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Leser_innenbrief FA! #55

Sagt mal, Feierabend! – geht‘s noch? Was sollte das denn?

Vorsichtig formuliert, ist der Inhalt eures Kommentars aus der Ausgabe 54 bestenfalls „kontrovers“, aus meiner Sicht leider wenig „libertär“. Daher wunderte ich mich sehr, dass ihr nicht wenigstens ein „Pro-Contra“-Thema draus gemacht habt… Zwei Junkies, die beim Klauen erwischt wurden, sind nicht dem Staat überantwortet worden, sondern es wurde das Naheliegendste durchgezogen: Das Diebesgut wurde ihnen abgenommen und es wurde vor Ihnen gewarnt (auf Mailinglisten, also einem relativ begrenzten Szene-Rahmen, nicht durch wildes Plakatieren oder Ähnliches). Das als „bürgerlich“ zu beschimpfen ist einfach nur absurd! Weder wird wirklich argumentiert, warum die bemängelte Aktion der „Selbstjustiz“ nun „Unrecht“ war, noch macht der Autor die Wertmaßstäbe für seine eigene Moral klar. Die ergriffenen Maßnahmen werden verurteilt ohne eine Alternative zu beschreiben – oder soll es etwa emanzipatorisch sein, die Polizei zu rufen? Falls das behauptet werden sollte, dann soll der Autor doch bitte mal ´nen Artikel schreiben warum das bürgerliche Rechtssystem (dem er die zwei Junkies gerne übereignet hätte) eigentlich eine anarchistische Form des Umgangs mit Konflikten darstellt! Ich war wirklich geschockt, denn der Text trieft vor einer bürgerlichen Moral – in der die Schuldigen ihrer gerechten Strafe durch die neutrale Polizei zugeführt werden sollten – und verurteilt den Versuch, mit einer schwierigen Situation selbst umzugehen, der (wie „primitiv“ und unperfekt er auch immer sein mag) eigentlich solidarische Kritik und Anerkennung verdient hätte. Ganz nach dem Motto „fragend schreiten wir voran“… Ich hoffe, Ihr findet eine der beteiligten Personen, die eine Gegendarstellung schreibt…

konne

 

Hey konne,

schön, dass du den Kommentar als kontrovers empfindest. Kontroversen sind ja prinzipiell eine feine Sache, und fragend Voranschreiten klappt eben auch nur, wenn man nicht bloß rhetorische Fragen stellt, wie „soll es etwa emanzipatorisch sein, die Polizei zu rufen?“

Diese Fragestellung geht nämlich an der Sache großzügig vorbei. Was Leute tun und was sie bleiben lassen, sind zwei verschiedene Dinge. Wenn du das Handeln von Leuten beurteilen willst, musst du dir auch dieses selbst mal anschauen. Ist ja schön und gut, dass die beteiligten Wagenplätzler_innen nicht die Polizei gerufen haben – aber was haben sie denn stattdessen getan?

Naheliegend wäre es gewesen, die beiden Junkies mit der Ansage „Haut ab und kommt nicht wieder“ nach Hause zu schicken – umso mehr, weil die beiden wohl gar nicht beim Klauen erwischt wurden, sondern bloß vermutet wurde, das sie klauen wollten. Aber so geht das eben bei der Selbstjustiz: Gerade die Grundsätze, die an der bürgerlichen Rechtssprechung sinnvoll sind, werden meist als erste fallengelassen – etwa die Unschuldsvermutung.

Dann auf bloßen Verdacht hin eine selbstorganisierte Hausdurchsuchung zu veranstalten und zur Beschlagnahmung vermeintlichen Diebesguts zu schreiten, ist auch nicht gerade ein Musterbeispiel für „emanzipatorisches“, nicht mal für pragmatisches Verhalten. Und nebenbei erwähnt, wird eine Denunziation auch nicht besser, wenn sie „nur“ im halböffentlichen Rahmen einer Mailingliste läuft (dort dann allerdings mit allem Drum und Dran, inklusive Fotos und Angabe der Wohnadresse).

Viel mehr als das Bestreben, die eigene subkulturelle Nische mit allen nötigen oder auch unnötigen Mitteln zu verteidigen, ist darin nicht zu erkennen. Es fragt sich, wofür du den Beteiligten hier „Anerkennung“ zollen willst. Weil sie sich in dieser ja doch arg „schwierigen Situation“ so wacker geschlagen haben?

Im Übrigen scheinst du den Kommentar recht persönlich genommen zu haben, zumindest lässt dein Tonfall das vermuten. Auch da fragt sich, woher das kommt – man muss ja nicht zwanghaft mit allem einverstanden sein, was Leute so machen, nur weil diese zufällig im selben Milieu rumhängen wie man selbst. Könnte es vielleicht sein, dass du dich von der Kritik in deiner Identität betroffen fühlst? Deine Frage „soll es etwa emanzipatorisch sein, die Polizei zu rufen?“ weist haargenau in diese Richtung. Viel mehr als die Aussage „in unseren Kreisen macht man das nicht!“ steckt in dem Satz leider nicht drin. Und das ist nun mal kein Argument, sondern nur eine Beschwörung der eigenen Identität.

In dieser Hinsicht ist dein Leserbrief ähnlich symptomatisch wie die Aktion selbst. Es ist natürlich ärgerlich, wenn man feststellen muss, dass sich die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft nicht einfach aussperren lassen – wenn man das plötzlich bemerkt, kann man schon mal überreagieren, sei es nun verbal oder handgreiflich. Wobei es immerhin schön ist, dass du dich mit dem Thema mindestens ein paar Minuten lang beschäftigt hast, wie dein Brief zeigt. An der Stelle könntest du ansetzen und deine Position noch mal überdenken.

In diesem Sinne…

justus

P.S.: Der Kommentarschreiber shy hatte keinen Bock, dem Leserbrief etwas zu erwidern. Ich weise darauf hin, dass es sich bei meiner Antwort um eine individuelle Äußerung handelt, die nicht notwendig der Meinung der FA!-Gesamtredaktion entspricht.

