Vom 6. – 8. Juni 2007 wird sich die politische Elite der wirtschaftlich und militärisch stärksten Staaten zum alljährlichen „Weltwirtschaftsgipfel“ in Heiligendamm treffen, um ihre Sicherheits- und Wirtschaftspolitik aufeinander abzustimmen. Diese Gruppe der Acht (G8) ist ein selbsternanntes Machtzentrum im Netz der transnationaler Institutionen wie WTO, IWF und Weltbank, auf die sie mit ihrer einseitigen Interessenspolitik Druck ausüben. Viele Menschen haben keine Lust mehr, sich von diesen Verwaltern globaler Probleme bevormunden zu lassen und immer lauter wird der Ruf nach Aufklärungsarbeit, Netzwerken, alternativen Inhalten und Infrastrukturen.
Bereits vom 4. bis 13. August diesen Jahres trafen sich ca. 1.000 AktivistInnen auf dem Camp-Inski in der mecklenburgischen Pampa ca. 20 km Luftlinie von Heiligendamm entfernt. Sie sind Teil der globalisierungskritischen Bewegung, die sich bereits in diesem Jahr auf das Gipfeltreffen 2007 verstärkt vorbereitet, in der Hoffnung durch ihren Protest medienwirksam auf die Widersprüche der G8 hinzuweisen und gleichzeitig dauerhafte emanzipatorische Strukturen aufzubauen. Damit stellen sie sich in eine 20jährige Tradition des Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung „von oben“.
Schon 1984 fand der erste Gegengipfel „The Other Economic Summit“ in London statt und ein Jahr später dann auch die ersten Protestaktionen auf den Straßen von Bonn. In den 90ern wurden die Demonstrationen gegen die G8-Gipfel und transnationale Organisationen kontinuierlich größer. Einen wichtigen Höhepunkt erlebten die Proteste dann 1999 in Seattle, US-Staat Washington, als es gelang, dass WTO-Treffen massiv zu stören. Zwei Jahre später in Genua demonstrierten dann bereits Hunderttausende. Überschattet vom Tod Carlo Guiliani‘s ist es der Erfolg der Protestbewegung, dass die G8 seitdem aus den Großstädten verdrängt und sich in abgelegene Gebiete geschützt von einem massiven Hochsicherheitsaufgebot von Polizei und Militär zurückzieht.
Auch 2007 werden Marine und Bundesgrenzschutz (heute: Bundespolizei, s. FA! #23) zum „Schutz“ des G8-Gipfels eingesetzt, zusätzlich wurde bereits beschlossen, dass im Januar mit dem Bau eines 13 km langen und 2,5 m hohen massiven „Antiterroristischen Schutzwalls“ um das 270-Seelen-Dorf Heiligendamm begonnen wird. Wieviel muss mensch sich noch gefallen lassen? Die „Festung Heiligendamm“ wird das Fass zum überlaufen bringen, denn auch heute ist schon klar, dass die G8 keine Probleme lösen kann, sondern selbst Teil des Problems ist.
Was ist die G8?
