Schlagwort-Archive: Rote Hilfe

Eine Auswertung der Repression rund um die Proteste gegen LEGIDA in Leipzig

Seit Herbst 2014 veranstaltete das islamfeindliche und rassistische PEGIDA-Bündnis „Spaziergänge“ in Dresden. Mit dem Jahreswechsel 2014/15 sprangen auch Leipziger Rassist*innen auf den Zug auf und haben seit dem 12. Januar 2015 ein knappes Dutzend Demonstrationen in Leipzig durchgeführt.

Im Rahmen der Gegenproteste zu diesen anfangs wöchentlich stattfindenden LEGIDA-Aufmärschen hat die Einrichtung von Kontrollbereichen immens zugenommen: So wurden wiederholt weiträumige Bereiche um die Routen von LEGIDA und der Gegenproteste zum Kontrollbereich erklärt. Begründet sahen die Cops diese Maßnahmen dadurch, dass nur so „Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Personen“ zu verhindern seien, da „insbesondere im Internet von der linken Szene zu Blockaden gegen die Versammlung von LEGIDA aufgerufen wurde“ (Kleine Anfrage im Sächsischen Landtag; Drs.-Nr. 6/802). Durch den tatsächlichen Verlauf der Protestkundgebungen sahen die Cops ihre Prognose bestätigt und hielten daher daran fest.

Die Schaffung von Kontrollbereichen bietet rechtliche Grundlage für haufenweise Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen potentieller Teilnehmender. Dadurch können sich die Cops mit geringem Aufwand einen weiten Überblick verschaffen, welche Menschen gewillt sind, an den Gegenprotesten teilzunehmen. So wurden nicht nur die Daten von Beschuldigten im Rahmen von Ermittlungsverfahren erfasst, sondern aufgrund der breiten Gegenproteste auch von studentischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Beispielsweise wurden am 12.01.2015 ein Prozent aller Teilnehmenden auf ihre Identität kontrolliert (Kleine Anfrage im Sächsischen Landtag; Drs.-Nr. 6/693) – das waren namentlich 258 Personen.

Doch auch während der Gegenproteste kam und kommt es wiederholt zu polizeilichen Übergriffen, welche die Teilnahme an Aktionen einschränkt oder gar verunmöglicht und auf die Teilnehmenden abschreckend und kriminalisierend wirkt. So gibt es zum Einen, trotz fehlender Gefahrenlage, eine dauernde videographische Erfassung des gesamten Demonstrationsgeschehens durch Einsatzwägen, Handkameras und Helikopter, welche sich einseitig auf die Geschehnisse der Gegenproteste beschränkt. Weiter wird Teilen der Aktivist*innen regelmäßig die Teilnahme an den angemeldeten Protesten durch weiträumige Absperrung der Zugänge oder Platzverweise unmöglich gemacht. Platzverweise werden aber nicht nur im Vorfeld der Versammlungen oder bei angeblichen Gefahrenlagen erteilt, sondern auch gegenüber Zeug*innen von polizeilichen Maßnahmen, da diese für die Cops zumeist unerwünscht sind.

Schon beim ersten LEGIDA-Marsch am 12. Januar, dem mehrere zehntausend Demonstrant*innen entgegentraten, gab es nahe des Mückenschlösschens im Norden von Leipzig einen Blockadeversuch. Gegen mindestens 60 Betroffene wurde im Zuge dessen wegen einer angeblich unerlaubten Ansammlung ein Verfahren eingeleitet. Mehrere Beschuldigte haben in diesem Ordnungswidrigkeitenverfahren mittlerweile Bußgeldbescheide in Höhe von jeweils etwa 130 € bekommen.

In den folgenden Wochen häufen sich die Berichte von polizeilicher Gewalt: So befanden sich Betroffene von Strafverfolgungsmaßnahmen, beispielsweise unter dem Vorwurf des Landfriedensbruchs, bis zu sechs Stunden in polizeilichem Gewahrsam ohne einem*einer Richter*in vorgeführt worden zu sein, obwohl dies obligatorisch ist. Auch wurden Personen bei der Räumung von Sitzblockaden oder bei Festnahmen beleidigt, ins Gesicht geschlagen, sodass sie zu Boden gingen, aber auch Würgen und die Anwendung von Schmerzgriffen kamen wiederholt vor.

Das gewaltsame Vorgehen der Cops steigerte sich fortlaufend. So erlitt eine Person Berichten zufolge nach der Auseinandersetzung mit diesen ein Schädelhirntrauma, mindestens eine weitere Person musste nach Auseinandersetzungen für mehrere Tage ins Krankenhaus. Bis jetzt erreichte das Vorgehen der Cops seinen Höhepunkt, als Blockaden mit Pfefferspray und durch den Einsatz von Pferden „geräumt“ und Aktivist*innen geschlagen wurden, sodass sie anschließend ärztlich behandelt werden mussten. Andere Personen berichten von Angriffen durch Nazis und dem gleichzeitigen Nichteingreifen der Cops vor Ort. Wiederholt wurden einigen Teilnehmer*innen zudem von LEGIDA-Anhänger*innen und Cops eine Anzeige wegen Körperverletzung angedroht.

Darüber hinaus gab es verschiedene Kessel mit mehreren Dutzend Betroffenen, bei denen Platzverweise ausgesprochen und ED-Behandlungen durchgeführt wurden. Den Aktivist*innen wird hier teilweise Landfriedensbruch vorgeworfen.
Im Rahmen von LEGIDA sind manche der Beschuldigungen von den Cops an Absurdität aber auch kaum mehr zu übertreffen: so gab es ein Verfahren wegen eines ACAB-Schildes, diese Abkürzung stand in diesem Zusammenhang für „All Coulors are beautiful“. Der Vorwurf hier: Beleidigung. Auch wurden uns am Rosenmontag polizeiliche Maßnahmen wegen Faschingsschminke gemeldet, hier lautete der Vorwurf Vermummung. Weiter wurde der Vorwurf der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole mehrfach angeführt, wenn Teilnehmende ihre Ablehnung gegenüber LEGIDA beispielsweise in Form von durchgestrichenen Hakenkreuzen kundtaten. Mehrere Personen wurden zudem mit der Begründung kontrolliert und durchsucht, weil sie einer Gruppe, die eine Woche vorher Steine geworfen haben soll, ähnlich sähen. Dies wurde insbesondere an der schwarzen Kleidung festgemacht.

Bei vielen der hier dargelegten Verfahren gibt es bisher noch keine Ergebnisse, da die Ereignisse noch nicht so lange zurückliegen. Der EA und die Rote Hilfe Leipzig rechnen insgesamt jedoch bisher mit mehreren hundert Strafverfahren.
Sofern ihr von diesen Repressionen betroffen seid, lasst euch nicht abschrecken, denn genau das wollen die Repressionsorgane damit erreichen. Für alle anderen gilt: Solidarisiert euch mit den Betroffenen! Antirepression kostet Geld: veranstaltet Solipartys oder spendet Geld auf das Sonderkonto der Roten Hilfe Leipzig!

[Ermittlungsausschuss Leipzig und Rote Hilfe Leipzig, 30. Juni 2015]

 

Sprechstunde: Jeden 1. Freitag im Monat, 17:30 – 18:30 (Linxxnet)

Spendenkonto: Rote Hilfe e.V. Leipzig
IBAN: DE88 4306 0967 4007 2383 05
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: „Montag”

Ein ganz normaler Tag bei NoLegida

FALLSCHILDERUNG:

Die folgende Zusammenfassung einer betroffenen Person zeigt, wie Gegendemonstrant*innen im Umfeld von LEGIDA schikaniert und verunsichert werden sollen, um damit das Fernbleiben von Gegenprotesten zu erzielen:

Die betroffene Person (S.) wurde am Tag der LEGIDA-Demonstration Ende Januar 2015 von einem zivilen Tatbeobachter angeblich bei einer Straftat beobachtet. Im Folgenden soll S. deswegen über eine Stunde ununterbrochen von diesem und einem weiteren zivilen Tatbeobachter observiert worden sein. Nach etwa einer Stunde folgte eine Festnahme durch die Bundespolizei, welche die Person zunächst intensiv durchsuchte und während der gesamten Maßnahme filmte. Hierbei wurde ihr vorgeworfen, einen Autospiegel beschädigt zu haben. Fast alle mitgeführten Dinge wurden abgefilmt und beschlagnahmt, u.a. ein Handy und zwei Kameras samt Akku und Ladekabel, wogegen die betroffene Person noch vor Ort Widerspruch einlegte. Als S. in Geleit von über zehn Cops in eine Tiefgarage abgeführt wurde, verwehrte die Polizei eine*r Zeug*in, welche*r die Festnahme beobachten wollte, die Beobachtung. Sie*er konnte jedoch erkennen, dass S. zwischen mehreren Polizeiautos umringt von Cops stand und dort weiter abgefilmt und geblendet wurde. Dabei wurde S. aufgefordert in die Kamera zu schauen. Als S. erwiderte, dass das Licht blende, wurde der Kopf kurzerhand gewaltsam durch die Cops in Richtung der filmenden Kamera gedreht. Abermals wurde der*dem Zeug*in seitens der Polizei verbal und durch Abdrängen klar gemacht, dass Außenstehende unerwünscht seien. Die festgenommene Person wurde indes nach der PIN des beschlagnahmten Handys gefragt, worauf diese keine Angaben machte. Dabei wurde seitens der Cops auch untersagt, den Akku zu entfernen oder das Gerät auszuschalten. Eine Liste der beschlagnahmten Dinge, auf der ein Akku sowie ein Ladekabel fehlten, wurde der beschuldigten Person vorgelegt, um diese zu unterschrieben. Dies lehnte S. konsequenterweise ab.
Dieser Vorfall zeigt, dass kleinste Vorwürfe genutzt werden, um fast sämtliche Gegenstände einer Person zu beschlagnahmen, zu durchleuchten und möglicherweise auszuwerten. Erst nach mehreren Monaten ist mit der Rückgabe mancher Sachen zu rechnen. Weiter muss davon ausgegangen werden, dass zurückgegebene Sachen seitens der Polizei und des Staatsschutzes zur Aufzeichnung und Verfolgung manipuliert wurden. Daher raten wir vor allem bei technischen Geräten unbedingt von einer weiteren Nutzung ab.

[Rote Hilfe Leipzig]

15. Januar 2015: Braustraßenkessel

Aktuell verschicken die Cops Anhörungsbögen für das Strafverfahren wegen dem Braustraßenkessel vom 15.01.2015. Schickt die Anhörungsbögen nicht zurück! Auch der Bogen mit den Pflichtangaben muss NICHT! zurückgeschickt werden, da die Cops die Daten eh haben.

Nach unseren Erfahrungen werden Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch oft eingestellt, weil den später vor Ort (d.h. hier: im Kessel) festgestellten Personen keine “Tathandlung” nachgewiesen werden kann.

Es kommt also darauf an, ob die Cops Anhaltspunkte dafür haben, dass ihr euch an den Ausschreitungen beteiligt habt. Wenn ihr nicht einfach abwarten wollt und euch das zutraut, findet ihr das durch eine Einsicht in die Ermittlungsakte heraus, die ihr auch selbst beantragen könnt (Muster am Ende des Artikels). Die Einsicht in die Akte steht euch zu und darf nicht verwehrt werden. Nehmt euch Papier und Stift mit, um die interessanten Sachen rauszuschreiben.

Achtung: Beim Termin der Akteneinsicht können die Cops versuchen, euch in Gespräche zu verwickeln, oder sonst wie an Aussagen von euch zu kommen. Macht von eurem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch! Ihr seid nur dort, um Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen, sonst nichts. Es ist schon vorgekommen, dass nur aufgrund der eigenen Angaben Anklage erhoben wurde. Also redet nicht mit Cops oder Justiz! Es kann auch sein, dass ihr beim Lesen der Akte beobachtet werdet und eure Reaktionen von geschultem Personal registriert werden.

Wenn ihr Fragen rund um die Akteneinsicht habt, könnt ihr gerne zur Sprechstunde vorbeikommen.

[Rote Hilfe Leipzig]

https://antirepression.noblogs.org/post/2015/08/13/braustrassenkessel-vom-15-januar-2015-2/

 

Musterantrag auf Erteilung der Einsicht in die Ermittlungsakte:

Anna Arthur Trotz

Revoluzzergasse 1

1312 Stadt

 

An: Polizeidirektion Leipzig / Dez. 5

Postfach 100661

04006 Leipzig

In dem Ermittlungsverfahren gegen mich – Vorgangsnummer: (steht im Anhörungsbogen oben rechts) – beantrage ich mir zunächst Akteneinsicht gemäß § 147 Abs. 7 StPO zu gewähren und bitte um Mitteilung wann und wo ich Einblick in meine Akten bekomme.

Bis dahin mache ich von meinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch.

MfG

Anna Arthur Trotz (unterschreiben!)

Neues Ermittlungsverfahren nach §129 gegen Linke in Leipzig!

In Sachsen laufen laut jüngsten Aussagen des Innenministeriums Ermittlungen gegen drei Personenzusammenhänge, die im Verdacht stehen, „kriminelle Vereinigungen“ nach § 129 Strafgesetzbuch zu bilden. Neben zwei Zusammenhängen in Dresden ist auch eine „Gruppierung“ in Leipzig im Visier. Dieser werden 12 Personen zugeordnet.
Das Strafgesetzbuch definiert eine „kriminelle Vereinigung“ nach § 129 als „Personenzusammenschluss von gewisser Dauer, dessen Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen.“ Zielrichtung der kriminellen Handlungen muss die „Störung der öffentlichen Ordnung“ sein, wobei es sich um ein rechtlich unbestimmtes Konstrukt handelt.
Die Paragraphen 129, 129a und b des Strafgesetzbuches wurden dazu geschaffen politische Strukturen zu durchleuchten. Auch zahlreiche Jurist*innen und Bürgerrechtler*innen kritisieren den Paragraphen völlig zurecht. Um nach § 129 belangt zu wer­den muss gar keine Straf­tat be­gan­gen wor­den sein. Mittels des – willkürlichen – Anfangsverdachtes werden die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren stark ausgeweitet: Ob Telekommunikationsüberwachung und Postkontrolle, Observation, verdeckte Ermittler*innen, akustische und optische Wohnraumüberwaschung oder Rasterfahndung: die Palette ist breit. Im Rahmen der Ermittlungen kann es auch zu Hausdurchsuchungen, ED-Behandlungen und DNA-Abnahmen kommen.
Auch die ver­meint­li­che Un­ter­stüt­zung und Werbung für eine kri­mi­nel­le (§ 129) oder ter­ro­ris­ti­sche Ver­ei­ni­gung (§ 129a) wird unter Stra­fe ge­stellt, mit einer Gesetzesänderung durch die rot-grüne Bundesregierung und durch Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wurden die Hürden dafür allerdings erhöht.
Die De­fi­ni­ti­on des­sen, was kri­mi­nell und ter­ro­ris­tisch sein soll, ist schwam­mig und von der po­li­ti­schen Agen­da der je­wei­li­gen Lan­des-​ oder Bun­des­re­gie­rung ab­hän­gig. Kein Wun­der also, dass die po­li­ti­sche Linke mit Ab­stand am häu­figs­ten mit Er­mitt­lungs­ver­fah­ren nach den 129er Paragrafen über­zo­gen wurde. Zwi­schen 1990 und 1996 gab es 1.116 Ver­fah­ren gegen linke und 23 gegen rech­te Grup­pen. In den letz­ten Jah­ren sanken die Zahlen der Ermittlungen gegen links erheblich. Dafür wuchs die Zahl von Ver­fah­ren nach § 129 b (Kri­mi­nel­le und ter­ro­ris­ti­sche Ver­ei­ni­gun­gen im Aus­land).
Mit insgesamt zwei laufenden und einem ruhenden Ermittlungsverfahren nach § 129 gegen links dürfte Sachsen also weit vorn liegen.
Die Ge­schich­te des Paragraphen 129 reicht bis ins 19. Jahr­hun­dert zu­rück und reiht sich in die deut­sche Tradition der autoritären Be­kämp­fung ba­sis­de­mo­kra­ti­scher, pro­gres­si­ver Kräf­te ein. Seine Vor­läu­fer rich­te­ten sich zum Bei­spiel 1848 gegen die re­pu­bli­ka­nisch-​re­vo­lu­tio­nä­ren Be­stre­bun­gen gegen re­ak­tio­nä­re Herr­schafts­struk­tu­ren. Im Deutschen Reich richtete sich der § 129 bereits gegen „staats­feind­li­che Bestrebun­gen“ und damit gegen so­zia­lis­ti­sche und so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Be­we­gun­gen. Diese Linie zog sich weiter in die Weimarer Republik, in der der Paragraf ex­zes­siv gegen so­zia­lis­ti­sche und kom­mu­nis­ti­sche Ak­ti­vi­tä­ten und Or­ga­ni­sa­tio­nen an­ge­wen­det wurde. Die Kri­mi­na­li­sie­rung von lin­ken Be­we­gun­gen ver­schie­dens­ter Cou­leur er­reich­te mit der Trans­for­ma­ti­on der Wei­ma­rer Re­pu­blik in den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ihren Hö­he­punkt. Der 129er Pa­ra­graph lebte fort und dien­te der Ver­fol­gung jeg­li­cher An­ders­den­ken­der.
Im post­fa­schis­ti­schen Deutsch­land, das sich der Ur­sprün­ge des Reichs­straf­ge­setz­bu­ches von 1871 be­dien­te, wurde der § 129 schnell zum wich­ti­gen In­stru­ment im Kampf gegen links. Er spiel­te bei der Ver­fol­gung von Kom­mu­nis­t*in­nen und dem Ver­bot der KPD eine zen­tra­le Rolle. In die­sem Zu­sam­men­hang kam es in den 1950er und 60er Jah­ren zu 100.0​00 Er­mitt­lungs­ver­fah­ren und 10.​000 Ver­ur­tei­lun­gen wegen der Be­tei­li­gung an kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gun­gen. Zeit­gleich wurde der § 129 sogar ver­schärft und neben der Mit­glied­schaft auch die Un­ter­stüt­zung und das Wer­ben für eine „kri­mi­nel­le po­litische Ver­ei­ni­gung“ unter Stra­fe ge­stellt.
Ei­gens zur Ver­fol­gung der Roten Armee Frak­ti­on wurde 1976 der § 129a – Bil­dung einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­nigung – ge­schaf­fen. 2003 folg­te die Va­ri­an­te b. Diese wie­der­um er­mög­licht es dem Staat Men­schen zu kri­mi­na­li­sie­ren, die Mit­glied einer im Aus­land tä­ti­gen „kri­mi­nel­len oder ter­ro­ris­ti­schen“ Vereinigung sind, für diese wer­ben oder sie un­ter­stüt­zen. Diese Re­ge­lung ist be­son­ders will­kür­lich, unter­liegt sie doch ganz be­son­ders au­ßen­po­li­ti­schen In­ter­es­sen Deutsch­lands.
Die Paragraphen 129 ff waren und sind Gesinnungs-und Ermittlungsparagraphen gegen die politische Linke. Zumeist löst sich der Tatvorwurf im Zuge der Ermittlungen in Luft auf. Nur etwa fünf Prozent aller Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung werden bis zur Anklage fortgeführt, bei etwa einem Prozent kommt es zu einer Verurteilung. Doch darum geht es den Behörden auch nicht. Ziel ist das Offenlegen von Strukturen und das Zermürben von Einzelnen.