Leserbrief

Hallo!
Wieder ein super Feierabend!! Und wieder habe ich was zu kritisieren und mach das endlich schriftlich. Das Interview zum „christlichen Anarchismus“ finde ich voll daneben:
Ein allmächtiger Gott, der Gnade (= unverdiente Milde gegenüber Straftätern) den Menschen nach Gutdünken gewährt, ist das Feindbild jedes selbstbewussten, denkfähigen Menschen. Darauf basiert aber jede Gottgläubigkeit, also ist jede Gottgläubigkeit unbedingt unanarchistisch. „Christlicher Anarchismus“ ist also die Quadratur des Kreises, vielleicht mal nicht aus Böswilligkeit, wie es bei den meisten Pfaffen o.ä. der Fall ist, sondern aus Dummheit (= mangelnde Logikfähigkeit). Wenn jemand diesen Schwachsinn in ein Buch packen will, ist das schade, aber mensch muss das ja nicht lesen. Wenn dieses dumme Buch aber in einer ansonsten super-guten Zeitung besprochen wird, liest das einer erstmal und ärgert sich grün und schwarz, dass der richtige Satz „Religion ist scheiße“ als bloße Rhetorik diffamiert wird, unwidersprochen!! Sieht momo den Wald vor lauter Bäumen nicht? Ist die Kirche mit ihren Kreuzzügen etc. nicht etwa eine logisch entstandene Konsequenz aus dem Axiom des gnadespendenden Gottes mit seinen Gesetzen (!!!) und deren menschlichen Verkündern und Interpreten?!?!
Okay, sorry für meine Heftigkeit, aber ich hab 10 Jahre als Krankenpfleger bei der Diakonie gearbeitet und weiß jetzt genau, warum es Nationalsozialismus gibt, wie die Hexenverfolgungen funktionierten und dass Heuchelei, Hetze und Verleumdungen zentrale und essentielle Bestandteile jeder gottgläubigen Religion sein müssen.
Dieses Interview ist ein leider unkritisches, also Gefälligkeitsinterview gewesen, bitte sowas nicht mehr!!
Venceremos, Otto
*nix für ungut, ihr macht ´ne super Zeitung (jeder langt mal in die Schüssel)

Hallo Otto!
…Erst einmal vielen Dank für deinen Leserbrief – Feedback ist uns wichtig, gerne auch kritisch. Und deinen Beitrag verstehen wir als eine wichtige Position zur kontroversen Debatte um christlichen Anarchismus, die wir auch gerne fördern wollen. Eben weil sie viele anarchistische Herzen bewegt. Das haben wir auch bei der Lesung zum besagten Buch hier in Leipzig feststellen können. Gerade deshalb wollten wir auch den Herausgeber inhaltlich zu den behandelten Themen und seiner Motivation sprechen lassen. Nicht als Propaganda, sondern als Darstellung einer existierenden anarchistischen Strömung.
Da der Fokus dieses Buches in der Verbindung (nicht in den Unterschieden) zwischen christlichem Glauben und Anarchismus liegt – bisher ein ziemlich blinder Fleck in der hiesigen Literatur – ging es auch im Interview vor allem um die inhaltlichen Schnittstellen zwischen christlichem Glauben und Anarchismus, obgleich auch nach den Grenzen gefragt wurde.
Natürlich, das Thema ist umstritten und nicht wenige Anarchist_innen vertreten eine Position, wie du sie beschreibst. Auch innerhalb der Redaktion gibt es sehr unterschiedliche und religionskritische Haltungen dazu. Dass die institutionalisierte Kirche mit Anarchismus unvereinbar ist, darüber brauchen wir uns nicht streiten, nicht einmal mit christlichen Anarchist_innen. Allerdings ist Glaube auch was sehr Persönlich-Individuelles und wird auch abgekoppelt von institutionalisierten Herrschaftsverhältnissen von einigen praktiziert. Und nicht jede_r Gläubige betet zu Gott, weil er_sie sich nach Gnade und Vergebung sehnt. Wie bei allem in der Welt hilft ein pauschales Schwarz-Weiß-Denken m.E. hier nicht weiter. Um so begrüßenswerter finde ich den Versuch mittels eines Buches herauszuarbeiten, wo Glaube mit Anarchismus vereinbar ist und welche Argumente die christlichen Anarchist_innen verwenden. Ein weiterführendes Buch, das inhaltlich die Grenzen dieser Vereinbarkeit beleuchtet, wäre aber genauso begrüßenswert. Mir geht es da eher um die individuelle Ebene, vielleicht bringt ja der Diskurs Einige dazu, seinen_ihren Wertekanon mit Anarchismus in Verbindung zu bringen. Anarchismus ist in meinem Verständnis eine politische Haltung jenseits des Dogmatismus. In diesem Sinne haben dort alle Menschen Platz, die gegen Herrschaftsverhältnisse und Kapitalismus sind. Ob sie privat dann an einen Gott glauben, ist mir ehrlich gesagt egal, so lange sie ihm_ihr nicht die Herrschaft über sich selbst erlauben.
momo und Teile der Redax

…Und noch mal danke für Dein Feedback zum Interview, es ließ mich noch einmal über den sog. Diskurs zum christlichen Anarchismus nachdenken. Im Nachhinein betrachtet waren wir als Redaktion m.b.M.n. nicht kritisch genug mit dem Interview, bzw. den Gefahren, die darin stecken, „den christlich-anarchistischen Diskurs zu verbreitern und zu intensivieren“. In Zeiten, in denen sich durch alle gesellschaftlichen Schichten und in allen Breiten der Welt ein religiöser Rollback abzeichnet, in denen gerade anarchistische und linksalternative Strömungen mehr und mehr von Spiritualität und Esoterik durchsetzt sind, da obliegt es auch unserer Verantwortung, Diskurse durchaus zu lenken und nicht blind zu befeuern. Sebastian hatte im Interview leider auch nur zwei Argumente auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Gottgläubigkeit und der anarchistischen Idee. Das eine Kropotkins Autoritätsargument, dass andere von Gott gesandt. Doch wer sich Hab und Gut nur teilt, weil es in einer Apostelgeschichte geschrieben steht, der hat mit Emanzipation nichts am Hut, im Gegenteil. Solche vorgeblichen Überschneidungen mit dem Anarchismus, gepaart mit dem undifferenzierten Fokus auf Gemeinsamkeiten, führen schnell zur Religionsaffirmation, mindestens jedoch ist die offene Diskurshaltung religionsoffen. Als kritische Geister sollten wir diese nach Otto „Quadratur des Kreises“ jedoch nicht verschweigen, negiert sie doch alle vorgeblichen Gemeinsamkeiten des Christentums mit dem Anarchismus. Viele kleine Gemeinsamkeiten machen eben den entscheidenden Unterschied nicht wett. Man mag mir Dogmatismus vorwerfen, doch die „Dogmatismus ist Scheiße“-Rhetorik nervt!
shy

Leserbrief

Dies ist ein Leserbrief. Ich beziehe mich auf den Artikel „Verdammt lang quer“ in Ausgabe Nr. 47. Adressiert ist dieser Brief an die Redaktion des Feierabend! und auch an die Verfasser des Artikels, in diesen Fall die Rote Hilfe Leipzig.

