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… ich will so bleiben, wie ich bin …

Es gab eine Zeit, da wollte jeder ein Eisbär sein. Doch heutzutage ist eine Zukunft als Eisbär mehr als ungewiss. Na gut, vielleicht wenn man Knut heißt und im Berliner Zoo den lieben langen Tag faulenzt und sich von Sonntagsausflüglern begaffen lässt. Seine Artgenossen haben da schon etwas mehr zu befürchten – ihr Lebensraum schmilzt ihnen unterm Pelz weg. Und nun schreien diejenigen, die so tun, als ob sie das interessiert, nach der Politik. Der ignorante Rest, dem die Zukunft dieses Planeten egal ist, verlässt sich sowieso in allem auf die Regierungen. Die Staaten handeln endlich, immerhin sind sie ja auch verantwortlich für unser Tun und nicht etwa wir selber. Die G8-Mitgliedsländer ziehen ernsthaft in Erwägung, unsere Emissionen zu senken; Australien verbietet energieverschwendende Glühbirnen, China tritt auf die Wachstumsbremse – naja und Südamerika und Afrika verkaufen lieber ihre Emissionskontingente. Auch die Wirtschaft reagiert brilliant, denn dank wassersparender Spühltabs haben bald auch alle genügend Wasser. Und Maschinen waschen dank neuer Waschmittel ganz ohne Strom. Also Tab rein und Socken, Handtücher und selbst Windeln riechen blumig, wie Bergfrühling oder was auch immer, aber immer frisch. Die Farben sehen wieder aus wie beim erstenmal Tragen, knallbunt und dabei noch super soft. Und alles ohne Strom und Wasser.

Ganz besonders schlaue Leute sprudeln sich sogar das Leitungswasser mit CO2 auf und schon wird der Transport von unzähligen Mineralwasserkisten überflüssig. Und wieder ein Stück weniger Treibhausgas verschuldet. Wahnsinn. Konsum, die Grundfeste dieses Landes, scheint der Ausweg aus der Umweltmisere. Es gibt für alles das passende Produkt. Verzicht bringt rein gar nichts und macht in erster Linie schlechte Laune. Die Eisdecke am Nordpol schmilzt unterdessen weiter. Heute will bestimmt niemand mehr ein Eisbär sein, weder am kalten Polar noch im Zoo.

etap

Magdeburg – Politik vom Richterstuhl

129a (StGB)-Verfahren gegen Linke in Sachsen-Anhalt

Der Ge­ne­ral­bundes­an­walt beim Bundes­ge­richts­hof ließ am Mor­gen des 27. November 2002 durch Beamte des Bun­des­kriminalamts und des Landes­kri­mi­nalamts Sachsen-Anhalt vier Woh­nungen in Magdeburg, Quedlinburg und Berlin durch­suchen. Am selben Tag wurden Daniel in der Wohnung seiner Mutter und Marco in Magdeburg auf offener Straße von Sonderein­satz­kommandos der Polizei überwältigt und festgenommen. Sie stan­den zu diesem Zeit­punkt in den Augen der Ermittlungsbehörden in Verdacht, bei An­schlä­gen am 18. März 2002 an Polizei­ein­rich­tungen in Magde­burg beteiligt gewesen zu sein.

Es handelt sich hierbei um zwei Brand­an­schläge auf das Gebäude des Landes­kri­mi­nal­amtes (LKA) in Magdeburg und auf Fahrzeuge des Bundesgrenzschutzes (BGS). Auf das Gebäude des LKA wurden in dieser Nacht zwei Brandsätze geworfen, die laut Polizeiangaben geringen Sachschaden anrichteten. Die Anschläge auf die Ein­satz­fahr­zeuge des Bundesgrenzschutzes schlugen fehl, da die unter den Fahrzeugen de­­ponierten Brandvor­richtungen nicht zündeten. Dadurch konnten diese von der Polizei sichergestellt und in den folgenden Prozessen als eines der Hauptbe­weismittel verwendet werden. Auf einem der Post­pa­kete, in denen die Brandsätzen depo­niert waren, wurde später bei der Unter­suchung, ne­ben denen von vielen anderen Personen, auch ein Fingerabdruck von Daniel ge­funden.

