Wächterhäuser – Ist Lindenau denn noch zu retten?

Stadtentwicklung im Leipziger Westen zwischen Abriss und Hauserhalt, zwischen Erbwerbslosigkeit und Armut

Ausflug gen Westen

Fernab des städteplanerischen Größenwahns der Stadtoberen; weit weg vom Knirschen und Schieben jenes Ungetüms namens „Leonie“ (1), dass sich da mitten durch das Leipziger Herz frisst und nicht mehr als vergoldete Immobilien und feiste Investoren hinterlässt; gleich hinter der Elster, wo vom Auenwald her zum Leutzscher Holz hin ein frischer Atem die Stadt auf­stöh­­nen lässt, dicht gekauert in den Leip­ziger We­sten, liegt Lindenau; abgekoppelt von der Stadt­entwicklung und amtlicher Hafen & Hei­mat für viele aus dem Er­werbs­lo­sen­heer der ARGE zu Leipzig.

Die Rittersippe von und zu Lindenau würde sicher stau­nen, hätte sie vor Augen, welche Spuren die Industrialisierung an ihrem einst so be­schaulichen Bauern­dorf hinterlassen hat. Ja … ja hätte nicht ein gewisser Karl Hei­ne Mit­­te des 19. Jahrhunderts all sein Bemühen daran gesetzt, aus dem kleinen Dörfchen eine Fabrikhölle des aufstrebenden deut­­schen Junkerregimes zu machen, viel­leicht gäbe es dann ja gar kein architektonisches Substanzproblem in den gäh­nend kah­len Schluchten der Arbeiterviertel, kein darbendes Gewerbe, keine soziale Notlage, keinen so hohen Drogen-&-Al­ko­hol-Konsum … sondern eine Perspektive, beschaulich zwar, aber immerhin.

Denn mit der gescheiterten Leip­ziger Olympia-Bewerbung sind auch unter den Optimisten die letzten Hoff­nungs­laternen ausgegangen, dass der fette Speck von selbst zum armen Mäuschen kriecht und der Stadtteil sich wie von „un­sicht­barer Hand“ aus seinen Struktur­prob­le­men pellt. Die Industrie ist lange weg und wo keine Brachen und Ruinen gammeln, da strahlen frisch geweißte Häuser­wän­de vom schie­fen Schein notdürftiger Sanierung und ver­höhnen die „Moder­ni­sie­rung“. Die meisten Quartiere sind auf die Normen der Be­darfs­gemeinschaften zugeschnitten, „an­ge­­harzt“ sozusagen. Es fehlt überall an rege­ne­ra­tiven Flächen, Nutzräu­men und tagtäglich rollt die Blechlawine über den Westen Richtung Schkeuditz/Autobahn oder Halle. Die meisten Leute haben kein Geld in der Tasche und dement­spre­chend schlecht geht‘s dem Gewerbe. „Blau nach Linde­nau“, wie die Leipziger Ver­kehrs­be­triebe wer­ben, d.h. fern der sozialen Stigma­ti­sie­rung vor allen Dingen eines: Perspektiv­lo­sigkeit. Über­­all in Lindenau ist sie spürbar, diese re­­signierte Unruhe eines desillusio­nier­ten Klein­bürgertums, das den Dienst­­lei­stungs­zug des dritten Marktes verpasst hat und nun in der deindustria­li­sier­ten Sack­gasse fest­sitzt. Weder Arbeit noch ein schönes Le­ben und schon gar nicht bei­des zusammen, wie es sich der korpo­rier­te Freimaurer und Groß­grundbesitzer Heine mit seiner Westend-Baugesellschaft wohl erträumt hatte; nichts von dem, was vor 150 Jahren einem phantasiereichen bürgerlichem Bewusstsein noch möglich schien: rauchende Schlote, mit Maschinendampf und Heizöl vermischten Schweiß und den Dreck der Gossen als „blü­hende Landschaft“ vorzuschwärmen; nichts davon ist heute wirklich. Wie es der obe­ren Einkommensklasse an Visionen fehlt, so der unteren an Hoffnung und Mut. Und wo beides abhanden kömmt, da mangelt es der bürgerlichen Re­vo­lution eben an dem Zunder, der sie der­einst noch vorwärts trieb.