Liebe Freunde,

diesen oben genannten Artikel abzudrucken ist schon ein starkes Stück. Für mich wäre es das jedenfalls. Heute im Jahr 2013 zeigt sich immer noch, wie wenig Sensibilität für Selbstkritik in eurem (linken) Milieu vorhanden ist. Natürlich haben die letzten 20 Jahre Kampf in und zwischen linken Kreisen ihre Spuren hinterlassen. Aber zu unseren Genossen von der Anarcho-Postille und der Roten Hilfe Leipzig scheinen sie nicht durchgedrungen zu sein. Deswegen nochmal deutlich: Antisemitismus ist kein Irrweg. Antisemitismus ist ein Wahn. Er ist nicht der Irrweg, den „der Kapitalist erfindet um die Arbeiterklasse zu spalten“ (Lenin), er ist eine anti-moderne, pathologische Ideologie. Diese Ideologie ist, man mag es kaum glauben, sehr wandelbar und tritt in verschiedenen Derivaten und Ausformungen als Fundament/elementarer Bestandteil in verschiedenen politischen Strömungen mal mehr, mal weniger offen zu Tage. Es ist nicht meine Aufgabe hier ausführliche Kritik am Antiimperialismus zu betreiben, das solltet ihr selbst tun (www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr248.htm).

Doch was hat das alles mit dem Artikel zu tun? Ich weiß, irgendetwas Bedeutungsschweres, im Gegensatz zu den sonstigen Kinkerlitzchen, muss die Rote Hilfe ja tun, um sich ihrer eigenen Existenz zu versichern. Aber Solidarität für Wahnsinnige, nichts anderes sind eure antiimperialistischen Geiselnehmer und Helfershelfer, einzufordern ist doch ein bisschen zu viel des Guten. Unabhängig davon, dass Sonja und Christian, wie ihr sie liebevoll nennt, keine Juden selektiert haben, haben sie doch zu den RZ gehört und ihnen auf die eine oder andere Art und Weise geholfen (und Waffenlieferung ist da kein Pappenstiel). Da reicht auch eure halbherzige Distanzierung zu Carlos und der Entebbe-Aktion nicht aus. Wer diese Mörder unterstützt macht sich mitschuldig, und das haben die Angeklagten getan. Und wenn ihr, liebe Genossen, sie unterstützt, dann seid ihr dabei zivilisiertes Terrain zu verlassen und euch zu Unterstützern von Wahnsinnigen zu machen. Natürlich sollte der Prozess gerecht und an das Recht gebunden sein, aber handelt es sich hier, wenn sich die Anklage bewahrheitet, nicht um eine an den Haaren herbeigezogene Behauptung.

Schöne Grüße!

+ + + + + +

Erst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, diesen Leserbrief zu schreiben – auch wenn uns der moralische Vorwurf, wir würden uns mit Geiselnehmern solidarisieren, etwas weit hergeholt scheint. Natürlich halten wir terroristische Aktionen und insbesondere Morde und Geiselnahmen weder für ein taugliches, noch ein vertretbares Mittel herrschaftskritischer und antikapitalistischer Politik. Und ebenso selbstverständlich meinen wir aus unserer politischen Überzeugung heraus, dass Antisemitismus kritisiert und bekämpft werden muss.

Zugleich halten wir aber auch die Arbeit der Roten Hilfe für enorm wichtig – und die besteht eben darin, linke Aktivist_innen gegenüber der Justiz zu unterstützen. Im Übrigen ist solche juristische Hilfe etwas anderes als z.B. Beihilfe zu einer Geiselnahme, und Solidarität mit den beiden Angeklagten beinhaltet keine Unterstützung für Leute wie „Carlos“.

Die beiden Angeklagten sind aus unserer Sicht sicher keine strahlenden Helden, auch keine „Wahnsinnigen“, sondern schlicht Menschen, die auch Fehler begangen haben – möglicherweise drastische Fehler. Aus politischer Sicht kann und sollte man diese gegebenenfalls kritisieren. Rechtlich wäre es Aufgabe des Verfahrens, das zu erweisen (von zivilisatorischen Errungenschaften wie der Unschuldsvermutung hast Du sicher auch schon gehört).

Was die Geiselnahme in Entebbe betrifft: der Sachverhalt wurde in dem Artikel klar benannt, und wir halten unsere Leser_innenschaft für intelligent genug, sich selbst ein paar richtige Gedanken dazu zu machen. Dass diese Aktion in keiner Weise zu rechtfertigen ist, sollte offensichtlich sein. In dem Text „Gerd Albartus ist tot“ (www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn04.htm) haben auch die Revolutionären Zellen selbst eine eingehende Selbstkritik dazu verfasst:

„Wir machten uns die Losungen des palästinensischen Befreiungskampfes zu eigen und setzten uns darüber hinweg, dass unsere Geschichte eine vorbehaltlose Parteinahme ausschloss. Wir interpretierten den Konflikt mit den Kategorien eines an Vietnam geschulten Antiimperialismus, mit denen er nicht zu ermessen war. […] Israel galt uns als Agent und Vorposten des westlichen Imperialismus mitten in der arabischen Welt, nicht aber als Ort der Zuflucht für die Überlebenden und Davongekommenen, der eine Notwendigkeit ist, solange eine neuerliche Massenvernichtung als Möglichkeit von niemandem ausgeschlossen werden kann, solange also der Antisemitismus als historisches und soziales Faktum fortlebt. […] Wo wir unter anderen Voraussetzungen auf der Unterscheidung zwischen oben und unten beharrten, sahen wir im Nahen Osten vor allem gute und schlechte Völker. Am Patriotismus der Palästinenser kritisierten wir ebenfalls dieses Pathos, obwohl uns nicht zuletzt die Geschichte Israels ein warnendes Beispiel hätte sein müssen, dass die Verwirklichung der palästinensischen Maximalforderungen nicht das Ende von Ausbeutung und Unterdrückung, sondern lediglich deren Verewigung unter anderen Vorzeichen bedeuten würde. Leid und durchlebte Verfolgung bieten keinen Schutz davor, dass Menschen zu Ungeheuern werden, sobald sie sich als Staatsvolk zusammenballen.“

Natürlich kann selbst die ernsthafteste und gründlichste Selbstkritik die Handlungen der Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Aber es zeigt, dass auch antisemitischer „Wahnsinn“ als Irrweg erkannt und verlassen werden kann. In diesem Sinne,

die FA!-Redaktion

Hallo Ihr vom Feierabend!

