Eine Dosis Blau

Interview mit Radio-Blau-Aktivist_innen

Einen eher trostlosen Anblick boten am 12. November zur Linken Medienakademie Regional die überwiegend verlassenen Räume in der Universität Leipzig. Denn das interessante Workshopangebot, das überwiegend von lokalen (linken) Medienschaffenden vorbereitet wurde, traf – auch aufgrund der Kurzfristigkeit – auf recht wenig interessiertes Publikum. Doch statt Blasen mit Trübsal zu füllen, nutzten wir die Zeit für einen intensiven Austausch mit zwei Aktivist_innen vom freien Radio Blau. Das folgende Interview zur aktuellen Situation und anderem Wissenswerten kam auch dabei rum:

FA!: Hallo, schön euch zu interviewen. Für die Leser_innen, die euch noch nicht kennen: Was ist denn Radio Blau?

Anne: Radio Blau ist euer Freies Radio in Leipzig. Das bedeutet, dass wir zugangsoffen sind für alle, die in Leipzig Radio machen wollen. Wir sind ein nichtkommerzielles Radio, wir machen das also ehrenamtlich, um der Ideen und Inhalte willen, die wir einem größeren Publikum zugänglich machen wollen. Und wir spielen keine Werbung. Wir sind basisdemokratisch organisiert, bei uns gibt es keine Hierarchien und keine Chefredaktion. Bei uns entscheidet die Vollversammlung über Organisatorisches im Radio und auch die Inhalte werden dort diskutiert. Es gibt den Konsens, keine sexistischen, rassistischen, antisemitischen, faschistischen oder chauvinistischen Inhalte zu senden. Aber ansonsten gibt es keine Einschränkungen. In diesem Rahmen kann jeder senden, was er will.

FA!: Welche Sendungen würdet Ihr denn besonders hervorheben?

A: Wichtig ist unser tagesaktuelles Magazin Aktuell. Das läuft immer 19 bis 20 Uhr, Montag bis Freitag. Da geht´s um aktuelle, lokale, überregionale oder globale Themen aus Politik, Kultur, Umwelt, Wirtschaft. Dabei richten wir uns nicht nach herkömmlichen journalistischen Werten, zum Beispiel diesen unbedingten Zwang zu Aktualität oder den Blick auf Nachrichtenwerte. Wir bemühen uns darum, Themen aus den Perspektiven zu bearbeiten, die in den kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien nicht vorkommen.

Lutz: Vieles findet sich eben anderswo nicht wieder, weil´s keine spannende Nachricht ist. Uns geht es eher darum, denen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden. Sich für ein Thema Zeit zu nehmen, auch wenn es gerade nicht topaktuell, aber trotzdem interessant ist.

FA!: Wer entscheidet über die Themen? Es gab ja vor einigen Jahren z.B. eine Debatte über eine Sendung, wo Musik von Muslimgauze gespielt werden sollte – eine Industrialband, die sich u.a. positiv auf den palästinensischen Widerstand bezieht, womit einige Leute bei Radio Blau ein Problem hatten. Wie ist das Verhältnis zwischen der Entscheidungsfreiheit der Redakteur_innen und der Vollversammlung?

A: Neue Sendungsmacher_innen müssen ihre Inhalte erst mal in der Vollversammlung vorstellen. In einer richtigen Redaktion wie Aktuell werden Themenvorschläge und Inhalte intern diskutiert und teilweise abgewiesen. Neulich zum Beispiel ging es um eine politische Veranstaltung, die wir thematisieren wollten. Ein Redakteur meinte dann, ob wir uns mal die Akteure angeschaut haben, wer die Veranstaltung macht, und ob wir so ein Thema wirklich tragen können. Haben wir dann nicht gemacht.

Wenn langjährige Sendungsmacher_innen wissen, dass sie ein umstrittenes Thema behandeln, tragen sie das auch in die VV und diskutieren es dort. Und wenn die VV sagt, „Wir wollen das so nicht senden“, dann wird es nicht gemacht.

