Widerstand an der Uni Leipzig

Der Bildung in Deutschland geht es schlecht. Die Bildungspolitik ignoriert die Notwendigkeit von freier und selbstbestimmter Bildung für die geistige Entwicklung einer Gesellschaft. Und nicht nur an den Schulen, sondern eben auch an den Universitäten fehlen die Mittel und der Wille, um qualitativ hochwertige Wissensvermittlung zu organisieren. Die soziale Selektion des Bildungssystems wird nicht bekämpft, sondern durch die geplanten und teilweise schon umgesetzten Studiengebühren weiter verschärft. Die Kürzung der öffentlichen Mittel und Ausrichtung auf wirtschaftliche Verwertbarkeit gestaltete die Bologna-Reform (1), die einen europäischen Bildungsraum schaffen soll. Diese sollte den wissenschaftlichen Austausch erleichtern, aber durch eine mangelhafte und überstürzte Umsetzung sorgte sie für eine Verschulung des Studiums, brachte hohe Kosten mit sich und gestaltete das Studiensystem insgesamt nach ökonomischen Kriterien um. Dagegen regte sich in ganz Europa Widerstand, an zahlreichen Universitäten gab es Aktionen und Besetzungen, so auch in Leipzig.

Rektoratsbesetzung

Der fulminante Auftakt der Proteste im Wintersemester 09/10 war am 23. November die Besetzung des Rektorats, der durch die zeitgleich in Leipzig stattfindende Hochschulrektorenkonferenz (HRK) (2) maximale mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde. Geplant war, durch die Blockierung des Rektorats Druck auszuüben, um die Erfüllung von neun Forderungen (siehe Kasten) durchzusetzen, die im Vorhinein ausgearbeitet worden waren. Die Forderungen bezogen sich in erster Linie auf die Verhältnisse an der Uni Leipzig und ihr konkret umsetzbarer Inhalt lag hauptsächlich in der Kompetenz des Rektorats.

Während der vorherigen Besetzung, die eher nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“ verlief, wurde sich Zeit genommen, um über die eigene Situation und die Ursachen der Probleme (3) zu reflektieren. Dadurch wurde der Protest allerdings von außen meist als ziellos wahrgenommen. Demgegenüber wurde nun versucht, sich mit konkreten Forderungen an die Verantwortlichen zu wenden, um zu verhindern, dass die Verantwortung einfach auf andere Ebenen abgeschoben werden kann.

Um eine Eskalation, bzw. die sofortige Räumung zu verhindern, verzichteten die BesetzerInnen darauf, sich direkt im Büro des Rektors niederzulassen und bezogen Stellung im Vorraum, was zur Folge hatte, dass sie trotz der unmittelbaren Nähe doch recht wenig störten. Die Arbeit der Rektoren und ihrer Sekretärinnen  ging hinter geschlossenen Türen weiter, die Studierenden wurden schlicht ignoriert.

Weitestgehend ignoriert wurde auch die Demonstration „Keine Stimme ohne uns – Für eine demokratische Bildungspolitik“, die am Dienstag, dem 24. November, vor dem Rektorat startete und mit ca. 5000 Studierenden durch die Innenstadt zog, die auch mit Bussen aus Mannheim, Frankfurt, Dresden und anderen Städten gekommen waren. Nicht zu ignorieren waren allerdings die ca. 10 Protestierenden, die sich Zugang zu der zeitgleich stattfindenden abschließenden Pressekonferenz der HRK verschafften. Dort vertraten sie lautstark die Forderungen der Demonstrierenden nach mehr Mitbestimmung und gegen den Anspruch der RektorInnen, die Hochschulen alleine vertreten zu können.