Um es vorweg zu nehmen: ich möchte Euch nicht zum Aufhören bewegen (Eu­rer Meinung nach sollen die Leser doch schreiben, wenn sie denken, dass Ihr bes­ser aufhören solltet), aber ein paar Dinge muss ich Euch nun nach der letzten Aus­gabe doch einmal sagen. Mittlerweile hal­te ich Eure Nr. 7 in den Händen und es sammeln sich die Fragezeichen.

Auf Eurer Seite 1 des aktuellen Heftes, druckt Ihr einen begeisterten Bericht von der „Grandiosen Eröffnung“ eines „Ii­bertären Universums auf 50 qm“ in der Leipziger Innenstadt ab. Man merkt Euch die Begeisterung für dieses Pro­jekt an (sicher ist es auch eine Eurer Lieblingslokalitäten) aber muss man denn so auf den Putz hauen?

Apropos Seite 1. Im Artikel über die nicht so grandios empfundene Eröffnung, der von Euch ebenfalls nicht empfohle­nen Leiharbeitsfirmen, druckt Ihr am Ende deren Adressen ab. Wieso das?

Sehr erheiternd fand ich die Beschreibung eines spontanen, nächtlichen Spaziergan­ges vom Gelände des Bimbo-Town ins ZORO. Nun gehe ich mittlerweile nicht mehr so oft auf Demonstrationen wie frü­her und bin vielleicht diesbezüglich nicht mehr so ganz auf dem laufenden, was die Machart der heutigen Demo-Sprüche be­langt. Ich weiß nur, wir haben bis vor nicht allzu langer Zeit eher gut reimende, leicht von der Zunge gehende Slogans bevorzugt. Solche Zungenkünstler wie sie Euer oder Eure clov in seinem Bericht beschreibt, waren wir jedenfalls nicht bzw. kann ich mir auch schlecht vor­stellen, wie 100 ,,gut gelaunte“ Leute einen gedrängten Schüt­telreim wie „GEGEN ARBEITSHETZE UND GE­SETZE, FÜR MEHR BAUWAGENPLÄTZE“ skandiert haben sollen.

Ein paar kurze Bemerkungen zur Gestaltung Eures Heftes: es ist sehr auffällig, dass diese von sehr verschiedenen Leuten vorgenommen wird. Dies ist bis zu einem gewissen Punkt etwas Gutes. Problematisch finde ich, dass bei Euch offensichtlich Leute mit sehr un­terschiedlichem Kenntnisstand bzw. An­spruch an die Qualität von Zeitschriften­gestaltung am werkeln sind. Beiträge mit großzügiger, gut lesbarer Aufteilung wech­seln sich mit eng Gequetschtem ab. Die Bilder und Fotos sind mal scharf und deut­lich erkennbar und dann wiederum müsst Ihr sogar grob gezeichnete Comics mit ei­ner Bildunterschrift versehen (wenigstens tut Ihr das mittlerweile, manche Sprech­blase in älteren Heften ist mir bis heute schleierhaft), damit sich der Sinn erschlie­ßen kann. Gerade Eure letzte Ausgabe Nr. 7 verdeutlicht eine starke Schwankung im ästhetischen Niveau Eures Blattes. Es hat sehr viel von einer Notausgabe. Wurdet ihr bestreikt? Selbst die sonst immer sehr spritzig-dekorative „VS des Monats“ mit einer unterhaltsamen Erläuterung im Edi­torial ist diesmal nur ein trauriges Foto mit einer nichtssagenden Anmerkung im Sin­ne von „Na, geht doch mal dort hin um Euch den Feierabend! zu kaufen“ (Gähn!). Trotzdem werde ich sicher noch sehr lan­ge zu den Leuten gehören, welche alle 6 Wochen fieberhaft nach dem neuen Fei­erabend Ausschau halten. Gerade jetzt, nach dem Sterben des Klarofix, ist es gut wieder eine Zeitung mit ähnlichen, aber auch weiterentwickelten Ansätzen zu ha. Aufgrund Eures relativ breiten Themenspektrums mit vielen, nicht un­nötig überdimensionierten Artikeln immer ein unbedingtes Muss!

Ich hoffe, ich konnte Euch hiermit ein paar nützliche Anregungen geben. Weiter­hin viel Glück! Euer Robert

Post an uns

Zum Beitrag „Hand in Hand mit den Bossen“ (FA! #38)

Mit dem Urteil vom Bundesarbeitsgericht in Erfurt am 23. Juni 2010 gegen das Prinzip der Tarifeinheit, also ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag, kam eine Diskussion zur Gestaltung der Tariflandschaft in Gang.

Eine gemeinsame Erklärung des BDA und des DGB sorgten im Vorfeld des Urteils für berechtigte Kritik. Richtigerweise ist dieses Thema auch ein Thema des Feierabend!. Allerdings ist für mich das gezeichnete Bild im Beitrag nicht trennscharf genug. Der kritische Blick einzig auf große Gewerkschaften und dem DGB-Vorstand wirkt stark verengt. Dem Thema wird man nicht gerecht indem man sich unter dem Motto: „Stimmt Feindbild, stimmt Weltbild“ abarbeitet. Deswegen der Versuch einige, aus meiner Sicht, teilweise falsch dargestellten Punkte inhaltlich anders zu beleuchten und auch die wirkliche Problematik des gemeinsamen Papiers vom DGB und BDA zu benennen.

