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Des Demonstranten neue Kleider

In Zeiten der Überwachung bedarf es nicht nur eines angemessenen Auftretens sondern auch eines entsprechenden Outfits. Denn wo dutzende Kameras den politisch Aktiven zumindest in den behördlichen Archiven über Nacht zum Star machen wollen, wird es Zeit, dem staatlichen Hype um die eigene Person mit den neuesten Vermummungs-Looks und -Styles zu begegnen. Doch so einfach ist die Sache nicht, gilt doch in Deutschland seit Mitte der 80er Jahre dank Kohl das Vermummungsverbot bei Demonstrationen. Wäre ja auch schade, soviele Steuergelder in Überwachungstechnik zu stecken und nur „Fruit-of-the- Loom“ vor die Linse zu kriegen. Obwohl ein Verbot die Überreaktion vieler Beamter gegen Demonstranten nicht hinreichend erklärt, muss mensch doch zugeben, dass der gute alte Autonomen-Look mit Jedi-Kapuze, Motorradtuch und Matrixsonnenbrille schon etwas antiquiert wirkt. So martialisch adrett wie zu wilden Berliner Häuserkampfzeiten mit Integralhelm, Hassi und verschiedenen improvisierten Waffengattungen wird es so schnell nicht mehr werden.

Doch wer heute hip sein will, sollte auf die neuesten Vermummungstrends achten, die auf der Berliner Demonstration am 22.09. wieder mal Maßstäbe setzten und die Route zum Catwalk machten. Polit-Schickness und Preisvorteil kombinierte beispielsweise das Schäuble-Modell. Grundkleidung und Ausrüstung sind dabei frei wählbar und individuell sowie szeneneutral ausgestaltbar. Dazu bedarf es obligatorisch lediglich eines DINA4-Portraits von Schäuble, eines Gummibands und eines Messers zur Bearbeitung. Wer auf der Berliner Demo zugegen war, bekam eine fertig präparierte Schäuble-Maske sogar gratis. Dies war obendrein mit der Polizei im Vorfeld abgesprochen, was die Schäuble Maske sozusagen staatlich zertifizierte und legitimierte (leider sah das die Polizei im Nachhinein auch wieder anders). Diese Schäublekollektion wurde ein eigener Block, der mitdemonstrierte und gleichzeitig Happening-Charakter hatte. Frei nach dem Motto „Auch du bist Schäuble“ waren plötzlich viele große und kleine Schäubles zu sehen, die vermummt waren und dennoch Gesicht zeigten. So kann auch der große Bruder zu einem hohen Grad an Anonymität beitragen.

Wem diese Form jedoch aus ästhetischen Gründen nicht zusagt oder wer einfach nicht basteln kann, der mag sich vielleicht mit dem gerade sehr angesagten Clowns-Look anfreunden. Großer Vorteil hier: die Ganzkörperanonymität, die sich auch auf ’s Verhalten niederschlägt. Erst einmal Teil einer „Clownsarmy“, die auch diesmal in Berlin zugegen war, schüttelt man den deutschen Staatsbürger gänzlich ab, was den Umgang mit Beamten einschließt. Das Ganze ist nach einiger Vorbereitung einfach schick: Bunte, frei improvisierbare Klamotten vereinen Noblesse und Nonchalance, abnormales Verhalten bringt große Subversion, dickes Make-Up verhilft zur existentiellen Weltschmerzattitüde und die rote Nase macht zeitlos sexy. Nicht nur, dass diese Form den Aufmarschcharakter der herkömmlichen kollektiven Vermummungsblocks aufweicht, der Demoaufenthalt wird gleichzeitig zum Spektakel.

Natürlich ist ein Vermummungsstyle bei jeder Demo nach wie vor der absolute Renner: Helm mit Darth-Vader-Schnittmuster verhilft zur Totalanonymität, Knüppel (alternativ bald auch Elektroschocker oder Gummigeschoß) ist todschick, Schutzmontur (wahlweise grün oder schwarz) macht unschlagbar elegant und das Ganze natürlich open end aufrüstbar. Einfach Premiumklasse. Leider ist es schwer zu bekommen und oft mit dem Preis der Vernunft verbunden, also nicht gerade billig.

Wer bei all diesen Vorschlägen immer noch nichts für sich entdeckt hat, kann auch einfach so mitlaufen. Denn letztlich ist sicher: Wer als vermummt gilt, entscheidet immer noch die Polizei.

k. rotte

Lauffeuer

Demographische Bewegungen

Es geht wieder was in Leipzig. Nicht un­bedingt in dieselbe Richtung oder zur glei­chen Zeit. Dafür aber mit Ausdauer und ei­ner gewissen Trotzigkeit. Seit Anfang Ap­ril häu­fen sich für wachsame Beo­bachter­In­nen die Gelegenheiten in der Innenstadt oder ent­lang der Karli Demon­strationen von mehre­ren hundert Men­schen an sich vor­überziehen zu lassen.

