Demonstrationen, Lichterketten und Mahnwachen das unbefristete Aufenthaltsrecht von drei jungen, aus Honduras stammenden Hamburgerinnen. www.ndr.de/regional/hamburg/fabiola117.html

Pro, weil:

# schnelle & weite Infoverbreitung „von unten“

# Positionierung und erste Aktivierung von Menschen

# Bevölkerungsmeinung wird sichtbar

CONTRA:

E-Petitionen, also Petitionen, die online eingereicht und unterschrieben werden können, sind zwar Werkzeuge des digitalen Zeitalters, doch in ihrer Organisations- und Wirkungsform nicht grundlegend anders als das analoge Pendant. Die „Petition“, vom lateinischen Substantiv „petitio“ (Verlangen, Bitte, Gesuch) und dem Verb petere (zu erreichen suchen, greifen, bitten), zeugt schon in ihrer Wortherkunft vom Wesen als reines Bittwerkzeug. Eines von Bittsteller_innen also, die sich in einer Sache an den jeweiligen Souverän richten, der darüber entscheidet. So wie das landläufige Volk früher ab und an eine Audienz beim Fürsten bekam, der sich gnädig die Sorgen und Nöte anhörte und ab und an mal ein paar Krümel seiner Gnade verteilte, so darf heute jede_r deutsche Bürger_in mit einer Petition den deutschen Bundestag, genauer gesagt seinen Petitionsausschuss beknien. Und darauf hoffen, dass der sich ab 50.000 Unterzeichner_innen die jeweilige Sache zumindest einmal anhört. Und dann meist in der Schublade verschwinden lässt.

Sich einzulassen auf diese Logik von Bitten und Gnade bedeutet schließlich, den eigenen Einfluss selbst auf genau den Rahmen zu beschränken, den der Souverän ihr einräumt. Die sprichwörtliche Macht des Volkes wird also von vornherein im Sinne der Herrschenden beschränkt und dient ihnen so als antiemanzipatorisches Ventil im Dampfkessel der stetigen Interessenkonflikte. Vorrangig die, zwischen der Bevölkerung und Staat bzw. Kapital.

Seien es Widerstände gegen Überwachungs- und Zensurmaßnahmen der Bundesregierung, wie etwa die (mittlerweile wieder zurückgenommene) Sperrung von Webseiten oder die Vorratsdatenspei­cherung, oder Petitionen gegen bestimmte Wirtschaftszweige, wie bspw. eine E-Petition zur Einhaltung der Verträge zur Abschaltung der Atomkraftwerke bis zum Jahr 2023 oder zur Abschaffung der sog. GEMA-Vermutung (1) – regelmäßig werden erfolgreiche E-Petitionen (also solche mit über 50.000 Unterschriften, die überhaupt erst vor den Bundestag kommen) von den Mächtigen abgewiesen. Besonders letztes Beispiel zeigt, dass ein mehr als dubioses Geschäftsmodell wie das der GEMA (2), solange es ins politische Konzept (hier der Urheberrechtsver­wertung/des (geistigen) Eigentums) derkapitalistischen Verwaltung, also der parlamentarischen Demokratie hierzulande, passt, auch vom Gesetz geschützt ist und sich von Petitionen nichts anhaben lässt. Bei der grandiosen Zahl von 1.863 Anti-GEMA-Petitionen, die in den letzten 14 Jahren beim Bundestag eingingen, waren nur wenige Ausnahmen, wie der Widerstand gegen die zum Scheitern verurteilte 700%ige Gebührenerhöhung für Diskotheken und Clubs, erfolgreich. Warum auch? Grundsätzliches ändert sich dadurch nichts. Nur gegen übertriebene Forderungen wird – weil unpopulär und standortschädigend – vorgegangen. Da helfen auch 62.842 Unter­zeichner_innen der GEMA-Vermutungs-Petition eben nichts, wenn der politische Wille fehlt. Erfolg sollte ja kein Argument für oder gegen die Richtigkeit einer Sache sein, bei einer konkreten Hand­lung(sstrategie) jedoch sollten wir diesen Maßstab durchaus mit anlegen. Vor allem dann, wenn Zeit, Kraft und vor allem Glaube an Veränderung anders wesentlich besser angelegt wären.