Da nach einem halben Jahr Unter­suchungs­haft für die beiden Inhaftierten sich jedoch abzeichnete, dass die An­schul­di­gungen der Generalbundesanwaltschaft vor Gericht aufgrund der dünnen Be­weis­lage nicht durchsetzbar sein werden und Daniel und Marco eine erneute Haft­prü­fung vor der nächst höheren Instanz be­antragt hatten, war die General­bun­des­an­waltschaft zum Handeln gezwungen. Um eine von ihr angestrebte Anklage nach §129a auf Bildung einer terroristischen Ver­einigung überhaupt vor Gericht zu bringen, musste diesem ein 3. Be­schul­dig­ter vorgeführt werden. So wurde am 16.4.2003 ein Magdeburger Linker – Carsten – verhaftet.

In der Anklageschrift gegen Carsten, Daniel und Marco, die im September 2003, fast ein Jahr nach den ersten beiden Festnahmen, erlassen wurde, erhob die Bundesanwaltschaft Anklage nach §129a wegen des Verdachts auf „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ in deren Namen Straftaten gegen den Staat und Konzerne begangen wurden. Dieser Vereinigung, zu der nach Behauptung der Staatsanwaltschaft die drei Beschuldigten gehört haben sollen, wurden noch zwei weitere Anschläge zur Last gelegt: Zum einen ein Brandanschlag im August 2001 auf zwei Neuwagen einer Magdeburger DaimlerChrysler-Niederlassung. bei dem ein Sachschaden von 150.000 Euro entstand, zum anderen ein Brandanschlag im Februar 2002 auf zwei Fahrzeuge der Deutschen Telekom. Der Sachschaden betrug hier 30.000 Euro.

Zu den verschiedenen Taten bekannten sich jeweils verschiedene Gruppierungen. Die Staatsanwaltschaft jedoch sah hinter allen eine einzelne „Terroristische Vereini­gung“, als deren Kopf sie Marco darstellte.

Die folgende erste Verhandlung…

in der alle drei inhaftierten Linken ge­meinsam der Bildung einer terroris­ti­schen Vereinigung angeklagt wurden, zog sich bis zur Urteilsverkündung am 16.12.2003 über 13 Prozesstage hin. Am 21.11.2003, dem vorletzten Verhand­lungs­­tag, hob der vorsitzende Richter die Haft­befehle gegen die drei Hauptan­ge­klag­ten auf. In der Begründung be­zeich­nete der Richter eine Verurteilung der drei An­geklagten nach § 129a als nicht wahr­schein­lich. Hintergrund hierfür war die Auf­lösungserklärung der Gruppe, deren Zugehörigkeit sie beschuldigt wur­den, mit welcher der dringende Tat­ver­dacht der Mitgliedschaft in einer terroris­ti­schen Ver­einigung und somit der bis­herige Haft­grund entfiel. Dennoch wurden sie mit dem Urteil vom 16.12.03 zu Frei­heits­strafen von 2 Jahren und 6 Mona­ten für Marco und zwei Jahren für Daniel verurteilt. Carsten wurde aufgrund der nicht ausreichenden Beweislage freige­sprochen.

Der Senat, vertreten durch Richter Hennig, führte aus, dass es sich zwar um Indizienbeweise gehandelt habe, die aber in seinen Augen ein Gesamtbild ergäben, welches ihm die politische und moralische Gesinnung der Angeklagten klar zeige und für ihn als Beweis der Mitgliedschaft in einer der sich zu den Anschlägen be­ken­nen­den Gruppe ausreiche. Die Ver­ur­tei­lung erfolge nicht auf Grund der tat­säch­lichen Tatbeteiligung, sondern ihrer geis­tigen, die sich aus der unterstellten Mit­gliedschaft ergäbe. Ihre Verurteilung er­folg­te somit indirekt auf der Grundlage des Paragraphen 129a.

Die Staatsanwaltschaft und die Ver­tei­di­gung gingen gegen dieses Urteil in Re­vi­sion. Für die Staatsanwaltschaft war diese Ent­scheidung des Gerichts ein versteckter Frei­spruch im Bezug auf den Vorwurf der Bildung einer Terrorzelle. Vorwürfe, die sie im Verlauf der Verhandlung durch er­presste Zeugenaussagen und sich ständig vor Gericht widersprechende Polizei­be­amte zu untermauern versucht hatte. Für die Verteidigung kam ein solches Ge­sin­nungs­urteil auf Basis von haltlosen und schwammigen Indizien selbstredend nicht in Frage.

