ARBEIT, ARBEIT, ARBEIT

Allgegenwärtig und unvermeidlich wird mensch mit dem Thema Arbeit immer wieder konfrontiert. Hat man welche, plagt sie eine_n, hat man keine, nerven Jobcenter und leere Portemonnaies. Obendrein erinnern Feiertage wie der 1.Mai daran, dass sich die Gesellschaft bereits seit Jahrhunderten kontrovers damit auseinandersetzt. Was früher als „Arbeiterkampftag“ tituliert wenigstens auf den Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital verwies, klingt heutzutage als „Tag der Arbeit“ befremdlich unkritisch und positiv. Wie die doofen 800 Neo-Nazis in Halle, die auf eine „Zukunft durch ARBEIT“ hoffen, sofern man „Fremdarbeiter stoppen“ würde, und dabei die Arbeit bis zum Äußersten idealisieren. Mehr Bodenhaftung haben da noch das Heer der ARBEITslosen, die trotz freier Zeit vornehmlich unglücklich sind, und die durch LohnARBEIT Erkrankten. Die zu alldem passende linksradikale Kritik am ARBEITsfetisch blieb in Leipzig jedoch weitgehend ungehört. Ob dies nun eher am allgemeinen Desinteresse, ihrem fehlenden Praxisbezug oder der unüblichen Datumswahl lag, bleibt offen. Auf jeden Fall aber fand der diesjährige 1. Mai für einige Leipziger_innen gleich vier mal statt: am 28.4.,30.4.,1.5.,2.5. und wurde in neun Begleitveranstaltungen des Mai-Bündnisses (siehe auch S. 12ff) thematisiert.

28. April: Kaputt durch Arbeit

Es war nur eine kleine Gruppe von etwa 20 Leuten, die sich am 28. April auf dem Willy-Brandt-Platz mit Transparenten und schwarz-roten Fahnen vor dem Hauptbahnhof einfanden. Anlass war der Workers Memorial Day, der internationale Gedenktag für die Opfer von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten.

Dieser wurde 1984 von der Canadian Union of Public Employees initiiert. Anlass war damals das 70. Jubiläum eines Gesetzes, dass einen Versicherungsschutz für Betroffene von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vorschrieb. Ein Jahr später machte der kanadische Gewerkschaftskongress den Workers Memorial Day zum jährlichen Gedenktag – eine Idee, die rasch auch international Anklang fand.

Anders in den USA oder Großbritannien ist der Workers Memorial Day in Deutschland noch kaum bekannt. Ihn auch in Leipzig zu etablieren, war eines der Ziele der von der Freien ArbeiterInnen-Union Leipzig organisierten Kundgebung. Aber nicht nur das: Das Fernziel ist (so der Aufruftext), dass künftig „niemand mehr in Folge der Abhängigkeit von Lohnarbeit zu Tode kommt oder gesundheitlich geschädigt wird.“

Bis dahin ist es unter den derzeitigen Verhältnissen noch ein weiter Weg. Das zeigte auch einer der Redebeiträge mit einer Aufzählung von Arbeitsunfällen, zu denen es in den letzten Monaten und Jahren in Leipzig kam. So war auch der Versammlungsort keineswegs zufällig gewählt. Nur wenige Meter entfernt wurde 1999 eine Kastanie gepflanzt – zum Gedenken an Arbeiter, die beim Bau der Promenaden im Hauptbahnhof ums Leben gekommen waren.