Rote Hilfe Leipzig

Die Rote Hilfe empfiehlt:
Auf Hausdurchsuchungen vorbereiten! Räumt eure Woh­nun­gen auf bzw. aus! Vermeidet Zufallsfunde wie waffenähnliche Gegenstände oder kriminalisierte Substanzen!
Stehen die Cops vor der Tür: Lass dir den Durchsuchungsbefehl zeigen, rufe den/die Rechtsanwalt/wältin deines Vertrauens an und versuche eine/n Zeug/in dazuzuholen.
Alles weitere zur Hausdurchsuchung kann hier nachgelesen werden:
antirepression.noblogs.org/polizeikontakt/hausdurchsuchungen/


Eine Checkliste für die Wohnungswand findet ihr hier:
antirepression.noblogs.org/files/2013/01/Hausdurchsuchung.pdf

Kein Austausch über politische Fragen per Telefon, Mail, Facebook!
Lass dein Telefon bei Plena zu Hause, nutze für E-Mail/Chat gängige Verschlüsselungstechnik und lasse keine sensiblen Daten unverschlüsselt auf Festplatten rumliegen. Meidet Facebook!
Seid wachsam: sowohl erkennungsdienstliche Maßnahmen als auch DNA-Entnahmen gehören zum Standard-Repertoire der Repressionsbehörden!

Aktuelle Hintergründe zum §129-Verfahren gibt’s auf
leipzig.antifa.de

Wie gefährlich ist Connewitz?

Die Debatte um Repression und Überwachung ist neu entfacht.

Der Leipziger Ortsteil Connewitz ist seit Februar diesen Jahres wieder in aller Munde. Nachdem der ritualisierte Rauch um das ebenfalls ritualisierte Sylvester-Come-in am Connewitzer Kreuz verflogen war, wartete die Polizei gemeinsam mit der Stadt Leipzig mit einer ganz speziellen Idee auf: einem eigenen Polizeiposten für Connewitz.

Dieser hat Anfang Februar die Räume des ehemaligen Bürger*innenamtes in der Wiedebachpassage bezogen. Dieses Amt wiederum ist mehrfach Ziel von Angriffen gewesen und blieb seit Sommer 2013 aufgrund der wiederholten Zerstörung der Schaufensterscheiben geschlossen.

Der Polizeiposten fungiert – wie auch die rund um die Uhr davor stationierten Polizeiwagen – laut Stadt und Polizei als Schutz, das Bürger*innenamt selbst ist ins Innere der Passage gezogen. Man werde keine rechtsfreien Räume in der Stadt zulassen, so der Oberbürgermeister zur Eröffnung des Postens. Eine Wortkonstruktion, die übrigens auch die rechtsaußen-Parteien NPD und AfD für den Stadtteil verwenden.

Die aufkommende Kritik am Polizeiposten, der von so manchem/r im Viertel als Machtdemonstration wahrgenommen wird, wurde schnell zum Protest. Nach einer ersten satirischen Protest-Kundgebung vor dem Posten (1) verlagerte sich die Diskussion allerdings schnell weg vom eigentlichen Sujet hin zur Frage, was Satire darf. Die eigens gegründete Initiative „Für das Politische!“ versucht(e) die Diskussionshoheit zurückzugewinnen. In dem Aufruf „Let’s talk about Connewitz“ (2) wird versucht die Eröffnung der Polizeistation in einen größeren Kontext einzuordnen: eine massive Polizeipräsenz im Alltag, verdachtsunabhängige Kontrollen, die polizeiliche Dauer-Videoüberwachung am Connewitzer Kreuz (mit kurzer Unterbrechung seit 1999) und die Stigmatisierung des Viertels als Hort „linksextremistischer“ Gewalt.

Von den staatlichen Organen wird Connewitz als „gefährlicher Ort“ kategorisiert – ein juristisches Konstrukt, das es der Polizei z.B. erlaubt, Personen, die sich an jenen Orten aufhalten, ohne konkreten Tatverdacht festzuhalten und sie polizeilichen Maßnahmen, i.d.R. Identitätsfeststellung und Durchsuchung – zu unterziehen. Hinzu kommen die Möglichkeiten des Eingriffes in die informationelle Selbstbestimmung durch die Videoüberwachung öffentlicher Räume. „Gefährliche Orte“ heißen im sächsischen Polizeijargon „Kontrollbereiche“. Sie sind im Sächsischen Polizeigesetz in den §§ 19, 23 und 24 definiert.

Nach dem Sozialwissenschaftler Peter Ullrich werden „die sozialräumlichen Gestaltungsmöglichkeiten auf Grundlage dieser Rechtskonstruktion […] mittlerweile zur Erreichung unterschiedlicher stadtplanerischer, ordnungs- und kriminalpolitischer Ziele eingesetzt: von der Umgestaltung und insbesondere der Aufwertung städtischer Räume über Migrationsmanagement oder die Befriedung politischer Dissidenz bis zur Durchsetzung hegemonialer Ordnungsvorstellungen.“ (3)

Der Polizei wird damit nicht nur das Aushebeln von Grundrechten ermöglicht, es wird zudem der Willkür gegen unliebsame gesellschaftliche Gruppen Tür und Tor geöffnet – alles unter dem Deckmantel der „Prävention“.

