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Streik in Israel

Ja, das gibt es auch noch. Nachrichten die man aus Israel erhält, bewegen sich fast immer im Dunstkreis der Begriffe Selbstmordattentat, Intifada, Armeeeinmarsch in Stadt xy, Schuld, Lösungsversuche des Konflikts.

Doch Anfang Oktober hätte man einem weiteren Problem, und zwar einem weltweiten, seine Aufmerksamkeit schenken können: Städtische und staatliche Angestellte streikten für mehr Lohn, und es sind nicht wenige – mehr als 100 Tausend. Auslöser war eine erwartete Jahresteuerung von ca. 8%, die vor allen Dingen diejenigen Grundnahrungsmittel betrifft, die von den unteren Einkommensklassen konsumiert werden. Da die Kaufkraft der Angestellten und Arbeiter spürbar von Woche zu Woche (!) sank, erscheinen Forderungen wohl nur zu verständlich. Zudem steigt die Erwerbslosigkeit rapide an, allein im Juli 2002 verloren zehntausend Menschen ihren Job – das sind etwa 0,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung und hieße auf die BRD übertragen, 200 Tausend.

Ganz besonders sichtbar wurden die Auswirkungen des Streiks durch den sich ansammelnden Müll auf den Straßen. Es wurde sogar von einer Seuchengefahr gesprochen. Der Arbeitgeberverband warnte außerdem vor einer weiteren Verschlechterung der Wirtschaftslage in Folge des Streiks. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Histadrut und Mitglied des Parlaments, Amir Peretz, entschuldigte sich über das Radio: „Indem wir eine Woche alle im Müll stecken, helfen wir vielleicht Hunderttausenden, die ihr ganzes Leben im Mist steckten, sich zu befreien.“

Um es anschaulicher zu gestalten: fast die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung (43,1 Prozent) zahlen keine Einkommenssteuer, weil ihr Lohn zu niedrig ist!

Der Streik beschränkte sich aber nicht nur auf die Müllabfuhr, auch in den Ämtern, beim Zoll, im Transportwesen und in Kindergärten ging kaum noch etwas. Positiv ist, daß sich die Forderungen der Gewerkschaft Histadrut, die größte des Landes, im Laufe des Streiks ausweiteten. So wird etwa gefordert, den Einstellungsstop aufzuheben und Überstunden zu verbieten. Außerdem sollen auch Rentner in den Genuß einer Kaufkraftangleichung kommen.

Und der staatsnahen Gewerkschaft, die mit ihren eigenen Angestellten (!) immerhin 20 Prozent des israelischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, bleibt angesichts der desaströsen Lage, der harten Lebens- und Arbeitsbedingungen in permanentem Kriegszustand und der geplanten EU-europäischen Boykottmaßnahmen schlicht keine andere Wahl, als in den Streik zu treten. Der Arbeitskampf erwirkte (im privaten Sektor) denn auch nur eine an die Inflation gekoppelte Lohnerhöhung von drei bis fünf Prozent ab Dezember diesen Jahres. In Israel selbst dürfte somit deutlich geworden sein, dass es sich nicht um eine monolithische Gesellschaft handelt – wie’s ja in hiesigen Nachrichten und Kommentaren so oft scheint.

kao & A.E.

www.labourisrael.org bzw. www.iww.org (search: histadrut)

Streik

Erweiterung mal anders…

Dieser Artikel will einen kurzen Einblick in die historische Entwicklung des Streik geben. Das heißt auch: eine Erweiterung des Begriffs von „Streik“. Denn die Arbeitsniederlegung ist nicht auf Tarifauseinandersetzung beschränkt, ist Fest und…

Der Gedanke an die kollektive Arbeitsniederlegung als taktische Waffe in Auseinandersetzungen kam bereits im 18. Jahrhundert auf und wurde auch zu Zeiten der Französischen Revolution diskutiert. Nach Jahren des Krieges und „nationaler“ Befreiungsbewegungen kam die Idee in den 1830er Jahren wieder in die Diskussion, geknüpft an Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung auf acht Stunden. Die Achtstundenbewegung wurde von AnarchistInnen zunächst abgelehnt, weil diese Forderung ein faktische Anerkennung des Lohnsystems bedeutete. Bald aber war diese Bewegung nicht mehr zu ignorieren. Am ersten Ersten Mai im Jahre 1886 streikten 340 Tausend ArbeiterInnen, 40 Tausend allein in Chicago, einer Hochburg der Bewegung. So wurde in weiten Teilen des Landes den Achtstundentag durchgesetzt – ganz ohne gesetzgeberische Tätigkeit. Die brutale Reaktion des Staates, die sich vor allem auf Chicago konzentrierte, bewog die Sozialistische Internationale dazu, sich des 1. Mai 1890 als globalen Aktionstag für den Achtstundentag anzunehmen.

Allerdings sollte die Forderung durch Verhandlungen erlangt werden, nur im Falle ihres Scheiterns wurde der Streik erwogen. Dieser Standpunkt, der im besonderen von der deutschen Sozialdemokratie vertreten wurde, nimmt das heutige, allgemeine Verständnis vorweg. Ganz anders sah es an der Basis aus, die beschloss ihre Streiks in Generalversammlungen, zu denen alle Betroffenen Delegierte schickten. Die Delegierten aber hatten keine Entscheidungsbefugnis, sondern dienten als Boten, zum Austausch und Verhandeln. Diese Streikautonomie ging mit der Bildung von Zentralverbänden und Weisungsbefugnis verloren. Von nun an hatte nur noch der nationale Verbandsvorstand das Recht, einen Streik auszurufen … so ist es bis heute. Gesetzgeber und Rechtssprechung blieben bis 1933 bei einer liberalen Auffassung, daß Streik zwar in gewissen Maßen bleiben müsse – „nicht über dasjenige hinausgehen, was im Lohn- und Klassenkampf […] als statthaft anzusehen ist.“ In das Grundgesetz wurde ein Streikrecht 1949 explizit nicht aufgenommen, weil das "unsere ganze staatliche Ordnung […] auf den Kopf stellen kann." (CDU-Abgeordneter Kaufmann) In den Jahren der "kleinen" BRD stellten die Richter dann im wesentlichen drei Kriterien für legale Streiks auf: 1) geführt durch anerkannte Gewerkschaft, 2) geführt zum Abschluß eines Tarifvertrags, 3) geführt unter Wahrung der im Tarifvertrag vereinbarten Friedenspflicht. So verhält es sich in Deutschland bis heute. Und dieser enge Rahmen wird bisher nicht in Frage gestellt … Streiks sind äußerst selten. In anderen Ländern stellt sich die Situation anders dar … davon wollen wir berichten.

A.E.

Streik

Weder Spiel noch Ritual

Streiks gibt es viele verschiedene: Wildcat-Strike (wilder Streik), Solidaritätsstreik, Lucky-Strike (Spaß-Streik), Flexi-Streik (wandernder Streik), schließlich der schon konventionelle Warnstreik. An dieser Stelle wird von einem Indy-Strike berichtet.

In Deutschland erlebten wir zuletzt die neue Form des Flexi-Streiks. Das war die „Waffe“ der IGM in den Tarifauseinandersetzungen des Frühjahrs 2002 und stellte sich wie folgt dar: Großspurig wird der Ausstand angekündigt, dank der Leitlinienkompetenz oder Weisungsbefugnis der Gewerkschaftsspitze sah der dann aber ganz drollig aus: gestern wurde in Wolfsburg gestreikt, heute streiken die Belegschaften in Augsburg, und morgen wird Zwickau bestreikt … teilweise legte nur eine Schicht eines Werks die Arbeit nieder! Solch‘ flauschige Samthandschuhe hatte wohl selbst die Arbeit„geber“schaft nicht erwartet. Das Ergebnis war denn auch eine gütliche Einigung: die FunktionärInnen bekamen ihre Vier vor dem Komma, und die Arbeit„geber“ Innen kamen günstiger weg als erwartet (1).