justus

30. April: Fusslahme Arbeitskritik

Leider wenig besucht war die Demonstration am 30.04. unter dem Motto „The future is unwritten – Für eine Perspektive jenseits von Arbeitswahn und Staatsfetisch“. Wohlmeinend geschätzte 200 vorwiegend junge Leute zogen reichlich lustlos und ohne viel Information für Interessierte im Gepäck durch die Innenstadt, um darauf aufmerksam zu machen, dass ihnen die Lohnarbeit nicht so wichtig ist, wie weiten Teilen der Bevölkerung. Eine Vermittlung dieses Inhaltes blieb aber weitgehend aus und so stellte die ganze Veranstaltung sinnbildlich die Strategie des 1.Mai Bündnis Leipzig in Frage, einerseits wegen des Aufmarsches der Neonazis am 1. Mai in Halle mit der Demonstration auf den 30.04. auszuweichen, und andererseits rund um den 01.05. Diskussionen und Vorträge zum Thema Arbeit anzubieten, die zwar als innerlinke Auseinandersetzung gelten konnten, nicht jedoch als öffentlich wahrnehmbare Intervention in bestehende Diskurse und schon gar nicht der Aufklärung und Agitation weiterer Be­völkerungskreise dienten. Konkrete Forderungen zu den brennenden Fragen von Mindestlohn bis Arbeitszeitverkürzung, von betrieblicher Mitbestimmung bis hin zu direkter Unternehmensbeteiligung, ja selbst eine klare Positionierung zur EU-weit in Kraft getretenen Arbeitnehmerfreizügigkeit, blieben aus. Stattdessen übten sich die Demonstrant_innen an diesem Tag lediglich in der eigenen Selbst­gewißheit, dass Arbeit einfach Scheiße ist. Na und? Das weiß ja nun wirklich jedeR!

clov

1. Mai: „Zukunft durch Arbeit“?

Um rückblickend über den 1.Mai in Halle, die Nazidemo und die Gegenver­an­stal­tungen, zu schreiben, fallen mir spontan mehrere Ansätze ein. Da gäbe es zum Einen den Klassiker, die Erfolgsstory vom couragierten, antifaschistischen Bündnis, das zahlreich, lautstark, ja und natürlich auch mit bunter Vielfalt, die Nazidemo erfolgreich blockiert hat – nicht zu vergessen: friedlich! – ganz so, wie es zuvor auch angekündigt und eigentlich ja im Stadtrat beschlossen worden war. Am Ende klopfen sich alle auf die Schultern und freuen sich, dass sie das so gut hinbekommen haben. Der Klassiker, wie gesagt.

Dann gäbe es noch die ebenso traditionsreiche Alternative, den empörten Bericht mit einigen Zahlenbeispielen und einer ausgiebigen kritischen Analyse der in jedem Falle ganz grundsätzlich verfehlten Polizeistrategie, dem unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt und all den anderen repressiven Maßnahmen, Einkesselungen, Platzverweisen, Pfefferspray und haste-nicht-gesehen. „Wären die Bullen nicht gewesen, hätte man nämlich!“ Auch hier kollektives Schulterklopfen, schließlich war der Wille da, der Weg nur von Polizei verstellt.

Ein ganz anderer, nichtsdestotrotz stark verbreiteter Ansatz wäre der Vergleich mit ähnlichen Ereignissen. Der macht sich online natürlich besser, da dank fortschrittlicher technischer Errungenschaften gleich Erlebnisberichte vergangener Nazidemos und Gegenveranstaltungen verlinkt werden können. Was war anders als am 16. Oktober, 13. Februar, Leipzig, Dresden, Berlin, usw.? Besonders schön für diejenigen, die aus­nahmsweise nicht dabei sein konnten und so erfahren, dass sie letztlich nichts verpasst haben.

Und last but not least gibt es diese Variante hier, sich mit abgeklärter Alter-Hasen-Attitüde über alle anderen lustig zu machen. Nicht gerade schön, weil gehässig gegenüber denjenigen, die eigentlich doch auch die „Guten“ sind. Und irgendwie haben sie ja auch recht, denn es war natürlich so eine Art Erfolg, dann doch noch eine Blockade hinzubekommen, und ja, die Polizei hat sich mitunter schon daneben benommen. Aber das ist an sich nichts besonderes. Und überhaupt – gab es an dem Tag überhaupt was besonderes? Etwas Erinnerns- und Berichtenswertes? Nicht wirklich. Gruselige Gestalten, dumme Gesänge, ekelerregende Reden von Neo-Nazis, die mir mal wieder einen Sonntag versaut haben. Das ist es, was mir im Gedächtnis bleiben wird. Und vielleicht ist das auch das einzig Wichtige und wenn auch nicht Überraschende, so doch Do­ku­mentationswürdige: Es gibt sie immer noch. Es sind immer noch zu viele. Und wahrscheinlich werden sie mir bald wieder einen Sonntag versauen.

