Am 25. November 2004 legten die ArbeiterInnen der Zwickauer Verkehrsbetriebe (SVZ) ihre Arbeit nieder und begannen um drei Uhr morgens – frei nach dem Modell Opel Bochum – eine „außerordentliche Betriebsversammlung“, an der 240 ArbeiterInnen der 270 Köpfe zählenden Belegschaft teilnahmen. Kein Bus, keine Bahn verließ an diesem Donnerstag das SVZ-Depot in der Stadt an der Mulde (1) – lediglich die Busse privater und auswärtiger Unternehmen waren auf Tour.
Anlass war die Stadtratssitzung, in der am selben Tag grundsätzlich über die Privatisierung der SVZ, eine Tochtergesellschaft der Stadtwerke Zwickau Holding GmbH, entschieden werden sollte. Von diesem Vorhaben erfuhren Betriebsrat (BR) und Belegschaft erst eine Woche vor Toresschluss aus der Zeitung – noch kurz zuvor hatte die Geschäftsführung behauptet, für einen Verkauf gäbe es keine Pläne. Mit dieser Pressemeldung schien der im November 2003 unterzeichnete Haustarifvertrag – fünfprozentiger Lohnverzicht durch Arbeitszeitverkürzung, dafür eine „Arbeitsplatzgarantie bis Ende 2005“ – hinfällig, zu dem der BR seinerzeit noch geraten hatte: „Da habt ihr nun ein bißchen Sicherheit,“ hieß es damals (2). Nun ist klar, dass bürgerliche Verträge kaum das Papier wert sind, auf dem sie stehen – Arbeitsplatzgarantie, das ist nichts weiter als eine Beruhigungspille.
Die Überlegungen der Stadtverwaltung erinnern an den Verkauf des Regionalverkehrs Westsachsen (RVH in Chemnitz und Zwickau) im April 2003: für nur 1 Euro ging der Betrieb aus Besitz von Stadt und Land an den Konzern Rhenus Keolis. Die Einsparungen im Haushalt, mit denen die Privatisierung begründet wurde, konnten bisher noch nicht realisiert werden. Denn die „öffentliche Hand“ ist für die Aufrechterhaltung des ÖPNV verantwortlich, und zahlt also Subventionen in Millionenhöhe an den neuen Besitzer – geändert hat sich allein die Lage der Beschäftigten, die seither prekärer geworden ist.
„Wenn wir denen nicht wichtig sind, müss’n wir uns um unser Zeug selber kümmern.“
In angespannter Stimmung beschloss der BR am Dienstag, die außerordentliche Betriebsversammlung durchzuführen: Protest und Information. Zeitgleich hatten mehr als 50 Prozent der ArbeiterInnen mit ihrer Unterschrift den BR aufgefordert, eine solche Versammlung durchzuführen. Ein zeitlicher Rahmen wurde im vorhinein nicht festgelegt.
Ab drei Uhr morgens versammelte sich also die gesamte Belegschaft in der Kantine: nicht nur die FahrerInnen, auch die ArbeiterInnen der Werkstätten und die Angestellten der Verwaltung beteiligten sich. Nach Einschätzung des BR sei damit „im Unternehmen auch viel gewachsen, das Verständnis untereinander“. Zwölf Stunden lang wurden die Beschäftigten von ihren Vertrauensleuten über die Lage informiert und meldeten sich am offenen Mikrofon zu Wort: „es durfte jeder sagen, was er wollte“. So wurde auch ein Antrag formuliert, bis zur Entlassung der Geschäftsführung – die die Privatisierung ebenso befürwortet wie weitere Lohnsenkungen – auszuharren. Der BR hat das noch abgebügelt: dem Management wird in einer Resolution das Vertrauen für den Privatisierungsprozess entzogen.
Anschließend zogen die ArbeiterInnen zum Rathaus, wo man derweil über Polizeiabsperrungen nachdachte. Sie machten sich auf, „mit dem Hintergrundwissen, den Beschluss kriegen wir sowieso nicht mehr gekippt, aber wir wollen wenigstens zeigen, dass wir so mit uns nicht umspringen lassen … Da hatten die natürlich schon Bammel,“ so BR-Vorsitzender Schäfer. In Anwesenheit der Belegschaft – die die Zerschlagung der SVZ befürchtet (3) –, sprachen sich alle Fraktionen für eine Privatisierung aus, die schon 2003 vom Chemnitzer Regierungspräsidium „empfohlen“ wurde. Die Abstimmung erfolgte ohne Diskussion (4), nachdem fast zehn Minuten über eine Sandstreukiste debattiert worden war: „Fraktionszwang, das kennen wir ja noch aus DDR-Zeiten“.
Daraufhin kam es noch im hochheiligen Parlament zu Zwischenrufen und einem Pfeifkonzert. Der Bürgermeister drohte mit der polizeilichen Räumung des Saals, beschränkte sich dann aber auf eine Unterbrechung der Sitzung. In einer Unterredung mit Management, BR und ver.di meinte er: „Wir sollten doch ruhig sein, das wäre alles gar nicht so schlimm.“ Das Stadtoberhaupt sagte für Mitte Dezember ein Treffen mit der Belegschaft zu, daraufhin kehrten die ArbeiterInnen (geführt vom BR) in ihre Kantine zurück. „Das tut mir heute noch leid,“ sagte Schäfer gegenüber Feierabend!, denn besagtes „Treffen hat gar nichts gebracht“.