Zuvor erblickte 1998 der Lucky-Strike der Studierenden das Licht der Öffentlichkeit: viele Demonstrationen und einige Institutsbesetzungen, um ein generelle Absage an Studiengebühren durchzusetzen. Wirtschaftlichen Druck aber, denn allein darauf kommt es in dieser Gesellschaft an, haben diese Proteste nicht ausgeübt. So dienten sie denn als Vorlage für den Wahlkampf der damaligen Opposition (SPD & Grüne), doch bis heute sind die Forderungen der damals Protestierenden nicht umgesetzt.

Leider völlig unbekannt scheinen hierzulande inzwischen der wilde und der Solidaritätsstreik zu sein, beide sind nämlich nicht gesetzlich gedeckt. Ganz anders verhält es sich in Frankreich: die durchschnittlich 70 Streiktage (pro Jahr und Tausend ArbeiterInnen; zum Vergleich: etwa 14 Streiktage in der BRD) sind lustig und flexibel nämlich, ohne Vorwarnung und „wild“ … und von vergleichsweise wenigen Streikenden geführt, die unabhängig (independent, daher Indy-Streik) von großen Gewerkschaften ihren Kampf beginnen. Von einem Beispiel sei im Folgenden berichtet:

ARCADE

Arcade ist ein Subunternehmen der Hotelgruppe Accor – dazu gehören unter anderem Ibis und Mercure – und versieht die Reinigung der Hotelzimmer. Die Angestellten von Arcade sind Immigrantinnen aus der sog. „Dritten Welt“ … die meisten können oftmals gar nicht lesen oder schreiben. Dementsprechend leicht war es auch, harte Arbeitsbedingungen bei geringer Entlohnung durchzusetzen. Das Arbeitsverhältnis ist in Teilzeitverträgen geregelt, häufig aber erreicht die tatsächliche Arbeitszeit glatte 35 Stunden pro Woche – die Überstunden werden nicht bezahlt. Und das läuft so: es besteht ein Quotensystem, nachdem für die Reinigung eines Zimmer exakt 17 Minuten vorgesehen sind. Wer also 3,2 Zimmer reinigt erhält 7,16 Euro als Bruttostundenlohn – 33 Cent mehr als der gesetzlich festgelegte Mindestlohn. Um den äußerst peniblen Kontrollen aber gerecht zu werden, braucht es schon mehr als ’ne Viertelstunde.

Im Frühjahr dann brachte die Entlassung von acht Angestellten das Faß zum Überlaufen. Aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen und den Arbeitsrhythmus und für die Wiedereinstellung den Kolleginnen befinden sich seit dem 7. März 2002 dreißig der 800 Zimmerfrauen von Arcade im Streik – und kein Gewerkschaftsvorstand kann hier intervenieren, es gilt die Entscheidung der Beteiligten! Die Frauen fordern die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten und Vollzeitverträge sowie eine Jahresendprämie von 305 Euro für alle Angestellten. Nach ihren Vorstellungen soll der Arbeitsrhythmus verringert werden auf 2,5 Zimmer pro Stunde in Drei-Sterne- und auf 3 Zimmer in Zwei-Sterne-Hotels. Des weiteren beharren sie auf der Rücknahme der Sanktionen (und besonders der acht Entlassungen).

Dieser spontane Streik in der Region Paris wäre wohl bereits in den ersten Wochen zusammengebrochen, weil die Streikenden nicht gewerkschaftlich organisiert sind und also auf ihre eigenen Ressourcen (falls vorhanden) zurückgreifen müssen. Doch in jenen ersten Wochen, die nun schon mehr als 6 Monate zurückliegen, fand sich eine Solidaritätsbewegung zusammen (darunter auch AktivistInnen der Gewerkschaften "Propreté & Service" in der SUD und "Nettoyage" in der CNT sowie Sektionen der parteikommunistischen CGT). Zusammen mit den Streikenden sorgten sie mit Protestaktionen in den Accor-Hotels für einiges Aufsehen. Besonders wichtig aber war und ist die finanzielle Unterstützung durch die alternative SUD und die Spendensammlungen der Solidaritätsgruppe.

Sollte dieser Streik Erfolg haben, hätte das nicht nur Signalwirkung auf die Angestellten von Arcade, sondern würde auf den gesamten Reinigungssektor ausstrahlen … gegen Subverträge, mittels derer sich die Arbeit„geber“ juristischer Verantwortlichkeit entziehen und Lohnsenkungen erwirkt werden können. Beispiele für das Wirken von Subverträgen finden sich auch vor Ort: die Umstrukturierung des Busverkehrs der LVB (siehe Feierabend! Nr. 2); die Unternehmensgruppe Schubert, Betreiberin der Mensa der medizinischen Fakultät (Universität Leipzig), beschäftigt nach der Entlassung von fünf Fahrern nun Zeitarbeiter zu deutlich schlechteren Bedingungen. Der Streik bei Arcade zeigt aber auch, daß es zur Auseinandersetzung keiner großen Organisation bedarf, sondern vielmehr der Entschlossenheit der Beteiligten und Betroffenen.

A.E.

(1) vgl. „Direkte Aktion“, Juli/August 2002. Näheres zu Arcade im Wildcat-Zirkular, Juli 2002; aktuelles unter www.ras.eu.org/arcades; verwandtes im Kino: „Der Glanz von Berlin“.

Streik

Aussperrung in den Häfen der Westküste der USA

Über „Arbeitskämpfe“ in den USA zu berichten ist keine einfache Sache. Und zwar deshalb, weil in den USA die Gewerkschaften anders funktionieren als in Europa.

Wenn eine Gewerkschaft in den USA einen Vertrag mit einem Unternehmen hat (die Firma ist ‘unionized’; union = Gewerkschaft), so fungiert sie wie eine Art Arbeitsagentur. Es ist vertraglich vereinbart ob und wenn wieviel Nicht-Gewerkschaftsmitglieder in der Firma arbeiten dürfen. Die Gewerkschaft ist dafür zuständig, dass für eine Arbeit – etwa das Entladen eines Schiffes – genügend Leute mit der entsprechenden Qualifikation zur Verfügung stehen. Die Gewerkschaft entscheidet auch über Streiks. Urabstimmungen oder etwas ähnliches gibt es nicht. So kann es sein, dass etwa ein/e Hafenarbeiter/in Mitglied in der Gewerkschaft sein muss, um einen Job zu bekommen. Einzelne Gewerkschaftsfunktionäre können unter Umständen über eine relativ große Macht verfügen.

Worum geht es an der Westküste? Anfang des Sommers ist der Vertrag zwischen der ILWU (International Longshore and Warehouse Union, longshoreman = Hafenarbeiter) und der PMA (Pacific Maritime Association) ausgelaufen und Verhandlungen über einen neuen Vertrag wurden aufgenommen. Die PMA warf dann der ILWU vor, sie würde Bummelstreiks organisieren, und sperrte die Arbeiter/innen der ILWU aus. Die Schiffe, die vor der amerikanischen Pazifikküste liegen, werden nicht entladen, weil die Arbeiter/innen ausgesperrt sind, nicht weil sie streiken. Das klingt absurd. Noch absurder scheint es, dass und wie die US-Regierung in die Auseinandersetzung eingreifen will. Sie betrachtet jede Gewerkschaftsaktion als Bedrohung der nationalen Sicherheit und hat damit mehrere Möglichkeiten zu intervenieren. Zum einen den „Taft-Hartley-Act“ der jetzt auch angewandt wurde. Dabei handelt es sich um ein 80-tägiges Streikverbot (cooling-off period etwa: Abkühlungsperiode), das bis zum 26. Dezember läuft. Zum zweiten kann sie die Arbeiter/innen durch Soldaten ersetzen. Eine weitere Möglichkeit ist der „Railway-Labor-Act“. In dem Fall wird eine staatliche Vermittlungsinstanz, das National Mediation Board eingeschaltet: „Die Besonderheit des National Mediation Board liegt darin, dass die Parteien im Falle der Einschaltung des Boards ihre Verhandlungen nicht von sich aus für gescheitert erklären und zu Arbeitskampfmaßnahmen greifen dürfen, solange das Board Mediationsbemühungen unternimmt, was häufig Monate dauert. Die Entscheidung, wann die Mediation eingestellt wird, liegt im Ermessen des Boards.“ [„Arbeitgeber“ Nr.6 Juni 2002, Online-Ausgabe, Mediation ist eine Konfrontationsunterdrückungstechnik]