In der Revision…

wurde dann das Verfahren in drei getrenn­te Verhandlungen geteilt, um so die Mög­lichkeit zu haben, die Angeklag­ten gegen­seitig als Zeugen zu laden. Dies war zuvor in einem gemeinsamen Prozess nicht mög­lich gewesen. Das erste Revi­sions­­ver­fahren ge­gen Daniel eröffnete im April die­sen Jah­­res. Im Verlauf der Ver­hand­lung wur­den Marco und der vorher frei­ge­sprochene Carsten am 2. Verhand­lungs­tag mit Beu­ge­haft belegt, da sie sich hin­sichtlich ihrer noch laufenden Verfah­ren, abgesehen da­von jedoch prinzipiell, wei­gerten gegen Daniel auszusagen. Ein ge­nerelles Aussage­ver­weigerungsrecht nach §52a (StGB), nach dem niemand gezwungen wer­den darf eine Aussage zu machen, die ihn selbst belasten könnte, wiesen die Rich­ter mit Verweis auf die getrennten Verfahren als nicht gegeben ab. Somit konnte den beiden auf Grund des selben Paragraphen eine Freiheits- und Geldstrafe auferlegt werden.

In dem Verfahren, das schon wieder in zweistellige Verhandlungsrunden geht, wurde von Seiten des Gerichts durch Verschleppung der Verhandlung der gesetz­liche Rahmen von 6 Monaten Beugehaft voll ausgeschöpft. Es wurden z.B. mehrere Verhandlungstage nach weni­ger als 10 Minuten beendet und eine ein­mona­tige Sommerpause eingelegt, um so eine Aussage von Marco und Carsten zu erzwingen. Dieses Verfahren läuft noch immer, das heißt noch immer sind Marco und Carsten im Gefängnis, da sie die täg­liche Frage nach ihrer Aussage­be­reit­schaft im Prozess gegen Daniel verneinen.

Schon zu Beginn der Ermittlungen…

und des sich anschließenden Ver­fahrens wurde offensichtlich, dass es sich hier um eine Profilierungsmaßnahme der Sachsen-Anhaltinischen Ermittlungs- und Recht­sprechungsbehörden handelt. Hier wur­den die nach den Anschlägen im Septem­ber 2001 auch in Deutschland ver­schärften Ge­se­­tze zur inne­ren Sicherheit da­zu be­nutzt, linke Struktu­ren zu ob­ser­vieren und zu krimina­lisieren. Im Rahmen eines 129a-Ver­fah­rens sind der Staats­­anwalts­chaft Möglich­keiten gegeben, Er­­­mittlungs­methoden anzu­wen­den, die bei anderen juris­tischen Tatbe­stän­den kei­ner gesetz­lichen Grund­lage ent­sprechen. So wurden z.B. die Freundinnen der An­ge­klagten nicht als Fami­lien­mitglieder akzeptiert, da­mit man ihnen kein Aussage­ver­weige­rungs­recht zugestehen musste. Zu­sätzlich wur­de ihnen im Vorfeld der Ver­neh­mung eine Gefängnisstrafe an­ge­droht, sollten sie sich dennoch weigern aus­zusagen. Haus­durch­­suchun­gen, Tele­fon­überwachungen und Per­so­nen­ob­ser­vierungen führ­ten desweiteren zu einer massiven Anklage- und Vor­ladungswelle in den Kreisen der Mag­de­burger Linken. Wei­ter­­hin bestand die Stra­tegie der An­klage darin, sämt­liche Ver­wandte und Freun­de vorzuladen um Prozess­­tage zu füllen, und somit dem Ge­richt eine Zeit­auf­schiebung als prozess­­aus­füh­rendes Or­gan zu ver­schaf­fen. Den ent­scheiden­den Be­weis konnten diese Zeu­gen nicht lie­fern. Alles was sie zu Pro­tokoll gaben, waren Aussage­ver­wei­­ge­rungen und Alibi­be­stätigungen, die schon im Prozess zuvor nicht anerkannt wur­den. Die Androhung der Aussageer­zwingungs­haft für die ge­ladenen Zeugen und die Anwen­dung auf Daniel, Marco und Carsten sind fragwürdige rechts­staatliche Mittel, die jedoch in Ver­fah­ren gegen Grup­pierungen, vornehm­lich aus der linken Szene, sehr oft ange­wen­det werden.