Der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems (1), die erste große Ölkrise und der Beginn der wirtschaftlichen Globalisierung Anfang der 70er waren die Vorboten. Regierungsvertreter der USA, F, GB, I, D und Japan sahen es für notwendig an, ein internes Forum zu bilden, in dem sie ihre Wirtschaftspolitiken aufeinander abstimmen können. Somit entstand 1975 die „Gruppe der Sechs“, welche bereits ein Jahr später zur G7 (Kanada) erweitert wurde. Obwohl das 8. Mitglied, Russland, erst seit diesem Jahr gleichberechtigt ist, nimmt es schon seit 1994 an den Gipfeltreffen teil. Die EU gilt sogar inoffiziell als 9. Mitglied (2). Die jährlich hinter verschlossenen Türen stattfindenden Gipfelgespräche, die sich bereits den 80ern auch um außenpolitische Fragen drehen, dauern drei Tagen, und die Entscheidungen zu den diversen Themen werden in Abschlusserklärungen veröffentlicht, die sehr vage gehalten und mit einer Rhetorik der Armutsbekämpfung, Nachhaltigkeit und Menschenrechte versehen sind. Diese verdeutlichen immer mehr die Widersprüchlichkeit der G8 bezüglich Anspruch und Wirklichkeit. Ihre Entscheidungen sind offiziell nicht bindend, doch zeichnen sie bereits zukünftige Debatten über globale Probleme und wie diese innerhalb transnationaler Institutionen wie u.a. IWF, WTO, EU etc. zu lösen sind, vor. Die Definitionsmacht der G8 kann nicht unbeantwortet bleiben. Sie definiert globale Probleme in Bereichen wie: Sicherheit, Migration, Finanzmärkte, Patentrecht, „Krieg gegen den Terror“ etc., wobei die katastrophalen sozialen Folgen ihrer Wirtschafts- und Sicherheitspolitik kaum Beachtung finden. So werden zwar „Entwicklungsländer“ thematisiert, jedoch nicht die Machtverteilung zwischen Nord und Süd, oder sie sprechen über Energiesicherung, nicht aber über die Rücksichtslosigkeit dieser Ressourcenkämpfe. (3)
Eine globalisierungskritische Bewegung
Die Suche nach Alternativen, wenn auch nicht einheitlich und widerspruchslos, hat schon längst begonnen. Auch die Mobilisierung zum Gipfeltreffen 2007 in Heiligendamm umfasst viele unterschiedliche politische Spektren wie Gewerkschaften, Flüchtlingsorganisationen, autonome Antifas, antirassistische Initiativen, UmweltaktivistInnen, NGOs, Anti-AKW-Bewegung u.a. So unterschiedlich ihre Organisations- und Diskussionsform, politischen Positionierung, Selbstverständnis, so schwer ist es auch, den gemeinsamen Protest praktisch und inhaltlich zu koordinieren. Die Heterogenität dieser Bewegung ist gleichzeitig auch ihre Stärke: Sie spiegelt die Diversität menschlicher Beziehungen wider, macht transnationale Diskussion, Vernetzung und Austausch möglich, zeigt Kontinuitäten von Netzwerken und Bündnissen auf! (4)
Hiermit sei auch die weit verbreitete Annahme korrigiert, GlobalisierungskritikerInnen stünden in Gegnerschaft zur Globalisierung. Vielmehr wird eine „Globalisierung von unten“ angestrebt. Sie sprechen sich nicht für eine globale Bewegungsfreiheit des Kapitals, sondern für die Bewegungsfreiheit von Menschen aus, und für einen überlegten Umgang mit der Natur. Damit sprechen sie vernachlässigte bzw. einseitig dargestellte Themen an, wie die Ökonomisierung immer weiterer Lebensbereiche, die Lage von Frauen und Kindern speziell in südlichen Ländern, die Folgen weltweiter Finanzströme, Antisemitismus uvm.
Momentan wird explizit ein spektrenübergreifender Nenner gesucht, um gemeinsame Forderungen herauszukristallisieren und Alternativen Gehör zu verschaffen. Bisherige Vorschläge eines gemeinsamen Mottos der G8-Proteste, die sich bewusst einer Negativforderung (z.B. „G8 Abschaffen“) verweigern, sind: „Globale Rechte aneignen“ oder „Globalisierung von unten. Aneignung – Migration – Prekarisierung“. (5) Direkte Einblicke in diese Diskussion sowie allgemein zur Mobilisierung der G8-Proteste bekommt mensch vom 10. – 12. November bei der zweiten Internationalen Aktionskonferenz in Rostock. (6)
Die Durchführung des Gipfels 2007 soll durch kreative Aktionen gestört und globalisierungskritische Positionen stärker in die Öffentlichkeit getragen werden. Ebenso sollen die Möglichkeiten spektrenübergreifender Zusammenarbeit und Lebens-Alternativen aufgezeigt werden. Dabei bleibt es notwendig, sich explizit von rechten Strukturen und Neonazis abzugrenzen, die auch die G8 aufgrund fehlender Legitimität angreifen und wegen ihres nationalen Heimatwahns schon eher als Globalisierunsgegner zu bezeichnen sind.