Im Beitrag wird behauptet, dass „Bis dato… die DGB-Gewerkschaften dank des „Mehrheitsprinzips“ eine fast uneingeschränkte Monopolstellung gegenüber kleineren Gewerkschaften…“ hatten.

Tatsächlich umreißt der Autor damit genau die Situation, die nach der von BDA und DGB geforderten Gesetzesänderung entstehen sollte.

Es gab bisher das Prinzip der Tarifeinheit. Dieses Prinzip wurde von den Gerichten anerkannt und in der Praxis gelebt. Gesetzlich oder verfassungsrechtlich niedergeschrieben war es nicht. Weiter gab es bisher das Spezialitätsprinzip. Soll heißen, derjenige Tarifvertrag der räumlich, fachlich und persönlich speziellere Regelung enthält, geht vor einen Tarifvertrag, der allgemeiner geregelte Bedingungen für den Betrieb enthält.

Aktuell kann somit auch eine Gewerkschaft mit wenigen Mitgliedern tarifbestimmend sein. Beispielsweise der Fall Nexans in HanBelegschaft organisiert. Das hatte zur Folge, dass der Einzelne auf bis zu 40% seines Lohnes hätte verzichten müssen. Nur durch einen harten Arbeitskampf wurde annähernd wieder der alte Tarifvertrag erkämpft. Gleiches können wir auch in vielen Handwerksbranchen mit den christlichen Arbeitgeber-Gewerkschaften erleben. Kaum Mitglieder, aber eine Belegschaft wird dabei ganz bitter verkauft. Unhaltbar bleibt, dass eine gelbe (noch) Gewerkschaft mit keinen oder wenigen Mitgliedern die Normen für eine Belegschaft setzt, die das nicht möchte.

Gleiches Prinzip, andere politische Bewertung bei den Stan­desgewerkschaften (im Beitrag Spartengewerkschaften genannt): Mit Sicherheit haben Gewerkschaften wie die Gewerkschaft der Flugsicherung (GDF), Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Marburger Bund, Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO), Füh­rungs­kräfteverband Chemie (VAA) und Vereinigung Cockpit nicht ohne Grund den eher linksgerichteten Ar­beitsrechtsprofessor Dr. Wolfgang Däubler und den Prof. Dr. Volker Rieble mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens zum Thema beauftragt. Diese Gewerkschaften sind mit Sicherheit der Beweggrund, wenn BDA-DGB das Mehrheitsprinzip als Krücke vorschlagen.

Im Beitrag werden die Gewerkschaften mit den in Deutschland eher energischen Kämpfen verbunden. Auch eine Frage der Betrachtung und der Wahrnehmung: Denn zum einen kämpfen sie einen Kampf für eine sehr kleine und sehr spezielle Gruppe von Facharbeitern. Diese besetzen in den Arbeitsprozessen herausgehobene Stellungen. Das erlaubt in kurzer Zeit einen hohen Druck auf den Gegner auszuüben. Einen größeren Anspruch darüber hinaus ist nicht wahrnehmbar. Gesellschaftliche Veränderung, Engagement für alle Teile der Gesellschaft von Kindern über Jugendliche, Hartz-IV-Empfänger oder beispielsweise Rentner ist nicht zu spüren. Selbst für einen gemeinsamen Kampf für Beschäftigte mit geringerer Qualifikation im gleichen Unternehmen, reicht die Solidarität schon nicht mehr. Das führt auch innerhalb von Belegschaften zu großen Verwerfungen. Auch die Höhe der Forderungen der Standesgewerkschaften ist in letzter Zeit merklich zurückgegangen.

Allerdings wird der DGB auch dieses Thema mit einer solchen Änderung des Gesetzes nicht lösen. Für eine Diskussion halte ich folgende Fragestellung für notwendig weiter zu beleuchten:

1. Mit der Gesetzesinitiative wird scheinbar ein demokratisches Mittel (Mehrheitsprinzip) zur Sicherung der Tarifhoheit der DGB-Gewerkschaften eingesetzt. Wo und in welchem Gremium, auf welchem Gewerk­schaftstag, auf welchem Kongress haben denn die Mitglieder der DGB-Gewerkschaften diesem Einschnitt in die Verfassung und in das Tarifvertragsgesetz zugestimmt?

2. Welche Fehler haben denn beispielsweise ver.di, transnet oder andere selbst begangen, dass sich bestimmte Gruppen der Belegschaften nicht mehr vertreten fühlen? Und warum stellen sie sich nicht der Auseinandersetzung mit solchen Gewerkschaften im fairen Miteinander?

3. Das Tarifvertragsgesetz wurde oft genug von konservativen und neoliberalen Kräften angegriffen. Abstruse Pläne mit massiven Einschnitten in das Streikrecht gibt es ausgearbeitet in deren Schubladen. Bisher wurden alle Angriffe abgewehrt. Wie will der DGB, wenn er selbst das Tarifvertragsrecht in Frage stellt, den Damm halten? Der DGB öffnet Tür und Tor für gefährliche Änderungen.

4. Mit welchem Recht sind gerade Arbeitgeber aufgerufen, sich um das Tarifrecht zu sorgen? Sie haben doch Verbände „Ohne Tarifvertrag“ gegründet, Unternehmen aufgefordert, Tarifverträge zu kündigen und Gewerkschaften zu beschimpfen, gesellschaftliche Stimmung mit Hilfe der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gegen Tarifverträge erzeugt, Öff­nungsklauseln und Sa­nierungstarif­ver­träge gefordert, das Pforz­heimer Abkommen bejubelt, sich christliche Gewerkschaften in die Betrieb geholt, einseitig Regelungen gebrochen, und arbeiten auch europaweit an der Einschränkung der Mitbestimmungsrechte, zum Beispiel der Montanmitbestimmung. Diese Politik entzieht den Arbeitgebern die Glaubwürdigkeit sich für einen Tarifvertrag einsetzen zu wollen. Hat das der DGB-Vorstand vergessen?

5. Darüber hinaus wird es nicht selten sein, dass auch die großen Gewerkschaften in der Minderheit sind. Ist das für ver.di, Metall und Co egal?

6. Die geforderte Friedenspflicht solange die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern einen Tarifvertrag hat, ist praktisch ein Streikverbot. Warum sollte ich als Arbeitgeber es nicht schaffen 51% meiner Belegschaft zu begeistern, in eine von mir vorgeschlagene, selbst gegründete Gewerkschaft (wir denken an die AuB) einzutreten? Dann sind die DGB-Gewerkschaften raus und können sich nicht mal mehr zurück streiken. Fahrlässig!

