Die EU reformiert sich und keinen interessierts – alte Inhalte aus der 2005 gescheiterten EU-Verfassung sollen nahezu unverändert nun ab 1. Januar 2009 doch wirksam werden.
Was geht mich die EU an, mag mensch sich fragen. Wie funktioniert die überhaupt? Auf der Suche nach Antworten würde er/sie entsetzt feststellen, dass diese politische Gemeinschaft sich stark durch zentrale Entscheidungsgewalt, wirtschaftliche Profitinteressen, immensen Bürokratieaufwand, militärische Aufrüstung, Juristensprache und Uniformierung von Standards, Werten und Normen auszeichnet. Ganz im Sinne „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, verschließt mensch gerne mal Augen und Ohren und verkennt den Größenwahn europäischer Politik. Dieser reicht von der Festlegung von Mindestpreisen für Lebensmittel zum Schutz europäischer Landwirte, die weltweit ohnehin schon zu den Bestverdienenden zählen; von der Normierung von Schlafsäcken, Briefkästen etc. bis zur Gurkenkrümmung zugunsten von Wettbewerbsvorteilen der eigenen Massenproduktion; über das Verbot sozialer Mindeststandards (1); bis hin zur Selbstermächtigung zwischen 27 nationalstaatlichen Interessen zu vermitteln. Und so wusste B. Brecht damals schon: „Unsichtbar wird der Wahnsinn, wenn er genügend große Ausmaße angenommen hat.“
Hintergründe
Es geht um die Funktionsfähigkeit und somit Zukunft der EU, wenn die Chefs der 27 Mitgliedsstaaten meinen, die EU-Grundordnung ändern zu müssen. Diese ist bisher wesentlich in zwei Grundlagenverträgen (EG-Verträge von Rom 1957, EU-Vertrag von Maastricht 1992) geregelt. Spezifischer wird es durch zusätzlichen Protokolle, Erklärungen und Sonderregeln sowie den Beschlüssen, die als Richtlinien oder Verordnungen umgesetzt wurden. Zusammengenommen umfasst so das Recht der EU 80.000 Seiten.
Die durch die Lissabon-Reform geänderten Grundlagenverträge sind dagegen „nur“ ein paar hundert Seiten lang. Hier sind grundsätzliche Vereinbarungen zwischen den 27 Regierungen festgeschrieben, Aufgaben und Aufbau europäischer Institutionen festgelegt und gemeinsame politische Bestimmungen formuliert. Aus dieser Zusammenarbeit resultiert ein rechtlicher Rahmen, der nationalstaatliches Recht/Gesetz brechen kann. Dieses sog. gemeinsame Europarecht steht über der nationalen Rechtsprechung und betrifft bspw. in Deutschland 2/3 aller staatlichen Politikbereiche, so dass jede/r mal mehr, mal weniger von Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, betroffen ist. In den anderen 26 Staaten sieht es nicht viel anders aus, so dass die aktuelle Reform der EU-Grundlagenverträge für nahezu 500 Millionen Menschen relevant wird.
Was zukünftig gelten soll, wurde bereits vor sechs Jahren erarbeitet und war als EU-Verfassung geplant. Nachdem diese 2005 scheiterte, wurden im Juni 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft die alten Verfassungsinhalte im neuen Reformvertrag innerhalb nur eines Tages wieder „auf den Weg gebracht“, um letztendlich ab dem 1. Januar 2009 in Kraft treten zu können. War 2005 das Nein der französischen und niederländischen Wähler noch ohrenbetäubend, hat das Ja einiger Parlamentarier zu den alten Inhalten in neuer Form Anfang 2008 kaum jemand gehört. In Frankreich, Slowenien, Malta, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Polen wurde die Reform bereits, und jeweils mit großer Mehrheit, in den nationalen Parlamenten ratifiziert. Es scheint, dass die sicherheitsfixierten Staaten die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht der Unmündigkeit gestellt haben, da nur in Irland ein Referendum über die neue Reform entscheiden wird. Und selbst dieses wird nicht mehr als Hindernis angesehen, da spätestens das zweite Referendum das erwünschte Ja bringen wird, wie es schon bei der letzten Reform (Nizza-Vertrag seit 2003 gültig) funktionierte. Auf dem EU-Gipfel in Lissabon im Oktober 2007 haben sich die Staatschefs auf die neue alte Fassung geeinigt, im Dezember 2007 unterschrieben und seitdem für den Ratifizierungsprozess freigegeben. Es ist gegenwärtig sehr wahrscheinlich, dass auch in allen anderen Parlamenten „Ja“ zur Lissabon-Reform gesagt wird, da diese auch mehr Mitspracherecht für die nationalen Parlamente vorsieht, so dass sich die Parlamentarier selbst um ein Vetorecht brächten, wenn sie die Reform ablehnen würden. Denn diese gibt ihnen die Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof eine Klage einzureichen, wenn 2/3 von ihnen meinen, dass ein europäisches Vorhaben die nationale Souveränität untergräbt. Große Umbrüche bringt eine Reform bekanntlich nicht – europäische und somit nationale Politik setzt natürlich weiter auf die Stabilität des bestehenden Systems.