Aber worin besteht der Konflikt? Durch die Einführung der Containertechnologie, die in den US-Häfen etwa Anfang der 70er Jahre abgeschlossen wurde, sank die Zahl der Hafenarbeiter an der Westküste von etwa 100.000 auf heute etwa 10.000. 1971 fand auch der letzte Dockerstreik an der Westküste statt. In der Auseinandersetzung um Jobs sperrte sich die ILWU vor der Aussperrung etwa gegen Einführung von Scannern in den Häfen. Daten werden von Hand erfasst und per Hand in den Computer eingegeben. Jetzt wollen die in der PMA vereinigten Unternehmen die Häfen automatisieren, wie es etwa in Rotterdam oder Singapur schon der Fall ist. Das bedeutet, dass zum einen die Jobs im Hafen weiter abnehmen und dass die Jobs wechseln. Alte verschwinden und neue entstehen. Die PMA versucht nun die ILWU auszubremsen. Die alten Jobs sind zum größten Teil ILWU-Jobs. Das bedeutet relativ gute Löhne (etwa 16$/Stunde) für die longshore(wo)men, von denen die meisten Afroamerikaner oder Latinos sind. Die ILWU will nun, dass auch die neuen Jobs von Gewerkschaftsmitgliedern erledigt werden. Dadurch würde sie wie bisher über die eingesetzten Arbeiter/innen bestimmen. Ähnlich ist es auch bei der Umstellung auf Containerbetrieb gelaufen. Falls die Umstellung auf neue Hafentechnik ohne die ILWU passiert, würde das praktisch das Ende der ILWU bedeuten. Seitens der PMA geht es also um Kürzung und Flexibilisierung der Jobs und die Zurückdrängung der ILWU, die ILWU will vor allem ihren Einfluss behalten, bei allem andern ist man sich im Großen einig.

Die Auseinandersetzung ist von der PMA gut vorbereitet. So wird die auch vom Spiegel ähnlich kolportierte Meldung, die Schließung der Häfen würde die Ökonomie täglich Milliarden kosten, von US-Ökonomen als übertrieben betrachtet. Die Zahl stammt aus einer von der PMA vor der Aussperrung in Auftrag gegebenen Studie. Gleichzeitig wurden die Umschlagzahlen auf den Docks erhöht. Während des Sommers ist der Warenumschlag nach dem Journal of Commerce um etwa 30% angestiegen. Vertreter der Hafenarbeiter/innen werfen der PMA vor, dass dieses „speedup“ auf Kosten der Sicherheit geht und verweisen auf fünf tödliche Unfälle in diesem Jahr. Die Ironie der Sache ist, dass die ILWU bereit ist, ihre Mitglieder arbeiten zu lassen. Sie besteht nur auf sicheren und erträglichen Bedingungen. Die PMA ist an den alten Vertrag mit der ILWU nicht gebunden und kann also z.B. einstellen, wen sie will, auch wenn die Mehrheit der Hafenarbeiter/innen ILWU Mitglieder sind. Der „Taft-Hartley-Act“ soll auch sicherstellen, dass das Weihnachtsgeschäft läuft, da es unerträglich wäre, wenn es dann kein Spielzeug gäbe oder wenn der Umsatz des Weihnachtsgeschäftes ausbliebe, je nachdem. Durch die Aussperrung und den „Taft-Hartley-Act“ ist der Druck auf die ILWU von vornherein erhöht. Die Automatisierung ist eine langfristig angelegte Sache, der Vertrag zwischen ILWU und PMA lief drei Jahre. Die Automatisierung selbst stellt einen Umbruch in der Hafenwirtschaft dar, wie es die Einführung der Container vor etwa dreißig Jahren bedeutete. Und die neue Ära soll eine andere Machtverteilung zwischen PMA und ILWU mit sich bringen. Die PMA erhält in ihrem Handeln Rückendeckung von der US-Regierung. Hier wurde nur die Auseinandersetzung als solches besprochen. Doch der „Taft-Hartley-Act“ kann kaum ausschließlich als Unterstützung der US-Regierung für die PMA – etwa im Sinne eines Lobbyismus – betrachtet werden. Dies am Rande.

Die ILWU ist keine freie Assoziation, oder etwas Ähnliches. Gewerkschaften sind in den USA ein eigener Machtfaktor. Die Gewerkschaft sichert jedoch auch Bedingungen für die Arbeiter/innen, die sonst deutlich schlechter wären. Die ILWU hat sich offenbar in den letzten dreißig Jahren als stabilisierender Faktor „bewährt“. Jetzt will die PMA die Karten neu mischen. Sie greift damit beides an: Die Lebenssituation der Arbeiter/innen und die Rolle der ILWU. Es geht ihr um die Durchsetzung neuer Produktionsformen, um eine steigende Produktivität zu erreichen. Und dies heißt hier: schnellerer Umschlag mit weniger Leuten, Computertastaturen statt Kranhebel. Für die Longshore(wo)men bedeutet dies Kampf um den Job, um eine gewisse Lebensqualität. Oder wie es ein Gewerkschaftsfunktionär ausdrückte: „If you want your children and families to have the same kind of life you’ve had, you know what you have to do.“ („Wenn Du Deiner Familie und Kindern dasselbe Leben sichern willst, das auch Du hattest, dann weißt Du, was zu tun ist.)

v.sc.d

Streik

Gegenseitige Hilfe

Seit Dienstag, den 12. November, sind die Krankenschwestern und andere Angestellte des Rydygiera Krankenhauses in Wroclaw (Polen) gemeinsam aktiv, um die Auszahlung ihrer Löhne zu erwirken und gegen geplante Massenentlassungen zu protestieren – acht Frauen befinden sich sogar im Hungerstreik. Am Samstag blockierten mehr als 100 Menschen eine Straße in der Stadt an der Oder und bekamen die harte Hand der Exekutive zu spüren … 11 Leute mußten medizinisch behandelt werden, darunter auch AktivistInnen der Anarchistischen Föderation (FA). Die Polizei bekam dafür einige Kartoffeln ab. Mehr Kartoffeln aber wurden für die Versorgung des Krankenhauses aufgewendet, denn dieses wird zur Zeit besetzt gehalten.

Ende November demonstrierten erneut fast 200 Menschen aus Protest gegen den zerrütteten Zustand des Gesundheitswesens. Es beteiligten sich nicht nur die Krankenschwestern und AnarchistInnen, sondern auch Arbeitslose, RentnerInnen und Studierende … bis in die Stadtverwaltung wurden sie aber nicht vorgelassen. Die Proteste werden sicherlich nicht abreißen … das ist umso gewisser als die Krankenschwestern solche Aktionen für das gesamte Land ankündigten.

In den lokalen Medien werden die UnterstützerInnen von der FA Wroclaw für die Proteste verantwortlich gemacht… zwei AktivistInnen werden wahrscheinlich angeklagt werden. In Reaktion darauf aber gehen die Krankenschwestern jetzt auch in Solidarität mit den Inhaftierten auf die Straße!

Vielleicht sollten wir uns die Praxis der benachbarten AnarchistInnen ‘mal näher ansehen, denn sie unterstützen nicht nur Lohnkämpfe, sondern sind auch bei zwangsweisen Wohnungsräumungen zur Stelle, um diese zu verhindern. Direkte Aktion im besten Sinn des Wortes!

A.E.