teckla

2. Mai: Keine ARBEIT

„2. Mai – Tag der Arbeit …slosen“ steht auf dem Transparent, das da vor dem Leipziger Jobcenter im Wind flattert. Manche schauen ungläubig, als sie einen kleinen Blumenstrauß mit Banderole „Her mit dem Schönen Leben!“ in der Hand halten. Werden sie schon wieder verarscht? Manche schütteln den Kopf, andere freuen sich. Wichtiger aber als utopische Aufrufe ist für die PassantInnen der Amtstermin, der sie hierher gezogen hat und den Morgen der meisten ver­sauert. Etwa 10 AktivistInnen haben sich am Montagmorgen des 2. Mai vorm Jobcenter getroffen, um mit Blumensträußen, Flyern und Frühstückstisch auf feierliche Weise gegen die alltäglichen Schikanen zu demonstrieren. Unspektakulär, aber die Schwierigkeiten, ins Gespräch zu kommen, illustrieren das Dilemma einer linken Er­werbs­losen­politik: Einen Arbeitsplatz zu haben, verleiht einen Status. Arbeitslos zu sein, ist hingegen ein Manko, mit dem sich folgerichtig niemand gern identifiziert. „Ich bin nicht arbeitslos – ich hab einen 1€-Job“, erklärt denn auch ein Mann auf dem Weg ins Jobcenter, was ihn von „den Anderen“ unterscheidet. Auch wenn alle mit ALG2 zu tun haben – „einer von den HartzIV-Empfängern“ will niemand sein.

Das Dilemma zieht sich bis weit in linke Bewegungen. „Aktivistin“, „Künstler“ oder „Selbstständig“ sind weit attraktivere Selbstbeschreibungen als „ALG2-Em­pfängerIn“. So verständlich das ist, so verschleiert es doch die gemeinsame prekäre Situation. Auch wenn viele nicht direkt Arbeitslosengeld beziehen, so sind doch weite Teile der Gesellschaft direkt von der Höhe der Regelsätze betroffen: auch als wenig verdienende selbständige „Aufstocker“, beim Jobben in prekären Arbeiten oder auch als Festangestellte – überall stellen die HartzIV-Regelsätze den de-facto-Mindestlohn dar. So erklären sich auch die ständigen Angriffe auf die „luxuriösen Verhältnisse mit Hartz IV“ als indirekter Versuch, die Löhne zu drücken. Dieser allgegenwärtige Druck „wie kannst du es wagen, dem Staat auf der Tasche zu liegen“, verbunden mit den kleinen Schikanen des Alltags mag ein Grund für die gedrückte Stimmung der meisten sein, die da am 2. Mai am Frühstückstisch vorbei ins Amt einbiegen.

Ein paar bleiben doch stehen, trinken einen Kaffee, und geraten ins Gespräch. Alle haben üble Erlebnisse mit dem Jobcenter zu berichten, manche schreiben ihre Erlebnisse auch auf Zettel, die an einer Wäscheleine gespannt, die alltäglichen Schikanen dokumentieren sollen. „Geben Sie Ihre Mistpapiere her, sonst kriegen Sie nie wieder Geld von uns!“, bekam sie grad von ihrer Sachbearbeiterin zu hören, berichtet völlig aufgelöst eine Frau. Viele der Erfahrungen sind nicht so plakativ, lange verschachtelte Geschichten endloser Kleinkämpfe mit einer kafkaesken Bürokratie. Am Nachmittag dann, das Amt hat schon lange geschlossen, löst sich die Runde auf, der Frühstückstisch wird eingeklappt, und die Transparente eingerollt.

Und alle Fragen offen: warum ist diese Frage nach dem gesellschaftlichen Existenzminimum nicht zentrales Thema der Linken? Wie organisieren wir uns? Und wieso hat das Amt schon wieder mein Geld gekürzt?

Weil auch innerhalb der Linken viel zu viele mit diesen Fragen allein sind, gibt es seit einiger Zeit einen kleinen Erwerbslosentreff im Hausprojekt „Bäckerei“/Casa­blanca e.V.. Keine professionelle Beratung, eher ein Treffen mit der Möglichkeit, sich gemeinsam in die Materie einzuarbeiten, oder auch politisch diese Fragen zu diskutieren.

Treffen Mo/18Uhr (evtl. Termin nachfragen bei casablanca@riseup.net) / „Bäckerei“/Casablanca e.V. Josephstraße 12. Wer dazu kommen will, ist willkommen.

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