Abschied von der Lohnarbeit

Recht auf Faulheit!

Die „Agenda 2010“, seit Anfang des Jahres in Kraft, ist gescheitert. Die Arbeits­losenzahlen sind unverändert hoch, und auch die Kosten der Maß­nah­me sind höher aus­ge­fallen als ge­plant, die Süd­­deut­­sche Zei­­­tung sprach von ca. 6,4 Mil­l­ia­r­­den Eu­­­ro. Ver­wun­dern kann die­ses Versagen nicht, geht die Agenda 2010 doch ohnehin weit am Kern des Problems vorbei. Zunächst ist ja weniger die Arbeitslosigkeit das Problem, als vielmehr die finanzielle Notlage, die daraus folgt. Und um zu erkennen, dass es nicht mal annähernd so viele freie Stellen wie Erwerbslose gibt, reicht das leidliche Beherrschen der Grund­rechen­arten aus. Dass das Problem nicht nur in der (unterstellten) indi­vi­duel­len Faulheit der Betroffenen begründet liegt, hätte der Regierung also durchaus klar sein müssen. Nur statt das zur Kenntnis zu nehmen, wurde weiter so getan, als müs­se man die Erwerbslosen bloß genug unter Druck set­zen, um sie alle in Lohn und Brot zu zwingen. Nützen tut das freilich nichts, vielmehr wird die ohnehin prekäre Lage weiter Bevöl­kerungsteile nur ver­schlim­mert.

Gürtel enger schnallen?

Angesichts des offenbaren Versagens der Agenda 2010 liegt es nahe, nach Alter­nativen zu suchen. Eine Idee, die derzeit wieder verstärkt diskutiert wird, ist das sogenannte „Existenzgeld“. Dieser For­der­ung hat sich z.B. das Netzwerk Grund­ein­kommen verschrieben, die 2004 ge­gründete deutsche Zweigstelle des Basic Income European Network, auch bei Attac setzt man sich dafür ein. Als weiteres Beispiel wäre der Berliner Kultursoziologe Wolfgang Engler zu nennen, der in seinem kürzlich erschienenen Buch „Bürger, ohne Arbeit“ ähnliche Ideen vertritt.

Die Grundidee ist die, dass prinzipiell jeder Mensch ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlich produzierten Reichtum hat (und das unabhängig von irgendwelchen vorher erbrachten Leistungen). Das würde nicht nur Unterstützung für Grund­be­dürfnisse wie Obdach, Kleidung und Nahrung umfassen, auch die Teilhabe am kulturellen Leben soll damit gesichert werden (also etwa Kino- und Museums­be­suche usw.). Das geforderte „Existenz­geld“ wäre demnach nicht identisch mit dem bloßen Existenzminimum. Ebenso sollen mit dem Erhalt dieses Existenzgeldes auch kein Arbeitszwang und keine Schi­kanen mehr verbunden sein. Wer Arbeit will, soll sich eben selbst darum kümmern – die Vermitt­lungs­erfolge der Arbeitsa­gen­tu­ren sind eh nicht allzu be­rau­schend.

Ein zunächst nicht un­sym­­pa­thischer Gedanke also. So ist es sicher richtig, ent­gegen der derzeit ge­übten Verzichts­rhetorik eben nicht den Gürtel enger zu schnal­len, sondern auf einem men­schen­würdigen Leben für alle zu bestehen. Trotz­dem ist die Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen in sich nicht ganz schlüssig – vor allem, wenn man dieses, wie Attac und das Netzwerk Grundein­kommen das tun, als Mittel zur Über­windung des Kapitalismus versteht.

Markt, Kapital & Staat

Die Frage ist, warum man dabei aus­gerechnet vom Staat Unterstützung erwarten soll (schließlich wäre auch das „Existenzgeld“ immer noch eine staatliche Zuwendung). Im Gegensatz zur Meinung vieler heutiger „Globalisierungskritiker“, die den Nationalstaat als letztes Bollwerk gegen den weltweit grassierenden Neo­li­beralismus sehen, war dieser schon immer eng mit der Wirtschaft verbunden und eben keine neutrale Instanz. Deutlich wird das etwa in der Strafgesetzgebung, die sich in ihrer Gänze am Prinzip „Haben vor Sein“ ausrichtet. Angriffe auf das Eigen­tum werden härter geahndet als solche auf Leib und Leben; so liegt die Höchststrafe für Kindesmissbrauch bei 5 Jahren Gefängnis – bei 5 Jahren fängt das mögliche Strafmaß für Handtaschenraub erst an.

Auch der Sozialstaat lässt sich als Ausdruck die­ser Symbiose von Kapi­talismus und Na­tio­nalstaat sehen. Zum einen dient das so­zialstaatliche Umver­teilungs­sys­tem dazu, die sich aus der markt­wirtschaftlichen Wirt­schafts­­weise ergebenden Härten für die Be­völkerung abzufedern und halb­wegs erträglich zu gestalten. Zum andern geht es darum, eben dieses Wirtschaftssystem, das fort­während neue „Sozialfälle“ produziert, zu stabilisieren und am Leben zu halten. Denn es ist keineswegs so, dass das freie Wirken des „Marktes“ Wohlstand für alle bringt. Weit entfernt davon führt die Konkurrenz am Markt zu einer stetigen Polarisierung in arm und reich. Wer viel Kapital besitzt, hat eben bessere Mög­lichkeiten, noch mehr daraus zu machen, als jemand, dessen Einkommen grad zum Überleben reicht. Die Funktion des Sozialstaates ist es, die sich daraus ergebenden Konflikte soweit abzumildern, dass sie nicht zur Gefahr für die be­stehenden Verhältnisse werden. Zum andern dient das Sozial­system auch dazu, die Arbeitskraft der Erwerbslosen zu bewahren, d.h. sie vor der völligen Verelendung zu bewahren, damit sie weiter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Unterstützung wird also nur unter der Maßgabe gewährt, dass die grad erst von den Zwängen der Lohnarbeit „frei­gesetzten“ Individuen möglichst bald in diese zurückkehren.