Streik

Spritzig, witzig, militant: Streiktag bei McDonald’s

Es ist drei Uhr morgens, Mittwoch der 16. Oktober, einige müde und „leicht“ angetrunkene GlasgowerInnen versuchen im McDonald’s-Restaurant zu randalieren. Eigentlich kaum erwähnenswert, wenn es nicht Angestellte von McDonald’s wären und wenn nicht zur selben Zeit am anderen Ende der Welt, in Neuseeland, ein Streikversuch gemacht und in Australien Flugblätter an McDonald’s ArbeiterInnen weitergereicht würden.

In der letzten Ausgabe berichteten wir über einen geplanten internationalen Streik der McDonald’s-ArbeiterInnen am 16. Oktober. Nun, der Ausstand stieß weltweit bei den Angestellten auf Zustimmung und wurde kreativ und engagiert in vielen Städten organisiert. Es gab massenhaft individuelle und von Gruppen durchgeführte Aktionen und Sabotageakte, die zeigen, daß Streik nicht nur Demonstration und zu Hause beleiben bedeutet.

Zur Erinnerung

Es ging den Teilnehmenden am Mc-Donald’s-ArbeiterInnen-Widerstand (Mc-Donald’s Workers Resistance, MWR) darum, die Koalitions- und Informationsfreiheit am Arbeitsplatz, sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Löhne durchzusetzen – in allen Filialen des internationalen Konzerns. Im folgenden dokumentieren wir eine Auswahl der Ereignisse des internationalen Streiks der McDonalds ArbeiterInnen am 16.10.02.

Am Vorabend

Es begann schon vor dem 16. Oktober. Beispielsweise gab es in drei Londoner Läden Kampagnen von Angestellten mit Aufklebern und Graffitis, die für den Streik werben sollten. Dann, am Morgen des 16. Oktober, begaben sich Personal und frühe KundInnen zu einem McDo-Laden in Reading (GB) an dem sie „geschlossen wegen Streik, 16. Oktober, mwr.org.uk.“ gesprüht fanden. Einige ArbeiterInnen, die am 16. nicht zur Arbeit erschienen, hatten die Restaurants in der Nacht zuvor sabotiert. So veränderte das Personal irgendwo in England die Einstellung der Mikrowelle im Lebensmittellager und setzte alle Zeiteinstellungen der Grillmaschinen zurück, stahl alle Schlüssel der Überwachungsvideos, stellte alle Uhren zurück und verschloss die Kassenschlösser mit Superkleber! In Frankreich bekräftigten am Wochenende zuvor Mitglieder der CNT mit einigen Aktionen ihre Tradition der Solidarität mit den McDonald’s-ArbeiterInnen innerhalb und ausserhalb der Restaurants – schon im Frühjahr leisteten sie tatkräftige Unterstützung beim Arbeitskampf der unsicher Beschäftigten. In Dallas (USA) versteckten sie unterdessen wichtige Arbeitsmaterialien und tauten das Essen im Lager auf.

Der Streiktag

Am Morgen des 16. Oktober erreichte eine einzelne Chrysantheme das McDonald’s-Hauptquartier in London – „Die Chrysantheme war das Symbol der ungarischen Revolution, die am 16. Oktober 1918 begann. Wir (die Angestellten) schickten sie als ein Zeichen unserer Absicht, eine Welt zu schaffen, die Menschen wichtiger nimmt als Profite. Aber die Chrysantheme ist gleichzeitig ein Symbol des Todes; wir schickten sie als Vorbote der dem McDonald’s-Empire und aller Lohnarbeit inne wohnenden Zerstörung – weder brauchen wir sie (die Lohnarbeit), noch wollen wir sie. In unseren Herzen reift eine neue Welt und wir machen unsere ersten zaghaften Schritte auf diese zu.“

ArbeiterInnen in den Midlands (USA) gingen noch einen Schritt weiter: sie sendeten 57 Chrysanthemen zum Hauptbüro in Chicago – jede für eineN ArbeiterIn in dem Laden.

In Dublin plünderten sie die Kasse, um einen drauf zu machen. In Birmingham gab es einen Mach-langsam-Tag, der das Unternehmen mehrere hundert Pfund der Tageseinnahmen kostete. Die Nachtschicht in Nottingham meldete sich krank und es wurde von mehreren Vorfällen in Northampton berichtet … inklusive Drei-Stunden-Pausen, Verlassen des Arbeitsplatzes, vorgetäuschte Krankheiten und Trunkenheit im Dienst. In Manchester zementierten die Angestellten die Toiletten zu.

In London, Stirling, Derbshire und Dundee verteilten AktivistInnen Flugblätter an den Arbeitsplätzen ihrer Kollegen, um Neuigkeiten des Streiks zu verbreiten und in Adelaide schlitzte das Personal alle Milchshake-Mixer auf.

"Es gibt eine junge Generation von ArbeiterInnen, die nicht mehr hinnehmen wollen, was ihre Vorgänger noch hinnahmen." – London

Einige Liverpooler Arbeiterinnen bestanden darauf, während der Arbeit Make-up zu tragen, was laut Unternehmenspolitik verboten ist – aber: „Wir hassen es wirklich, kein Make-up tragen zu dürfen, besonders weil wir’s oft mit irgendwelchen besoffenen Machos zu tun haben und von der Arbeit bei McD Pickel kriegen.“ Andere in Stirling, Kent, Kopenhagen, Sheffield, Newcastle und Madrid meldeten sich telefonisch krank. In Glasgow und Toronto gab es massenhaft Arbeitsniederlegungen. Die Angestellten nutzten die Gelegenheit, um ihrem Ärger öffentlich Luft zu machen: sie stürmten in Gruppen die Läden, warfen ihre Uniformen auf den Ladentisch, während einer von ihnen auf einem Stuhl stehend eine Rede an Personal und Kundschaft hielt, in der die Arbeitsbedingungen kritisiert wurden und behauptet wurde, daß „das Essen in jedem Fall verdorben“ sei.

Neben den eher individuellen Aktionsformen gab es auch einige größere Streiks: In sechs Pariser McDonalds, mit der CNT „unregierbar“, streikten die Angstellten wegen spezieller Forderungen, die sich auf Vollzeitbeschäftigung und standardisierte Löhne beziehen. Sie versammelten sich um 10.00 Uhr an „Fontaine des Innocents“, um 15.00 Uhr trafen sie mit McDonald’s Vertretern zusammen und arrangierten ein öffentliches Treffen am Abend.

In Norfolk legte ein Streik das Restaurant den ganzen Tag durch Streikposten lahm. Einmal kam ein Manager dazu, der sich weinerlich erkundigte: „Warum tut ihr das?“, „Lesen Sie das Flugblatt.“, „Ich werde das nicht lesen!“, brauste er auf und zerriß es. Als das McDonald’s-Hauptquartier gefragt wurde, warum der Laden de facto ohne Personal sei, antworteten sie: „Einige traurige Individuen wollen McDonald‘s in den Ruin treiben.“

Die Ereignisse wurden im Verlauf des Tages von einer speziellen Tagessendung im einzigen unabhängigen slowenischen Radio mit Interviews und Anti-McDonald’s-Liedern begleitet.

Doch bei diesem einen Tag soll es, wenn es nach AktivistInnen des McDo-Widerstandes geht, nicht bleiben! Für sie war’s Sinn und Zweck, das Selbstbewußtsein ebenso zu stärken wie die Fähigkeit der Angestellten, Bereiche ihres Lebens selbst zu bestimmen. Es soll wohl eher eine Aufwärmübung sein, um in nicht allzu ferner Zukunft zu einem selbstbestimmten Leben zu gelangen. Und irgendwie arbeitet jedeR ArbeiterIn oder Angestellte in einer Art „McDonald’s“, oder?

hannah b.

Was geschah an diesem Tag?

– Sechs Belegschaften in Frankreich, organisiert in der CNT (1) streikten.

– Zeitweiliger Arbeitsstop in Moskau.

– Streiks oder Streikversuche in Norfolk, Neuseeland und drei Londoner McDo-Läden, Verlassen des Arbeitsplatzes in Nottingham.

– Aktionen um Angestellte zum Widerstand zu ermutigen, von Schweden bis Sydney.

– All dies begeleitet und dokumentiert in einer speziellen Tagessendung im slowenischen Rundfunks.