Häuser halten!?

Nun könnte man fragen, warum bauen wir Lindenau nicht zum Dorf zurück? Offensichtlich war dies ja auch ein Hintergedanke der Olympia-Planer, als sie im Rah­men der Leipziger Bewerbung weite Tei­le Lindenaus für das olympische Dorf vorsahen und tausende von modernen Apartment-Wohnungen entstehen lassen wollten. Die Antwort darauf ist ganz einfach: Es fehlt sowohl am Geld als auch am Bedarf und der Stadtteil schmachtet nun schon länger in der sogenannten „Ertragslücke“. Der nach ­wie vor hohe Leerstand in Leipzig drückt auf die Mietpreise und hält Immobilien-Spekulanten davon ab, hier in Wohn­­raum zu investieren. Andersherum sind die meisten Miet­parteien vordergründig nicht an einer qua­li­tativen Aufwertung ihrer Wohn­ver­hält­nis­se, sondern an möglichst nie­drigen Preisen interessiert, da die astronomisch gestie­ge­­nen Öl- und Gaspreise mittlerweile fast die Hälfte der fixen monatlichen Kosten bean­spru­chen. Von den schmalen Lohntüten, so­fern überhaupt vorhanden, der starken In­fla­tion und den gestiegenen Mobilitätskosten mal ganz abgesehen. Um quasi so­ vie­le Lücken in die Lin­de­nauer Ar­bei­tervier­tel zu reißen und diese zu renaturieren, dass man wieder von einem „Dorf“ reden könnte, steht weder genügend Geld noch Interesse interner wie externer Investoren zur Verfü­gung. Einzig blieben die hoch­verschuldeten staat­lichen Instanzen von Stadt, Land und Bund. Und die leisten sich wegen der akuten Schuldenlage eben nur prestigeträchtige Groß­projekte wie Autobahnen oder Flughäfen und den City-Tunnel bspw., bzw. finan­zieren ansonsten nur den lokalen und be­schränk­ten Abriss. Baugrundstücke sind ja auch was wert, wenn da nur die entspre­chen­de Nachfrage da wä­re. Es bleibt dabei: Auch unter staatlicher Ob­hut würde unser vor­ge­stell­tes Re-Design Lindenaus minde­stens auf hal­ber Strecke stagnieren und von dörflicher Be­schaulich­keit könnte man im Bild riesiger Betonflä­chen, dröger Werbeta­feln und ver­waister Ge­­wer­­be­viertel, kaum re­den.

Wenn also der sozialverträgliche Rückbau Lin­denaus ausfällt und eine Re-Industrialisierung sowieso unrealistisch ist, dann steht schließlich am Ende nur eine Pa­ro­le: Die Häuser halten! Für eine emanzipatorische Perspektive in Lindenau hieße das frei­lich vor allen Dingen: Häuser besetzen! Und sie der Spekulation entziehen, um Frei­räu­me aufzubauen, innerhalb derer sich der ‚ge­meine‘ Lindenauer in Solidarität und Zu­­sam­menarbeit, in antikapi­ta­listischen Prak­ti­­ken übt, die ihn letztlich be­fähigen, sich der na­tio­nalistischen Regression des Be­wusst­­seins und dem Stumpfsinn von Staat und Partei ent­gegen zu stellen. Und Freiräu­me sollen eben das ja sein: Orte, an denen das freie Denken von Alternativen und pro­gres­­sive soziale Experimente ihren Platz finden. Auf den Erfolg gibt es da­bei nie eine Ga­rantie, aber solche Entfaltungsräume sind schließ­lich die Bedingung der Möglich­keit emanzipatorischer Entwicklungen. Und das ganz im Sinne Rosa Luxemburgs etwa, die im Streik und der Gewerkschaft eben auch nur ein Mittel zur Sozialisation der Mas­sen sah, also die Freisetzung von der Arbeit und von der Isolation am Arbeitsplatz als Bedingung der Möglichkeit dafür annahm, eine emanzipatorische Entwicklung kollektiv voranzutreiben. Hier wie da geht es erstmal darum, gegenüber der kapi­ta­­li­stischen Konkurrenz und deren Lei­stungs­zwang einen Freiraum behaupten zu können, um über­haupt handlungsfähig zu werden.