7. Wo ist denn die reale Gefahr, dass sich viele neue kleine Standesgewerkschaften gründen? Bisher ist diese Gefahr nicht auszumachen.

Der harte blutige Kampf für Tarifvertrag, Streikrecht und Mitbestimmung sollte nicht untergraben werden. Die bisher bestehenden Gewerkschaften sind zum Teil auch eine positive Bereicherung (FAU) für die demokratische Landschaft. Insofern sollte der DGB die Finger davon lassen und ich hoffe der Feierabend! schaut sich die Entwicklung weiterhin sehr kritisch an. Denn es ist ein grundsätzlich sehr entscheidendes Thema für die abhängigen Beschäftigten darüber hinaus. Vielen Dank für die Setzung des Themas!

Tom Sawyer

Vielen Dank, Tom

…dass du dir die Mühe gemacht hast, uns diesen (sehr umfangreichen) Leserbrief zu schreiben. Ich stimme dir zu, die Darstellung des Themas war wirklich zu „eng gefasst“, was aber auch daran lag, dass eine halbe Seite als Rahmen einfach zu eng ist für Erörterungen. Der wichtige Hinweis, dass das Prinzip der „Tarifeinheit“ bislang keine gesetzliche Grundlage hatte, sondern nur eine ungeschriebene Regel für die Rechts­sprechung der Arbeitsgerichte war, ist leider den vom Platzmangel erzwungenen Kürzungen zum Opfer gefallen. Das war tatsächlich ein Fehler. Vielen Dank, dass du diesen Punkt richtigstellst!

Auch auf den Sonderfall der christlichen Gewerkschaften konnte ich nicht eingehen. Aber du sagst ja selbst, dass sich der DGB mit der Gesetzesinitiative auch die eigenen Mög­lichkeiten einschränkt (eben auch dann zu streiken, wenn eine gelbe Gewerkschaft die Mehrheit hinter sich hat). Insofern ändert dieser Hinweis nichts an meinem Fazit.

Was Gewerkschaften wie GdL und Cockpit angeht: Es ging mir nicht darum, diese abzufeiern. Aber die Vehemenz, mit der sie ihr Eigeninteresse vertreten, finde ich durchaus sympathisch. Die Piloten und Lokomotivführer nutzen eben ihre Schlüsselposition im Arbeitsprozess aus. Das mag egoistisch sein, aber genau dafür wurden die Gewerkschaften ja gegründet: um die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können.

Darum muss auch der DGB kritisiert werden, wenn er lieber auf „Sozialpartnerschaft“ setzt, wie es z.B. Herr Sommer sagt: „Die Gewerkschaften und die Arbeitgebervertreter […] arbeiten zusammen, wo dies möglich und nötig ist.“ Warum soll sich eine Gewerkschaft um die Interessen der sog. „Arbeitgeber“ kümmern?! Darum kümmern die sich schon selbst, zumal sie ja auch die Produktions- und damit die nötigen Machtmittel in der Hand haben. Im Gegensatz dazu sind die Lohnabhängigen zwar als Klasse unverzichtbar für die Unternehmer, als Einzelne aber beliebig austauschbar. Sie müssen sich also organisieren, um diesen strukturellen Nachteil auszugleichen und ihr Interesse zur Geltung zu bringen.

Im Rahmen der derzeitigen Verhältnisse würde das bedeuten, einen halbwegs guten Preis für die eigene Arbeitskraft zu erzielen. Schon bei dieser bescheidenen Forderung zeigt sich, wie falsch das heimliche Motto der Sozialpartnerschaft („Wenn´s dem Unternehmen gut geht, geht´s auch den Arbeitern gut“) ist. Denn dem Unternehmen geht es umso besser, je niedriger die Löhne sind. Umso größer ist die Gewinnspanne und umso besser steht die Firma in der Konkurrenz mit anderen Unternehmen da. Genau darum sind die „Arbeitgeber“ keine akzeptablen Bündnispartner. Nicht weil sie, wie du bei Punkt 4 meinst, sich durch ihr Verhalten in der Vergangenheit diskreditiert haben (wären sie denn akzeptabel, wenn sie dies oder jenes nicht getan hätten?), sondern weil ihr Interesse von vornherein im Gegensatz zu dem der Lohnabhängigen steht.

Darum finde ich es sympathisch, wie die Standesgewerkschaften ihr Eigeninteresse vertreten. Das ist natürlich auch problematisch, wenn es zur Entsolidarisierung mit den anderen Lohnabhängigen führt. Aber du sagst ja selbst, dass die von den Spartengewerkschaften erzielten Abschlüsse zunehmend niedriger ausfallen. Es wäre also möglich, dass sich der Spartenegoismus zugunsten größerer Solidarität von selbst korrigiert: Wenn nicht nur die Loko­motivführer_innen streiken, sondern auch der Rest der Belegschaft, dann kommt für alle mehr heraus. Und von dem Punkt könnte sich dann eine weitere Perspektive eröffnen, hin zu der Erkenntnis, dass es nicht nur darum geht, die eigene Haut so teuer wie möglich zu verkaufen, sondern dass es klüger wäre, das Abhängigkeitsverhältnis ganz zu beenden. Aber zu solch einer Perspektive hat der DGB (nicht nur seiner offiziellen Linie, sondern auch seiner hierarchischen Struktur wegen) meiner Meinung nach nichts beizutragen.

justus

„Karikaturenstreit“

Liebe FA!- Redax,

mit großer Freude schlug ich wieder eure Zeitung (oder besser Ma­gazin?) auf, um mir meine Ladung sympathischen Jour­nalismus abzuholen. Und in der Tat begann ich sehr inte­ressiert zu schmökern. Wie immer sind so einige Artikel zu fin­den, die sowohl Regionales wie Überregionales zur Sprache brin­gen, was sonst woanders nicht mal gedacht wird. Selbst den mittlerweile stärkeren Sarkasmus bei bestimmten Themen emp­fand ich als erfrischend, wenn gleich es z.B. beim Thema Nazis und Antifaschismus mit ein wenig mehr Alternativen ge­spickt sein könnte. Also alles in allem eigentlich die Daumen hoch.