– Demonstration in Mexiko, 94 Menschen wurden verhaftet. Die Festnahmen werden mit unhaltbaren Anschuldigungen begründet und auf jeden der Verhafteten ist eine Kaution von 14000 $ ausgesetzt (2)

Weitere Infos zum McDo.-Widerstand: info@mwr.org.uk oder mwr.org.uk
(1) Confédération Nationale du Travail – französische anarcho-syndikalistische Gewerkschaft
(2) weitere Infos zum Ablauf der Demonstration und den Anschuldigungen unter: www.feierabend.net.tc

Streik

Krieg der Klassen

Am 11. September 2003 waren nahezu 10.000 Bergleute aus Schlesien in die Hauptstadt Polens gekommen, um gegen die Stillegung zahlreicher Minen zu protestieren.

Die Regierungsmaßnahme, seit Ende 2002 publik, würde 30.000 ArbeiterInnen betreffen. Daraufhin hatten 92 Prozent der Kumpel für einen branchenweiten Generalstreik gestimmt, woraufhin die Regierung den Rückzug antrat – strategisch. Im Herbst 2003 nun kamen die Betroffenen der (EU-konformen) Politik nach Warschau. Sie griffen zuerst das Gebäude der regierenden sozialdemokratischen Partei SLD an, danach das Wirtschaftsministerium. Es ist nicht so, dass auf den Transparenten der ArbeiterInnen anarchistische Losungen stehen würden. Aber blind, wer nicht die neue Dynamik in dieser Bewegung sieht, die Impulse der Basis und die wachsende Solidarität sowie die Radikalisierung der Forderungen und der Aktionsformen.

Die Ereignisse zeigen, dass die ArbeiterInnen zunehmend besser organisiert sind und sich nicht einschüchtern lassen.

A.E.

Nachbarn

Ein regnerischer heißer Mai

Die Revolte von Melfi und die Mobilisierung bei der Alitalia

Wir haben Arbeiterkämpfe in fortgeschrittenen Gebieten und in zurückgebliebenen Gebieten erlebt: Das Interessante dabei ist, dass die Arbeiterkämpfe in fortgeschrittenen und in zurückgebliebenen Gebieten sich sehr oft gleichen, d.h. dass sie eben tendenziell – und sei es auch nur über gewerkschaftliche Inhalte – das Gesamtverhältnis zwischen Arbeiterklasse und Kapital sichtbar machen.“

(Raniero Panzieri “Lotte operaie nello sviluppo capitalistico”, März 1962)

In den letzten Jahren wurde viel geschrieben zum Ende der alten Arbeiterklasse, Ende der Zentralität des Großbetriebs, Dezentralisierung der Produktion, Auslagerungen, Veränderungen im Arbeitsrecht usw.. Als roter Faden zog sich durch diese, mittlerweile Allgemeingut gewordenen, Überlegungen die Überzeugung, auch der Arbeitskampf bzw. der Klassenkampf sei überholt. In der “postindustriellen” Produktion habe sich die Arbeiterklasse aufgelöst und könne höchstens noch als Verbund von Interessengruppen im “Ver­teilungs­konflikt” agieren.

Man könnte das Thema abhaken mit dem alten Witz von dem Arbeiter, dem jemand erzählt, der Klassenkampf sei vorbei, und der antwortet: “Habt ihr auch den Unternehmern Bescheid gesagt?”

Die soziale Frage wird natürlich nicht in den Medien gelöst. Darüber hinaus sollten wir aber daran erinnern, dass die Bewegung der ArbeiterInnen keine mechanische Antwort auf den Druck auf sie durch Staat und Kapital ist, sondern das Ergebnis einer individuellen und kollektiven Verarbeitung der proletarischen Erfahrung, bei der die ArbeiterInnen die Umbrüche der Gegenwart (teilweise echte Para­digmenwechsel hinsichtlich Produktion und Gesellschaft) zu den Erfahrungen der Vergangenheit in Beziehung setzen.

In Melfi (Basilikata) fand seit zehn Jahren der erste große Kampf von Industrie­arbeiter­Innen in Italien statt, der nicht nur auf Entlassungen oder den allgemeinen Sozialabbau reagierte. Sata (so heißt das Fiat-Werk in Melfi) wurde bei seiner Einweihung vor zehn Jahren als post­fordis­tische Modellfabrik vorgestelltt. Noch vor der Einstellung der ersten ArbeiterInnen wurde ein Tarifvertrag “auf der grünen Wiese” abgeschlossen, von einer Gewerkschaft, die sozialpartner­schaft­lich zu nennen noch eine Beschönigung wäre. Es gab massive staatliche Subventionen, eine „toyotistische“ Arbeitsorganisation, die Hälfte der Beschäftigten arbeitet in 21 Zulieferbetrieben in unmittelbarer Nachbarschaft usw.. Melfi sollte Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen im ganzen Fiat-Konzern ausüben (tatsächlich waren schon vor der „Melfisierung Fiats“ die einzelnen Standorte systematisch gegeneinander ausgespielt worden).

Melfi startete von Anfang an mit einer sehr hohen Fluktuation. Die Disziplin wurde mit drakonischen Strafen durchgesetzt. Die ArbeiterInnen (darunter auch zehn Prozent Frauen, eine absolute Neuheit im Fiat-Konzern) verdienten weniger als in anderen Fiat-Werken und hatten deutlich brutalere Schichten, um das Werk 6 mal 24 Stunden am Laufen zu halten. Mitte April 2004 traten die ArbeiterInnen in Streik gegen diese Bedingungen. Nach zehn Tagen Streik hatte Fiat Produktionseinbußen von 16 300 Fahrzeugen (allein in Melfi werden am Tag bis zu 1200 Fiat Punto und Lancia Y montiert und Bleche für andere Fiat-Werke hergestellt), und 95% der italienischen Autoproduktion stand still. Am 26. April griffen die Bullen sehr hart die Streikposten an. Es gab mehrere Schwerverletzte. Daraufhin rief die FIOM* zu einem landesweiten Generalstreik am 28. April auf, der massenhaft befolgt wurde.

Kämpfe, die von zugespitzten Punkten des gesellschaftlichen Widerspruchs ausgehen, bekommen meist eine rasante Dynamik. So auch in Melfi: Sehr schnell haben die ArbeiterInnen zwei präzise Ziele auf die Tagesordnung gesetzt. Die Angleichung der Löhne an die der anderen Arbeiter­Innen im Konzern und die Überwindung einer mörderischen Arbeitsorganisation.

Sie haben außerordentlich hart und entschlossen gekämpft und damit faktisch den Betriebsrat (in dem FIM*, UILM* und FISMIC* die Mehrheit haben) ausgehebelt, der die bisherige Passivität der Belegschaft recht gut widerspiegelte. Aber sie haben nicht nur die Gewerkschaft in Frage gestellt, sondern auch die Anfälligkeit der Just-in-Time-Arbeitsorganisation für sich ausgenutzt. Da die „integrierte Fabrik“ keine Puffer hat, ist sie darauf angewiesen, dass der Produktionszyklus, an dem verschiedene Werke und Unternehmen beteiligt sind, wie am Schnürchen funktioniert. Die ArbeiterInnen haben den Zersetzungsprozess der alten fordis­tischen Fabrik, mit dem ihre Verhand­lungsmacht geschwächt werden sollte, gegen die Unternehmer gewendet und klargemacht, dass auch in der postfordis­tischen Fabrik gekämpft werden kann.

Dem Streik bei Fiat in Melfi gingen im letzten Sommer Mobilisierungen gegen Atommülldeponien voraus: Große Menschenmassen hatten sich an Straßenblockaden beteiligt und ganz Lukanien blockiert. Dabei handelte es sich natürlich um eine klassenübergreifende Volksbewegung, aber sie zeigte sehr deutlich, dass man mit direkten Aktionen gesellschaftlich etwas durchsetzen kann. Bereits im Winter 2002/2003 waren in den Auseinandersetzungen um die Kurzarbeit bei Fiat Straßenblockaden zum Massenphänomen geworden. Auch wenn dieser Kampf mit einer klaren Niederlage zu Ende ging, hinterließ er ein eindeutiges Zeichen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die wilden Streiks der Busfahrer und des Flug­hafenpersonals im Winter 2003/2004 stellten dann einen Quali­täts­sprung dar, weil sie von Blockaden von außen zu Aktionen im Produktionsprozess selbst übergingen.