Nun, zumindest der erste Teil dieser Bedingung ist ja in Lindenau erfüllt, die meisten EinwohnerInnen sind von der Arbeit „freigesetzt“. Doch leider fehlt es sowohl am nötigen Bewusstsein, bspw. über die gemeinsa­me soziale Lage, als auch an wirksamen Organisationen, um die freie Zeit durch die Eroberung von Freiräumen besser, und das heißt hier schon progressiv, zu nutzen. Die gesamte Leipziger Linke, über den palavernden Staats­sozialisten oder nationaltümelnden Gewerkschafter bis hin zum linksradika­len Krypto-Kom­munisten, alle sind da­bei, dieselben Fehler zu wiederholen, wie in Reud­­nitz und Schönefeld/Neu-Schönefeld, wo mittlerweile die Freien Kräfte und andere faschistische Kol­lek­tive die politische Rhyth­­mik der Viertel dominieren. Auch der Feierabend! selbst kann sich von dieser Kritik nicht ausnehmen, ist es doch in den letzten Jahren weder in Reud­nitz, noch in Neu-/Schönefeld, noch in Lindenau gelungen, wei­tere Verkaufsstel­len aufzubauen.

Nochmals muss also der Zoom der Lupe erhöht werden, um auf noch konkreterer Ebe­ne zu sehen, wo sich in Lindenau über­haupt ema­n­zipatorische Impulse und Freiräume bil­den. Und hier erst, wo nun schon wirklich kleine Brezeln gebacken und von ei­ner er­bau­lichen Perspektive wahrlich kaum noch ge­sprochen werden kann, rückt die Arbeit des HausHalten e.V. ins Zentrum der Be­trach­tung. Denn wer aufmerksam durch Lin­­de­nau und Plagwitz wandert, wird hier und da feststellen, dass an unsa­nierten Häusern ein großes gelbes Banner mit der Aufschrift prangt: Wächterhaus. Ganz der Paro­le vom „Häuser halten!“ verpflichtet, bemüht sich ein Verein von Architekten und Stadt­planern schon seit 2003/04 darum, vor al­len Dingen einige der stark gefährdeten Linde­nauer „Gründerhäuser“ vor dem Verfall zu retten.

Das Wächterhaus – zwischen bloßem Substanzschutz und wirklicher Stadtentwicklung

Propagierte dieser gemäßigte und bürgerlich-liberale Verein einzig den Substanzschutz im Viertel und hätte neben völlig ab­strusen musealen Vorstellungen keinen Blick für die soziale Lage, es wäre müßig, sich mit sei­ner Arbeit näher auseinander zu setzen. Da das „Wächterhaus-Konzept“ des Haus­Halten e.V. aber vor allen Dingen auf ei­gen­lei­stende NutzerInnen, die sogenannten „Wäch­ter“ setzt, tritt der Verein gegenteilig sehr offensiv mit dem Anspruch auf, Stadt­­entwicklung nicht nur im rein archi­tek­­­tonisch substanziellen Sinne, sondern vor allem im sozialen Sinne zu betreiben. Gün­sti­ger Nutzraum soll die Attraktivität der an­gren­zenden Quartiere erhöhen, Kün­stle­rInnen, Gruppen und Projekte ins Viertel zie­­hen, ihnen Entfaltungsraum geben und so das soziale Leben bereichern, nicht weniger haben sich die Mitglieder des Vereins auf die Fahnen geschrieben. Der/Die politisch versierte Leser/in wird sich sofort fra­gen: „Lebensbereicherung“, steckt hinter dieser Phrase wirklich eine konkrete so­zial­­po­li­tische Qualität? Wird hier nicht der blo­­ße Substanzschutz blumenreich ausgeschmückt? Und wie soll das gehen, Stadt­ent­­­wicklung im sozialen Sinne, ohne eine po­­li­­tis­che Perspektive, die den engen Zwing­­­­kreis von Arbeit und Geld letztlich sprengt? Der Ver­ein stellt ja Boden- und Im­mo­bilien-Spe­ku­lationen keineswegs in Frage. Im Gegenteil: Sein Programm zielt gera­de darauf ab, zu­rück­gebliebene Immobi­­lien wieder in den Markt einzugliedern. Die Skep­sis gegenüber dem Anspruch des Haus­Halten e.V. wirk­liche Stadtentwicklung mit dem „Wäch­terhaus-Konzept“ zu betreiben, hat al­so genügend Anlass laut ausgesprochen zu wer­den. Um allerdings vom Zweifel zur ernst­­haften Kritik fortzuschreiten, müssen wir den Gegenstand auch auf seine Sach­hal­­tig­keit hin prüfen. Denn es kann ja sein, dass sich trotz der mangelhaften Ausrichtung des Vereins, hinter der hohlen Phrase von der Bereicherung des sozialen Lebens, auf der in­­­direkten Ebene, über die Potentiale des Wäch­terhaus-Konzeptes selbst, Freiräume bil­den, die emanzipative Prozesse fördern. Das ist die Spur, der wir im weiteren folgen wol­len, wenn wir das Konzept der Wächterhäuser hier näher untersuchen, Fragen an die Mitglieder des HausHalten e.V. stellen (siehe hier) und in den folgenden Heften Exkursionen in die Le­bens­realitäten der „Wäch­ter“ starten.