Durch die „Leichtigkeit des Klicks“ kommt noch ein anderer Effekt negativ zum Tragen. Mussten Petitionen früher mühselig mit kopierten Listen in Fußgängerzonen gesammelt werden, so hatte dies auch einen entscheidenden Vorteil, der bei Online-Petitionen fast völlig wegfällt – das persönliche Gespräch und die inhaltlichen Diskussionen der zu mobilisierenden Menschen. So wurde der öffentliche Diskurs befeuert, ein Problembewusstsein bei vielen Menschen geschaffen, wo viele Themen heute oft nur noch in den sozialen Netzwerken des Internets an den Menschen vorbeiscrollen, ohne inhaltlich geschärftes Bewusstsein zu schaffen. Zwar gibt es die Möglichkeit, in angeschlossenen Petitionsforen zu diskutieren und wird diesen Beiträgen auch eine hohe Qualität bescheinigt. Doch finden die themenbezogenen Diskussionen dort fast ausschließlich unter schon überzeugten Petitionsnerds statt. Die sich dann mehr mit sich selbst und ihrer vermeidlichen Mitbestimmungsmöglichkeit beschäftigen, anstatt Menschen wirklich zu mobilisieren und Bewegungen zu schaffen. Und vor allem alternative Strukturen aufzubauen, die das Bitten der hohen Politik irgend­wann überflüssig machen und lernen, sich ihrer Interessen selbst anzunehmen.

shy

(1) Durch die Umkehr der Beweislast müssen Internetdienste, Konzerte, Clubs und Bars die GEMA-Vermutung widerlegen, um von jeglichen GEMA Gebühren befreit zu sein.
(2) DIE „SOLIDARPRINZIPIEN“ EINER SOLIDARGEMEINSCHAFT – Das geheime Finanzierungsumverteilungssystem der GEMA (bit.ly/YwJaWZ)

Contra, weil:

# Schein von Mitbestimmung, wirkt Selbstermächtigung entgegen

# Inhaltliche Oberflächlichkeit statt tieferer Beschäftigung

# Zeit- und Ressourcen wären anders wesentlich besser angelegt

Viel Lärm um nichts

Das einzige, was mensch der Leipziger OBM-Wahl zugute halten kann, ist die relativ lange Amtsperiode von sieben Jahren, die uns nun hoffentlich eine Weile vor dieser belanglosen Blablamania schützt. Woran wird sich die Nachwelt erinnern? An die krasse Materialschlacht des (weiter)amtierenden Obermotzes Burkhard Jung vielleicht, der abertausende Plakate in noch die entferntesten Seitenstraßen hängen ließ und deren plastoide Einzelteile wohl oder übel über die Flüsse, Meere und Fischmägen wieder den Weg zurück zu uns finden werden. Oder an das mehr als leere „Ich spende die Hälfte meines Gehaltes“-Wahlversprechen des parteilosen Feiertags. Barbara Hölls rotlackiertes Substanz-statt-Inhalte-Feuerwehrwahlkampfauto war da ja fast noch belustigend. René Hobusch, den FDP-Kandidat, hat dagegen wohl schon jetzt jede_r vergessen. Dem ging ja auch der Sinn für Satire völlig ab. Niedlich.

Auch schon fast vergessen: Kapuzen-Ekkkardt, der grüne Nachhaltigkeitssophist, und schließlich unser liebster Horst. Er taugte immerhin noch als Feindbild für aktionistische Jugendliche, die wahlweise „Stoppt Horst“-Plakate und Aufkleber in den tristen Winter brachte und mit Schneebällen am Connewitzer Kreuz die Wawa-PR-Maschine noch einmal ordentlich ölten. Da hätte mensch glatt mitweinen können. Und sonst? Von den populistischen Inhalten und dem inhaltlichen Populismus hat sich die Mehrheit jedenfalls nicht betäuben lassen. Den zweiten Wahlgang haben sich beinahe 2/3 der Leipzigerinnen und Leipziger geschenkt.

Gut so, denn diese Wahl war vor allem eines: Viel Lärm um nichts.

shy

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