L: Bei einer Vollversammlung im Monat lässt sich nicht alles im Detail diskutieren, obwohl das wünschenswert wäre. Das passiert innerhalb der Redaktionen, aber sonst wird eher im Nachhinein Kritik geäußert, oder Lob, wenn eine Sendung besonders gut war.

A: Naja, es wäre schon möglich das in der Vollversammlung zu diskutieren, so viele Wortbeitragssendungen haben wir ja nicht. Mir fällt da die queerfeministische Sendung Tipkin ein, Politsendungen wie Statement, T9, Linksdrehendes Radio, Der dialektische Diwan

L: Und Kultursendungen wie Lesbar und Al Dente… Wobei Musik ja auch einen Inhalt vermittelt, über die Texte, oder wie beim Beispiel Muslimgauze, wo die Cover der Platten recht fragwürdig waren.

A: Das steht auch bei uns im Statut, dass Musik eine eigene Darstellungsform ist. Wir haben auch gute Musikredaktionen wie Bleep Hop oder die Zonic Radio Show, Leute, die sich auch sehr intensiv mit Geschichte und politischer Bedeutung von Musik auseinandersetzen. Es wird also nicht nur ein Song nach dem anderen gespielt, sondern auch kontextualisiert.

FA!: Wie viele Leute engagieren sich bei Radio Blau?

A: Ich schätze, ungefähr 130 Menschen. Die Zugangshürden sind auch relativ niedrig. Man muss eine „Erste Dosis Blau“ machen, da wird man in die Organisationsformen eingeführt, und dann den Technikkurs, damit man das Mischpult bedienen kann. Deshalb kommen viele Redakteur_innen zu uns, gehen wieder, bringen Leute mit… Es ist ein sehr fließender Kreis von Leuten.

FA!: Es gab ja vor zwei Jahren eine größere Krise, die Radio Blau fast in seiner Existenz bedroht hätte. Wie hat sich denn die Situation seitdem entwickelt?

A: Radio Blau war nicht in seiner Existenz bedroht. Das Problem war, dass wir die Sendungs- und Leitungskosten von 25.000 Euro im Jahr bezahlen mussten, die für die Übertragung auf UKW ent­stehen. Der Verein selbst war aus meiner Sicht nicht in der Existenz bedroht. Wir hätten dann eben wohl oder übel Netzradio machen müssen. Allerdings wollen wir das nicht. Im Gegensatz zum Internetradio ist UKW für alle Leute zugänglich, die ein einfaches Radio besitzen. Die zuständigen Me­dienpoli­tiker_innen argumentieren, man wolle bis 2015 die UKW-Frequenzen auslaufen lassen, zugunsten des Digitalradios. Der­zeit sieht´s aber so aus, als würde sich das noch Jahre hinziehen.

L: Wobei Radio Blau schon existenziell bedroht wäre, wenn wir nicht mehr auf UKW senden könnten. Ich würde schon von einer Krise reden, und die ist auch heut noch nicht ausgestanden. Auch wegen der sächsischen Medienpolitik, wo Freies Radio gar nicht vorgesehen ist. Es gibt einen Satz im Rundfunkgesetz, der sagt, dass nichtkommerzielles Radio ermöglicht werden kann. Wo unklar ist, was heißt das? Schließt das eine Förderung ein? Tatsächlich werden wir gerade mal mit einem Drittel der Sendekosten finanziert – von der Landesmedienanstalt, die als sogenannte staatsferne Behörde den Privatrundfunk beaufsichtigt und dafür einen Teil der GEZ-Gebühren erhält. Das sind ca. 7 Mio., davon kriegen Radio T und Radio Blau zusammen 16.000 Euro, während die Kosten bei ca. 50.000 Euro für alle drei Freien Radios liegen. ColoRadio in Dresden kriegt gar nichts, weil die bei der Landesmedienanstalt nicht so beliebt sind.

Das sind schlechte Voraussetzungen. Die Kosten für Strom, Miete, Telefon usw. sind ohne Förderung nicht zu schaffen. Bis Ende 2009 wurde unser Anteil an den Sende- und Leitungsgebühren noch von Apollo Radio übernommen. Diese Vereinbarung lief aus, und das führte dann zum Rechtsstreit mit Apollo und zur zeitweiligen Abschaltung der Freien Radios. Letztlich senden wir wieder, weil wir die Kosten selbst tragen – durch Spenden, und nun im zweiten Jahr durch eine anteilige Förderung der Stadt.