Im ersten Schritt ist deshalb zu prüfen, ob die Nutzung der Häuser ausgerichtet auf eine soziale Entwicklung der angrenzenden Quar­tiere überhaupt genügend Berücksichtigung im Gesamtkonzept des Vereines findet. Denn schließlich sollen die nutzenden Wächter ja die Träger und Protagonisten sol­cher positiven Prozesse sein. Welche Par­ti­zipations­mög­lichkeiten haben sie? Welche Geltung wird ihren Interessen zugestanden?

Des weiteren gilt es zu untersuchen, inwieweit der Verein seine Nutzungs­vorstel­lun­gen, von denen er sich ja eben jene se­gens­reiche Wir­kung auf die Entwicklung der Viertel ver­spricht, überhaupt absichert. Gibt es Nu­t­zungs­kriterien und ihre Kon­trol­­le? Oder regiert am Ende die Beliebig­keit? Und wie will man verhindern, dass der entstehende Raum der­art genutzt wird, dass gegenteilig sozial missgünstige Entwicklungen befördert werden?

Abschließend muss dann die wirkliche Praxis, die Realitäten der Nutzung im Zentrum der Analyse stehen. Wie gehen die „Wächter“ mit den an sie herangetragenen Nut­zungs­­vorstellungen um? Welche eigenen ha­ben sie? Gibt es da Widersprüche? Einen kommunikativen Raum der Klärung? Wie schätzen die NutzerInnen das Engagement des Vereins dahingehend ein?

Danach, so ist zu hoffen, hat sich ein facet­ten­reiches Bild für eine nüchterne Einschätzung der konkreten Möglichkeiten emanzi­pa­­tiver Prozesse innerhalb und um die Wäch­­­­ter­häuser verdichtet. Und der eine oder die andere Leser/in hat genug Hinweis und Aufklärung gefunden, um sich richtig ent­­­scheiden zu können, ob nun für oder ge­gen die Nutzungsangebote des HausHal­ten e.V..