Umso negativer überrascht war ich, als dann die Seite 24 von mir aufgeschlagen wurde und ich mich ernsthaft fragen muss­te, wie umnachtet die Leute vom Layout wohl gewesen sein muss­ten, ein so plattes, klischeebehaftetes Karikaturen­en­semble auszuwählen. Gerade eine Zeitung mit eurem Weitblick und Tiefgang sollte sich davor hüten, solch stumpfe, mit ne­ga­tiven Assoziationen behaftete Karikaturen zu verwenden. Um es kurz zu sagen, der dicke, fette Kapitalist mit Zylinder und Zigarre mit seinen Geldsäckelchen auf dem Fuhrwagen ist ein weit verbreitetes Ab­ziehbildchen einer verkürzten Kritik des Finanz­kapitalismus, das raffende Kapital par excellence! Warum macht ihr euch so leicht an­greifbar mit Bildern, die zu einfach bestimmte Assozia­tionen wecken können? Selbst in Reform­ge­werk­schafts­kreisen wie IGM und ver.di wird nach den Heu­schrecken-Karikatu­ren kriti­scher damit um­gegangen! Ich bin mir sicher, dass das nicht im Interesse eurer Zeitung war und hoffe, dass ihr das nächste Mal nicht mehr so un­glücklich in Fett­näpfchen treten werdet.

Mit schwarz-roten Grüßen,

euer Dickerchen aus Berlin

Hallo,

und vielen Dank für Deinen Leserbrief. Es stimmt, die Kari­katuren sind wirklich platt und klischeehaft. Und sicher ist ei­ne personalisierte Kapitalismuskritik, wie man sie darin se­hen könnte, problematisch. Nur lassen Bilder generell viele Les­arten zu – für welche mensch sich entscheidet, hängt vor allem vom Kontext ab. So ist im FA! #28 auch eine der von Dir erwähnten „Heuschrecken-Karikaturen“ zu finden – als Teil eines Artikels, der eben solche „Kapitalismuskritik“ kriti­siert. Ebenso wird in dem Artikel, zu dem die von Dir be­mängelte Karikatur gehörte, weder den raffgierigen Ka­pitalisten die Schuld am Elend der „Entwicklungsländer“ ge­ge­ben, noch werden antiamerikanische oder sonstige Ressen­timents bedient. Das macht das Bild nicht besser, schränkt aber den Interpretations-Spielraum erheblich ein.

Auch der Vergleich mit den „Heuschrecken-Karikaturen“ hinkt: Zwar arbeiten beide Bilder mit Stereotypen, es gibt aber große Unterschiede. Zunächst einmal fin­det bei den „Heuschrecken-Karikaturen“ eine Ent­mensch­lichung statt. Dort wird der „Kapitalist“ als Insekt dargestellt, bei der anderen Kari­katur als Mensch (wenn statt eines hungernden Afrikaners ein Pony den Wagen zie­hen würde, würde er sogar sympathisch wirken). Zwei­tens trägt die „Heuschrecke“ einen Zylinder in den Farben der ame­rikanischen Fahne, wird also als „fremd“ gekennzeichnet, als von au­ßen kommende Bedrohung. Und drittens gibt es eine klare Tren­nung von „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital: Der „Blutsauger“ bohrt seinen Saugrüssel in einen Fabrikschornstein – dem „pro­duktiven“ deutschen Kapital wird das ausländische, „parasitäre“ Ka­pital entgegengestellt. Diese Trennung (deutsch/amerikanisch, pro­duktiv/ausbeutend) lässt sich bei dem anderen Bild nicht finden.

Dennoch bleibt es natürlich einfallslos und klischeehaft. Das Haupt­pro­­blem dürfte aber in der unterschiedlichen Perspektive liegen: Wir ha­­ben den Text lang und breit besprochen und das Bild von diesem her interpretiert, während für dich als Leser natürlich die Bilder zuerst ins Auge stechen. Es ist eben auch so, dass die Produktion des Feierabend! immer wieder ein langer, anstrengender Prozess ist. Da fehlt oft die Kraft, nach den Texten auch noch die Bilder bis ins De­­tail zu diskutieren. Umnachtet waren wir also nicht – eher übernächtigt.

Auf jeden Fall freuen wir uns, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, Deine Kritik zu formulieren, und hoffen, dass Du auch in Zukunft unser Heft aufmerksam liest und bei Bedarf Kontakt zu uns aufnimmst, um uns Deine Meinung mitzuteilen.

Libertäre Grüße zurück!

Die FA!-Redaktion

Leserbrief zum Thema Schwabenhass

Oh nein!

Jetzt macht sich die antideutsch-kommunistische Angewohnheit konkrete Ak­tions­möglichkeiten durch abstrakte Forderungen zu ersetzen auch schon in libertären Zeitungen breit: Kapitalismus abschaffen statt Yuppies raus!

Natürlich ist Antisuevismus nicht in Ordnung, schließlich sitzen einige Schwaben auch als treibende Kraft in radikalen Plena und sind ganz vorne, wenn es auf der Straße rund geht (und auch ich bin Schwabe und lebe immer noch im Land der reichen Spießer)! Aber mithilfe des Kapitalismus jedes Verhalten entschuldigen und jede Möglichkeit, die innere Expansion des Kapitalismus aufzuhalten (eben die Aufwertung der Stadtviertel), für nicht-emanzipatorisch zu erklären, finde ich typisch (theorie-)kommunistisch oder fast schon katholisch: Hier ist eh alles schlecht und kann gar nicht verbessert werden, schön wird´s erst nach dem jüngsten Gericht (Revolution) im Himmel (Kommunismus).

Was bewirkt denn die Parole „Kapitalismus abschaffen!“? Nichts. Selbst wenn zwei Drittel der Bevölkerung sie vertreten, kann noch nichts Konkretes daraus abgeleitet werden, weil sie nichts Konkretes aussagt (zumindest für Hardliner-Antideutsche oder ähnliche Hardliner-Kommunisten): weder Sozialstaat noch selbstverwaltete Betriebe haben für sie etwas damit zu tun.