Denn sie machen was sie wollen
Die neue Lissabon-Reform wird nicht, wie mit der damaligen Verfassung vorgesehen, beide Grundlagenverträge im Ganzen ersetzen, sondern wird diese „nur“ ergänzen – in Form einer Aufwertung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, der Pflicht zur militärischen Aufrüstung und einer weiteren Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen.
Welch ein Graus, dachten sich auch die 200.000 DemonstrantInnen im Oktober 2007 in Lissabon, die gegen den besagten EU-Gipfel protestierten und einem Aufruf der portugiesischen Gewerkschaft CGTP-IN gegen eine „EU-Verfassung durch die Hintertür“ folgten, während die 27 Staatschefs sich selbst und das Ende der Krise feierten. Proteste werden ignoriert und auch die Reforminhalte werden nicht öffentlich zur Debatte gestellt. Proteste, Diskussionen, Öffentlichkeit dürfen eben nicht aufkommen, wenn es um die Zukunft der Europäischen Union geht.
Wenn es Probleme mit dem Grundgesetz gibt, muss dieses halt geändert werden. So leicht ist es auch, doch leider nur für deutsche Regierungsvertreter. Damit die neuen EU-Grundlagenverträge verfassungskonform sind, muss das deutsche Grundgesetz, speziell der Artikel 23, geändert werden. Dieser „Europaartikel“ trat mit dem Vertrag von Maastricht 1992 in Kraft und erweiterte damals die EG zur EU, die seitdem über wirtschaftliche Beziehungen hinaus auch in Außen- und Sicherheitspolitik, Justiz, Polizei und Militär zusammenarbeitet. Mit Artikel 23 wurde die Weiterentwicklung der EU zum obersten Staatsziel erhoben und erstmalig nationalstaatliche Souveränität auf einen Staatenbund übertragen. „Nur weiter so!“ mag mensch zu diesem Schritt der staatlichen Selbstauflösung meinen, wenn sich nicht deutsche Politik einflussreich in der EU wiederfinden würde. (2)
Konsequenzen
Der Reformdruck der Union der 27 liegt darin begründet, dass der bestehende konstitutionelle und institutionelle Rahmen nicht ausreicht, um in staatlicher Organisierung „handlungsfähig“ zu sein. Immer mehr „Kompetenzen“ werden von nationaler auf europäische Ebene übertragen, so dass mehr Gesetze erlassen werden, um die hinzu kommenden EU-Zuständigkeiten zu ordnen. Die letzte Reform ist acht Jahre her und seitdem ist viel passiert (EU-Osterweiterung, 9-11), was eine Umstrukturierung der Zusammenarbeit innerhalb der EU-Institutionen (Gipfelrat, Kommission, Ministerrat, Parlament) notwendig macht. So verschwindet mit der Lissabon-Reform in noch mehr Bereichen das Vetorecht, indem die ursprünglich benötigte Einstimmigkeit bei wichtigen Entscheidungen zu Mehrheitsabstimmungen verkommt. Übrigens gilt ein Beschluss auch als einstimmig, wenn sich einzelne Mitglieder enthalten. Immer weniger dürfen mitreden, doch immer mehr kommt hinzu, was diskutiert werden müsste. Immer mehr Kompetenzen schreibt sich die EU auf ihre Fahne, wie im Bereich Justiz, Militär, Energiesicherung und Umwelt und gibt ihrem Gerichtshof unbewältigbare Berge von Anträgen, Streits zu schlichten. Warum dies nicht in lokale und selbstbestimmte Hände gelegt wird, bleibt die Frage an Unternehmer des Standorts EU, Staatsgetreue und Machtgierige. Bereits mit der Nizza-Reform vor acht Jahren wurde die Möglichkeit der „Anpassung des Rechtsprechungssystems“ eingeräumt, jedoch nur für den Rat der 27 und die EU-Kommissare, die einstimmig oder auf Antrag die gesetzlichen Grundlagen der EU ändern können – ganz nach dem Motto: was nicht passt, wird passend gemacht. Die Lissabon-Reform nimmt grundlegende Änderungen an der bisherigen Struktur der vertraglichen Grundlagen des EU-Konstruktes vor und hinterlässt ihre „dunklen Seiten der Macht“. (3) Die Spitzenjobs wie Ratspräsident und Außenminister werden zur Vollzeitarbeit, die doppelte Mehrheit wird eingeführt und so Kerneuropa noch mehr Macht über die anderen, kleineren Staaten zugestanden. Zeit ist bekanntlich Geld und so können Entscheidungen bald noch schneller gefällt werden.
