Der Aufruf zum „Agenturschluss“ am 3. Januar, den wir in Feierabend! #15 unkommentiert dokumentierten, erregte bei den Medien anscheinend mehr Interesse als bei den ALG2-EmpfängerInnen Leipzigs.
Die Idee zur Agenturschluss-Aktion kam in einer Arbeitsgruppe bei „Die Kosten rebellieren“ auf. Diese internationale Versammlung zu Prekarisierung und Migration, die vom 25.-27. Juni 2004 in Dortmund stattfand, wurde von dem gewerkschaftslinken Internetportal labournet.de organisiert. Die Aktionsidee wurde Anfang August auf einem bundesweiten Treffen konkretisiert; diesem folgten weitere Zusammenkünfte (1), wo weitere Schritte zur Realisierung beraten wurden. Die Vorbereitung lief also ähnlich wie die der 100.000er Demonstration am 1.11.2003, die ebenfalls ohne die Gewerkschaftsspitzen organisiert wurde.
Die Vorbereitungen hier vor Ort wurden von der Freien ArbeiterInnen-Union Leipzig (FAUL) getragen, bzw. der Branchengruppe „Erwerbslosensyndikat“ und seinen SympathisantInnen: Einschätzung aktueller Entwicklungen, Besprechungen über den Ablauf, Propaganda (2), Vorbereitung der Öffentlichkeitsarbeit. Das Sozialforum Leipzig spielte, anders als die LVZ am 4.1. berichtet hatte, keine große Rolle – höchstens insofern als sich T. Rudolf (WASG (3)) im bundesweiten Pressebüro breit machte. So kam die „Proteststaffel“ zustande, in der Agenturschluss mit WASG-Aktionen (Protest bei der lokalen SPD und Montagsdemo) in eine Reihe gestellt wurde.
Montag: morgens nichts zu tun?
Bereits um 7 Uhr hatten sich vor’m Arbeitsamt mehrere Dutzend Erwerbslose versammelt, auch der MDR war schon mit einem Sendewagen vor Ort. An „Sicherheitskräften“ waren nur vier Angestellte der „Agentur“ erkennbar; die Polizei tauchte erst kurz vor 8 Uhr, dem angekündigten Termin, mit einer Streife auf. Zu diesem Zeitpunkt waren die knapp 50 Menschen im Eingangsbereich schon wieder verschwunden – als die Behörde eine halbe Stunde früher als sonst ihre Türen öffnete, bildeten sie die ersten Schlangen in den Wartebereichen.
Die eintreffenden Protestierer waren als 50 bis 60köpfige Menge eindeutig in der Minderzahl – fast die Hälfte davon kam aus dem libertären Spektrum; dieses Verhältnis sollte sich später noch verschieben, als sich die Reihen nach 9 Uhr lichteten. Zunächst jedoch fackelte die spontane Versammlung nicht lange, gar nicht eigentlich: ohne Diskussion sprach man sich dafür aus, in das Arbeitsamt zu gehen. Im Erdgeschoss warteten die privaten Sicherheitskräfte – die Polizei schickte nur ab und an einen Streifenwagen vorbei, und parkte zeitweise hinter dem Gebäude fünf vollbesetzte „Sixpacks“. So lange jedoch der Betrieb nicht gestört wurde, sollten die Büttel sich passiv verhalten (4). Und so blieb es dann: an eine längere Blockade war schon aufgrund der personellen Schwäche nicht zu denken. Auch kurzfristige Maßnahmen konnten nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden, weil der Zusammenhalt der Demonstrierenden zu gering war, was sich schon draußen vor der Tür angekündigt hatte. Nichtsdestotrotz hängten die AktivistInnen Transparente auf, durchbrachen das bedrückende Schweigen in den langen Fluren immer wieder mit „Niedriglohn und Zwangsarbeit, dafür ha’m wir keine Zeit!“, verlasen den Aktionsaufruf und gaben ein „offenes Megafon“ herum – der Gebrauch, den die Anwesenden davon machten, war jedoch sehr spärlich und erschöpfte sich in „Weg mit Hartz IV“. Daneben stürzten sich die zahlreich anwesenden JournalistInnen auf jeden, der nicht nur am Rand rumstand. Und Libertäre verteilten Flugblätter und hunderte Sonderausgaben der DA (5) an die Erwerbslosen, die in die Büros strebten. Bereits nach der ersten Stunde lichteten sich die Reihen der Protestierenden merklich – es fehlte etwas Verve. Das brachten auch die AnhängerInnen der PDS nicht, die vor dem Gebäude standen und meinten „hier in der Öffentlichkeit“ den idealen Ort für ihren Protest gefunden zu haben, so dass sie sich standhaft weigerten, die Agentur überhaupt zu betreten. So zogen die verbliebenen Zwanzig im Gebäude durch die Etagen, auf der Suche nach dem Direktor. Unterwegs gaben sie die bekannten Slogans zum Besten, und ein Lied von Ton, Steine, Scherben: „Sklavenhändler, hast Du Arbeit für mich?“ Eine Petition, oder ähnlichen Schnickschnack, hatten sie nicht dabei, die Message war und ist klar: mindestens Fundamentalopposition zum gesamten Hartz-Paket. Direktor Meyer jedoch war nicht auffindbar – sollte er etwa noch im Urlaub sein, oder hat er sich nur versteckt? Ein letzter Kumulationspunkt, wo nochmal 40 Leute zusammenkamen, war das Aktionstheater „Sklavenmarkt“, das ebenfalls musikalisch begleitet wurde.
Gemessen am Aufruf – „Wir werden … in den Ablauf der Erwerbslosenbürokratie eingreifen.“ – ist die Aktion als gescheitert zu betrachten, wenn Pressesprecher Leistner unbeschönigt vermelden kann, dass der „Dienstbetrieb zu keiner Zeit gestört“ wurde. Wenigstens konnten Informationen unter die Leute gebracht – dazu waren auch Einzelpersonen der WASG, PSG, SAV und WKL (6) vor Ort – und quasi angedeutet werden, was möglich ist, wenn man sich zusammentut.
A.E.
(1) Ein Treffen fand Anfang Dez.04 in Leipzig statt.
(2) Bundesweite Anstrengung ermöglichte die Übersetzungen des Aufrufs in verschiedene Sprache.
(3) Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Vgl. Feierabend! #12, S.11
(4) Das Tagesmotto in Leipzig lautete ‚Deeskalation’ – anders in Berlin, wo die Staatsmacht selbst die Agentur blockierte und AktivistInnen festnahm, die sich im Wedding Zutritt verschaffen wollten.
(5) Direkte Aktion – Zeitung der FAU. Das Flugi findet sich unter www.fau.org/ortsgruppen/leipzig
(6) Wahlalternative, Partei für Soziale Gleichheit, Sozialistische Alternative Voran! (Partei), Wertkritische Kommunisten Leipzig
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