HausHalten – Die Idee vom runden Tisch der Interessen

Die Grundidee zur Rettung substanzgefähr­deter Häuser, die der Verein Haus­Halten e.V. entwickelt hat, ist oft gelobt wor­den. Mi­ni­ster haben sich die Klinke in die Hand gegeben. Sie beruht wesentlich darauf, dass sie zwei Königskinder zueinander bringt, die sonst teils aus Mangel an Interesse, teils aus Un­fähigkeit einfach nicht zusammenfinden. Das eine scheue Kindchen heißt da eigentümlich Eigenthymia, das andre schüch­­tern und bieder Stadtverwalterine. Die Problemlage hat ihre Wurzel in der Eigentumspolitik der BRD während der An­nexion der Gebiete der Ex-DDR. Die staatssozialistischen Reformen hatten dort das private Eigentum am Wohn­raum größ­tenteils abgeschafft und zentrale Mietkar­telle unter staatlicher Kontrolle dominierten den Markt. Neben den Besitz­in­te­ressen enteigneter Eigentümer ging es bei der „Wen­de“ also vor allen Dingen um eine Öff­nung dieses Marktes, um das Freisetzen der kapi­ta­listischen Konkurrenz. Es war deshalb nicht vorrangig aus moralischen Beweggründen erforderlich, die Rechtsgeschichte der DDR zu negieren, sondern in erster Li­nie aus ökonomischen Kalkülen. Die juristische Grund­lage hierfür lieferte die Restitu­tionsgesetzgebung, die allgemein gesprochen Rück­forderungsansprüche bei widerrechtlichen Aneignungen regelt. Nachdem also der Bund per treuhänderischer Verwaltung die bestehenden Kartelle übernommen und sich die besten Rosinen zum Wei­terver­scher­beln angeeignet hatte, legte er die Ver­wal­tung in die Hände der Kommunen & Stadt­verwaltungen und stellte es seinen Bür­gern ansonsten frei, in den alten Papieren zu blät­tern und wenn entspre­chen­de Rechts­titel noch vorhanden, die Immobilien zurück in private Hand zu fordern. Es gibt sicher heute noch hier und da vergreisten Spätadel, der ohne es zu wissen, Grund und Boden im Osten besitzen (könn­te). Frei­­lich machte auch nicht jeder von seinen Ansprüchen Gebrauch und Fälle von un­­geklärten Rechtsfolgen, verschollenen Er­­bengemeinschaften und verschwundenen Pa­pieren gab es genug. Hier half das Konzept der kommunalen Woh­nungsbau­gesell­schaften aus, das sich in der BRD schon beim Ausstieg der Zentralge­werk­schaf­ten aus dem sozialen Wohnungsbau und der Über­­nahme vieler gewerkschaftlicher Wohn­-Immobilien bewährt hatte (2). In die­­sen lokalen Kartellen, oftmals hundert­pro­zentige Tochterunternehmen der kom­munalen Stadtverwaltungen, sammelte sich der Restbestand der unveräußerlichen Immobilien. Teils als reine Kredit-Ab­siche­­rung, teils als Instrument sozialpolitischer Pro­gramme oder auch über bloße Ver­kaufs­ge­­­win­ne waren diese Wohnungsbauge­sell­­schaf­­ten in den 90ern die Spina dorsalis, das Rückgrat der lokalen Stadtent­wicklun­gen unter kommunaler Verwaltung. Aller­dings befanden sich in diesem ausgesiebten „Rest“ auch kaum noch viele verwertbare Rosinen, so­ dass der Kostendruck durch abrissge­fähr­dete Häu­ser und Investi­tions­­ruinen von An­fang an ziemlich hoch war und immer noch wächst.

In diese Lage, von jedem Interesse entkop­pel­ter Immobilien, stößt nun die „Einzelfall-Tak­tik“ des Vereins Haushalten (3). Ein­zelne, aus dem Markt herausgefallene Im­mobilien sollen „aufgefangen“ und auf­ge­wertet werden. Schlech­terdings wird die Sub­­stanz des Hauses erhalten und die Unterhaltskosten in pri­vate Hand verlegt, be­sten­falls gewinnt die Im­mobilie wieder an Wert und lässt sich an den Kreis der üblichen Marktspekulation rück­koppeln. Der Ver­ein tritt dabei wesentlich als Dienstleister auf, der die Opportuni­tätskosten beider Parteien, also den Aufwand der Stadtverwaltung und den Widerstand des eigentlichen Besitzers, senkt, um beide Seiten und ihre un­terschiedlichen Inte­­ressen, die beiden Kö­nigskinder, an einen Tisch zu bekommen. Ei­nerseits bedient er die Interessen der kom­munalen Stadtver­wal­tung, die Erhal­tungs­kosten unrentabler Wohn­­immobilien loszu­wer­den bei gleichzeitiger Aussicht auf Stadt­er­neue­rung und einen permanenten An­­sprech­part­ner in Sachen Besitzpflichten, an­de­rerseits ködert er den investitionsscheuen Eigentümer mit hausei­genen Bau­gut­achten, Schät­zung & Planung und Fremd­­leistun­gen, um dessen Interesse auf hö­here Rendite am Objekt zu fördern.

