Dass Neonazis jeden Fall von Kindesmissbrauch für die eigenen Zwecke ausschlachten und mit simplen Rezepten die Mehrheitsmeinung für sich zu gewinnen versuchen, ist nichts Neues. Der Fall der Ermordung der achtjährigen Michelle bekommt dadurch zusätzliche Brisanz, dass es sich beim Opfer zufällig um die Nichte von Istvan Repaczki handelte, einem der Hauptakteure der Freien Kräfte Leipzig.
Repaczki und die Freien Kräfte nutzten die Gelegenheit und organisierten für den 21.8. einen Trauermarsch. An einem weiteren Trauermarsch vier Tage später nahmen etwa 600 Menschen teil. Die trauernden Bürger_innen ließen sich dabei von den zahlreich anwesenden Neonazis nicht stören. Dem Vorwurf einer politischen Instrumentalisierung des Falles widersprachen sie mit folgender Begründung: „Das Mitführen von Transparenten auf denen die Todesstrafe für Kinderschänder gefordert wird, ist angesichts des tragischen Ereignisses vollkommen legitim. Diverse Parteifahnen, Flugblätter oder sonstiges sind unserem Kenntnisstand zur Folge, nicht mitgeführt worden“ (1). Offensichtlich ist es mit dem Gedächtnis der Kameraden nicht weit her – oder sie halten Transparente mit der Aufschrift „Nationaler Sozialismus jetzt“ für unpolitisch (2). Zudem wäre es keinen Deut besser, wenn man sich tatsächlich „nur“ auf die Forderung nach „Todesstrafe für Kinderschänder“ beschränkt hätte. Fakten wie die fehlende Wirkung solcher Maßnahmen auf Triebtäter werden dabei standhaft ignoriert, ganz abgesehen davon, dass die mögliche Perspektive einer Gesellschaft, die sich anmaßt, Menschen ihr Existenzrecht abzuerkennen, keine besonders erfreuliche ist. Politisch weitaus wirksamer sind da schon eher platte Parolen, die Erschütterung und Wut in Rachsucht verwandeln und mit der Angst der Bevölkerung spielen.
Die massive Präsenz von Neonazis bei den Demonstrationen konnten auch die Medien auf lange Sicht nicht ignorieren. Nachdem Bürgerinitiativen und Antifa auf das Problem aufmerksam machten und sich sogar die Eltern der Ermordeten von dieser Sorte „Anteilnahme“ distanzierten, trennte sich die Spreu vom Weizen. An einer weiteren Kundgebung am 1. September – ironischerweise ebenfalls zum Weltfriedenstag und zeitgleich zur Verleihung des Friedenspreis „LEIPZIG GEGEN KRIEG“ – nahmen etwa 280 Neonazis teil, die „Normalbürger_innen“ blieben diesmal weitestgehend fern.
Die öffentliche Thematisierung war bitter nötig, immerhin sind Repaczki und die Freien Kräfte Leipzig keine Unbekannten mehr und bisher nicht durch übermäßig menschenfreundliches Verhalten aufgefallen (siehe FA! #28 und #29). So musste sich Repaczki Mitte Juli, im Zusammenhang mit einem Überfall auf das AJZ Bunte Platte im letzten Jahr, vor Gericht verantworten. Er wurde beschuldigt, eine körperlich behinderte junge Frau als „genetischen Dreck“ beschimpft und geäußert zu haben: „So was wie euch hätte man früher ins KZ gesteckt.“ Am Ende wurde Repaczki freigesprochen, das Gericht sah es nicht als erwiesen an, dass tatsächlich er die betreffenden Äußerungen von sich gegeben hatte. Die Aussagen der Polizei und der Betroffenen seien widersprüchlich, zudem seien die Angreifer bei dem Überfall vermummt gewesen. Die Staatsanwaltschaft erklärte dagegen, durch seine Brille sei Repaczki zweifelsfrei zu identifizieren gewesen. Im November sollen er und weitere Mitglieder der Freien Kräfte wegen der bei dem Überfall begangenen Körperverletzung erneut vor Gericht stehen.
(momo & nils)
(1) de.altermedia.info/general/ganz-leipzig-trauert-um-michelle-260808-2_15837.html, alle Fehler im Original
(2) Siehe: de.altermedia.info/general/achtjahrige-michelle-ermordet-220808_15747.html