Zschocher 23

Wächterhäuser im Portrait

Das Projekt des HausHalten e.V. (vorge­stellt in FA! #29) mausert sich zum Exportschlager: Das Bundesministe­rium für Verkehr, Bau und Stadtentwick­lung hat beschlossen, den Verein bis Sep­tember mit 135.000 Euro zu fördern. Mit dem Geld soll vorrangig die Renovierung der Lützner Straße 39, wo der Verein offiziell seit einigen Monaten seinen Sitz hat, voran­getrieben sowie ein „Bildungs- und Kom­petenzzentrum“ eingerichtet wer­den. Außerdem sollen damit Vorträge, eine In­ter­netpräsenz und Infobroschüren fi­nan­ziert werden, um das Modell wei­teren Städ­ten mit hohem Leerstand schmack­­haft zu machen. Auf Minister­ebe­ne scheint mensch also durchaus vom Kon­zept des kleinen Vereins überzeugt zu sein.

Für HausHalten ist dieser Erfolg offen­sichtlich auch ein Ansporn, das Erfolgs­re­zept, mit dem beinahe vier Jahre gut gefahren wurde, zu erweitern und bau­tech­nisch Neu(brach-)land zu betreten. Das seit diesem Juni zwölfte Grün­derzeithaus ist nicht nur an der Kreuzung Zscho­chersche und Karl-Heine-Straße und so­mit an der Schnittstelle zweier Haupt­ver­kehrsadern gelegen, sondern zugleich wird erst­mals ein Objekt aus dem Bestand der Leipziger Wohnungs- und Bau­gesellschaft (LWB) der Obhut des Vereins überlassen. Auch in anderer Hinsicht kann die Im­mo­bilie des größ­ten lokalen Woh­nungs­­an­bieters mit Be­son­der­heiten auf­war­ten: Rekrutierten sich die Nutzer_in­nen, von HausHalten nur „Wächter“ ge­nannt, bisher fast aus­schließ­lich aus Ver­eins­­mit­glieder_innen, die dem experi­men­tieren und verwirklichen außergewöhn­li­cher unkommerzieller Ideen behaftet waren, schreibt der Eigentümer LWB nun ei­ne explizit gewerbliche Nutzung seiner Räum­­lichkeiten vor. Nach ersten Be­ob­ach­­tung­en hat HausHalten bei der Aus­wahl der Nutzer_innen aber wohl sehr ge­nau darauf geachtet, keine direkte Kon­kur­­renz zu den Anrainerläden entstehen zu lassen. Jedoch drängt sich der Eindruck auf, als wolle die LWB über eine kostenlose Re­novierung des jahrelang leer stehenden Hauses hinaus vor allem eine Feldstudie be­treiben, ob dieses Objekt in naher Zu­kunft wieder marktfähig werden könnte. Direkt gegen­über, auf der anderen Seite der Karl-Heine-Straße ist eine Brach­flä­che, dort stand bis 2005 noch ein ähn­liches, denkmalgeschütztes Gründerzeit­haus, welches die LWB kurzerhand räu­men und abreißen ließ, weil es unrentabel war. Die Wächter_innen fungieren also als Ver­suchs­kaninchen, in ihren Gestattungs­ver­ein­barungen (in denen die Nutzungs­rechte für fünf Jahre vom Vermittler Haus­Halten übertragen werden) ist eine Klausel enthalten, welche der LWB erlaubt, die Vereinbarungen mit dem Ver­ein schon nach 24 Monaten aufzukün­di­gen. Miet­ver­t­räge im juristischen Sinne gibt es näm­lich nicht, die experimentier­freudigen jun­gen Nutzer_innen müssten sich also im schlimm­sten Fall kurzfristig andere Domi­zi­le suchen. Im Folgenden werden die Kon­zepte der neuen Be­wohner_in­nen der Zschocherschen Straße 23 vor­gestellt und wie sie den teils stark verkommenen Raum aufwerten.