Den Schlüsselfaktor der Strategie bildet da­bei die eigentliche Nutzung. Denn ohne „Wäch­­ter“, die ein verfallsbedrohtes Haus re­­­vitalisieren, heizen, lüften etc. pp., ist ein sol­­­ches Objekt kaum ohne weitere Groß-In­­­ve­stition im Wert zu steigern. Und gerade die hohen Investitionskosten halten ja vie­­le Besitzer davon ab, ihre Immobilien auf­zu­­werten bzw. zu „halten“. Der Verein re­kru­tiert deshalb NutzerInnen, Künstler­grup­­­pen, Vereine etc., die bereit sind, un­kom­for­tab­le Ver­hältnisse und hohe Eigen­lei­stun­gen in Kauf zu nehmen, um kurzfri­stig (in der Regel fünf Jahre) günstigen bis miet­freien Nutz­­raum (i.d.R. kein Wohnraum) in den quasi vor­übergehend vom Ver­ein verwalteten Häu­sern zu erhalten. Der HausHal­ten e.V. schließt hierzu Nutzungs­ver­träge ab, so­ge­­­­­nann­te Gestattungsver­ein­ba­rungen „Raum“, die den Nutzraum, die Zeit und die Art und Weise der Nutzung fest­stellen, den Nutzern grundversorgende In­standhal­tungs­­maßnah­men wie Elektro- und Wasser­an­schlüsse, Dach­sicherung und sa­nitäre Anlagen zusichern und gewisse Ent­schädigungen für Eigenleistungen bei vor­fristigen Ver­­­trags­kün­digungen regeln. Die Nut­zungs­ver­träge sind alle binnen drei Mo­naten kündbar, was einem herkömmlichen Miet­verhältnis entspricht. Der Haus­Halten e.V. kann des­halb als quasi besitzender Vermieter auftreten, da er gleichzeitig mit dem derzeitigen Verwalter bzw. rechtmä­ßi­gen Eigentümer des entsprechenden Objektes ei­ne sogenannte Ge­stattungsverein­ba­rung „Haus“ abschließt, in welcher dem Ver­ein Ver­wal­tungs­rechte übertragen werden und die Be­reiterklärung erfolgt, grund­ver­­sor­gen­de In­standsetzun­gen und erste Be­sitzpflichten hin­sichtlich der Verkehrs­si­cher­heit und Haf­tung der Immo­bi­lie zu über­nehmen. Durch diese doppelte Ver­trags­­struk­tur zwischen NutzerIn und Verein und zwi­schen Ver­ein und Eigentümer/Ver­walter, al­so ei­nerseits durch die Zusicherung über die Nut­ze­rInnen, monatliche Be­triebs­­kosten­ab­schlä­ge zu zahlen und ande­re­rseits durch die Versicherung des Besitzers, eine dies­­­be­zügliche Abrechnung auch in Gang zu setzen, etabliert der Verein so et­was wie ei­ne Vor­­form eines gewöhnlichen Miet­ver­hält­­nisses. Und von daher versteht sich auch das Ziel des Vereins, die Wächterhäuser wie­der zu „entlassen“. Gemeint ist da­mit näm­lich in erster Linie der Rückzug der vermittelnden Vertragsstruktur bei gleich­­zeitiger Etab­lie­rung eines direkten Miet­­vertra­ges zwischen den Parteien. Was na­­türlich im weiteren bedeutet, dass der Ei­gen­tümer be­­ginnt, seine wertgesteigerte Im­­mobilie bes­­ser zu pflegen und weiter zu in­vestieren (Hurra, hurra, der Markt ist wie­­der da!) und die Stadt­verwaltung bzw. Kom­mune sich da­rüber freuen kann, ein miss­liebiges Objekt aus dem Bestand losgeworden zu sein und gleichzeitig nun ein Ansprechpartner für Besitzpflich­ten und Kostenumlagen existiert.