In Sachsen sind die Schwellen für solche Maßnahmen vergleichsweise niedrig. Im Nachgang der Antinazi-Aktivitäten in Dresden im Februar 2011 konnte zumindest die massenhafte Funkzellenabfrage unter dem Namen „Handygate“ erfolgreich skandalisiert werden. Wirkliche Konsequenzen folgten daraus, bis auf die Anerkennung der Verfassungswidrigkeit der Maßnahme durch das Landesgericht im April 2013 und der angeordneten Löschung der erhobenen Daten, augenscheinlich nicht.

Nur wenige Wochen nach Eröffnung der Polizeistation erhärtete sich die These, dass es tatsächlich einen sehr speziellen Umgang der Sicherheitsbehörden mit dem Kiez gibt. In einem leer stehenden Haus in der Simildenstraße wurde sehr teure Überwachungstechnik gefunden und deinstalliert. Die Beschaffenheit des Technikequipment – eine Brennstoffzelle, Kamera, ein System zur Bildaufzeichnung und ein LTE-Router zur Steuerung der Technik und zum Übertragen der Aufnahmen – ließ vermuten, dass es sich um eine staatliche Überwachungsmaßnahme handelt. Gegenüber der Presse räumte die Staatsanwaltschaft Dresden mittlerweile ein, dass die Observationsmaßnahme im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens durchgeführt wurde. Weitere Informationen werden bis dato verweigert. Abgeordnete der Oppositionsfraktionen haben bereits Anfragen in den parlamentarischen Geschäftsgang gebracht. (4)

Währenddessen will die Initiative „Für das Politische!“ den Protest gegen Überwachungsmaßnahmen und den kriminalisierenden Umgang mit der im Kiez angesiedelten politischen und alternativen Szene vorantreiben. Dazu gehört auch die Frage nach kollektiven Formen des Widerstandes gegen Gentrifizierungsprozesse. Dabei geht die Initiative darüber hinaus, politische Erklärungen für eingeschlagene Scheiben zu liefern, deren Motivation und Anlass eher nebulös erscheinen. Die Herausarbeitung gemeinsamer inhaltlicher Positionen der Connewitzer_innen, die Planung politischer Stadtteilrundgänge und die Bildung verschiedener Arbeitsgruppen weisen eine hoffnungsvolle Dynamik auf.

Rote Hilfe Leipzig

Anmerkungen:

(1) Die Initiative „No Police District“ (NPD) Connewitz hatte am Abend des 22.2.2014 zum Protest gegen den neuen Polizeiposten aufgerufen. Fast 200 Menschen kamen, mit Schildern („Dafür sind wir 1998 nicht auf die Straße gegangen“, „Geht doch zurück in die Südvorstadt“ etc. pp.), Mistgabeln und Fackeln aus Pappe. Mit diesem Auflauf sollten die rassistischen Mobilisierungen gegen Asylunterkünfte durch Bürger*innenmobs auf die Schippe genommen werden.

(2) Der Aufruf „Let´s talk about Connewitz“ wurde mittlerweile von 24 Initiativen, Locations, Vereinen aus dem Kiez unterschrieben, fuerdaspolitische.noblogs.org/lets-talk-about-connewitz/

(3) Peter Ullrich & Marco Tullney: Die Konstruktion ‚gefährlicher Orte‘. Eine Problematisierung mit Beispielen aus Berlin und Leipzig, 2013, www.sozialraum.de/die-konstruktion-gefaehrlicher-orte.php

(4) siehe Anfrage an den Oberbürgermeister, März 2013, jule.linxxnet.de/index.php/2013/03/gentrification-kein-ordnungspolitisches-problem/

Bereits Anfang des Jahres und aktuell im Zusammenhang mit der Eröffnung des Polizeipostens in der Wiedebachpassage gibt es in Connewitz, aber auch in der Südvorstadt, scheinbar gehäuft Personenkontrollen und Durchsuchungen durch die Polizei. Es ist zu vermuten, dass die Polizei an diesen Orten Kontrollbereiche eingerichtet hat.
Kontrollbereiche sind nach Sächsischem Polizeigesetz das, was landläufig oder in anderen Bundesländern auch als „gefährlicher Ort“, „Kriminalitätsbrennpunkt“ oder auch „Gefahrengebiet“ bezeichnet wird. Hier kann die Polizei Menschen ohne konkreten Tatverdacht festhalten und sie polizeilichen Maßnahmen – Identitätsfeststellung und Durchsuchung – unterziehen. Außerdem ist in diesen „Kontrollgebieten“ der Einsatz polizeilicher Dauer-Videoüberwachung, sprich ein dauerhafter Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, möglich.

Kontrollbereiche müssen durch das Sächsische Innenministerium oder mit seiner Zustimmung eingerichtet werden. Konkrete Anlässe und Motive bleiben in Bezug auf Connewitz nebulös. So sticht Connewitz nicht durch eine überdurchschnittliche Kriminalitätsrate heraus. (siehe: Polizei Sachsen: Kriminalität in den Großstädten nach Stadtteilen, 2012, Download als pdf). Denkbar ist, dass die Behörden pauschal das Begehen von „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“/ Staatsschutzdelikte unterstellen, was genannte Maßnahmen per Gesetz legitimiert. So oder so bleibt das polizeiliche Vorgehen intransparent, willkürlich und politisch motiviert.

TIPP: Der Ermittlungsausschuss (EA) rät, sich in konkreten Kontrollsituationen wie folgt zu verhalten: „Bleibt ruhig und fragt nach der Rechtsgrundlage bzw. welche Gefahr von euch ausgehen soll. Die Beamt*innen müssen euch das eigentlich sagen. Besteht außerdem darauf, dass die Beamt*innen euch ihren Namen sagen. Auch das müssen sie. Legt Widerspruch gegen die Kontrolle ein. Unterschreibt nichts!
Schreibt ein Gedächtnisprotokoll und meldet euch nach der Kontrolle bei uns in der Sprechstunde, um ein Vorgehen gegen die Kontrolle zu besprechen.“

Verdachtsunabhängige Kontrollen sind unverhältnismäßig und ein Eingriff in Grundrechte. Nehmt das nicht einfach so hin, hakt nach und meldet euch!

Sprechzeiten: Jeden 1. Freitag im Monat 17.30 – 18.30 Uhr (Bornaische Str. 3d)

Unsere PGP-Schlüssel findet ihr auf den bekannten Schlüsselservern wie pgp.mit.edu

antirepression.noblogs.org/

leipzig@rote-hilfe.de

ea-leipzig@gmx.net

Zum problematischen Gebrauch der Parole A.C.A.B.

Ein Flugblatt der Roten Hilfe e.V.

Diese Parole kennt wohl fast jede_r von uns. Sie steht auf Stickern, T-Shirts, wird auf Demos gerufen, ist auch bei Nazis weit verbreitet und genießt auch in sich als links definierenden Zusammenhängen eine hohe Popularität. Wir, die Rote Hilfe e.V., halten A.C.A.B. grundsätzlich für kritikwürdig und für schwer vereinbar mit unserem Grundverständnis von linker politischer Tätigkeit. Wir haben auf Grund dieser Parole immer wieder Repressionsfälle und wollen uns deshalb mit diesem Flyer zu der Aussage positionieren und erläutern, was wir konkret an diesem Statement für nichtemanzipatorisch halten.

Wir hoffen, dass wir hiermit einen Diskurs und eine Reflexion innerhalb der linken Bewegung um A.C.A.B. und ähnliche stumpfe Parolen anstoßen können.

Klar ist: Es gibt viele gute Gründe, wütend auf Polizist_innen zu sein! Das reicht von alltäglicher Polizeigewalt bis hin zur Funktion von Polizei zur Sicherung bestehender Herrschaftsinteressen im Kapitalismus. Der politische Sinn davon, Polizeibeamt_innen zu beleidigen, soll hier nicht erörtert werden. Wenn es passiert, sollte allerdings auf A.C.A.B. verzichtet werden!

Wo liegt das Problem?