Mit dem Blick auf die vertragliche EU-Grundordnung wird einiges klar und vieles bleibt unklar. Die Intention dieses Artikels ist von Anfang an begrenzt auf die Aufklärung über die wichtigsten Punkte der aktuellen Lissabon-Reform. Der Autor versuchte, trotz mangelndem juristischen Werkzeug, Licht in den europäischen Paragraphensumpf zu schlagen. Das Ziel ist erreicht, wenn der/die Leser/in gegen Entmündigung und Bevormundung der Staatsoberen und der EU jetzt aufbegehrt!
Entscheidungsgewalt
Die Erleichterung von Entscheidungsfindungsprozessen auf EU-Ebene ist Hauptbestandteil der Lissabon-Reform. Europäische Richtlinien und Verordnungen, die nur formell nicht als Gesetze bezeichnet werden, nehmen hauptsächlich im Europäischen Rat ihren Anfang. Dieser wurde 1974 als eine informelle Gesprächsrunde gegründet und ist mittlerweile zur einflussreichsten Institution europäischer Politik aufgestiegen. Dieser Rat der 27 Staatsoberen ist nicht zu verwechseln mit dem Ministerrat der EU und seinen 345 Fachministern. Die ersten begrifflichen Verwirrungen sind also schon hier vorprogrammiert.
Der Rat der 27 trifft sich auf den jährlich stattfindenden, nicht-öffentlichen EU-Gipfeln, um dort die gemeinsamen Ziele und die allgemeine Richtung der EU-Politik festzulegen. Was danach in den EU-Institutionen – Kommission, Ministerrat und Parlament – passiert, ist vor allem die Umsetzung der Beschlüsse dieses Gipfelrates. Da es der Rat der 27 selbst war, in dessen Rahmen der Kompromiss – alte Verfassung als neuer Vertrag – verhandelt wurde, ist dessen Macht auch in Zukunft kaum beschränkt. Ganz im Gegenteil: durch die Lissabon-Reform wird der bisherige sechsmonatige Vorsitz auf zweieinhalb Jahre erweitert. Davon verspricht sich der Gipfelrat „mehr Kontinuität“ seiner Politik und der jeweilige Ratspräsident entsprechend mehr Einfluss seiner zu vertretenden nationalen Interessen in der EU-Politik und von da ausgehend auch auf internationaler Ebene. (2)
Neben diesem EU-Vorsitz als Ratspräsident soll zukünftig ein neuer EU-Außenminister, der als „Hoher Repräsentant für Außen- und Sicherheitspolitik“ bezeichnet wird, der EU „ein außenpolitisches Gesicht“ geben. So muss wohl von einer Doppelspitze gesprochen werden, wenn dieser die EU zusätzlich nach Außen vertreten soll und mit nicht-EU-Staaten Verhandlungen im Bereich Handel, Diplomatie, Sicherheit und Verteidigung führen kann.
Was die 27 Staatschefs auf den Gipfeln beschließen, wird daraufhin von der Europäischen Kommission als Gesetz erarbeitet. 27 sog. Kommissare machen dieses Gremium aus und werden vom Kommissionspräsidenten ernannt, der, wie könnte es anders sein, wiederum vom Gipfelrat eingesetzt wird. Durch die Lissabon-Reform soll es ab 2014 nur noch 18 Kommissare geben, die dann entscheiden, wie die Rechte/Gesetze für die vom Gipfelrat erwünschten Inhalte zu formulieren sind.
Dass weniger mehr ist, soll auch für das EU-Parlament gelten, wenn zur Europawahl im Juni 2009 nicht mehr 785, sondern 750 Parlamentarier direkt gewählt werden sollen. Was als das Demokratieelement in der EU gilt, versinkt bereits seit der ersten Direktwahl 1979 in der Bedeutungslosigkeit. Für die kommende Europawahl wird die Wahlbeteiligung erwartungsgemäß weiter und sogar unter 40% fallen, so dass die Verbindung von Demokratie und EU mehr und mehr zur Heuchelei verkommt. Es scheint symptomatisch, dass europäische WählerInnen kein Interesse zeigen, wer sie auf europäischer Ebene vertritt – werden sie doch sonst auch nicht gefragt. So verbleibt die Entscheidungsgewalt in der EU weiterhin hauptsächlich im Rat der 27 und somit bei nationalen Regierungsvertretern, Ministern und Staatsoberen.