Das Camp-Inski – Konkreter Widerstand
Das 10tägige Camp (7) war anfangs direkt an der Ostsee geplant. In der Hochsaison einen Campingplatz für mehrere hundert Menschen zu finden, war jedoch unmöglich. Zusätzlich erteilten einige umliegende Gemeinden keine Genehmigung für ein Camp und so wurden ca. 20km von der Ostsee entfernt die Zelte aufgeschlagen. Da für nächstes Jahr in der Gegend um Heiligendamm ein Gegengipfel, Aktionstage, ein oder mehrere Camp(s) und mindestens eine Großdemo geplant sind, war dies schon mal der erste organisatorische Prüfstein. Zusätzlich muss weiterhin an der Außenwirkung der Proteste gearbeitet werden, und das gerade in Meck-Pomm, wo es an politischen alternativen linken Strukturen mangelt.
Leider fand nur eine Anwohnerin den Weg auf ein Podium, wo sie ihren Unmut an der Bewegung äußerte. Sie traf den Nagel auf den Kopf, als sie sich als „Außenstehende“ und das Camp als ein eingeschworenes „Geklüngel“ bezeichnete, welches nicht das Anliegen habe, ernsthaft nach außen zu wirken. Es zeigte sich, dass inhaltliche Debatten nicht nur innerhalb der Protestbewegung ablaufen dürfen, sondern auch darüber hinaus vermittelt werden müssen. Damit wären auch die Medien gezwungen, mehr über Inhalte der Proteste zu berichten als nur spektakuläre Bilder zu zeigen.
Auf dem internationalen Mobilisierungscamp-Inski sollte der „symbolische und praktische Bruch mit dem Machtanspruch der G8“ geprobt werden. Unterschiedliche kreative Aktionsformen (Clownerie (8), Samba-Band, Stelzenlauf, Door Knocking) wurden auf dem Camp geplant und u.a. in Wismar, Rostock, Bad Doberan und Heiligendamm demonstriert.
Im Gegensatz zu der öffentlichkeitswirksamen, kraftvollen Demonstration gegen Abschiebung in Rostock, erwies sich die Badespass-Aktion in Heiligendamm als weniger amüsant. An diesem Tag hatte sich fast das ganze Camp auf den Weg nach Heiligendamm gemacht: zum Besichtigen des Nobelhotels Kempinski, wo die G8 2007 untergebracht sein wird, sowie für kleinere Aktionen rund um den Gipfel. Die „Molli“, ein privater, traditioneller Zug und Touristenattraktion, war die einzige Möglichkeit von Bad Doberan nach Heiligendamm zu gelangen, wenn man keine 7 km laufen wollte oder keinen Platz in einem Auto bekommen hatte. Ca. 100 CamperInnen legte den Molli-Verkehr kurzzeitig lahm, als sie sich weigerten zu zahlen. Kurz vor Heiligendamm wurde die Molli dann von mehreren Polizei- und SEK-Einheiten gestoppt und umstellt. Die CamperInnen wurden des Schwarzfahrens bezichtigte und aufgefordert auszusteigen, damit Personalien aufgenommen und Strafverfahren eröffnet werden können. Als der Schaffner daran erinnert wurde, den CamperInnen erlaubt zu haben, kostenlos mitzufahren, griff die Staatsgewalt zum Erpressungsversuch: entweder Anzeige oder Ticket lösen.
Auf dem Rückweg zum Camp lief es nicht so glimpflich ab. Als sich ca. 80 CamperInnen in einer Regionalbahn drängten, tauchte Polizei und SEK wieder auf, diesmal weniger diskussionsbereit. Ohne Warnung oder Begründung versuchten sie mittels Schlagstöcken und Pfefferspray in den Zug zu gelangen. Dabei wurde ein Camper verhaftet und mehrere Panikanfälle ausgelöst.
Mit Konfrontationen mit der Staatsgewalt, sowie allgemein mit „Demokultur“ wurde sich dann auch während des Camps auseinandergesetzt. In einem Workshop tauschten ca. 60 AktivistInnen ihre Erfahrungen aus. Schon so früh wie möglich sollten Gruppen entstehen und sich über persönliche Stärken, Schwächen, Durchhaltevermögen, Angstgrenze etc. auszutauschen, damit Vertrauen und Zuverlässigkeit entstehen kann. Solidarität im Kleinen eben.