Die Ersten, denen es nach dem Winter zu eng in den Häusern wurde, waren die sog. „Links­autonomen“, Antifas und Leute aus dem libertären Spektrum. Zur Verteidigung des inzwischen ger­äum­ten Ungdomshuset (Ju­gend­haus) in Kopen­hagen, zogen einige Hundert Men­schen von Connewitz Rich­tung In­nenstadt. Das Ungdomshuset war ein Ge­bäu­de im Ko­pen­hagener Stadtteil Nørrebro. Ur­sprüng­lich Zentrum der Ar­bei­ter­bewe­gung, stellte es die Stadt 1982 nach einer Be­setzung als Jugendzentrum zur Ver­­fügung. Es fun­gierte seitdem als Treff­punkt verschiede­ner linker Gruppen, sowie als Veranstaltungs­ort von Konzerten und Festivals.

Kaum war dieser Anlass verschwunden, tauch­te der nächste auf: Nazis sollen einige Pun­­­ker vorm Hauptbahnhof überfallen, ei­nen Welpen getötet und einen Punker kran­ken­­hausreif geprügelt haben. Die Spon­tan­­de­mo aufgrund dieses Überfalls mit etwa 300 Menschen ließ nicht lange auf sich warten.

Nächster Anlass für spontane Wut waren die Durchsuchungen der Polizei am 9. Mai von auto­nomen Projekten, wie der „roten Flora“ (Ham­burg) im Vorfeld des G8-Gip­fels, die nicht einfach so hin­genommen wer­den konn­ten. Insgesamt sechs Mal liefen mehrere hun­dert Leute von Conne­witz Richtung Innen­stadt, um die Legi­timität von Anti-G8-Protesten zu unter­streichen.

Para­llel dazu machten sms-Ketten die Run­de, die zu Spontandemos gegen Na­zis aufriefen, bei der so mancher Nach­mit­tag und Abend drauf ging. Insgesamt fünf Mal hieß es: „raus auf die Straße und Ge­sicht gegen Faschismus zeigen“. Der har­te Kern traf sich am 18. Mai zur vor­erst letzten Antifa-Spontan-Demo am Haus Leip­zig, welche auf dem Nach­hau­se­­weg am Szeneladen „Unter­grund“ vor­bei­­­skan­dierte: „Unter­grund wir sind da, Au­tonome Antifa!“. Wat mut, dat mut.

So manche/R der/die glaubte, die näch­sten Abende könne mensch sich ruhigen Ge­­wissens in die Kneipe oder zum Tisch­­ten­nis ins Zoro begeben, hatte sich geirrt. Am 24. Mai hieß es erneut raus auf den As­phalt und zwar für eine Stadt für alle! Also eine, die nicht Wach­dien­sten, La­den­besitzern, Einkaufs­meilen und Über­wa­chungs­kameras gehört. 700 Leu­te fan­den sich ein, darunter einige Rebel-Ar­my-Clowns und trafen auf leicht reizbare Cops. Da reichte es schon mit Kreide ein Dienst­fahrzeug anzuma­len, um film­reif ver­­haftet zu werden. Da nun aber die Leip­ziger­Innen eine gewis­se Rou­tine ha­ben, blieb die Demo ein­fach so lange vor Kar­stadt stehen, bis der Clown wieder ge­hen konnte.

Die „Faszination Protest“ hat – nach­dem die Telekom-Chefs mit miesen neu­en Ar­beitsverträgen den Anlass dazu ge­­liefert hat­ten – auch auf einige ihrer Arbeiter­Innen übergegriffen. Am 23. und 30. Mai liefen die Gewerk­schaftler­Innen für ihre Ar­beitsplätze durchs Zentrum. Und wol­len dies bei Fort­bestehen des An­lasses auch weiter tun.

Wer trotz dieses vielfältigen An­ge­botes noch nicht die Demo(s) seiner Wahl ge­fun­den hat, könnte auch bei den wieder­belebten Mon­tags­pro­testen mit­gehen. Der Grund für diesen Protest existiert schließ­lich auch immer noch.

(hannah)

P.S: Man ahnte es zwar kaum, aber natürlich waren auch am 6. Juni spontan und parallel zu Heiligen­damm Leipziger auf der Straße. Wofür: unklar, wogegen? Gegen Polizei­repres­sion zu G8.

Hoch die…! Nieder mit…!

Bei Nazis sind sich Alle einig: Raus! Raus! Raus! Doch ruhiges Hinterland gibt es auch bei der Antifa nicht, wie es sich während der Mobilisierung gegen den Demo-Versuch der freien Kräfte am 15.März zeigte.