A.C.A.B. wird allgemein mit „all cops are bastards“ übersetzt, zu Deutsch: „Alle Polizisten sind Bastarde“.

„Bastard“ war ursprünglich die gar nicht abfällige Bezeichnung für ein uneheliches Kind, meist mit eine_r Partner_in aus niedrigem Stand. Im Laufe der Zeit änderte sich die Bedeutung allerdings deutlich und wurde zu einer Beleidigung. Das ergibt Sinn, wenn ein Großbürger seinen Sohn nicht mit einer Proletarierin zusammen sehen beziehungsweise das aus dieser Verbindung hervorgehende Kind nicht anerkennen will. Das ergibt Sinn, wenn Kirchenfürsten gegen die „Unmoral“ wettern. Als Schimpfwort können diese Bezeichnung in diesem Falle also nur Menschen benutzen, die entweder die „heilige Institution der Ehe“ richtig super finden oder etwas dagegen haben, dass uneheliche Kinder die gleichen Rechte haben wie „eheliche“, oder grundsätzlich gegen „außerehelichen Geschlechtsverkehr“ sind.

Schlimmere Bedeutung erlangte das Wort, als begonnen wurde, Kinder von Eltern unterschiedlicher Hautfarbe als „Bastarde“ zu bezeichnen. Diese Kinder, als „Mischung zweier Rassen“, hätten kein „reines Blut“ mehr und seien somit weniger wert als „reinblütige, reinrassige Menschen“. So wurden beispielsweise nach dem Ersten Weltkrieg Kinder von „einheimischen“ Frauen und Soldaten aus den französischen Kolonien in Afrika, die bei der Besetzung des Rheinlands involviert waren, als „Rheinlandbastarde“ bezeichnet. Sowohl die Kinder als auch ihre Mütter waren Diskriminierungen ausgesetzt.

Die Nationalsozialisten hatten sich mit ihrer „Rassentheorie“ dann ein Instrument gebastelt, nach der solche „Bastarde“ mindestens zwangssterilisiert, wenn nicht umgebracht wurden.

Personen oder Personengruppen als „Bastarde“ zu bezeichnen, bedeutet also, die gesellschaftliche Entwertung zu übernehmen, die auf Grund von Moralvorstellungen oder Rassismus Kinder bestimmter Eltern als minderwertig betrachtet. A.C.A.B. ist also eine Beschimpfung, die entweder von glühenden Verfechter_innen der Eheschließung oder Rassist_innen benutzt wird und auch den Nazis sehr gut in ihr Weltbild vom „deutschen Volkstod“ passt. Merkwürdig nur, dass viele Linke damit ebenfalls kein Problem zu haben scheinen.

Wie kann also „Bastard“ im Wortschatz vieler Linker einen Platz haben? Den Begriff mit sich herumzutragen, an Wände zu malen oder auf Demonstrationen zu rufen, ist vor dem Hintergrund linker, emanzipatorischer, antifaschistischer, antisexistischer und klassenkämpferischer Ansichten dringend diskussionswürdig.

Rote Hilfe

Leserbrief

Dies ist ein Leserbrief. Ich beziehe mich auf den Artikel „Verdammt lang quer“ in Ausgabe Nr. 47. Adressiert ist dieser Brief an die Redaktion des Feierabend! und auch an die Verfasser des Artikels, in diesen Fall die Rote Hilfe Leipzig.

Liebe Freunde,

diesen oben genannten Artikel abzudrucken ist schon ein starkes Stück. Für mich wäre es das jedenfalls. Heute im Jahr 2013 zeigt sich immer noch, wie wenig Sensibilität für Selbstkritik in eurem (linken) Milieu vorhanden ist. Natürlich haben die letzten 20 Jahre Kampf in und zwischen linken Kreisen ihre Spuren hinterlassen. Aber zu unseren Genossen von der Anarcho-Postille und der Roten Hilfe Leipzig scheinen sie nicht durchgedrungen zu sein. Deswegen nochmal deutlich: Antisemitismus ist kein Irrweg. Antisemitismus ist ein Wahn. Er ist nicht der Irrweg, den „der Kapitalist erfindet um die Arbeiterklasse zu spalten“ (Lenin), er ist eine anti-moderne, pathologische Ideologie. Diese Ideologie ist, man mag es kaum glauben, sehr wandelbar und tritt in verschiedenen Derivaten und Ausformungen als Fundament/elementarer Bestandteil in verschiedenen politischen Strömungen mal mehr, mal weniger offen zu Tage. Es ist nicht meine Aufgabe hier ausführliche Kritik am Antiimperialismus zu betreiben, das solltet ihr selbst tun (www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr248.htm).

Doch was hat das alles mit dem Artikel zu tun? Ich weiß, irgendetwas Bedeutungsschweres, im Gegensatz zu den sonstigen Kinkerlitzchen, muss die Rote Hilfe ja tun, um sich ihrer eigenen Existenz zu versichern. Aber Solidarität für Wahnsinnige, nichts anderes sind eure antiimperialistischen Geiselnehmer und Helfershelfer, einzufordern ist doch ein bisschen zu viel des Guten. Unabhängig davon, dass Sonja und Christian, wie ihr sie liebevoll nennt, keine Juden selektiert haben, haben sie doch zu den RZ gehört und ihnen auf die eine oder andere Art und Weise geholfen (und Waffenlieferung ist da kein Pappenstiel). Da reicht auch eure halbherzige Distanzierung zu Carlos und der Entebbe-Aktion nicht aus. Wer diese Mörder unterstützt macht sich mitschuldig, und das haben die Angeklagten getan. Und wenn ihr, liebe Genossen, sie unterstützt, dann seid ihr dabei zivilisiertes Terrain zu verlassen und euch zu Unterstützern von Wahnsinnigen zu machen. Natürlich sollte der Prozess gerecht und an das Recht gebunden sein, aber handelt es sich hier, wenn sich die Anklage bewahrheitet, nicht um eine an den Haaren herbeigezogene Behauptung.

Schöne Grüße!

+ + + + + +

Erst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, diesen Leserbrief zu schreiben – auch wenn uns der moralische Vorwurf, wir würden uns mit Geiselnehmern solidarisieren, etwas weit hergeholt scheint. Natürlich halten wir terroristische Aktionen und insbesondere Morde und Geiselnahmen weder für ein taugliches, noch ein vertretbares Mittel herrschaftskritischer und antikapitalistischer Politik. Und ebenso selbstverständlich meinen wir aus unserer politischen Überzeugung heraus, dass Antisemitismus kritisiert und bekämpft werden muss.

Zugleich halten wir aber auch die Arbeit der Roten Hilfe für enorm wichtig – und die besteht eben darin, linke Aktivist_innen gegenüber der Justiz zu unterstützen. Im Übrigen ist solche juristische Hilfe etwas anderes als z.B. Beihilfe zu einer Geiselnahme, und Solidarität mit den beiden Angeklagten beinhaltet keine Unterstützung für Leute wie „Carlos“.

Die beiden Angeklagten sind aus unserer Sicht sicher keine strahlenden Helden, auch keine „Wahnsinnigen“, sondern schlicht Menschen, die auch Fehler begangen haben – möglicherweise drastische Fehler. Aus politischer Sicht kann und sollte man diese gegebenenfalls kritisieren. Rechtlich wäre es Aufgabe des Verfahrens, das zu erweisen (von zivilisatorischen Errungenschaften wie der Unschuldsvermutung hast Du sicher auch schon gehört).

