Arbeitsmigration und Migrationspolitik in Deutschland
Eigentlich schien es kaum jemand zu interessieren, als am 1. Mai diesen Jahres nach siebenjähriger Verzögerung auch in Deutschland die sog. Arbeitnehmerfreizügigkeit für Lohnabhängige aus osteuropäischen EU-Staaten in Kraft trat. Diese brauchen nun keine Arbeitserlaubnis mehr, um hierzulande eine Tätigkeit aufnehmen zu können. Na gut, die Gewerkschaften warnten vor möglichem Lohndumping, und in mehreren Städten demonstrierten am 1. Mai Neonazis unter dem Motto „Fremdarbeit stoppen!“ für ihr Recht, als Deutsche von deutschen Kapitalist_innen bevorzugt ausgebeutet zu werden.
Zu einem großen Ansturm osteuropäischer Arbeitssuchender kam es aber nicht. Kein Wunder, denn Deutschland hat sich auch so schon längst zum Europameister in Sachen Lohndumping entwickelt: Während die Reallöhne in allen anderen EU-Staaten stiegen, sanken sie hierzulande von 2000 bis 2010 um etwa 4%. Mittlerweile haben sich deswegen z.B. die polnischen und die deutschen Durchschnittslöhne soweit angeglichen, dass sich die Auswanderung nach Deutschland schlicht nicht mehr lohnt.
Und wo ein besonderer saisonaler Bedarf an Hilfskräften bestand (etwa bei der Spargel- oder Erdbeerernte), konnten die Unternehmen auch vorher schon Saisonarbeiter_innen für bis zu sechs Monate anstellen – Deutschland schloss schon in den 90er Jahren entsprechende Verwaltungsabsprachen u.a. mit Tschechien, Polen, Ungarn, Rumänien, Slowenien und Kroatien ab. Dies betraf vor allem niedrig qualifizierte Tätigkeiten, für die sich aufgrund der schlechten Bezahlung nicht genug inländische Arbeitskräfte finden ließen.
Der gemeinsame europäische Arbeitsmarkt vergrößert nun zwar kurzfristig die Zahl der potentiellen Bewerber_innen, dürfte aber auch dazu beitragen, dass sich die Lebensverhältnisse in den einzelnen EU-Staaten langfristig angleichen. Und damit schwinden für die Lohnabhängigen die Anreize zur Migration, während für die Unternehmen die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte immer weniger Vorteile bringt. Schon jetzt klagt z.B. der Verband Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer, dass es immer schwieriger werde, Arbeitskräfte aus EU-Vertragsstaaten zu gewinnen und fordert darum, die bestehenden Anwerbeprogramme auch auf Weißrussland und die Ukraine auszudehnen.
Weitere Vorschläge kommen vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), einem regierungsnahen Think Tank. Im September 2011 veröffentlichte dieser eine Studie, mit der „Chancen, Grenzen und Zukunftsperspektiven für Programme zirkulärer Migration“ ausgelotet werden sollten. Zirkuläre Migration, die durch Abkommen mit anderen Staaten geregelte, zeitlich begrenzte (auch mehrmalige) Ein- und Auswanderung von Arbeitskräften, böte nicht nur die Möglichkeit einer verbesserten Zuwanderungssteuerung, sondern soll auch die wirtschaftliche Entwicklung der Herkunftsländer befördern. Ziel sei also „eine Triple-Win-Situation, in der Herkunfts-, Aufnahmeländer und Migranten gleichzeitig von den mehrfachen Wanderungen profitieren.“
Entsprechende Programme sollten, so der Vorschlag des SVR, in einem Pilotprojekt getestet und wissenschaftlich evaluiert werden. Daran sollen zunächst 500 bis 1000 Personen teilnehmen, vor allem „Migranten mittlerer Qualifikation in Branchen, die für Deutschland und ein potenzielles Herkunftsland interessant sind: Gesundheitssektor […] Tourismus, Metall verarbeitende Industrie, KFZ-Sektor.“ Eine mehrfache Ein- und Ausreise sei aus entwicklungspolitischer Perspektive erwünscht. Die Dauer des Aufenthalts sollte aber jeweils nicht mehr als zwei Jahre betragen und vor allem „eine maximale Dauer von fünf Jahren nicht überschreiten, da sonst gemäß EU-Daueraufenthaltsrichtlinie (2003/109/EG) ein Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt entsteht.“
Während bei nicht oder niedrig qualifizierten Arbeitskräften also Wert darauf gelegt wird, dass sie das Land irgendwann wieder verlassen, sieht das bei Fachkräften anders aus. Hier werden seitens der Wirtschaft dauerhafte Möglichkeiten des Aufenthalts gefordert, da sonst zu viele Bewerber_innen abgeschreckt würden und es zudem unnötige Kosten erzeugen würde, ständig neue Expert_innen einzuarbeiten.
Seitens der Politik wird bereits Entgegenkommen signalisiert. „Die Fachkräftesicherung wird die zentrale Herausforderung der kommenden Jahrzehnte werden. Wenn wir nicht handeln, wird der Mangel zur Wachstumsbremse“, erklärte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf einer Pressekonferenz, bei der eine neue Studie der Unternehmensberatung McKinsey vorgestellt wurde. Dieser Studie zufolge sollen bis zum Jahr 2025 etwa 6,5 Mio. Arbeitskräfte fehlen, davon 2,4 Mio. Akademiker_innen.
Als Antwort darauf erklärte von der Leyen am 22. Juni, beim sog. „Fachkräftegipfel“ in Meseberg, dass für Metall-, Fahrzeugbau- und Elektroingenieure sowie Ärzte künftig die sog. Vorrangprüfung (also der Nachweis, dass es für die betreffende Stelle keine geeignete Bewerber_in mit deutscher Staatsangehörigkeit gibt) entfallen solle.
Aber auch der sächsische Innenminister Markus Ulbig sorgt sich um Zukunft des Standorts: Schon im April brachte er eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat ein, die Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern soll. Während diese bislang ein jährliches Mindesteinkommen von 66.000 Euro nachweisen müssen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, soll nach Ulbigs Plänen diese Summe künftig bei 40.000 Euro im Westen und 35.000 im Osten liegen. Fachkräfte mit Arbeitsvertrag sollen zunächst für zwei Jahre bleiben und nach deren Ablauf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen können. Zudem soll das Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Schon seit Herbst sind die sächsischen Ausländerbehörden angewiesen, das Verfahren in maximal vier Wochen zu erledigen.
Ein grundlegender Wandel der deutschen Einwanderungspolitik ist das allerdings nicht – die altbekannte Unterscheidung zwischen „Ausländern, die uns nützen, und solchen, die uns ausnützen“ soll künftig nur ein wenig effizienter getroffen werden.
justus
Schlandort