Brosamen von der Herren Tische

Also rundherum ein Tisch, an dem alle Interessen gleichberechtigt zur Geltung gelangen? Ein Ideal-Modell um verfallsbedrohte Häu­ser zu halten und die maroden Arbei­ter­vier­tel wieder zu vitalisieren, mit emanzi­pa­to­rischen Impulsen gar zu beleben? Nein, denn insbesondere die direkten Interessen der Nut­zerInnen werden in dieser Interes­sens­run­de vorrangig vom Verein repräsentiert. Und hier liegt auch der Hase im Pfeffer. Genau be­se­hen wird nämlich die runde Interessenstafel hauptsächlich durch die substanzerhaltenden Kal­küle gestiftet. Der Ei­­gentümer hofft auf mehr Rendite, die Ver­waltung auf sinkende Ko­sten und ein gutes Stadtbild und der Ver­ein auf die Rettung architektonisch wert­voller Ge­bäude. Die Nutzung scheint letztlich nur Mit­tel zum Zweck, zweitrangig und be­liebig zu sein. Von einem umfassenden sozialpolitischen Plan, einer langfristigen Perspektive so­zia­ler Stadtentwicklung finden sich also wenig Spuren. Der Verein be­hält sich zwar vor, am konkreten Nutzungskonzept zu entscheiden, ob die jeweilige Nut­zung sinnvoll und pas­send zu seinen aktuellen Stadtent­wick­lungs-Vorstellungen ist. Letztlich aber ist da­von auszugehen, dass jede x-beliebige Nutzung in Kauf genommen wird, um ein leerstehendes Haus, bei dem die Verhand­lun­gsten­den­zen mit den anderen Parteien bereits positiv sind, mit „Wäch­tern“ zu besetzen. Es sticht da­bei der Wider­spruch besonders heraus, dass der Verein zwar über die konkrete Nutzung so­ziale Stadtent­wick­lung betreiben will, dafür aber keinerlei eindeutige Kriterien anzugeben weiß, was den Schluss nahelegt, dass er gar kei­ne spezifischen Vorstellungen progressiver sozia­ler Stadtentwicklung ausgebildet hat. Stadtentwicklung gilt allein dann schon als er­folg­­­reich, wenn die Immobilien an die freie Spe­­kulat­ion des Marktes angekoppelt sind und von privaten Investoren wieder markt­kon­­form betrieben werden. Dass damit auch das schnelle Aus alternativer Nutzun­gen droht, wie im Beispiel der Lower East Side in New York (3), verschweigt der Verein tunlichst, denn auf langfristige Perspekti­ven hat er es gar nicht abgesehen. Das Wäch­ter­haus-Konzept begnügt sich mit einer Ni­schen­politik, bei der letztlich vor allem die Ka­­pi­tal-Interessen von Eigentümer und Stadt­­verwaltung be­dient werden. Zwar stellt er auch An­sprech­partner für die Nutze­rIn­nen ab, aber ob auf dieser Kommunikationsebene Fragen der hausübergreifenden sozialen Stadtent­wick­lung überhaupt verhandelt wer­den, bleibt äußerst fraglich. Man kann so­gar da­von ausgehen, dass der Verein durch die kurz­fristige Projektanlage und dem Ziel der Mark­trückbindung, schließlich durch die Inte­ressensvertretung von Stadt und Be­sit­zer, progressive Vorstellungen über Nutzung und Wirkung der Wächterhäuser un­ter­bindet, insofern diese bei den NutzerIn­nen über­haupt vorhanden sind bzw. angesammelt werden. Aufwertung der Quartiere, d.h. für die Stadtplaner des HausHalten e.V. auch nicht viel mehr als Wertsteigerung der Immobilien. Noch dazu verhindert der Ver­ein über die Re-Aktivierung des rechtmä­ßi­gen Besitzers und die Etablierung gewöhnlicher Mietverhältnisse, dass solche Häuser anderweitig und langfristiger „besetzt“ und genutzt werden.