Am Donnerstag, dem vierten Tag der Besetzung, änderte sich die Situation, als der Zugang zu den Räumen des Rektorats komplett blockiert wurde. Am Mittag wurde dann die Stellungnahme des Rektorats zu den Forderungen bekannt. Während einige Forderungen mehr oder weniger ignoriert wurden, wurde auf andere positiv eingegangen und geplant, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Die Besetzung hatte also ihr Ziel zumindest teilweise erreicht. Am Freitag wurde das Rektorat dann verlassen. Nach dem Wochenende traf sich „der Protest“ jedoch nicht wie ursprünglich geplant in einem besetzten Hörsaal, sondern in den vom Rektorat überlassenen Räumen: dem ehemaligen Sitz des studentischen Radio Mephisto. Die Räume waren einerseits legal und dadurch nicht so kraftraubend, andererseits eröffneten sie auch keine Perspektive, denn die Nutzung war auf zwei Wochen beschränkt. Durch diese Maßnahme der Befriedung wurde es viel ruhiger, – um nicht zu sagen still – um den Protest, zumindest in der Wahrnehmung von außen. Die Arbeitskreise arbeiteten weiter, autonomer und dadurch auch dynamischer, allerdings auch personell ausgedünnt, da der Status der Duldung und die Arbeit im Hintergrund wohl nicht mehr so faszinierend waren wie eine spannende Besetzung. Unter anderem wurde an der Vorbereitung der studentischen Vollversammlung (VV) gearbeitet, die dann am 14. Januar bei eisiger Kälte im Innenhof des Innenstadt-Campus stattfand. Außer der Verabschiedung neuer Forderungen (4) und dem Beschluss, zu Beginn des nächsten Semester eine weitere VV abzuhalten, brachte die VV keinen neuen Schwung. Die ca. 600 BesucherInnen waren leider nicht für weiteres konkretes Vorgehen mobilisierbar. Auch kam es nicht zu einer neuerlichen Besetzung, da wiederum befristete Alternativräume gewährt wurden. Diesmal in der Jahnallee, deren Entfernung vom Campus auch ein Grund für die mangelnde BesucherInnenzahl darstellen könnte. Dort wurde also im kleinen Kreis weitergearbeitet und unter anderem ein Vernetzungstreffen der Protestgruppen aus Jena, Halle, Merseburg und Dresden abgehalten. Im nächsten Semester soll es dann weitergehen, geplant ist ein selbstverwaltetes „Studierenden-Café“ auf dem Campus Augustusplatz. Dieses soll als eine politische Alternative zu den Cafeterien dienen und die Möglichkeit zu kritischer Reflexion beim gemütlichen Kaffee geben.

Eine Bilanz

Der Protest ist also noch nicht ganz abgeebbt, durch eine kleine Anzahl Unermüdlicher artikuliert sich die Unzufriedenheit vieler. Unter anderem gehört dazu auch die Bildungsstreik-Gruppe (5), eine bundesweite Initative, die sich auch um die Vernetzung mit SchülerInnen und „dem Rest“ der Gesellschaft bemüht. Das sich angesichts der massiven Probleme, europaweit und an der Uni Leipzig, nur eine handvoll Menschen auch wirklich engagiert, ist allerdings nicht nur ein Problem der Trägheit der Masse. Schon die Besetzung von 5 Räumen des neuen Seminargebäudes im Sommersemester 2009 sorgte durch endlose Diskussionen in überfrachteten Plena für viel Frust. Durch die Entscheidungsfindung im zentralisierten Plenum entstanden langwierige Diskussionen, die sich durch eigentlich ordnende Elemente wie Anträge noch künstlich verlängerten. Dies führte dazu, dass trotz des Willens zum Konsens, faktisch oft durch Abstimmungen entschieden wurde. Dieses Problem spitzte sich bei der Rektoratsbesetzung durch den Druck der direkten „illegalen“ Aktion extrem zu. Dadurch wurde der Besuch der Plena eher zu einem ermüdenden als energetisierenden Erlebnis, was natürlich extrem abschreckend wirkte. In der Mitte der Besetzung war dann die Frustrationsgrenze erreicht, was dazu führte, dass Entscheidungsbefugnisse in die jeweiligen Arbeitskreise, die zu speziellen Problemstellungen arbeiteten, abgegeben wurden. Damit konnte nicht nur das Plenum endlich flüssiger und dynamischer ablaufen, sondern auch die Arbeitskreise gewannen an Attraktivität, da sie nicht mehr nur dem Plenum zuarbeiteten, sondern selbst Entscheidungen treffen konnten.