Es ging in diesem Verfahren nie um die Wahr­heitsfindung bezogen auf die Brand­an­schläge, sondern um die Auf­recht­er­hal­tung eines durch die Staatsanwaltschaft er­richteten Konstrukts einer terroris­tischen linken Gruppe. Die Methoden, solche Kon­strukte zu fingieren und auf­recht zu erhalten, liegen in den Händen derer, die in ihren jeweiligen Schlüssel­po­si­tionen ihre Definitionsmacht anwenden und aus­führen.

Der Aufwand, der bei den Ermittlungen und den Gerichtsverfahren betrieben wur­de, muss sich im Sinne der Anklage na­türlich rechnen und es darf nicht passieren, dass solche Ver­fahren mit Frei­sprüchen enden.

etap

Unterstützung, aktuelle Infos, Quellen unter: www.soligruppe.de

Der Paragraph 129

Der §129 ist seit seiner Einführung 1822 ein politisches Instrument. Der §129 StGB ist über 180 Jahre alt und hat seine späten Wurzeln im Kaiserreich: 1878 wurde er bekannt als das so genannte „Sozialistengesetz“, das Bismarck zur Bekämpfung der Sozialdemokratie einführte. In der Weimarer Republik wurde die staatliche Verfassung als Schutzgut in den Paragraphen mit aufgenommen und in der BRD der 50er und 60er Jahre spielte der §129 jetzt erstmals unter der Gesetzesüberschrift „kriminelle Vereinigung“ eine wichtige Rolle im Rahmen der Kommunistenverfolgung, besonders nach dem KPD-Verbot 1956. Zur Bekämpfung der RAF wurde eigens der §129a geschaffen, bis heute die wichtigste Norm im politischen Strafrecht, der eigentlich nach den RAF-Prozessen wieder abgeschafft werden sollte. Der §129a setzt Mitgliedschaft, Unterstützung und Werben für eine „terroristische Vereinigung“ unter Strafe. 2001 wurde der §129b eingeführt und kriminalisiert ausländische „terroristische Vereinigungen“. Die Abgrenzung zu Befreiungsbewegungen obliegt der Staatsmacht und wird nach politischen Eigeninteressen vorgenommen.

Der §129-129a-129b ist ein Sonderrechtssystem

Mit dem §129 wird nicht eine Person für eine nachgewiesen begangene Straftat kriminalisiert. Um nach §129 belangt zu werden, muss gar keine Straftat begangen worden sein. Allein die Mitgliedschaft in einer zu kriminalisierenden Vereinigung reicht für eine hohe Haftstrafe aus. Als Mitgliedschaft wird bereits gewertet, wer Kontakt zu anderen „Mitgliedern“ hat. Eine Vereinigung muss aus mindestens drei Mitgliedern bestehen. Nach der Strafprozess­ordnung besteht bei Ermittlungen nach §129 die Möglichkeit zu großflächiger Telefonüberwachung, zu Großrazzien in Wohnblocks, zur Errichtung von Kontrollstellen im Straßenverkehr und auf öffentlichen Plätzen mit der Möglichkeit zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung auch bei Unverdächtigten sowie zur Anordnung der sog. Schleppnetzfahn­dung mit der Möglichkeit zur Massenspeicherung von Daten und zur Rasterfahndung. Bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts wegen §129a darf die Untersuchungshaft verhängt werden, auch wenn ein Haftgrund wie Fluchtgefahr gar nicht vorliegt.

ERSTER MAI – Ein Tag zum Feiern oder Kämpfen?

Am 01.05.1890 verweigerten erstmalig Belegschaften und gewerkschaftliche Gruppen verschiedener Länder gleichzeitig die Arbeit und forderten den 8h-Arbeitstag, das Ende des para/staatlichen Terrors gegen die Organisationen der Arbeiterbewegung und Schluss mit der globalen kapitalistischen Ausbeutung. Heute, fast 120 Jahre später, kann weder von verkürzten Arbeitszeiten noch vom Ende des Raubbaus an Natur und Körpern die Rede sein. Ist also der 01. Mai 2xxx ein Tag zum Feiern, um Kräfte zu sammeln für den alltäglichen Kampf gegen die Mühlen, eine Zeit der Besinnung auf vergangene Siege? Oder ein Kampftag, den mensch dazu nutzen sollte, die Streiks und Arbeitsverweigerungen der nächsten Tage zu planen, und den Ausbau gegenseitiger solidarischer Assoziationen voranzutreiben? Brauchen wir den Ersten Mai noch? Und ist er überhaupt noch anschlussfähig für eine gegenwärtige soziale Bewegung? Einige Argumente und Schlüsse tragen die Diskutanten hier vor. Die Rolle des Weiterdenkens fällt dagegen Euch zu.