Alitalia

Der Kampf gegen die Entlassungen bei der Alitalia war so gesehen “klassischer”, aber vor diesem Hintergrund nicht weniger interessant: Straßensperren, wilde Streiks, Druck von unten auf institutionelle Gewerkschaften, zunehmende Verwurzelung der Alternativgewerkschaften haben sich miteinander verflochten.

Zunächst haben Regierung und Unternehmen versucht, den Widerstand der Alitalia-ArbeiterInnen damit abzutun, diese hätten die objektiven wirtschaftlichen Notwendigkeiten »nicht begriffen«. Damit kamen sie aber nicht lange durch, und mußten über ernsthafte Dinge sprechen, nämlich darüber, dass auch die als überflüssig an den Rand Gedrängten das Recht auf ein Einkommen haben. Danach versuchte Alitalia die klassische “spalterische” Schiene: Ein Großteil des Unternehmens sollte an Zulieferfirmen ausgelagert werden – mit den üblichen Folgen für Löhne, Arbeitsbedingungen und Sicherheit der Jobs.

Auch bei diesem Kampf war am wichtigsten, dass die ArbeiterInnen selbst aktiv geworden sind und dabei Aktionsformen benutzt haben, die sich gerade verallgemeinern. Die ArbeiterInnen scheinen sehr gut begriffen zu haben, dass die Auseinandersetzung so geführt werden muss, dass man den Gegner hart trifft und gleichzeitig den Kampf öffentlich vermittelt, weil man sonst gar nichts erreicht.

Abschluß bei Melfi?

Nach 20 Tagen Kampf und etwa 35.000 nicht produzierten Autos (mehr als 1,5% der Fiat-Jahresproduktion) haben FIM*, FIOM*, UILM*, FISMIC* und UGL* eine Einigung mit Fiat erreicht, und der Arbeitskampf wurde zunächst beendet. In Rom wurden die Verhandlungen in der Schlussphase von den nationalen Vorständen der Gewerkschaften geführt, die damit wieder gemeinsam aufgetreten sind, nachdem das Tischtuch kurz vorher noch endgültig zerschnitten schien.

Wenn ein Abschluss aber sowohl von Gianni Alemanno von der postfaschis­tischen Regierungspartei Alleanza Nazio­nale, der das Abkommen als “großen Sieg der Arbeiter des Mezzogiorno” einschätzt, als auch von Rifondazione-Comunista-Chef Fausto Bertinotti begrüßt wird, dann ist er entweder wirklich gut, oder alle beteiligten Institutionen hatten ihn bitter nötig.

Kritik kam von Giorgio Santini, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft CISL*, die wie UIL* und FISMIC* gegen die Blockade von Sata war: “Es ist das eine, eine regierbare Fabrik zu haben, und etwas anderes, zu entdecken, dass die Fabrik unregierbar ist. (…) Ich fürchte, dass das Projekt Melfi jetzt auch von Fiat anders gesehen werden könnte.” (Corriere della Sera, 10. Mai 2004).

Der zwölfseitige Abschluss lässt sich ungefähr so zusammenfassen:

1. Ab Juli wird der sogenannte Doppel­klop­per, d.h. zwei Wochen Nachtschicht in Folge, abgeschafft. Es wird eine 6-Tage-Woche und eine 4-Tage-Woche mit zwei aufeinander folgenden Ruhetagen geben. Gleichzeitig wird die Arbeitszeit von 7:15 Stunden auf 7:30 Stunden verlängert. Die zusätzlichen 15 Minuten ergeben dann 7 zusätzliche arbeitsfreie Tage. Die Nacht­schicht­zulage wird bis Juli 2006 von 45 auf 60,5 Prozent (wie in den anderen Werken) erhöht.

Die ArbeiterInnen haben viel erreicht, aber Samstags- und Sonntagsarbeit und die nur 30-minütige Mittagspause bleiben.

2. Die Löhne der ArbeiterInnen in Melfi werden erst nach und nach an die der anderen Fiat-Beschäftigten angeglichen (die Hälfte der Angleichung kommt ab Juli 2004, ein weiteres Viertel im Juli 2005 und der Rest ab Juli 2006). Das hätte sofort geschehen müssen.

3. Ein weiterer Auslöser des Streiks war das harte Fabrikregime: Im Laufe von 10 Jahren hatte es 7.000 Disziplinarmaßnahmen (Suspendierungen und Lohnabzüge) gegeben. Nun wird eine “Versöhnungs- und Vorsorgekommission” eingerichtet, die die in den letzten 12 Monaten verhängten Sanktionen untersuchen soll.

Hier wird es wirklich heikel. Im Streik gab es nämlich extrem harte Auseinandersetzungen, und die Untersuchung der Disziplinarstrafen einer gemischten Kommission aus Unternehmern und Gewerkschaften zu überlassen, die zum großen Teil gegen den Kampf waren, ist letztlich selbstmörderisch. Dahinter steckt ganz klar der Versuch, die vom Kampf unter­grabene Macht der Unternehmer und Gewerkschaften wiederherzustellen, indem man auf Zeit spielt, auf den Rückgang der Mobilisierung setzt usw..

Wo stehen wir?

• Der Kampf von Melfi zeigt, dass eine starke und entschlossene Mobilisierung nötig ist, um etwas zu erreichen – und dass die ArbeiterInnen das vollkommen verstanden haben.

• Gerade die entschiedensten Feinde der Bewegung im Gewerkschaftslager haben den wesentlichen Punkt begriffen, wenn sie feststellen, dass die Fabrikdisziplin ernsthaft bedroht wurde und dass das bequeme Leben für die Abteilungsleiter und die Gewerkschaftsbürokraten zumindest vorläufig vorbei ist.

• Die ArbeiterInnen von Melfi haben alle wichtigen politischen und gesellschaftlichen Kräfte gezwungen, für oder gegen den Kampf Stellung zu nehmen. Sie haben im höchsten und wahrsten Sinne des Wortes »Politik gemacht«, nämlich die Fragen, die uns alle angehen, in den Mittelpunkt gestellt.

• Von diesen Überlegungen müssen wir ausgehen, wenn wir das Abkommen beurteilen wollen, mit dem der Kampf jetzt beendet werden soll. Es wäre falsch, jetzt nur zu sagen: »Naja, es hätte noch mehr herauskommen können, aber Fiat musste nachgeben, und das ist schon ein außerordentliches Ergebnis«. Für Millionen von ArbeiterInnen war dieser Kampf ein ganz klares Zeichen, das mehr wert ist als tausend Reden, nämlich die Offensichtlichkeit der Tatsache, dass man sich nur mit Stärke durchsetzt.

• Last but not least haben die Arbeiter­Innen in Melfi gezeigt, dass sie den ganzen Produktionszyklus mobilisieren, Fiat und Zulieferfirmen jenseits von Eigentums- und Beschäftigungsverhältnissen vereinheitlichen und durch das Lahmlegen der Produktion an den strategischen Punkten die Flaschenhälse des Zyklus selbst gegen die Unternehmer wenden können.

Die Rückkehr des Klassenkampfs

Wenn wir eine gesellschaftliche Klasse mit einem Konservativen wie Max Weber nicht als statisches Aggregat, sondern als eine Schicksalsgemeinschaft bzw. als menschliche Gruppe definieren, die aus Individuen besteht, die nicht ideologisch, sondern unmittelbar eine gemeinsame Zugehörigkeit empfinden, dann folgt daraus, dass das Selbstverständnis als Klasse ein Prozess, eine Errungenschaft, die Schaffung von sozialen Codices ist, die eben diese Gemeinschaft charakterisieren.

