Für mehr autonome Zentren, (Bau-) Wagenplätze und Kommunen!!!

Die moderne Mietskaserne und die Reste der Überlebens-Einheit: Familie, sind zwei idealtypische Erscheinungen der bürgerlichen Gesellschaft. In ihnen kommt der Zwangscharakter der gesamten modernen Vergesellschaftung zum Ausdruck, der die Menschen durch die Mechanismen der Hie­rarchisierung, Entsolidarisierung und Isolierung auf die Konkurrenz am Arbeitsmarkt zurichtet. Wenn mensch bei der Analyse der bürgerlichen Gesellschaft die sozioökonomische Verengung des historischen Materialismus teilt – Menschsein heißt in erster Linie produzieren und reproduzieren – sucht mensch auch folgerichtig das revolutionäre Potential zur Aufhebung dieses Zwangs in den Produktivkräften, das Subjekt eines solchen Umsturzes der Produktionsverhältnisse und damit der Grundlage bürgerlicher Vergesellschaftung in der ArbeiterInnenbewegung – und dementsprechend heute in den absterbenden Resten der gewerkschaftlichen. Aus dieser Perspektive bleibt jeder konstatierte Angriff auf die bürgerlichen Lebensverhältnisse von Vornherein sinnlos, solange nicht „weltgeschichtliche, empirisch universelle Individuen“ [1] (also der organische Zusammenhang von internationaler ArbeiterInnenbewegung und internationaler KP oder Gewerkschaft) die modernen Produktionsverhältnisse umwälzen. Aus dieser Perspektive und dem Abgleich mit den gegenwärtigen Zuständen ergibt sich aber auch der resignierende Rückzug der Aktiven in die Kritik, ins Private, der Austritt aus progressiver Praxis und der Eintritt in Mietskaserne und Familie. Da­bei war es gerade Marx, der sich in seinem Glauben nie erschüttern ließ.[2]

Sind wir also im 21. Jahrhundert in der Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft angekommen? Gibt es keine Kräfte mehr, die sich ernsthaft gegen ihre Zwangsverhäl­tnisse wehren? Doch, es gibt eine Praxis neben den ideologiekritischen Debatten – Kontinuitäten, an die die Kommunika­tions­netzwerke, die Organe, die punktuellen Demonstrationen und Manifestationen anknüpfen. Es gibt sie, die (sozialen) Freiräume, die Nischen der bürgerlichen Vergesellschaftung. Und sie sind umkämpft! Diese Freiräume leichtfertig und aus Haarspalterei aufs Spiel zu setzen ist grob fahrlässig gegen jedmög­liche Emanzipation aus den bürgerlichen Verhältnissen. Wo sonst könnte dann noch Alternativen erprobt, Experimente vollzogen, Widerstand geübt werden? Das Scheitern mit inbegriffen!

Der moderne Staat mit seinen aufgerüsteten Polizeieinheiten hat sich zum repressivsten Schutzpatron der bürgerlichen Ge­sell­schaft erhoben, seit sich eine Geschichte bürgerlicher Vergesellschaftung erzählen lässt. Und er ist im Namen des guten Bürgers auf dem Vormarsch, gerade in den deutschverwalteten Territorien. Aktionen, wie die Räumung des Wendebeckens, bezeugen das. Demonstrationen, Widerstand, selbst Protestaktionen sind mit einem nie da gewesenen Aufmarsch der Polizei konfrontiert. Und die „Sicher­heits­kräfte“ der deutschbürgerlichen Gesellschaft haben auch den Zusammenhang von Freiräumen und Aktionen erkannt. Die politische Hausbesetzungs-Szene wurde in den Neunzigern massiv zurückgedrängt – die meisten autonomen Zentren stehen heute mit einem Fuß auf bürgerlichem Recht. Neubesetzungen sind schwerer denn je. Die harte Linie in Hamburg und anderen Städten zeigt: Die politische (Bau-)wagen-Szene steht als nächstes auf der Liste. Einzig die (zugegebenermaßen wenigen) politischen Kommunen scheinen derzeit sicher. Allerdings ist diese Sicherheit schwer erkauft. Ihre Existenz fußt leider oft auf ganz bürgerlichem Eigentum.

Nun kann der gewaltigen Übermacht der Repressionsorgane einzig die Kreativität des Widerstands entgegengesetzt werden und vielleicht ist dieser Kampf aussichtslos. Aber ihn aufzugeben, hieße aus meiner Sicht, einen der letzten Zipfel möglicher Emanzipation aus den bürgerlichen Lebens- und Produktionsverhältnissen für sehr, sehr lange Zeit aus den Händen verlieren. Deshalb plädiere ich für mehr Zusammenhalt und Solidarität zwischen den einzelnen Projekten. Vom Land, über die Vororte, bis ins Zentrum der Städte. Von den autonomen Zentren und Projekten, über autonome (Bau-)Wagenplätze bis zu den autonomen Kommunen. Auch Selbstkritik ist dabei wichtig! Schließlich heißt Emanzipieren immer auch, sich auf dem Weg befinden. Schützt die verbliebenen (sozialen) Freiräume, erobert neue!

clov

[1] Karl Marx u. Friedrich Engels, „Deutsche Ideologie – I. Feuerbach“, in: „Gesammelte Werke Band III“, S. 35
[2] „[Marx] … hatte volles Vertrauen zur intellektuellen Entwicklung der Arbeiterklasse, einer Entwicklung, die sich aus der Verbindung von Aktion und Diskussion notwendig ergeben musste.“ Engels in der Vorrede vom „Manifest der Kommunistischen Partei“ zur englischen Ausgabe 1888, in: Karl Marx und Friedrich Engels, „Manifest der Kommunistischen Partei“, Reclam, Ditzingen, 1997

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