Da verstehe ich gut, wenn Autonome nicht däumchendrehend nach dem Kommunismus rufen, sondern einen Anfang machen, indem sie die Aufwertung ihrer Viertel bekämpfen, wozu Yuppies vertreiben nunmal ein Mittel sein kann. Ob das dann antikapitalistisch sein kann, sich dessen Expansion in den Weg zu stellen, ist eine längere Diskussion. Meiner Meinung nach schon, wenn nicht da stehengeblieben wird, sondern die entstehende Selbstorganisation der Viertelbewohner (die hier mit den Autonomen ein gemeinsames Interesse haben) nicht verebbt oder stehen bleibt.

Für mich unterscheidet sich an der Frage, ob wir einem utopischen Anarchismus anhängen, den wir erreichen indem wir alle (auch Yuppies) überzeugt haben, dass der Kapitalismus doof ist, oder einem klassenkämpferischen Anarchismus, wo wir gemeinsam mit betroffenen (ärmeren) Bürgern praktische Kämpfe führen!

Kommunistisch-anarchistische Grüße aus dem Schwobaländle.

Servus zurück!

Und danke erstmal, dass du dir die Mühe gemacht hast, uns zu schreiben. Das sind ja eine ganze Menge Fragen, die du da aufwirfst… „Konkrete Handlungsmög­lichkeiten“ sind ja schön und gut, aber gibt es nicht noch andere Optionen außer „Yuppies vertreiben“ und „däumchendrehend nach dem Kommunismus rufen“? Muss man das Falsche tun, weil nichts tun auch falsch wäre? Müssen Autonome immer das tun, was Autonome der Bild zufolge halt so tun (sich vermummen und krass-militante Aktionen starten)? Definiert sich die Radikalität einer Aktion danach, ob mensch dabei eine Hasskappe braucht oder nicht?

Und können nicht auch Antideutsche manchmal recht haben? Manche „antideutsch-kommunistische Angewohnheiten“ sind ja nicht verkehrt, z.B. Marx lesen… Muss man sich nicht wenigs­tens halbwegs darüber im Klaren sein, worin das Problem besteht, um wirksam dagegen vorgehen zu können? Was ist falsch an dem Hinweis, dass die einzelnen Kapita­list_innen in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang stehen und erst durch diesen zu Kapita­list_innen werden? Das zeichnet einen gesellschaftlichen Zusammenhang nun mal aus, dass er zwar von Menschen produziert wird, aber eben nicht von einzelnen, sondern von vielen Menschen, die mit­einander interagieren. Hat Kapitalismus nicht auch was mit Besitzverhält­nissen zu tun, und sind nicht eher die das eigentliche Problem?

Und muss mensch ir­gendwem eine persönliche Schuld zuschieben, um die herrschenden Ver­hält­nisse Scheiße zu fin­den und etwas dagegen zu tun? Ist es moralisch verwerflich, Geld zu haben und ger­ne in Berlin-Kreuzberg wohnen zu wollen? Und sind die „Yuppies“ wirk­lich die Haupt­schul­­digen an der Gen­tri­fi­zie­rung, oder gibt es da noch andere Akteure? Verhindert es nicht viel­leicht gerade eine wirkungsvolle, radikale Politik, wenn mensch sich bloß den Gegner raussucht, der am meisten ins Auge sticht und am einfachsten zu treffen ist? Und werden dadurch, dass bestimmte Kapita­list_innen als „böse“ gebrandmarkt werden, nicht im Gegenzug alle anderen als „bessere“ Kapitalist_innen hingestellt und damit entschuldigt? Fragen über Fragen, die ich hier leider auch nicht beantworten kann… Es dürfte immerhin sinnvoll sein, mal drüber nachzudenken.

Klassenkämpferisch-anarchistische Grüße zurück!

justus

 

P.S.: Wenn der Schwaben-Artikel (wie du richtig bemerkt hast) im Stil an antideutsche Flugblätter angelehnt war, dann liegt das daran, dass der Text eben auch eine Parodie auf solche Flugblätter war.

Brief an die LeserInnen

Lieber Johannes Knauss, lieber sisyphos,

ein wenig überrascht es uns schon, dass der Feierabend! gleich an zwei Stellen des Cee Ieh #161 prominent Erwähnung findet – dass im kopflastigen Connewitz auch wieder praxisorientierte Literatur gelesen wird, hätten wir gar nicht erwartet. Es freut uns deswegen umso mehr, dass auch Ihr nicht nur mitbekommen habt, dass es eine sogenannte „Finanzkrise“ gibt, sondern auch, dass wir bereits in unserer vorletzten Ausgabe einen Artikel dazu im Heft hatten.

Dass uns dort im dritten Satz dilettan­tischerweise das Relativpronomen „die“ abhanden gekommen ist, bitten wir hier­mit zu entschuldigen – es wird hoffentlich nicht wieder vorkommen. Aber mit dem Stil ist das ohnehin so eine Sache: Manche bevorzugen eben

VWL-Jargon

und andere bauen lieber Schachtelsätze wie Adorno. Dass Euch unsere

naturmetaphorische Drastik

nicht gefällt, können wir durchaus verstehen. Wir sind aber auch weiterhin der festen Überzeugung, dass wir „Erdrutsch“- und sonstige Metaphern nicht dem Focus oder Spiegel online überlassen dürfen. Gleiches gilt für die Forderung nach mehr

Anstand

und

Moral

die Ihr aus unserem Text herauslesen zu können glaubt. Irgendjemand muss ja die Fahne hochhalten, wenn jetzt sogar schon der Papst mit Holocaustleugnern rumkungelt. Und für Texte über Wertakku­mulation und den tendenziellen Fall der Profitdingens gibt´s ja schließlich immer noch das Cee Ieh.

Noch was? Ach ja: Ein richtig grober Schnitzer ist Euch unterlaufen, wenn ihr meint, wir würden unseren Leser_innen das sogenannte „Islamic banking“ empfehlen. Hättet Ihr noch zwei-drei Sätze weiter gelesen, wäre auch Euch aufgefallen, dass dem keineswegs so ist. Aber Schwamm drüber, da war wohl nur Eure allem Anschein nach ziemlich niedrige Aufmerksamkeitsspanne dran schuld – wenn man Eure Zitierweise als Maßstab nimmt, scheint Ihr ja von unserem Text nur einzelne Wörter gelesen zu haben. Wir jedenfalls werden Euer Heft auch weiter­hin aufmerksam lesen und hoffen, dass Ihr dasselbe tut.

Es empfiehlt sich,

Euer Fachmagazin für verkürzte Kapitalismus­kritik