Verschiedene Veräußerungsmodelle werden nun von der Unternehmensberatung Wibera geprüft; erste Ergebnisse sollen Ende Januar vorliegen (5). Erfahrungsgemäß wird in solchen Prozessen bestätigt, dass es nicht anders geht als der Auftraggeber es will. Bis heute verweigert man dem BR Akteneinsicht, der „den Prozess begleiten“ und die Interessen der Belegschaft, „Arbeitsplätze, Löhne“ gesichert wissen will. Aus der Haltung der Politik und des Managements spricht aber schon eine neue, oder die alte Zeit: „Diese absolute Ablehnung, so krass kenn’n wir das nicht.“
Der Ausstand wurde nicht über den Tag hinaus fortgesetzt. Die Stimmung auf der Versammlung war, nach Aussagen des BR, gegen Ende (um 18 Uhr) „optimistisch auch dahingehend, zu wissen: da kümmern sich welche drum und wenn die nicht mehr weiterwissen, rufen sie uns zusammen und wir reden darüber. Das haben wir [BR] eigentlich immer so gemacht und sagen: Wenn irgendwas ist, das letzte Wort habt ihr, ob ihr’s wollt oder nicht.“ Es handelte sich also nicht um einen wilden Streik in dem Sinn, dass er außerhalb der Kontrolle der gesetzlich gerahmten Stellvertretung, von einer selbstbewussten Belegschaft geführt würde. Aber dieser Streik war nicht Teil von Tarifverhandlungen, auf den die herrschende Meinung „Streik“ gern reduzieren möchte, und insofern war die Bewegung doch unberechenbar – in der SVZ-Firmengeschichte ist das (noch) einmalig. Zwar handelt es sich um eine defensive Auseinandersetzung, doch finden sich in dem Vorgehen auch offensive Elemente: auf unbestimmte Zeit wurde der Streik vor der Ratsentscheidung begonnen, die Streikenden drangen unmittelbar in die Räumlichkeiten der Politik ein. „Wir glauben auch, dass wir – von unserer Seite jetzt – das richtige Zeichen gesetzt haben. … Politiker [aller Ebenen] sind jetzt gesprächsbereiter, mit uns zu reden – plötzlich war’n wir alle interessant: Da lässt sich jemand net in ’n Hintern beißen, die wer’n laut; und das stört irgendwo.“ Vor allem die Beschäftigten der SVZ, die zu 80 Prozent in ver.di organisiert sind, müssen noch die Initiative ergreifen. Es reicht eben nicht, sich Nachrichten aus Leverkusen (6) anzuhören und ansonsten nur aktiv zu werden, wenn man individuell direkt berührt ist. Ebenso falsch ist es, den BR allein stehen zu lassen, wenn es gegen den neuen Spartentarifvertrag (7) geht, in dem zwischen alt eingesessenen und neu eingestellten ArbeiterInnen ein Lohngefälle von 30 Prozent herrscht. Klassenbewusstsein kann nur von Nutzen sein, spätestens wenn die Sozialpartnerschaft aufgekündigt wird. Die einzige Garantie gegen die Unsicherheit im Kapitalismus, gegen „Willkür“ und „Notwendigkeit“, ist der Zusammenhalt und die Handlungsbereitschaft der (erwerbslosen und angestellten) ArbeiterInnen.
Wohl v.a. aufgrund der Arbeitsplatzproblematik war auch die Unterstützung aus der Bevölkerung sehr groß. „Es war für mich also eigentlich unbegreiflich. […] Es ist wahrscheinlich an der Zeit, dass eener mal ‚nee’ sagt.“ Die Stimmung in der Belegschaft ist gespannt, die Angelegenheit noch nicht erledigt. Dazu erklärt BR Schäfer: „Wenn wir hier nochmal dichtmachen, dann machen wir nur einmal dicht, solang bis es geklärt ist.“
A.E.
(1) Zwei Fahrer mit befristeten Verträgen wagten die Beteiligung nicht und fuhren.
(2) Die Aussagen stammen vom BR-Vorsitzenden Schäfer, mit dem Feierabend!-Redakteure am 5.1.2005 vor Ort sprachen.
(3) Wie das praktisch aussieht, wissen Lohnabhängige der LVB, bzw. ihrer „Tochtergesellschaften“.
(4) Nur vier vereinzelte Abgeordnete (3 SPD, 1 Grüne) lehnten den Antrag ab.
(5) Der Beschluss umfasst den gesamten Privatisierungsprozess. SVZ-Management und die Stadtwerke Holding müssen dem Stadtrat nur mehr einen unterschriftsreifen Kaufvertrag vorlegen.
(6) ver.di-low-intensity-Streik gegen die HBB, der immer noch „läuft“. Vgl. Feierabend! #12, S. 11
(7) Geschlossen am 14.5.03 zwischen Kommunalem Arbeitgeberverband Sachsen e.V. & ver.di Sachsen e.V.
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