All cops are bastards, zitterte es noch in den Knochen einiger sonst so alerter Antifascistas, die aus Angst vor prognostizierter Polizeigewalt lieber ausschlafen wollten.

Die Karli musste letztlich eh nicht Stein für Stein zurückgegeben werden, da die angekündigte Demo von NPD und freien Kräfte kurz vor knapp verboten wurde. „Na watt denn“, dachte sich das Ladenschlußbündnis und demonstrierte trotz fehlenden Nazis einfach unter dem Motto „gegen Rassismus von LVZ bis deutsche Stimme“, mit immerhin 150 Bewegten.

Selbst dem armen Häuflein Festent­schlossener wollte es nicht so richtig gelingen ein furioses Auftreten durch markige Parolen zu demonstrieren. Dabei bleibt bei fehlender Masse nicht viel Übrig außer guten Absichten verpackt in gute Sprüche.

Nicht dass aufgrund des schwindenden Mobilisierungspotenzials bald Deutschland brüllt: „nie, nie, nie wieder soziale Bewegung“. Da gilt es, nach Außen die Stärke wenigstens zu simulieren. Oft ist die Parole nicht nur Stütze, sondern gar der letzte Anker um wenigstens nicht ganz und gar belächelt zu werden. Gerade wenn die Demogrüppchen nicht mehr die Straße erschüttern, sondern eher wie mobile Phrasendreschmaschinen daherkommen. Es gruselt sich halt niemand mehr vor „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“,

So eine gute Demoparole ist aber auch schwer. Muss sie doch konsensfähig sein, provokativ und humorvoll zu gleich, so sind das gleich drei Sachen auf einmal. Soll der glotzende Bürger sich obendrein noch einreihen, erschöpft sich wohl die Kraft jeder Parole.

Die Guten lassen sich dann nur vermuten, muss DemonstantIn resignativ zu Kenntnis nehmen. Politische Kritik ist eben kein Fußballjubelverein, der Erfolg einer direkten Aktion nicht nach 90 Minuten im Videotext nachzulesen. Der Slogan als Mittel zur Meinungsäußerung unterscheidet sich nur von der gebrüllten Parteinahme zu seinem Fussballverein, solange er Inhalte auch diskursiv entfaltet. Dies ist spätestens dann unmöglich, wenn von Seiten der Beamten – frei nach dem Motto „dumm brutal und national“ – das Verteilen von Flyern oder Infomaterial verboten wird, wie es sich die Polizei für den 15.März in Leipzig ausdachte. Je mehr das Demoerlebnis – ob Ost, ob West – vordergründig in Blessuren und Haftstrafen statt Erfolg endet, desto mehr gerinnen Forderungen wie „no nation, no border – fight law and order“ zu puren Phrasen. So in die Ecke gedrängt muss mensch Slogans schon wie Gedichte vortragen, um ihnen wenigstens ein Stück Gehalt zuzuführen. Wem dann einfällt, dass sich Agitprop nur schwer in ein Goethedrama verpacken lässt, der sollte sich komplett vom Sinn verabschieden und einfach Agitpop machen. Dieser ließe dann Sloganeering zu, die auf Adressaten und Meinung von vornherein verzichten und einfach nur noch die Bewegung inszenieren: Freiheit für Grönland, nieder mit dem Packeis. Gebrüllt wird einfach was mensch will und die bierernste Parole kann getrost der Bild-Zeitung überlassen werden. Die erreicht den gemeine Bürger sowieso viel eher, als jede durchdachte Parole der anspruchsvollsten Antifa.

bonz & karotte

Derby am Kreuz endet unentschieden

Protokoll eines Unbeteiligten

Guten Abend, meine Damen und Herren. Auch dieses Silvester sind wir beim allseits beliebten Jahresendmatch am Connewitzer Kreuz live dabei. Und wie im­mer beobach­ten auch zahlreiche Fans ge­bannt das Spiel. Denn wie soll man es später vor den En­keln rechtfertigen, nicht dabei ge­we­sen zu sein? Ja, was soll ich sagen? Ton­nen von Te­sto­steron prallen hier wieder auf­einan­der!

Und da sehen wir schon Team Grün, mit mehreren Hundertschaften das Feld betre­ten, bestens aufgestellt und tief gestaffelt in den bewährten Abwehrketten. Wie immer stechen die hochgerüsteten Trikots hervor. Und da ist auch Team Schwarz! Taktisch eher weniger positionstreu setzt der Gastge­ber in gestreuter Stellung auf die Spontanität und Kreativität seiner Klein­gruppen. Denn auch Team Schwarz hat mehrere hundert Mann mobilisieren kön­nen und kann mit einigen hoffnungsvollen Nachwuchs­talen­ten aufwarten.