Es bleibt also Alles in allem ein fades Bild zu­rück. Wenn die Wächterhäuser in Linde­nau und Plagwitz Freiräume eröffnen und em­an­­zipatorische Impulse in die angrenzenden Quartiere ausstrahlen, dann wohl haupt­­säch­lich durch die Eigeninitiative der dort an­ge­siedelten „Wächter“, sofern diese nicht vom Verein selbst ausgebremst werden. Das wird in den folgenden Heften noch genauer an den konkreten Projekten zu untersuchen sein. Und sicher, der entstandene Nutzraum und die, wenn auch kurze, Zeit der alternati­ven Nut­zung, befördern solche Möglichkeiten des sozialen Engagements. Den­noch sollte sich jedeR, der/die erwägt, in ein Wächterhaus zu ziehen, klar darüber sein, auf welcher Schmalspur der Verein HausHalten e.V. ei­gentlich plant. Die hohen Eigenleistungen wer­den zwar durch den günstigen Nutzungspreis ei­ni­germaßen ausgeglichen, aber lang­fri­stig ar­beitet mensch hier nur dem Besitzer in die Taschen. Und wenn diesem, der Stadt oder dem Verein die Nutzung nicht mehr passt, ja dann, flattert wohl ganz schnell die Kündigung ins Haus.

Auf dieser Grundlage sind die Wächterhäu­ser ganz sicher nicht der neue Rettungsanker Lindenaus, nicht mal ein Tropfen in die trockene Kehle. Denn solange die Priorität al­lein auf den Substanzschutz und die spe­ku­lative Verwertbarkeit der Häuser gelegt wird, solange fehlt eben eine handfeste und lang­fristig nachhaltige Per­spektive für die positive soziale Stadtent­wicklung in den Vierteln. Und um diese vor­an zu treiben, soll­te man in Zukunft nicht die Häuser „halten“, um sie dem Besitzer at­trak­tiv zu machen, son­dern jene enteignen, die ja offensichtlich kein Interesse mehr an ih­rem Besitz aufbringen, und die Häuser eben „besetzen“ und kol­lektivieren. Als neue Ba­stionen des sozialen Zusammenlebens könn­ten diese dann bspw. selbstverwaltete Ar­beitsbörsen, auto­no­me Mie­ter­kol­lek­tive oder Büros von unab­hängigen Stadt­teil­räten, Gewerk­schafts­syn­di­katen und anderen sozial aktiven Gruppen beherbergen, schließ­lich Raum für Fahr­ge­mein­schaften bis hin zur gemeinsamen Kin­­derbetreuung bieten; etwas an­de­res frei­lich als erlebnisorientierte Künst­lerInnen und kreative Individuen des verarmten Bil­dungs­bürgertums. Eine solche Perspektive blie­be sicher nicht im Kleinen stehen und nö­­tigt dem Standpunkt einiges an Idealismus ab. Aber ohne den, zumindest ohne den Mut und die Hoffnung der unteren Schichten, werden in Lindenau auch in Zukunft nur kleine Brezeln gebacken, Brosamen von der Herren Tische, die den Hunger und die Trostlosigkeit kaum stillen.

(clov)

 

(1) Der Leipziger City-Tunnel-Bohrer, den man extra für die unterirdischen Baumaßnahmen entwickelt hat, wurde auf den wenig phantasiereichen Namen „Leonie“ getauft. Das ganze Bauprojekt dürfte durch die anhaltenden Verzögerungen (3 Jahre +) mittlerweile schon ca. 1,5 Milliarden Eu­ro verschlungen haben. Allein der Eigenanteil von Stadt und Land ist im letzten Jahr von 500 Mil­lionen auf weit über 800 Millionen geklettert.

(2) Siehe hierzu auch FA!#25 „Neue Häuser“

(3) Freilich ist die Strategie nicht ganz neu. Schon in den 1980ern wurde bspw. genau mit die­sem Mo­dell (5-Jahres-Verträge mit kreativen Köp­fen, In­tellektuellen etc. pp.) die Lower East Side in New York entwickelt bzw. „gentrifiziert“. Mit der Fol­­ge, dass die meisten der Angeworbenen nach Ab­lauf der Verträge durch das teilweise bis auf über 500% gestiegene Mietniveau wieder ver­drängt wurden. Siehe hierzu auch das interes­san­te Interview in der aktuellen Direkten Aktion mit Prof. Dr. Neil Smith aus New York, der dort schon seit langem zu Gentrifizierungsfragen forscht: DA, Nr. 186, „Kapitaler Abschaum“, S. 6

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