Neben den Volksvertretern im Parlament müssen auch noch die 345 Fachminister im bereits erwähnten Ministerrat die Beschlüsse des Gipfelrates umsetzen. Was die Lissabon-Reform dabei neu regelt, ist nicht die Anzahl der Minister, sondern deren Stimmverteilung. Wie wird eine Mehrheit definiert? Eigentlich eine einfache Frage, nicht jedoch, wenn es um das Abstimmungsverfahren der EU-Fachminister geht. Schon mit dem Inkrafttreten der letzten Reform, des Nizza-Vertrages im Jahr 2003, wurde das nun noch bis 2014 geltende Abstimmungsprinzip der qualifizierten Mehrheit zur Norm. Danach kann eine Entscheidung durchgesetzt werden, wenn mehr als die Hälfte aller 27 Mitgliedsstaaten, die mindestens 62% der gesamten EU-Bevölkerung repräsentieren müssen, und 255 von den 345 Stimmen im Ministerrat haben, dafür stimmen. So könnte praktisch auch von einer dreifachen Mehrheit gesprochen werden. Ab 2014 soll ein neues Abstimmungssystem eingeführt werden, dass die Bevölkerungsstärke der einzelnen EU-Staaten noch stärker berücksichtigt als bislang. Für einen Beschluss wird dann die Zustimmung von 55% der Mitgliedsstaaten nötig sein, die gleichzeitig mindestens 65% der Gesamtbevölkerung der EU vertreten müssen, was als doppelte Mehrheit bezeichnet wird. Wie viel Stimmen ein Mitgliedsstaat hat, wird aus seiner Bevölkerungszahl berechnet. (5) So wird die Rolle des ohnehin schon einflussreichen „Kerneuropa“ weiter gestärkt. Daran wird auch die neue Möglichkeit eines europaweiten Bürgerbegehrens mit mind. einer Million Unterschriften nichts ändern, da dieses, wenn es jemals zustande kommt, nur eine Rechtfertigung einfordert, anstatt einen Beschluss gänzlich zu kippen.
Eine weitere Möglichkeit für „die Großen“, europäische Politik zu machen, liegt in der sog. verstärkten Zusammenarbeit. Einige Mitgliedsstaaten können den Entscheidungsprozess, angefangen vom Gipfelrats bis zum Parlament, verkürzen, indem diese sich nur unter sich einigen und auf bestimmte Vorgehensweisen verständigen. Diese Art der Zusammenarbeit muss von der Kommission vorgeschrieben und vom Parlament gebilligt werden und mindestens neun Mitgliedsstaaten umfassen. Bereits mit der Nizza-Reform 2003 wurden zehn Voraussetzungen für eine verstärkte Zusammenarbeit auf eine einzige Bestimmung zusammengefasst, die zudem besonders im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ausgeweitet. So kennt die EU nicht nur Grenzen, sondern auch ihre Vorbilder aus den eigenen Reihen, die die gesamte EU-Politik nach ihren Vorstellungen voranbringen wollen.