Dafür sind Kämpfe wesentlich, eben weil sie für die beteiligten Subjekte das Moment darstellen, in dem sie ihre Autonomie erproben und sich selbst als Subjekte und nicht nur als Rädchen der gesellschaftlichen Maschine wahrnehmen.

Es hat sich wieder herumgesprochen, daß diese Gesellschaft auf dem Konflikt basiert und dass man kämpfen muss um Verschlechterungen abzuwehren, oder – wie im Fall von Melfi – um etwas Besseres zu bekommen.

Cosimo Scarinzii

(Der Artikel ist ein gekürzter Vorabdruck aus Wildcat Nr.70.)

Aus dem Institutionenzoo:

FIOM: Metallarbeitergewerkschaft der CGIL

FIM: Metallarbeitergewerkschaft der CISL

UILM: Metallarbeitergewerkschaft der UIL

CGIL: linker, d.h. Rifondazione und DS nahestehender Gewerkschaftsverband

CISL: katholischer Gewerkschaftsverband

UIL: rechtssozialdemokratischer Gewerkschaftsverband

FISMIC: klassische »gelbe« Betriebsgewerkschaft bei Fiat

UGL: Den Postfaschisten (Alleanza Nazionale) nahestehender Gewerkschaftsverband

Chronologie

18. April Zuerst streiken einige Zulieferbetriebe und dann sämtliche Auto­mobil­betriebe in San Nicola di Melfi, wo sich Fiats wichtigstes Werk in Italien befindet. Die wichtigsten 3 Ziele sind: Lohnerhöhungen (in Melfi wird 15 bis 20 Prozent weniger gezahlt als in anderen Fiat-Werken), weniger schwere Arbeitsorganisation, Strafsystem. Vor allem die FIOM, aber auch Slai Cobas, UGL und Cisal unterstützen den Streik. Die Mehr­heits­ge­werk­schaften (UILM, FIM und FISMIC) sind dagegen.

In den nächsten Tagen verschärft sich der Ton von Fiat und den geschäftsleitungsfreundlichen Gewerkschaften gegen die Streikposten, die angeblich die Arbeitswilligen am Betreten des Betriebs hindern.

24. April Kundgebung vor der Fiat Sata in Melfi. Die ArbeiterInnen vergewissern sich, dass die Streikposten stehen.

26. April Die Polizei greift die Streikposten an. Mehrere ArbeiterInnen werden verletzt. Regierungsvertreter sprechen der Polizei ihre Unterstützung aus. Zum ersten Mal seit etlichen Jahren gibt es eine direkte Auseinandersetzung zwischen Arbeiter­Innen und Polizei. CISL, UIL und FISMIC kritisieren die Polizei wegen “Exzessen”, vor allem aber die Streikenden.

28. April Italienweiter vierstündiger Streik (in der Basilicata acht Stunden) der MetallarbeiterInnen gegen die Polizeiübergriffe. Riesige Beteiligung von Arbei­ter­­Innen an der Demo in Melfi.

29. April Die FIOM reagiert auf den Druck und sagt zu, die Streikposten abzuziehen und sie in eine ständige Versammlung der streikenden ArbeiterInnen umzuwandeln. Hierbei geht es ganz klar um ein formelles Zugeständnis an FIM, UILM und FISMIC, denn die Arbei­ter­­Innen versperren den Streikbrecherbussen, die im übrigen halb leer sind, weiter den Weg.

4. Mai Demo in Rom. Aufgerufen haben die ständigen Versammlungen mit Unterstützung der FIOM. Interessant ist, wie drei Strukturen nebeneinander bestehen: die RSU, die überhaupt keine Rolle spielt, die Delegierten der Kampfkoordination, die zwar den Arbeitskampf führt, aber organisatorisch schwach ist, die FIOM, die der Bewegung freie Bahn lässt, aber Verhandlungen und Organisation in der Hand behält. (Für die FIOM war der Kampf in Melfi auch aus innerorga­nisa­torischen Gründen sehr wichtig: der FIOM-­Kongress steht vor der Tür und die CGIL unterstützt die rechte Minderheit in der FIOM.)

9. Mai Die Einigung wird unterschrieben, und zwar von einer provisorisch wiedervereinigten Gewerkschaftsfront. Die Slai Cobas, die einzige in Melfi wahrnehmbare alternative Gruppe, wird dabei natürlich ausgegrenzt.

Nachbarn

„Opel Bochum“ in Zwickau

Am 25. November 2004 legten die ArbeiterInnen der Zwickauer Verkehrs­betriebe (SVZ) ihre Arbeit nieder und be­gan­nen um drei Uhr morgens – frei nach dem Modell Opel Bochum – eine „außer­ordentliche Betriebsversammlung“, an der 240 ArbeiterInnen der 270 Köpfe zählen­den Belegschaft teilnahmen. Kein Bus, keine Bahn verließ an diesem Donnerstag das SVZ-Depot in der Stadt an der Mulde (1) – lediglich die Busse privater und aus­wär­tiger Unternehmen waren auf Tour.

Anlass war die Stadtratssitzung, in der am selben Tag grundsätzlich über die Privati­sierung der SVZ, eine Tochtergesellschaft der Stadtwerke Zwickau Holding GmbH, entschieden werden sollte. Von diesem Vor­haben erfuhren Betriebsrat (BR) und Beleg­schaft erst eine Woche vor Toresschluss aus der Zeitung – noch kurz zuvor hatte die Geschäftsführung behauptet, für einen Verkauf gäbe es keine Pläne. Mit dieser Pres­se­meldung schien der im November 2003 unterzeichnete Haustarifvertrag – fünf­prozentiger Lohnverzicht durch Arbeitszeitverkürzung, dafür eine „Arbeits­platzgarantie bis Ende 2005“ – hinfällig, zu dem der BR seinerzeit noch geraten hatte: „Da habt ihr nun ein bißchen Sicherheit,“ hieß es damals (2). Nun ist klar, dass bürgerliche Verträge kaum das Papier wert sind, auf dem sie stehen – Arbeits­platz­garantie, das ist nichts weiter als eine Beruhigungspille.

Die Überlegungen der Stadtverwaltung erinnern an den Verkauf des Regional­verkehrs Westsachsen (RVH in Chemnitz und Zwickau) im April 2003: für nur 1 Euro ging der Betrieb aus Besitz von Stadt und Land an den Konzern Rhenus Keolis. Die Einsparungen im Haushalt, mit denen die Privatisierung begründet wurde, konnten bisher noch nicht realisiert werden. Denn die „öffentliche Hand“ ist für die Aufrechterhaltung des ÖPNV verant­wortlich, und zahlt also Subventionen in Millionenhöhe an den neuen Besitzer – geändert hat sich allein die Lage der Beschäftigten, die seither prekärer gewor­den ist.

Wenn wir denen nicht wich­tig sind, müss’n wir uns um unser Zeug selber kümmern.“

In angespannter Stimmung beschloss der BR am Dienstag, die außerordentliche Betriebsversammlung durchzuführen: Protest und Information. Zeitgleich hatten mehr als 50 Prozent der ArbeiterInnen mit ihrer Unterschrift den BR aufgefordert, eine solche Versammlung durchzuführen. Ein zeitlicher Rahmen wurde im vorhinein nicht festgelegt.

Ab drei Uhr morgens versammelte sich also die gesamte Belegschaft in der Kantine: nicht nur die FahrerInnen, auch die Ar­bei­terIn­­nen der Werkstätten und die Angestellten der Verwaltung beteiligten sich. Nach Ein­schätzung des BR sei damit „im Unterneh­men auch viel gewachsen, das Verständnis unter­einander“. Zwölf Stunden lang wur­den die Beschäf­tig­­­ten von ihren Ver­trauens­leuten über die Lage informiert und meldeten sich am of­fe­­­n­en Mikrofon zu Wort: „es durfte jeder sagen, was er woll­te“. So wurde auch ein Antrag formuliert, bis zur Entlassung der Geschäftsführung – die die Privatisierung ebenso befürwortet wie weitere Lohn­­­senkungen – auszuharren. Der BR hat das noch abgebügelt: dem Manage­ment wird in einer Resolution das Ver­trauen für den Privati­sierungs­prozess entzogen.