Veganes und Indisches

Im Erdgeschoss bemühen sich Franzi, Christoph, Markus und Adel, das Chaos bis Mitte Oktober in einen Imbiss zu ver­wandeln, der außer dem üblichen Spä­ti­sor­timent auch vegane und vegeta­rische Speisen zum kleinen Preis anbieten wird. Die stark heruntergekommenen 120 Qua­d­rat­­meter können sie nutzen, weil die ur­sprünglich vorgesehenen Personen kurz­fri­stig abgesprungen sind. Sie suchen die Ei­­gen­verantwortung, ein Einkommen oh­ne Chefs, wollen der alternativen Szene im Leipziger Westen einen Anlaufpunkt ge­ben und eine Lücke im Angebot der preis­günstigen und gesunden Ernährung ab­seits von VoKüs schließen. Der Ent­wick­­lung des Stadtteils sehen sie freudig ent­­gegen; weil die Südvorstadt überlaufen und teuer ist, wird sich die Jugend wohl auch in Zukunft mehr gen Westen orien­tie­­ren. Noch vor der eigentlichen Eröff­nung ist geplant, die Räumlichkeiten mit Le­sungen und Konzerten zu bespielen, In­ter­­essierte sind aufgerufen, sich zu mel­den.

Nebenan werden Dana und Tom den La­den Akash eröffnen, der Waren des täg­lichen Bedarfs, hauptsächlich aus Indien, vertreiben wird. Das Paar betreibt schon seit längerem einen Internetversand unter selben Namen (www.akash.de), hat mehre­re Jahre in Indien gelebt und, weil der Platz in den heimischen Wänden knapp wurde, im Wächterhaus eine ihrer Ansicht nach ideale Möglichkeit gefun­den, ihre Waren auch ohne großes finan­zielles Risiko einem größeren Kundenkreis bekannt zu machen. Sie schätzen die an­ste­henden Renovierungsarbeiten der 70 Quadratmeter als gering ein, am 13. Sep­tem­ber soll die Eröffnung sein und das vor­handene Angebot im Quartier ergän­zen. Eine echte Alternative zur Karl-Lieb­knecht-Straße entstehe hier, vor allem die Karl-Heine-Straße sei dabei, der Lebens­ader der Südvorstadt den Rang abzulau­fen, ist Tom überzeugt. Und das deshalb, weil die Strukturen hier noch nicht so gefestigt seien und viel Raum für Krea­tivität böten. Wer glaubt, sich in die Innengestaltung des Ladens sinnvoll einbringen zu können oder eigene Pro­dukte über Akash vertrei­ben möchte, kann sich gerne melden.

Räucherwerk und Möbel

Im 1. Obergeschoß ist Anja gerade dabei, auf 120 Quadratmetern ihren lang geheg­ten Traum vom eigenen Laden zu verwirk­lichen, welcher aber nicht nur ein Laden sein soll, sondern auch ein Ort der Begeg­nung. Sie freut sich über die logistische Unterstützung des Vereins und lobt den Zusammenhalt der Hausgemeinschaft. Neben einer Werkstatt und einem Ver­kaufs­­raum für ihre Gewürze, Räucherwerk und selbstgezogenen Kerzen (die auch bei Akash erhältlich sein werden) soll später eine Töpferin das Angebot ergänzen. Au­ßer­dem sucht sie noch Leute, die sich in das Gesamtkonzept einbringen und den künf­tigen Seminarraum mit Leben erfül­len wollen. Sie könne sich sehr gut Hand­werkskurse oder etwa Schulungen zur gewaltfreien Kommunikation vorstellen. Ihr Nachbar auf der Etage ist Jörg, ein Mö­bel­bauer, der dort seine Designerstücke fertigen und präsentieren will.

HGB-Etage

Das Stockwerk darüber ist in die Hände von Andi, Markus, Florian, Kathe und Marian gelegt worden, allesamt Stu­den­t_in­nen der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). Sie freuen sich über den relativ günstigen Arbeitsraum und die Nähe zur künstlerischen Szene im Wes­twerk und der Spinnerei. Ihre 210 Quadratme­ter ste­hen bereits jetzt weit­gehend zur Nut­zung bereit, ob sie in den Räumen jemals eine Ausstellung ma­chen werden, ist un­klar. Ein Erlöse ver­spre­chendes Mo­dell ha­ben sie nicht, dafür Arbeitsraum, der sie wenig kostet und schnell verfügbar ist, weil ihre Ansprüche ge­ring sind. Auch sie sehen noch ein enor­mes Entwick­lungs­po­ten­zial im Revier, ihre Freude wird lediglich da­durch getrübt, dass die LWB sich viel Zeit lasse, den Stroman­schluss zu verlegen.