Was die Geiselnahme in Entebbe betrifft: der Sachverhalt wurde in dem Artikel klar benannt, und wir halten unsere Leser_innenschaft für intelligent genug, sich selbst ein paar richtige Gedanken dazu zu machen. Dass diese Aktion in keiner Weise zu rechtfertigen ist, sollte offensichtlich sein. In dem Text „Gerd Albartus ist tot“ (www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn04.htm) haben auch die Revolutionären Zellen selbst eine eingehende Selbstkritik dazu verfasst:

„Wir machten uns die Losungen des palästinensischen Befreiungskampfes zu eigen und setzten uns darüber hinweg, dass unsere Geschichte eine vorbehaltlose Parteinahme ausschloss. Wir interpretierten den Konflikt mit den Kategorien eines an Vietnam geschulten Antiimperialismus, mit denen er nicht zu ermessen war. […] Israel galt uns als Agent und Vorposten des westlichen Imperialismus mitten in der arabischen Welt, nicht aber als Ort der Zuflucht für die Überlebenden und Davongekommenen, der eine Notwendigkeit ist, solange eine neuerliche Massenvernichtung als Möglichkeit von niemandem ausgeschlossen werden kann, solange also der Antisemitismus als historisches und soziales Faktum fortlebt. […] Wo wir unter anderen Voraussetzungen auf der Unterscheidung zwischen oben und unten beharrten, sahen wir im Nahen Osten vor allem gute und schlechte Völker. Am Patriotismus der Palästinenser kritisierten wir ebenfalls dieses Pathos, obwohl uns nicht zuletzt die Geschichte Israels ein warnendes Beispiel hätte sein müssen, dass die Verwirklichung der palästinensischen Maximalforderungen nicht das Ende von Ausbeutung und Unterdrückung, sondern lediglich deren Verewigung unter anderen Vorzeichen bedeuten würde. Leid und durchlebte Verfolgung bieten keinen Schutz davor, dass Menschen zu Ungeheuern werden, sobald sie sich als Staatsvolk zusammenballen.“

Natürlich kann selbst die ernsthafteste und gründlichste Selbstkritik die Handlungen der Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Aber es zeigt, dass auch antisemitischer „Wahnsinn“ als Irrweg erkannt und verlassen werden kann. In diesem Sinne,

die FA!-Redaktion

Der große Bruder ist groß

Der folgende Text wurde aus dem Newsletter von www.riseup.net entnommen und von der Roten Hilfe Leipzig leicht verändert. Riseup ist ein Anbieter für E-Mail und Webspace für Gruppen und Individuen, die sich sozial und emanzipatorisch engagieren. Das Ziel von riseup ist es, eine demokratische Alternative und Selbstbestimmung durch sichere Kommunikation im Internet zu ermöglichen.

Vielleicht habt ihr in den Medien diese kleine Geschichte mitbekommen, dass (nicht nur) die US-Regierung Telefon-, E-Mail-, Chat- und Social-Media-Daten von allen Menschen weltweit sammelt? Krass – aber auch toll, dass mal Licht auf dieses massive Spionage-Programm fällt. Und nur, weil wir kaum die Programme anderer Regierungen kennen, bedeutet das nicht, dass es sie nicht gibt. Hier in der Riseup-Zentrale belehren wir euch schon seit Langem, dass Informationen, die ihr an Unternehmen gebt, als Informationen betrachtet werden sollten, die ihr auch an eure oder die US-Regierung gebt. Wir gehen davon aus, dass ihr eure Freund_innen regelmäßig damit nervt. Da ihr das nun nicht mehr müsst, gibt es hier eine neue Lektion, die ihr ihnen weitergeben könnt:

Warum sind Verbindungs-Daten wichtig?

Verbindungs-Daten (1), das sind alle Informationen darüber, mit wem Du kommunizierst, wie oft, wie lange und von wo – sie können verwendet werden, um eine soziale Karte zu erstellen. Diese soziale Karte kann zum Beispiel dafür genutzt werden, Verbindungsleute in sozialen Bewegungen und Kampagnen zu kennzeichnen, also die Leute, die verschiedene Gruppen untereinander vernetzen. Sagen wir mal, da ist eine wirklich gute und erfolgreiche Anti-Kohle-Kampagne am Laufen, die so effektiv ist, dass die Mächtigen sie stoppen wollen. Die aus den Verbindungs-Daten erstellte soziale Karte zeigt ihnen, wer die paar Leute sind, die die grünen Anarchos mit den Klimaschützer_innen vernetzen. Selbst in wirklich großen Kampagnen sind die Verbindungsleute oft nur eine Handvoll Menschen, ohne die Kommunikation, Koalition, Koordination und Solidarität zusammenbrechen würden. Nicht, dass sie zusammenbrechen könnten – es würde so kommen. Konzerne und Regierungen wissen sogar, wie viele dieser Verbindungsleute sie ausschalten müssten, um eine Bewegung zu sprengen. Dafür gibt es Algorithmen; akademische Papiere wurden dazu verfasst. Was sie jedoch nicht immer wussten: wer diese verflixten Verbindungsleute sind. Nun wirf einen Blick auf die aus den Verbindungs-Daten erstellte soziale Karte, von der ganz einfach und mit zunehmender Genauigkeit abgelesen werden kann, wer diese Verbindungsleute sind, die sie sich vorknöpfen müssen; welche sie verfolgen und einschüchtern müssen, um sie vom Organisieren abzubringen. Wen sie überwachen und mit Verfahren wegen irgendwelcher Kleinigkeiten überziehen müssen. Wen sie auf ungesetzliche Weise kriegen müssen. Wen sie entführen, foltern und töten müssen. Seien wir nicht so naiv zu glauben, dass das noch nie passiert ist und auch nicht erneut passieren wird. Die Sammlung von Verbindungs-Daten macht das alles einfacher. Klingt paranoid? Oder sind wir an einem Punkt angekommen, an dem nichts mehr paranoid erscheint…?

Aber was können wir machen?

Für den Anfang sorgt dafür, dass alle eure Bekannten einen E-Mail-Anbieter nutzen, der SSL/StartTLS unterstützt. In Bezug auf E-Mail ist dies der derzeit verlässlichste Schutz vor der Überwachung unserer sozialen Netze. Schaut euch in einer freien Stunde auch mal GnuPG (2) an, das freie Verschlüsselungstool. Informiert euch auch darüber, was die Gegenseite alles an Überwachungstechnik aufzubieten hat. (3)

Wenn es euch möglich ist, surft jede Webseite mit dem https-Protokoll statt dem http-Protokoll an; das gewährleistet zumindest die Verschlüsselung der transportierten Inhalte.

Und wie steht es um Telefonverbindungen, Internet-Chats und soziale Medien? Die Riseup-Vögel haben nicht auf alles eine Antwort, doch arbeiten wir daran. Eines wissen wir jedoch: Privatsphäre und Sicherheit lassen sich nicht durch individuelle Lösungen erreichen. Wenn wir Sicherheit wollen, brauchen wir eine kollektive Antwort und einen gemeinsamen Ansatz zum Aufbau einer alternativen Infrastruktur.

Anmerkung: Unsere hierarchie-kritische, anarchistische Seite will hinzufügen, dass wir nicht glauben, Verbindungsleute seien die wichtigsten Aktivist_innen, weil wir alle fest davon überzeugt sind, dass im Ökosystem jeder Bewegung viele kritische Nischen existieren, die alle gleich wichtig sind. Doch sind auch Verbindungsleute notwendig – so wie die Arbeit, die Du und Du und Du beiträgst.

riseup.net / Rote Hilfe Leipzig

(1) Wir haben uns an dieser Stelle für den technisch präziseren Begriff „Verbindungs-Daten“ entschieden, statt des allgemeineren, aber häufiger benutzten Begriffes „Meta-Daten“, um dem generell laxen und verwischenden Umgang in der Presselandschaft entgegen zu treten.
(2) www.datenschmutz.de/moin/VerSchlüsselung
(3) www.datenschmutz.de/moin/%C3%9Cberwachungstechnik

Mit Sicherheit im Recht

Strafverfolgung bei Anonymisierungsdiensten und Verschlüsselung

Dass das Internet ein Medium ist, das Aktivist_innen vielfältig für sich nutzen und dass diese Kommunikation von besonderem Interesse für Strafverfolgungsbehörden ist, wird sicher keine_n von euch überraschen. Das Wissen um die Bedeutung von Diensten wie TOR (The Onion Router) oder die Nutzung von Verschlüsselung ist mittlerweile zum Glück halbwegs weit in der Szene verbreitet. Nichtsdestotrotz gibt es rechtlich einige Dinge beim Einsatz dieser Techniken zu beachten, damit im Nachhinein nicht böse Überraschungen drohen.