Reformierte Militarisierung
Politisch weit vorgeprescht wird speziell im Bereich der „Verteidigung und Sicherheit“ der Union der 27. Hier liegt auch die Flinte im Korn. Den „Angriffen“ von außen sei durch Bewaffnung und Aufrüstung zu begegnen, um den eigenen Wohlstand vor Intriganten und Futterneidern zu schützen. Die Welt soll zwar offen für die EU sein, doch die EU nicht offen für die Welt. So werden Interventionen weltweit mit (h)ausgemachten Ängsten und Bedrohungen legitimiert, die in der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) als Terror, Waffen, Aufstände, organisierte Kriminalität und „Scheitern von Staaten“ bezeichnet werden. Zum Schutz der Inneren Sicherheit wird mehr und mehr nach außen gerichtete Kriegsmaschinerie entwickelt und durch die EU-Grundlagenverträge sogar gefordert. Speziell mit Blick auf den Artikel 28 der Lissabon-Reform lässt sich erahnen, wo das noch hinführen wird. Dort geregelt ist ein neuer militärischer „Anschubfonds“, engere Zusammenarbeit mit der NATO, eine Aufrüstungsverpflichtung und die Rechtmäßigkeit einer europäischen Verteidigungsagentur (EDA). Letzteres wurde bereits 2004 eingerichtet und soll die Aufrüstung, Waffenbeschaffung und weitere EU-Militärprojekte voranbringen. Wie auch nationalstaatliche Politik setzt die EU auf Angstszenarien, die sie sucht und findet, diese dann als Handlungsgrund anführt, um sich so das Zepter zur Anwendung von Gewalt selbst zu reichen.Was schön positiv als Anschubfonds bezeichnet wird, ist eine neu eingeführte EU-Finanzkasse, die sich aus Beiträgen der Mitgliedsstaaten füllt. Und natürlich: wer mehr gibt, hat mehr zu sagen. Hier werden finanzielle Mittel gesammelt, um für militärische Einsätze Geld anzuhäufen und gleichzeitig auf Mehrwert zu spekulieren. War bisher ein solcher permanenter EU-Militärhaushalt noch verboten, erlaubt dies nun die Lissabon-Reform. Auch wenn der Gründungsmythos der EU, niemals wieder Krieg in Europa zuzulassen, seine Berechtigung hat, ist die Beteiligung der EU an kriegerischen Konflikten mit eigenen Truppen eine Frage der Zeit. Der Kriegsfall wurde auch in den Protokollen der aktuellen Reform bedacht: heißt es hier, dass „niemand zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden“ darf, liest sich weiter unten dazu, dass dies selbstverständlich nicht im Kriegsfall gilt und zusätzlich auch Erschießungen im Fall von Aufständen oder bei Flucht von Gefangenen möglich sind. Die kriegsunterstützende Einstellung der EU wird auch aus der geplanten engeren Zusammenarbeit mit der NATO offensichtlich, wenn es im aktuellen Reformvertrag heißt, dass „europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik […] zur Vitalität eines erneuerten Atlantischen Bündnisses“ beitragen soll. Hinzu kommt die Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“. Kaum erwarten können dies besonders Rüstungskonzerne wie EADS (European Aeronautic Defense and Space Company) und British Aerospace, die sich bereits immense Profite durch den Bedarf an zusätzlichen Kampfhubschraubern, gepanzerten Militärtransportern, Luftabwehrraketensysteme und Kriegsschiffen ausrechnen.
Die Militarisierung geht mit großen Schritten voran und zeigt sich verstärkt in der Migrations- und Grenzpolitik der EU (6). Krieg und Aufrüstung im Namen von Sicherheit und Frieden – wie modernisiert muss es denn noch werden.
(droff)
(1) Mit der Bolkesteinrichtlinie ist das Herkunftslandprinzip für EU-weite Dienstleistungen gültig. Dies bedeutet, dass ArbeiterInnen in derselben Branche, Projekt oder Unternehmen z.B. nicht denselben Lohn für dieselbe Arbeit bekommen. Die Zahlung von ortsüblichen Löhnen z.B. in Deutschland gilt nur für deutsche und nicht z.B. für polnische Unternehmen, die ihren ArbeiterInnen die in Polen gültigen und wesentlich niedrigen Löhne zahlen, auch wenn diese gar nicht in Polen arbeiten. Gegen eine „Zersplitterung des Binnenmarktes“ und für den „ungehinderten Wettbewerb“ wird so der Wohlstand reicherer Länder auf den Rücken der ArbeiterInnen aus europäischen Billiglohnländern weiter ausgebaut. Die Bolkesteinrichtlinie gilt seit Dezember 2006 und muss noch bis Dezember 2009 in allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt sein.
(2) s. FA! #11 „Deutschland in Europa“
(3) s. FA! #10 „EURO.PA – die dunklen Seiten der Macht“
(4) U.a. gehört es zu den Aufgaben des Ratspräsidenten, die Mitgliedsstaaten in den anderen EU-Institutionen wie auch in internationalen Organisationen wie UNO und WTO zu vertreten.
(5) Stimmverteilung im Ministerrat: Italien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland: jeweils 29 Stimmen; Spanien und Polen: 27 Stimmen; Rumänien: 14; Niederlande: 13; Portugal, Ungarn, Belgien, Tschechien, Griechenland: 12; Österreich, Schweden, Bulgarien: 10; Litauen, Irland, Finnland, Dänemark, Slowakei: 7; Luxemburg, Zypern, Estland, Slowenien, Lettland: 4; Malta: 3.
(6) s. FA! #1 „The European Nightmare. Schengen Information System, repressive Asylpolitik und Kontrollstaat“; FA! #21 “Krieg um Welt. Welcome all Refugees from capitalist War“; FA! #25 „Marokko: Menschenrechtsverletzungen im Namen des EU-Grenzregimes“