Die Ausweitung der Kampfzone

Das „vereinigte Europa“ macht sich heut­zu­tage nicht nur in mehr oder weniger gla­mourö­sen Feierstunden und Sonn­tags­­­reden bemerkbar, sondern auch im sozia­len Bereich. Nachdem mit Beginn dieses­ Jahres die Sozialhilfe in der Slowakei um die Hälfte gekürzt wurde, kam es im Südwesten des Landes zu Plünderungen, worauf­hin die Re­­gie­­rung sogar die Armee einsetzte. Die „Aus­­­­schrei­tungen“ wurden vor allem von Roma getragen, es beteiligten sich aber auch andere Erwerbslose daran – denn die Kürzung betrifft alle Be­dürf­­tigen. Es handelt sich dabei also um soziale, nicht um „ethnische“ Konflikte, wie es hier­zulande in den Medien geheißen hatte.

Nicht nur im Bereich der Erwerbslosen gehen europäische Regierungen in die selbe Richtung, sondern auch in der Bildungs­branche. Daher gründeten am 3. März 2004 Studierende der größten Uni des Landes, der Comenius-Universität in Bratislava, ein Studentisches Streikkomitee (SVS). Das Streik­komitee definiert sich als apolitische Gruppierung. Die Treffen, die ein- bis zweimal wöchentlich stattfinden, sind öffentlich und versammeln durchschnittlich 20 bis 30 Leute. Ein Großteil der Entschei­dungen wird im Konsens getroffen, nachdem gleich­berechtigt über Ziele und Aktivitäten diskutiert wurde.

Auf diese Weise kam am 5. Mai die größte Studierendendemonstration seit 1989 zustande. An dem Zug durch das Stadtzentrum nahmen mehr als 1.000 Studis, Arbei­terIn­nen und Rent­nerIn­­nen teil. Dieses Spektrum verdeutlicht die umfassende Be­deu­tung des Bildungswesens – das SVS legt Wert darauf, dass seine Aktivität nicht nur den gegenwärtig Studierenden zugute kommt, sondern auch der Gesellschaft all­ge­mein. Das SVS mobilisiert nun mit Info­ständen in Bratislava für einen Studi-Streik im Oktober, verteilt 20.000 Flugblätter und plant die Ausweitung der Aktivitäten auf andere Städte (z.B. Kosice) – obwohl die Beteiligung mit Semesterende nun abnimmt. Außerdem gibt es Gespräche mit der Bildungsgewerkschaft, die der Regierung mit Streik droht.

Wie bei den Protesten 2000/2001 beteili­gen sich auch in diesen Tagen Anarchisten an der sozialen Bewegung. Die Forderungen des SVS beziehen sich auf Gebühren­­freiheit des Studiums – Ende August könnte im Parlament ein Gesetz verabschiedet werden, das Studiengebühren vorsieht– , die Steigerung des Bildungs­etats (bis 2006 auf 1,33 Prozent des Bruttosozialprodukts) und der finan­ziel­len Unterstützung Studierender, sowie die Bewertung des Studiums durch unabhängige Agenturen und durch Studie­rende selbst. An diesem Forderungskatalog ist erkennbar, dass das SVS keineswegs homogen ist und noch am Anfang seiner Aktivität steht. Klar wird dabei die Notwendigkeit grenzüberschreitender Dis­kus­sion. Denn die geforderte Be­wer­tung des Studiums führt hierzu­lande zu er­höh­tem Druck auf die Universitäten, dient als Rechtfertigung von Um­struk­turie­rungen und Kürzungen und tritt den Studierenden selbst letztlich als Sachzwang entgegen – die Hoffnung einer weiter­gehenden Einflussnahme auf die Ge­staltung der Uni erfüllte sich nicht.

A.E.

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