Anonyme Zwiebeln

Im Internet lassen sich normalerweise sämtliche Bewegungen über eine sog. IP-Adresse nachvollziehen. Dies sind Zahlenkombinationen, die jedem Internet­anschluss zugewiesen werden und beim Abrufen einer Web-Seite offen sichtbar sind. Um dies zu verhindern oder etwaige Internet-Zensur-Mechanismen von staatlicher Seite zu umgehen, können sogenannte Anonymisierungsdienste eingesetzt werden. Das bekannteste Werkzeug für diesen Zweck heißt The Onion Router (TOR). Dabei wird neben dem eigentlichen Internet noch ein weiteres Netzwerk aufgebaut, das der Verschleierung sowohl der eigenen Identität als auch des gewünschten Ziels (z.B. einer Internetseite) dient. Kurz gesagt funktioniert das technisch so, dass statt einer direkten Verbindung zur gewünschten Web-Seite eine Verbindung über das TOR-Netzwerk aufgebaut wird und durch zufälliges Springen über einige „Knoten“ innerhalb des Netzes die eigene Identität verschleiert wird. Am Ende dieser Kette erfolgt dann wieder der Austritt über einen zufälligen Knoten in das „normale“ Internet. (1) Im Gegensatz zum obigen Normalfall ist danach nicht mehr die eigene Anschluss-IP sichtbar, sondern die IP des Austrittsknotens, dem sog. Exit-Node. Diese Teile des TOR-Netzwerks sind essentiell wichtig für das Funktionieren dieser Technologie und jede_r kann durch einen einfachen Klick in der Konfiguration als solch ein Exit-Node fungieren.

Problematisch wird es nur dann, wenn strafbare Handlungen über das TOR-Netzwerk passieren und dann die eigene IP (in der Funktion eines Exit-Nodes) bei den Ermittlungsbehörden landet. So gab es in den vergangenen Jahren bereits Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen von Technik, die der Bereitstellung eines solchen Exit-Nodes diente, mit dem Vorwurf, es wären strafbare Handlungen damit getätigt worden. Mit ein paar Vorsichtsmaßnahmen kann das Risiko, für die Taten Dritter haftbar gemacht zu werden, hier aber drastisch minimiert werden.

Zum einen gilt für Exit-Node-Betreiber_innen das sog. Provider-Privileg (§7 (2) und §§8 bis 10 Telemediengesetz (TMG)). Dies bedeutet, dass Provider nicht für die Aktionen ihrer Kund_innen haftbar gemacht werden können. Sie könnten maximal zur Herausgabe von Nutzer_innendaten oder zum Einrichten von Überwachungsmaßnahmen nach § 100b StPO gezwungen werden. Das Speichern von Nutzer_innendaten findet allerdings bei TOR technisch nicht statt (2) und stünde auch nicht im Einklang mit dem TMG, welches ein Speichern von Daten, sofern sie nicht für Abrechnungszwecke gebraucht werden, untersagt. Eine Überwachungsanordnung nach §100b StPO ist auch durch das stets zufällige Wählen des Exit-Nodes eine mehr als fragliche Maßnahme. Die Behörden würden beim Überwachen eines einzigen Exit-Nodes nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Kommunikation im TOR-Netzwerk abhören können.

Damit allerdings diese Provider-Tätigkeit belegt werden kann, sollte der Exit-Node mit einer separaten IP-Adresse versorgt werden – also auf keinen Fall über den heimischen WG-Internet-Anschluss betrieben werden. Dann könnte nämlich nicht widerlegt werden, dass mensch selbst die kriminalisierte Handlung getätigt hat. (3)

Daumenschrauben für Passwörter

Seit in Großbritannien im Jahr 2000 ein Katalog mit neuen Überwachungsmaßnahmen und -befug­nissen eingeführt wurde, der auch das Herausgeben von Passwörtern erzwingen kann, stellt sich öfter die Frage, ob auch in Deutschland das Nutzen von Verschlüsselung mit „Daumenschrauben“ geahndet werden kann.

Das Gute vorweg: Die Nutzung von Verschlüsselung ist legal und wird sogar von (einigen) staatlichen Stellen gefördert. Falls mensch selbst in einem Prozess Aussagen zu verschlüsselten Computern o.ä. machen soll, so sind Beschuldigte dazu nicht ver­pflich­tet – niemand muss an der eigenen Überführung mitwirken. Natürlich können Behörden alles versuchen, um die Verschlüsselung zu knacken – und bei schlecht gewählten Passwörtern (z.B. zu kurze oder der Name des eigenen Haustiers) wären sie somit vielleicht gar nicht auf Befugnisse wie in Großbritannien angewiesen.

Ein wenig anders sieht es aus, wenn mensch als Zeug_in in einem Prozess vorgeladen ist und sich nicht nach §55 StPO aus der Affäre ziehen kann (also z.B. mit dem/der Beschuldigte_n verheiratet ist). Zeug_innen sind zur Aussage verpflichtet und können von Richter_innen bei Weigerung mit Ordnungsgeld (bis zu 1.000 €) oder Ordnungshaft (max. 42 Tage) und im Anschluss Beugehaft (insgesamt max. 6 Monate, während der Prozess läuft) belegt werden.

Um dem zu entgehen, bietet sich u.U. das Nutzen der glaubhaften Abstreitbarkeit an. Dies heißt konkret, dass ein Passwort herausgegeben werden kann, dies aber nur einen Teil der Verschlüsselung zu unspan­nenden Informationen öffnet – die eigentlichen Daten liegen mit einem anderen Passwort weiterhin sicher auf dem Datenträger. Auch das Berufen auf Gedächtnisschwund beim Passwort kann u.U. Zeit erkaufen, sollte aber vorher mit dem/der Anwält_in abgeklärt werden.

Rote Hilfe Leipzig

Dieser Artikel ist eine Kurzfassung des Vortrags „Mit Sicherheit im Recht“, gehalten auf der CryptoCon13 in Leipzig

(1) Viel ausführlicher unter www.torproject.org/about/overview.html.en
(2) Nichtsdestotrotz lassen sich unverschlüsselte Verbindungen an diesen Exit-Nodes abhören.
(3) Weiterführende Infos: blog.torproject.org/blog/tips-running-exit-node-minimal-harassment

Verdammt lang quer

Wer sind eigentlich diese „Revolutionären Zellen“ (RZ) und was  haben die mit dem aktuellen Prozess in Frankfurt gegen Sonja und Christian zu tun?

Vergessene Zeiten – Vergessene Taten?

Es sind Episoden, die Linksradikalen der gegenwärtigen BRD lediglich aus Büchern oder anderen Staaten bekannt sind (aber keineswegs als momentane politische Option erscheinen): Ein Bombenanschlag auf ein Maschinenbauwerk der Firma KSB im pfälzischen Frankenthal soll die kleineren Profiteure des erst anlaufenden AKW-Baus in der BRD treffen, denn hier werden die passenden industriellen Pumpen dazu hergestellt. Im August ’87 verursachen Anschläge in neun Filialen des Modegeschäfts Adler enormen Sachschaden, der zum Erfolg eines Textilarbeiterinnen-Streiks in Südkorea beiträgt. Durch einen Bombenanschlag auf das Ausländerzentralregister in Köln versucht eine revolutionäre Zelle den riesigen Datensatz zu beschädigen, der über alle „Nichtdeutschen“ in der BRD zur rassistischen Kontrolle und Verwaltung geführt wird.

Solche aber auch weniger spektakulären Aktionen gehen auf das Konto einer Stadtguerilla-Gruppe, die häufig im Schatten der schon längst popkulturell verarbeiteten Roten Armee Fraktion steht. Paradox ist dabei, dass gerade dem Zusammenhang der „Revolutionären Zellen“ (RZ) und ihrer eigenständigen Frauengruppe „Rote Zora“ viel eher die Aufmerksamkeit einer linken Bewegung gebühren sollte. Denn die RZ beanspruchten für sich im Gegensatz zur RAF keinen leninistischen Führungsanspruch über die Bewegung, kehrten in ihren Texten nicht ständig eine allwissende Arroganz heraus und fanden häufig Anschluss an die Debatten des radikaleren Teils der sozialen Bewegungen. Es kann sogar behauptet werden, dass ihr politischer Ansatz einen entscheidenden Orientierungspunkt für die entstehende autonome Bewegung der 80er Jahre bot. Sie schafften es, durch eine eigene Zeitung und durch Debattenbeiträge die Diskussion mit der radikalen Linken zu halten.