Da, der Anpfiff! Mit einem fulminanten Feuerwerk um Mitternacht beginnt das Topspiel des Jahres! Leichtes Geplänkel, noch halten sich die Mannschaften zurück. Doch was ist das?! Atze, Stürmer bei Team Schwarz, ein Zauberer vor dem Herrn, prescht vor, um die gegnerische Mann­schaft mit Knallkörpern zu bewerfen! Jetzt kommt Dynamik ins Spiel! Wie wird Team Grün darauf re­agieren? Da! Atze wird von drei Abwehr­spie­lern eingekreist und mit einer Blutgrät­sche zu Fall gebracht! Das riecht doch be­denk­lich nach Foul.

Moment… Team Schwarz wagt einen neuen Vorstoß. In Windeseile stapeln die Spieler Gegenstände auf der Straße und zünden sie an. Sensationell! Team Grün re­agiert sofort. Einer der mitgebrachten Was­ser­werfer wird in Stellung gebracht. Man fordert die gegnerische Mannschaft auf, den Strafraum zu verlassen! Ganz gro­ßer Sport! Aber so einfach will Team Schwarz sei­nen Heimvorteil nicht aufge­ben, es ant­wor­tet mit höhnischen Rufen und Wurfge­schossen. Was ist das? Team Grün stürmt vor, rennt in die gegnerische Verteidigungs­kette hinein, und… Abseits! Wo ist der Schiri?! Doch die Heimmannschaft lässt sich dieses Jahr nicht so einfach vom Platz fegen. In der Halbzeit sammelt sich Team Schwarz erneut. Da! Einer der Spieler stürmt vor! Ich glaube, es ist Ratte, der Dribbelkönig mit dem härtesten Schuss in ganz Conne­witz! Mit einem Gewaltschuss verbeult er ein einzeln herumstehendes Fahrzeug von Team Grün. Traumhaft!

Doch schon setzt sich der Sturm von Team Grün erneut in Bewegung! Kick and Rush! Aber… Der Sturm läuft sich schnell fest, Kopf­ballgefecht im Mittelfeld! Team Grün spielt jetzt hart am Mann und deeska­liert gnadenlos. Was muss ich da sehen? Die Spielfeld­gren­ze ist offen­bar un­klar. Spieler von Team Grün greifen am Rande des Spielfelds stehende Fans an! Ein grobes Foul! Wo ist der Schiedsrichter, ver­dammt?!

Aber auch einige Stür­mer von Team Schwarz haben im Eifer des Ge­fechts den Kopf verloren. Sie versuchen, einen Ge­mü­semarkt am Rande des Spiel­felds in Brand zu setzen! Da ist wohl Doping im Spiel. In einer Seitenstraße werden unter­dessen Barrikaden gebaut und angezündet. Glanzparade! Das sichert Team Schwarz auf jeden Fall gute Haltungsnoten! Jetzt heißt es Ruhe ins Spiel bringen!

Doch unmöglich, denn da kommt schon Team Grün, und… Ja, ja, ja, sie haben Was­ser­werfer und Räumpanzer dabei! Jetzt wird gestürmt, gezieltes Pressing nach vor­ne auf die Barrikade! Jetzt heißt es Lauf­wege dicht­machen und immer schön mitver­schie­­ben! Die Abwehr von Team Schwarz wackelt und… Eiskalt verwandelt! Fast schaut es so aus, als hätte Team Grün das Spielfeld jetzt endgültig im Griff. Das ist die letzte Chance für Team Schwarz. Da! Pogo stürmt vor, Flan­ke quer übers Feld, direkt auf den Fuß, er geht, vorbei an der aufgerückten Abwehr, herrlicher Hacken­trick, noch eine Drehung, Schuss und Tooor! Die Bierdose landet mitten zwi­schen den Einsatzwagen. Und das zeit­gleich mit dem Abpfiff! Aber der Treffer dürfte noch gezählt haben.

Was sagt die Endauswertung? Insgesamt konnten die Stürmer von Team Schwarz mit 46 getroffenen Spielern von Team Grün sichtlich punkten. Team Grün erziel­te dagegen im Laufe des Abends immerhin 34 Festnahmen und eine hohe Dunkel­ziffer an Verletzten. Keine klare Angele­gen­heit. Beide Seiten haben engagiert mitgespielt. Das Spiel endet deshalb mit einem verdienten Unent­schieden. Auch die Fans sind zufrieden. Bleibt zu hoffen, dass es nächstes Jahr zur Silvesterzeit für alle wieder heißt: Sport frei, Derbytime!

(karotte & justus)