Dies war nur eine der ca. 150 Veranstaltungen und Workshops auf dem Camp-Inski. Inhaltliche Auseinandersetzungen fanden zu Themen wie Befreiungskämpfen in Lateinamerika, Gentechnik und Landwirtschaft, Hierarchien, Sexismus, Globale Rechte uvm. statt. Speziell eine Debatte erhitzte die Gemüter des gesamten Camps: die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Eine sich als anti-imperialistisch verstehende Gruppe stieß mit der Forderung: „Stoppt den mörderischen Angriffskrieg Israels gegen den Libanon. Gerechtigkeit für Palästina“ auf viel Empörung. Nachdem ihr Transpi eines Nachts im Dixi gelandet war, brach die große Aufregung aus. Die besagte Gruppe verurteilte das gesamte Camp und erwartete Entschuldigungen. Die Tat an sich („fremdes“ Transpi ohne Worte abnehmen und wegschmeissen) sollte daraufhin getrennt vom Inhalt des Transpis diskutiert werden. Ein Tag später hing ein neues Transpi mit oben genanntem Inhalt, aber diesmal begleitet von einem Weiteren mit der Aufschrift „Stoppt den antisemitischen Irrsinn von Hamas, Hisbollah. Existenzrecht für Israel“. Auch wenn später noch diverse Workshops u.a. zum Libanon und „Antisemitismus in der Linken“ stattfanden, wurde es offensichtlich, dass zum Thema Naher Osten noch viele Debatten innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung nötig sind.
Insgesamt gesehen war das Camp-Inski aber ein riesiger Erfolg. Der Ausblick auf eine realistische Möglichkeit, die G8-Proteste nächstes Jahr öffentlichkeitswirksam, mit reflektierten Inhalten und hunderttausendfacher Beteiligung durchzuführen, war überwältigend. Der G8-Gipfel 2007 bietet nur eine Möglichkeit gegen einen Globalisierungsprozess zu demonstrieren, welcher ein ignorantes Herrschaftssystem repräsentiert, das im Namen vom profitorientierten Wirtschaftswachstum, den Wohlstand und das Glück dieser Welt nur für die „1.Klasse“ reservieren will. Auch wenn in den westlichen Nationen im Gegensatz zu südlichen Ländern, die alltägliche Gewalt nicht unmittelbar erfahren wird, sind auch die Menschen z.B. in der EU oder USA von den fatalen Folgen eines kapitalistischen und politisch globalen Systems tagtäglich betroffen. Es gilt kritisch zu denken, Kontinuitäten aufzubauen, sich solidarisch zu verhalten und laut NEIN zu sagen zu einer Politik der Angst und arroganten Machtinszenierung.
droff
(1) Ein Währungssystem mit festen Wechselkursen auf Dollarbasis, das1973 zusammenbrach. Es wurde auf der Bretton-Woods-Konferenz 1944 beschlossen, wo auch Weltbank und IWF gegründet wurden.
(2) Heute treffen sich einmal im Jahr die politischen Eliten (Regierungsvertreter und Minister) der heute acht wirtschaftlich stärksten Nationalstaaten, sowie der Präsident der Europäischen Kommission und der Präsident des Europäischen Rates zu den Gipfeltreffen.
(3) weiterhin: „G8-Gipfel: so what?!“, Broschüre zum Diskussionsforum G8 beim Buko-29-Kongress, Mai 2006 in Berlin: www.buko.info
(4) Infogruppe: www.gipfelsoli.org, Interventionistische Linke: www.g8-2007.de, dissent! Gruppe: dissentnetzwerk.org. Siehe auch FA! #7: „Proteste gegen den G8-Gipfel“, FA! #23: „29. Buko-Kongress und G8“.
(5) weiterführend: „Einblicke in das Innenleben einer Mobilisierung“: www.gipfelsoli.org/Heiligendamm.html
(6) www.heiligendamm2007.de
(7) www.camp06.org
(8) www.clownarmy.org