Anschließend zogen die ArbeiterInnen zum Rathaus, wo man derweil über Polizei­absperrungen nachdachte. Sie machten sich auf, „mit dem Hintergrundwissen, den Beschluss kriegen wir sowieso nicht mehr gekippt, aber wir wollen wenigstens zeigen, dass wir so mit uns nicht umspringen lassen … Da hatten die natürlich schon Bammel,“ so BR-Vorsitzender Schäfer. In Anwesen­heit der Belegschaft – die die Zerschlagung der SVZ befürchtet (3) –, sprachen sich alle Fraktionen für eine Privatisierung aus, die schon 2003 vom Chemnitzer Regie­rungs­­präsidium „empfohlen“ wurde. Die Abstimmung erfolgte ohne Diskussion (4), nachdem fast zehn Minuten über eine Sandstreukiste debattiert worden war: „Fraktionszwang, das kennen wir ja noch aus DDR-Zeiten“.

Daraufhin kam es noch im hochheiligen Parlament zu Zwischen­rufen und einem Pfeifkonzert. Der Bürger­meister drohte mit der polizeilichen Räu­mung des Saals, beschränkte sich dann aber auf eine Unterbrechung der Sitzung. In einer Unterredung mit Management, BR und ver.di meinte er: „Wir sollten doch ruhig sein, das wäre alles gar nicht so schlimm.“ Das Stadtoberhaupt sagte für Mit­te Dezember ein Treffen mit der Beleg­schaft zu, daraufhin kehrten die Arbei­terIn­nen (geführt vom BR) in ihre Kantine zurück. „Das tut mir heute noch leid,“ sag­te Schäfer gegenüber Feierabend!, denn be­sag­tes „Treffen hat gar nichts gebracht“.

Verschiedene Veräußerungsmodelle werden nun von der Unternehmens­beratung Wibera geprüft; erste Ergebnisse sollen Ende Januar vorliegen (5). Erfah­rungs­gemäß wird in solchen Prozessen be­stätigt, dass es nicht anders geht als der Auf­trag­geber es will. Bis heute verweigert man dem BR Akteneinsicht, der „den Prozess begleiten“ und die Interessen der Beleg­schaft, „Arbeitsplätze, Löhne“ gesichert wissen will. Aus der Haltung der Politik und des Managements spricht aber schon eine neue, oder die alte Zeit: „Diese absolute Ablehnung, so krass kenn’n wir das nicht.“

Der Ausstand wurde nicht über den Tag hinaus fortgesetzt. Die Stimmung auf der Ver­sammlung war, nach Aussagen des BR, gegen Ende (um 18 Uhr) „optimistisch auch dahingehend, zu wissen: da kümmern sich welche drum und wenn die nicht mehr weiterwissen, rufen sie uns zusammen und wir reden darüber. Das haben wir [BR] eigentlich immer so gemacht und sagen: Wenn irgendwas ist, das letzte Wort habt ihr, ob ihr’s wollt oder nicht.“ Es handelte sich also nicht um einen wilden Streik in dem Sinn, dass er außerhalb der Kontrolle der gesetzlich gerahmten Stellvertretung, von einer selbstbewussten Belegschaft geführt würde. Aber dieser Streik war nicht Teil von Tarifverhandlungen, auf den die herrschende Meinung „Streik“ gern reduzieren möchte, und insofern war die Bewegung doch unberechenbar – in der SVZ-Firmengeschichte ist das (noch) einmalig. Zwar handelt es sich um eine defensive Auseinandersetzung, doch finden sich in dem Vorgehen auch offensive Elemente: auf unbestimmte Zeit wurde der Streik vor der Ratsentscheidung begonnen, die Streikenden drangen unmittelbar in die Räumlichkeiten der Politik ein. „Wir glauben auch, dass wir – von unserer Seite jetzt – das richtige Zeichen gesetzt haben. … Politiker [aller Ebenen] sind jetzt gesprächsbereiter, mit uns zu reden – plötzlich war’n wir alle interessant: Da lässt sich jemand net in ’n Hintern beißen, die wer’n laut; und das stört irgendwo.“ Vor allem die Beschäftigten der SVZ, die zu 80 Prozent in ver.di organisiert sind, müssen noch die Initiative ergreifen. Es reicht eben nicht, sich Nachrichten aus Leverkusen (6) anzuhören und ansonsten nur aktiv zu werden, wenn man individuell direkt berührt ist. Ebenso falsch ist es, den BR allein stehen zu lassen, wenn es gegen den neuen Spartentarifvertrag (7) geht, in dem zwischen alt eingesessenen und neu eingestellten ArbeiterInnen ein Lohngefälle von 30 Prozent herrscht. Klassenbewusstsein kann nur von Nutzen sein, spätestens wenn die Sozialpartnerschaft aufgekündigt wird. Die einzige Garantie gegen die Unsicher­heit im Kapitalismus, gegen „Willkür“ und „Notwendigkeit“, ist der Zusammenhalt und die Handlungsbereitschaft der (er­werbs­­losen und angestellten) Arbei­terIn­nen.

Wohl v.a. aufgrund der Arbeitsplatz­pro­ble­matik war auch die Unterstützung aus der Be­völ­kerung sehr groß. „Es war für mich also eigentlich unbegreiflich. […] Es ist wahr­scheinlich an der Zeit, dass eener mal ‚nee’ sagt.“ Die Stimmung in der Beleg­schaft ist gespannt, die Angelegenheit noch nicht erledigt. Dazu erklärt BR Schäfer: „Wenn wir hier nochmal dichtmachen, dann machen wir nur einmal dicht, solang bis es geklärt ist.“

A.E.

(1) Zwei Fahrer mit befristeten Verträgen wagten die Beteiligung nicht und fuhren.
(2) Die Aussagen stammen vom BR-Vorsitzenden Schäfer, mit dem Feierabend!-Redakteure am 5.1.2005 vor Ort sprachen.
(3) Wie das praktisch aussieht, wissen Lohn­ab­hän­gige der LVB, bzw. ihrer „Tochter­gesellschaften“.
(4) Nur vier vereinzelte Abgeordnete (3 SPD, 1 Grüne) lehnten den Antrag ab.
(5) Der Beschluss umfasst den gesamten Privati­sierungs­prozess. SVZ-Management und die Stadtwerke Holding müssen dem Stadtrat nur mehr einen unterschriftsreifen Kaufvertrag vorlegen.
(6) ver.di-low-intensity-Streik gegen die HBB, der immer noch „läuft“. Vgl. Feierabend! #12, S. 11
(7) Geschlossen am 14.5.03 zwischen Kommu­nalem Arbeitgeberverband Sachsen e.V. & ver.di Sachsen e.V.

Lokales

Harte Bandagen in der Defensive – Teil 2

Streik bei Infineon

Am 24. 10. 05 traten die 800 Arbeiter­Innen von Infinion in München-Perlach in einen unbefristeten Streik. Sie wollten damit gegen die Schlie­ßung und für höhere Abfindungen kämp­fen. Die Chipfabrik, die nach heute überholten Standards arbeitet, soll geschlo­ßen werden.

Nachdem am Montag keiner der an­gekarrten Streikbrecher in das Werk gelangte, wurden am Tag darauf ca. 20 „Arbeitswillige“ mit Polizeieskorte durch die Streikkette geschleust. Dabei gerieten Streikende und Polizei aneinander, wobei ein Staatsdiener seine Dienstwaffe zog und ein Streikender von einem Bus angefahren wurde.

Dass sich der Import von Streikbrechern nicht rechnet, zeigen die 200.000 Euro Sachschaden, die die Ersatzarbeiter, eigentlich Ingenieure, an einem Tag durch Unkenntnis anrichteten. Beendet wurde der Streik am 31.10.05 mit dem Beschluß, das Werk zwei weitere Jahre zu betreiben.