Nicht umsonst wurden die Grund­lagen des heutigen Sozialsystems von Otto von Bis­marck gelegt, um der sozia­li­stischen Be­we­gung den Boden zu ent­ziehen. Auch der nach 1945 in Deutsch­land ent­standene mo­derne Sozial­staat war ein Mo­dell, das da­zu diente, soziale Ungleich­hei­ten soweit aus­zubalancieren, dass diese die Sta­­bilität des Gesellschafts­systems nicht ernsthaft ge­fährden. Wäh­rend des Booms der 50er und 60er Jah­­­re funk­­tio­­nier­­te das auch ei­ni­ger­ma­­ßen, nicht zu­letzt, weil sich die Arbeitslosigkeit in Grenzen hielt (schließlich hatte der 2. Weltkrieg ja auch Millionen Opfer ge­fordert). Spätestens mit der Krise von 1974/75 wurde Massenarbeitslosigkeit aber auch in der BRD wieder zum Pro­blem. Nach der Wie­­der­­ver­eini­gung wur­de das so­­zial­staat­liche Um­ver­teil­ungsmodell wieder verstärkt in Frage gestellt – dieses sei „nicht mehr fi­nan­zier­bar“. Ganz falsch war das nicht, aber auch nur eine Sicht unter vielen.

„Sachzwänge“

Schließlich wird das soziale System vor allem von den Erwerbstätigen finanziert, über Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Und obwohl die Lohnarbeit immer knapper wird, sind immer noch ca. 90% der Bevölkerung von dieser abhängig. Schließlich sind die Unternehmen ge­zwungen, Gewinne zu machen und diese möglichst rasch zu steigern. Das kann geschehen, indem man sich nach außen erweitert, z.B. durch Entwicklung neuer Produkte oder durch neue Absatzmärkte. Wenn das nicht geht, müssen die Pro­duk­tionskosten gesenkt werden, um sich durch niedrigere Preise einen Vorteil ge­genüber der Konkurrenz zu sichern. Und das einfachste Mittel zur Kostensenkung ist es eben, Leute zu entlassen. Da es zum einen immer schwieriger wird, neue Märkte zu erschließen, zum anderen in den letzten Jahrzehnten die Arbeits­pro­duktivität stark gestiegen ist – d.h. dank Mechanisierung der Arbeitsvorgänge, Computertechnik usw. immer mehr in kürzerer Zeit produziert werden kann – ist klar, dass auch die Arbeitslosenzahlen stetig steigen. Es gibt also immer mehr Erwerbslose, während gleichzeitig weniger Leute da sind, um den Sozialstaat zu finanzieren. Folgerichtig bröckelt es an allen Ecken.

Trotzdem, ganz so zwingend sind die „Sachzwänge“ für den Sozialabbau nicht. Schließlich kann der Staat Steuern erlassen und so selbst bestimmen, wie hoch seine Einnahmen sind. Nur hätte das gehießen, die Unternehmen stärker zu belasten – und dazu fehlte hier entweder der Wille oder die politische Entscheidungsmacht.

Auch der Sozialstaat ist also nur Ergänzung und Fortsetzung des Ka­pitalismus mit anderen Mitteln. Nur logisch, wenn es nun heißt: „Sozial ist, was Arbeit schafft!“. Ebenso, wenn Gerhard Schröder erklärt, es gäbe „kein Recht auf Faulheit“, denn das darf es im Ka­pitalismus tatsächlich nicht geben. Schließlich beruht dieser wesentlich auf der Ausbeutung mensch­licher Arbeitskraft – und wo käme man hin, wenn die Leute sich frei entscheiden könnten, ob sie nun ihre Arbeitskraft und Lebenszeit verkaufen wollen, oder eben nicht? Der Arbeitszwang ist integraler Bestandteil der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft, und der Sozial­staat ein Instrument zur Verwaltung der Armut, nicht zu deren Abschaffung. Die Über­windung des Kapitalismus ist also Vor­raussetzung für die Überwindung des Arbeitszwangs – und nicht umgekehrt. Und selbst wenn etwas wie das Grund­einkommen für alle in den gegebenen Verhältnissen möglich wäre, wäre es doch immer noch ein staatliches Almosen. Die Nutznießer desselben wären also immer auf das Wohlwollen des Staates angewiesen – so bedingungslos, wie die Vertreter der Idee das wünschen, wäre das be­dingungs­lose Grundeinkommen sicher nicht. Die Forderung an sich mag darum nicht falsch sein und emanzipatorischer als der Ruf nach „Arbeit für alle“ ist sie allemal. Nur zeigt sich hier auch ein grundlegender Mangel an fundierter Staatskritik und Analyse des Verhältnisses von Na­tio­nalstaats und Kapitalismus.

justus

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