Yoga und Kunst

Im dritten OG wer­keln momentan Manuela und Claudia auf 80 Quadrat­me­tern, um ab September dort Kurse für Ashtanga Yoga anbieten zu können. Sie schildern es als besondere Art der Bewe­gungs­meditation, eine dynamische Art der Körper- und Geistarbeit – aber nicht zu eso­terisch – für die es bislang in Leipzig kei­ne Schule gebe, die Anfängerkurse an­bie­tet. Ihr Ziel ist, den Raum auch an­de­ren zu überlassen, damit diese dort Kur­se anbieten können, zum Beispiel für Medi­tation, Yoga oder Reiki. Darüber hinaus sind wöchentliche Treffen angedacht, um einen Treffpunkt für Gleichgesinnte zu bieten. Ihre Nach­barn werden drei Künst­ler werden, die dort ihre Ateliers einrich­ten wollen, aber bislang noch nicht in Er­scheinung getreten sind. Ob jene dann auch ein Gewinn schöpfendes Ge­schäfts­modell vorweisen können war daher noch nicht in Erfah­rung zu bringen. Auf die ersten Erlebnisse der Wächter_innen sowie Reaktionen von Seiten der LWB darf mensch gespannt sein.

(bonz)

Hintergründe aus FA! #29

Wie im letzten Heft bereits vorgestellt, in­teres­siert uns am Wächterhaus-Konzept des HausHalten e.V. am meisten, inwie­weit das Ganze im Sinne sozialer Stadt­ent­wicklung in die Pflicht genommen wer­den kann. Anlass hierzu gibt der Ver­ein selbst, der sich dieses entwick­lungs­po­litische Ziel ja setzt und sich dadurch auch profiliert. Als Zwischenergebnis muss­ten wir jedoch feststellen, dass der HausHalten e.V. neben der Höhertaxie­rung des Verkehrswerts der Häuser keine we­sentlich soziale Perspektive aufweist und zudem kaum Kriterien anzugeben weiß, nach denen eine solche positive Ent­wicklung projektiert und schließ­lich auch for­ciert werden könnte. Deswei­te­ren wurde deut­lich erkennbar, dass die Interessen derjenigen, die man ja als Protago­nisten einer ge­wünsch­­ten Entwicklung be­trach­ten muss, näm­lich die WächterIn­nen zuallererst selbst, im Konzept des Vereins am wenigsten zur Geltung kommen. Am runden Tisch sitzen letzt­lich nur das Ka­­pi­­talinter­esse des eigentlichen Besitzers, neben den In­ter­essen der Stadt Kosten zu sen­ken und den Eigeninteressen des Vereins. Bedenkt man dabei, dass über die Er­he­bung von Neben­kosten und den an den Verein zu entrichtenden Mitgliedsbei­trag die Nutzung nur noch halb so „günstig“ ist, hohe Eigenleistungen zu er­brin­gen sind und quasi kein Mietrecht in Anspruch genommen werden kann, dann wirkt der glänzende Vorschein des Kon­zeptes doch schon reich­lich fade. Denn es dürfte klar sein, dass eine „klassische Gen­tri­fi­zierung“ – indem hö­here Mieten ein­fach „soziale Probleme“ in an­dere Stadt­teile verdrängen – keine nachhaltig so­ziale Entwicklung darstellt.

Trotz dieser Kritik an dem Modell „Wäch­ter­haus“ scheint es uns jedoch nicht müßig, die Praxis vor Ort, die Erfahrungen und das Enga­ge­ment der WächterInnen näher unter die Lu­pe zu nehmen. Denn fernab der mangelnden Zie­le des Vereins ist es ja möglich, dass von den Nutze­rInnen und ihren Projekten selbst po­sitive Impulse ausgehen, die man im Sinne so­zialer Stadtentwicklung verstehen könnte.

Diese Spurensuche führte uns aus aktuel­lem Anlass zuerst in die Zschochersche Straße 23, wo in diesen Tagen munter gewerkelt wird, um das neuste Wächterhaus schnellstens bezugfertig zu machen.

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