Diesem Zusammenschluss von lose koordinierten Gruppen aus verschiedenen Teilen Westdeutschlands (Rhein-Main-Gebiet, Westberlin, Norddeutschland usw.) gelang es, eine gut 20-jährige (Anfang 70er bis 90er Jahre) politische Praxis – mit einigen Brüchen – zu entfalten. Zur Kontinuität trug sicherlich bei, dass sie dezentral und autonom organisiert waren und ihre Militanten grundsätzlich ihr Leben in der Legalität weiterlebten. Polizei und Geheimdienste schafften es kaum ihre Gruppen zu infiltrieren und wussten bis zur ersten Verhaftungswelle 1987 kaum mehr über die RZ als sie aus deren Texten erfahren konnten.

Die bewaffnete Antwort auf die Fragen der Zeit und antisemitische Irrwege

Die politischen Erfahrungen der begründenden RZ speiste sich ebenso wie beim Rest einer Generation von Linken aus dem Zerfall der antiautoritären Bewegung von Student*innen, dem Vietnamkrieg, antizionistischer Palästina-Solidarität, der Auseinandersetzung der Mittäter*innenschaft der Elterngeneration im NS und der aufkommenden Frauenbewegung. Besonders aktuell war 1973 der von den USA unterstützte, faschistische Putsch in Chile gegen die gewählte sozialistische Regierung. Auf die Frage: „Wie kann der Kampf eigentlich weiter aussehen, wie könnte eine neue revolutionäre Strategie aussehen?“ (1) antworteten einige Linke vor diesem Hintergrund anders als die K-Gruppen, Spontis und Jusos dieser Zeit mit der Perspektive „bewaffneter Kampf“. Während aber die RAF mit ihren Aktionen eher auf „das Herz des Staates“ zielte und implizit die Machtfrage stellte, suchten die RZ (meist) die Verbindung zu bestehenden sozialen Konflikten. Neben dieser Verankerung sollten die Aktionen verständlich und vermittelbar sein bzw. im besten Falle sich zu einer massenhaften Praxis ausweiten sowie inhaltlich bestehenden Bewegungen eine sozialrevolutionäre Perspektive „anbieten“. In den 80er Jahren mischten sie unter anderem in der Anti-Atom-Bewegung, der Anti-Startbahn-Bewegung in Frankfurt, der Hausbesetzungsbe­wegung in Westberlin mit und machten Ak­tionen gegen Gentechnik, rassistische Behörden – um nur einige The­men­felder zu nennen

Doch daneben hielt ein Zirkel innerhalb der RZ in den 70er Jahren internationale Kon­takte zu Gruppen im bewaffneten Kampf, die meist ihre gemeinsame antiimperialistische Stoßrichtung zusammen­führ­te. Besonders enge Beziehungen bestanden zu einer palästinensischen Gruppe (PFLP) und dem zweifelhaften Söldner Carlos. Zwei Kommandos, an denen sich RZ-Militante beteiligten, können als die dunkelste Etappe der RZ bezeichnet wer­den. Die Entführung einer Air-France-Maschine von Tel Aviv nach Entebbe stellte die Politik der Beteiligten in ihrer Offenheit für Antisemitismus bloß und wurde erst in den 90ern vor diesem Hintergrund diskutiert: Die Flug­zeug­entführung sollte palästinensi­sche Ge­fangene freipressen, indiesem Zuge wurden die jüdischen von den rest­lichen Passagieren ausgesondert – dies ließen zwei RZler*innen geschehen. Die Aktion endete im Desaster: Beide Militante starben, die anderen palästinen­si­schen Beteiligten wurden schwer verletzt (2).

Die zweite große internationale Aktion zusammen mit Carlos unter dem Kommando-Namen „Arm der arabischen Revolution“ war eine Geiselnahme der anwesenden Minister auf der OPEC-Konferenz in Wien 1975. Ziel war es einige der ölexportierenden Länder dazu zu drängen, die Palästinensische Befreiungsbewegung zu unterstützen und sich der panarabischen Sache anzuschließen. Entgegen der sonstigen Praxis, niemanden zu töten, starben während der Geiselnahme drei Polizisten, woran auch die RZler*innen Gabriele Kröcher-Tiede­mann und Hans Joachim Klein beteiligt waren. Auch wenn nach der Aktion die politischen Implikationen der Sache nicht kritisch diskutiert wurden, sagten sich die RZ von den internationalen Kontakten los.

Der Staat vergisst seine entschiedensten Feind*innen nicht

Was die Repressionsbehörden in der aktiven Zeit der RZ kaum gelang, versucht nun die Staatsanwaltschaft Frankfurt nachzuholen. Über 30 Jahre, nachdem sich die verhandelten Delikte zugetragen haben. Mit einem besonderen Bestra­fungs­eifer erreichte die Frankfurter Staats­an­waltschaft erst 2006 mittels eines europäischen Haftbefehls, Sonja Suder (80) und Christian Gauger (71), aus Frankreich ausliefern zu lassen.Dort waren die bei­den vor 28 Jahren untergetaucht und konn­ten später wegen Verjährung frei leben .

Seit dem 21. September 2012 wird nun am Landgericht Frankfurt der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Mitglieder der RZ geführt. Konkret wird beiden die Beteiligung an zwei Anschlägen auf Industrieunternehmen im Zusammenhang mit Anti-Atom-Protesten sowie einem Brandschlag auf das Heidelberger Schloss im Kontext von Gentrifizie­rungsprotesten in den Jahren 1977 und 1978 vorgeworfen. Zusätzlich wird Sonja noch die logistische Unterstützung der oben erwähnten OPEC-Geiselnahme durch Waffenlieferungen angelastet.

Die Vorwürfe, und das macht den Prozess neben seiner enormen zeitlichen Distanz nochmal obskurer, basieren auf wackligen Aussagen von zwei Personen. Zum Einen dienen die, unter folterähnlichen Zuständen erlangten, Aussagen des ehemaligen RZ-Mitglieds Hermann Feiling als Grundlage für die Anklage in den Punkten der Anschläge. Hermann Feiling verletzte sich beim Vorbereiten eines Bombenzünders 1978 schwer (ihm wurden beide Beine amputiert und die Augen entfernt) und wurde kurz nach den OPs wochenlang von der Polizei verhört. Sämtliche dieser Aussagen hat er im Nachhinein widerrufen und die Verwertbarkeit ebenjener wird von Sonjas und Christians An­­wält­*innen stets angefochten.

Die Vorwürfe der logistischen Unterstützung bei der OPEC-Geiselnahme fußen auf Aussagen des medial als „Ex-Terroristen“ herumgereichten Hans-Joachim Klein. Dieser wurde 1975 bei der OPEC-Geiselnahme schwer verletzt, stieg 1976 mit großem Tamtam aus (er schickte seine Waffe und einen Brief an den SPIEGEL) und tauchte bis 1998 in Frankreich unter. Nur durch die Kronzeugenregelung konnte er in seinem Prozess 2001 einer lebenslangen Gefängnisstrafe entgehen und wird seitdem immer wieder als Zeuge in Prozessen mit Stadtguerilla-Kontext hervorgeholt. Bei einigen Prozessen (z.B. gegen Rudolf Schindler, 2001) wurden seine Aussagen schon als widersprüchlich erkannt und auch im aktuellen Prozess gegen Sonja und Christian brilliert er hauptsächlich durch kreativ ausgebaute Erinnerungslücken.

Welchen Ausgang der Prozess gegen Sonja und Christian nimmt, ist aktuell noch über­haupt nicht vorherzusehen. Bisher stehen wöchentliche Prozesstermine bis August 2013 fest. In der Zwischenzeit könnt ihr euch bei Soli-Aktionen beteiligen oder das Soli-Komitee mit Spenden oder durch Prozessbeo­bach­tungen unterstützen.

RH Leipzig

(1) Interview: „Holger, der Kampf geht weiter“ (1975)
(2) Kritisch dazu RZ: „Gerd Albartus ist tot“ (1991). Auch eine interessante Auseinandersetzung mit Befreiungsnationalismus.
Zum Weiterlesen:
www.verdammtlangquer.org
www.freilassung.de – die meisten Anschlagserklärungen und Texte der RZ
Redaktionsgruppe Früchte des Zorns (1993): Die Früchte des Zorns. Texte und Materialen zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora. Bd. 1 u. 2. ID-Archiv

Rote Hilfe