In diesem Sinn gab es eine interne Weiterentwicklung die sich hoffentlich fortsetzen wird. Mit einem „Protest-Café“ würde endlich eine notwendige räumliche Basis geschaffen werden, die hoffentlich nicht zum Selbstzweck werden wird. Auch andere Projekte wie die erfolgreiche Veranstaltungsreihe „Kritik.Los!“ und verschiedene kleinere kritische Seminare, sind lokale Früchte der StudentInnenbewegung. Auch sind vielversprechende Ansätze von studentischer Organisierung entstanden, vor allem an kleinen Fakultäten, wie zum Beispiel bei den EthnologInnen.

Insgesamt passiert also durchaus einiges abseits vom „Kernprotest“. Ob die Bewegung insgesamt eine emanzipatorische Entwicklung annehmen kann, ist angesichts der meist reformistischen Forderungen sehr fraglich. Vielen protestierenden Studierenden geht es wohl mehr um den Erhalt des Status Quo, als um einen Widerstand gegen die kapitalistischen Zumutungen, die eben auch vor den Universitäten nicht halt machen.

(konne)

 

Der Blog der aktuell Protestierenden: unile.blogsport.de

(1) Darstellung der Reform und Kritik daran: wiki.bildungsserver.de/index.php/Bologna-Prozess

(2) Bundesweites regelmässiges Treffen aller HochschulrektorInnen. Sie versteht sich als Sprachrohr aller Hochschulen, befürwortet Studiengebühren, die elitäre Exzellenzinitiative und die Bologna-Reformen. Siehe bildungspolitik.bplaced.net/bildungsstreik-herbst-09/aktionen/hochschulrektorenkonferenz/

(3) Alles vom und über den damaligen Protest unter protesttage.blogspot.com

(4) zu finden unter www.stura.uni-leipzig.de

(5) bildungsstreik.tumblr.com

 

Die BesetzerInnen forderten:

1. Keine allgemeinen und/oder versteckten Studiengebühren.
2. Umfassender Bestandsschutz für die auslaufenden Studiengänge.
3. Garantie für die Studierbarkeit der neuen Studiengänge (Studierbarkeit des Wahlbereichs und Möglichkeit eines Nebenfaches mit Abschluss für alle Studierenden).
4. Bereitstellung selbst verwalteter studentischer Räume.
5. Reduzierung der Prüfungslast, Abschaffung von Multiple-Choice-Klausuren, Verbot von Anwesenheitskontrollen.
6. Erhalt und Ausbau der “kleinen Fächer” zur Wahrung der Fächervielfalt.
Umgehende Besetzung aller Lehrstühle.
7. Ein/e studentische/r Konsul/in als studentische Vertretung mit Antrags- und Rederecht im Rektorat und Hochschulrat, der/die bei allen Sitzungen anwesend sein muss.
8. Einstellung der HRK-Finanzierung von Seiten der Universität.

Wir fordern vom Rektorat eine sofortige, schriftliche Positionierung und eine umgehende Umsetzung der Forderungen! Bereits mehrmals hat sich das Rektorat undemokratisch verhalten, leere Zusagen gemacht und auch die Beschlüsse des Senats ignoriert. Sollte das Rektorat den Forderungen seiner Studierenden nicht nachkommen, verlangen wir dessen Rücktritt.

Das Rektorat antwortete:

Das Rektorat antwortete überwiegend positiv. Jedoch wurde durch Formulierungen wie „nach Möglichkeit“ und „bei Fehlentwicklungen Abhilfe schaffen“  versucht, Probleme zu Ausnahmefällen umzuinterpretieren und auf aktuell schon stattfindende Prozesse verwiesen, die Lösungen bringen sollen. Ganz allgemein „begrüßt [das Rektorat] studentisches Engagement, das zur Problemlösung beiträgt“, ist aber anscheinend nicht dazu bereit Fehlentscheidungen einzugestehen und bestehende Probleme konkret als solche zu benennen.

Die Forderungen und die komplette Antwort des Rektorats unter: unile.blogsport.de/allgemeines/

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