PRO:

Wenn die Rede davon ist, einen Feiertag zur Finanzierung von Steuerlöchern abzuschaffen, geht immer ein großer Aufschrei durchs Land. Und das zu Recht, denn wer lässt sich schon gern ein Privileg wegnehmen. Und trotz dieser Empörung muss es nach Ansicht der „Finanzexperten“ von Bund und Ländern doch manchmal sein. Dann geht das große Rätselraten los: „Welcher Feiertag entspricht am wenigsten unserer Kultur und ist ohne Identitätsverlust am ver­schmerz­barsten?“ Bis jetzt waren es immer die kirchlichen Feiertage. Betrachtet, welche Feiertage es gibt, sind es bis auf den National-Feiertag am 3.10. und eben dem „Internationalen Tag der Arbeit“ , nur solche. Dass die Kirchenoberhäupter das Abschmelzen der heiligen Tage nicht begrüßen, ist nachvollziehbar, aber sie haben die Streichungen hingenommen, denn ihr Einfluss ist be­grenzt. An die Streichung des 1.Mai hinge­gen hat sich noch keine deutsche Regierung gewagt, geschweige denn überhaupt nur diesen Gedanken geäußert. Ob dies nun ein Indiz ist für die Stellung dieses symbolischen Ta­ges in der Landeskultur oder für den Ein­fluss, den die Gewerkschaften und ihre Mitglieder in diesem Land haben, sei dahingestellt.

Fakt ist, die Arbeiter und Arbeiterinnen auf der ganzen Welt haben es in den letzten 100 Jahren geschafft, einen „Weltfeiertag“ zu installieren, der unabhängig von politischen Entwicklungen die Zeit überdauert hat. Hat der Ostblock diesen Tag vordergründig missbraucht, um mittels Panzer und Raketenparaden auf den „Roten Plätzen“ die­ser Blockwelt militärische Stärke zu de­monstrieren, hat die andere Seite diesen Tag genutzt, um ihren Forderungen nach arbeitsfreien Samstagen (1956), Atomwaf­fen­freiheit (1962) oder Vollbeschäftigung (1976) Ausdruck zu verleihen.

Der 1. Mai als letztes Überbleibsel aus Zei­ten der großen Streikbewegungen zu Mitte der Industrialisierung erinnert noch heu­­te an den Geist dieser Bewegung und muss deshalb gebührend gefeiert werden. Das ist doch auch der eigentliche Sinn ei­nes „Feiertages“ – zu feiern. Jeder Näher, Sekretär und Projektmanager hängt noch einen Brückentag an und freut sich über ein langes Wochenende, an dem sie frei vom „Ich-muss“ sind, der ihnen jeden Tag körperlich oder geistige Höchstleistungen abverlangt und ihnen die Zeit gibt, sich Ge­danken über ihre Situation in dieser Ar­beitswelt machen zu können. Und sollte es nicht zu Einsichten kommen, ist es we­nig­stens gewonnene Freizeit für Freunde und Familie, die allen dieser Tag beschert.

Während dessen formieren sich abseits von Tarifverträgen und Arbeitsplatzgaran­tien andere Interessengruppen rund um den 1. Mai, die sich nicht im wohlbehüteten Gebilde von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften befinden. McJobber, Dauer­praktikanten, Migranten und Ich-Ag-ler, Menschen die um ihre Existenz bangen, das sogenannte Präkariat. Gemeint sind die zunehmend unsicheren Arbeits- und Lebensbedingungen, denen der Mensch im Zeitalter des flexiblen Ka­pi­talismus ausgesetzt ist. Ob mit Wischmopp oder Laptop, Mini-Jobber oder Prak­tikant, im Call-Center oder hinterm Tresen: Gemeinsam ist den Prekarisierten die permanente Ungewissheit, wie es morgen weitergehen soll. Sie greifen den Gedanken 1. Mai wieder bei seiner ursprünglichen Bedeutung auf, um in einer staatsgrenzenübergreifenden Protestbewegung den weltweiten Wachstumsbestrebungen des Kapitals entgegen zu treten.