A: Ohne Unterstützung durch die Hörer_innen, die Medienpolitik und die Stadt sieht´s schwierig aus. Wir können nur appellieren, uns zu unterstützen. Wir sind als Plattform wichtig für Menschen, die in dieser Stadt ihr Radio machen und ihre Inhalte nach außen tragen möchten. Dabei vermittelt das Radio auch Medienkompetenz. Man schätzt ja den Gehalt von Medien ganz anders ein, wenn man weiß, wie sie funktionieren.

FA!: Und was sind Eure Visionen für Radio Blau für´s nächste Jahr?

A: Natürlich wollen wir weiterhin Menschen einladen, ihre Ideen ins Radioprogramm einzubringen. Eine Umweltredaktion haben wir zum Beispiel noch nicht. Warum nicht? Vielleicht waren wir für die Leute noch nicht Plattform genug? Es gibt ja auch in anderen inhaltlichen Feldern viele Gruppen und Medien in Leipzig, die inhaltlich arbeiten, brillante Essays schreiben… Und es wäre spannend, diese ins Radio zu holen, damit sie ihre Ideen und Texte auch dort präsentieren können. Auch ein Umdenken bei den Formaten wäre spannend…

L: Weniger Wortbeitragssendungen, die nur aus Interviews bestehen… Wobei jetzt schon mehr Leute auf die Idee kommen, uns als Radio anzufragen. Ich weiß nicht, wie oft wir in diesem Jahr als Medienpartner für Veranstaltungen angefragt wurden…

A: Podiumsdiskussionen im Radio zu senden, wäre eine Idee. Oder politische Hörspiele als Verbindung von Politik und Kunst. Das könnte für Menschen spannend sein, die sich mit literarischem Schreiben beschäftigen, aber auch politische Ansprüche haben. Oder Demo-Radio. Mal abgesehen von den Anti-Nazi-Demonstrationen könnten wir auch andere Veranstaltungen im Radio begleiten. Mir fällt da noch mobiles Radio ein… Wir haben letztes Jahr mit dem Straßenecken-Radio angefangen, sind in Projektläden im Leipziger Westen und Osten gegangen und haben Leute eingeladen, über das zu reden, was sie bewegt. Gentrifizierung, Probleme mit Gewalt, mit Drogen im Viertel… Das würden wir gern fortführen. Sehr spannend finde ich auch immer Live-Übertragungen von Fußball-Events des Roten Sterns. Neben den Berichten vom Spiel werden nebenbei dann Initiativen vorgestellt, die sich zum Beispiel gegen Rassismus in der Kurve engagieren.

FA!: Was braucht Ihr, um diese Ideen umsetzen zu können?

A: Kraft, und nette Leute, die uns unterstützen…

L: Wir hatten bis vor kurzem auch noch Leute, die als AGH-Stellen bezahlt wurden. Das gibt’s jetzt nicht mehr. Die Leute, die mitmachen, machen jetzt nicht mehr nur Programm, sondern tatsächlich alles in diesem Radio. Die Verwaltung usw. läuft jetzt alles ehrenamtlich.

A: Ich glaube, wir sind das erste und einzige Freie Radio in Deutschland, das vollkommen selbstorganisiert läuft. Und es läuft, erstaunlicherweise!

FA!: Wer mitmachen will, meldet sich einfach bei euch?

L: Genau, über radioblau@radioblau.de. Jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat gibt’s die „Erste Dosis Blau“, jeweils 18.00 Uhr, im Hinterhof der Paul-Gruner-Straße 62. Da wird wie gesagt in die Strukturen eingeführt, und bei Bedarf kann man auch weitere Fragen stellen.

A: Und immer montags bis freitags von 17 bis 19.00 Uhr ist das Büro geöffnet und für Anfragen offen.

FA!: Vielen Dank für das Interview!

(momo & justus)

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