Können die Ereignisse von Seattle und Ge­nua als Beginn dieser Bewegung gesehen werden, manifestiert sich nun langsam die Einsicht in den Köpfen der Menschen, dass der trügerische Schein der so­zia­len Sicherheit eben nur Schein ist. Die in der Natur des Kapitalismus liegenden In­teressenkonflikte zwischen den „Klassen“ führen weiterhin zu einer Verschärfung der Lebenssituationen der arbeitenden Menschen. Daran soll dieser Tag im Mai erinnern. Aus den Ereignissen seiner Ge­schichte ist der 1. Mai DAS vereinende Moment. Er wird damit zu einem Ge­denk­tag, ohne den die Mach- und Durch­setzbarkeit von großen gesellschaftlichen Umwälzungen in der alltäglichen Realität der Menschen noch weiter aus ihren Blickwinkeln geräte.

(etap)

CONTRA

Eigentlich ist der 1. Mai eine ziemlich vorhersehbare Angelegenheit: Da gibt es zum Einen die üblichen DGB-Demos mit anschließenden Redebeiträgen und Bratwürsten. Für eher sportlich Interessierte stehen noch die traditionellen „Maifestspielen“ in Berlin-Kreuzberg zur Auswahl. Da geht es etwas dynamischer zur Sache, beim Räuber-und-Gendarm-Spielen mit der Polizei.

Trotz aller oberflächlichen Unterschiede zwischen diesen beiden Arten, den Tag zu nutzen, haben diese in ihren Ursprüngen mehr gemeinsam als man denkt. Als es noch eine Arbeiterbewegung gab, die diesen Namen auch verdiente, wurde eben nicht gewartet, bis einem von staatlicher Seite mal ein Feiertag genehmigt wurde. Nein, am 1. Mai wurde einfach gestreikt, und das weltweit. Solch praktische Kritik der Arbeitswelt ergänzt sich gut mit der praktischen Kritik der Warenform, wie man sie am 1. Mai 1987 beobachten konnte. Da plünderten Kreuzberger Punks und Bürger gemeinsam einen Supermarkt (und lieferten sich hinterher Straßenschlachten mit der Polizei).

Mit dieser ruhmreichen Vergangenheit hat der 1. Mai heute (leider) nicht mehr allzu viel zu tun. Alle Reminiszenzen an diese dienen nur dazu, die öde Gegenwart etwas besser dastehen zu lassen. Der 1. Mai ist zur Revolutionsfolklore geworden, kein Ausdruck des Willens zur Veränderung mehr, sondern nur noch Routine, und so ein Ausdruck des grundlegenden Mangels an wirklichen Wahlmöglichkeiten. Indem dieser Tag offiziell zum Feiertag erklärt wurde (zum dauerhaften Feiertag wurde der 1. Mai in Deutschland bezeichnenderweise erst von den Nationalsozialisten gemacht), wurde der einstige Arbeiterkampftag seiner Substanz beraubt. Hinter solcher Symbolpolitik steht die Behauptung, die Forderungen, die sich früher mit diesem Datum verbanden, seien im wesentlichen eingelöst.

Die ritualisierten Gewerkschaftsdemos passen da nur zu gut ins Bild. An denen beteiligt sich das DGB-Fußvolk, wie es das auch bei Streiks tut, pflichtschuldig und gewissenhaft – halt so, wie mensch sonst auch zur Arbeit geht. Und die Riots in Kreuzberg kann man mit etwas gutem Willen vielleicht noch als Protest gegen einen durchreglementierten Alltag begreifen. Nur ist dieser Protest begriffslos und individualisiert, der Gehalt der ganzen Veranstaltung erschöpft sich hauptsächlich auf den Adrenalinkick oder hautnahe Erfahrungen in Sachen Polizeigewalt.

Natürlich, zum Protest taugt der 1. Mai so gut wie jeder andere Tag. Aber hat es die Menschheit jemals irgendwie weitergebracht, wenn alle nur das tun, was von ihnen erwartet wird? Vielleicht sollte man den Feiertag also lieber nutzen, um sich mal ordentlich auszuschlafen – dafür den 2. Mai zum internationalen Arbeiterkampftag erklären und gut ausgeruht streiken, bis auch der ein Feiertag ist. Und dann weitermachen, bis dieser unschöne Einheitsbrei von Ausbeutung und staatlicher Herrschaft 365 Tage im Jahr Schnee von gestern ist!

(justus)